Top 7: Keltische Fantasy

14. November 2016 10 Von FragmentAnsichten

Es gibt Läden, bei denen man froh ist, dass es sie gibt, sich aber schon fragt, wie sie sich noch halten können. Scherenschleifereien zum Beispiel. Oder Kunstblumen-Läden. Oder Buchhandlungen für keltische Fantasy.

Letzteres ist mir im Sommer im bretonischen Locronan mit der „Librairie Céltique“ begegnet. Gelegen in einem der Touri-Orte Finistères, bietet dieser bis zu den Dachbalken vollgestopfte Laden zwar auch einige Bildbände und Reiseführer zur Gegend, und wenn man lange genug sucht, findet man sogar etwas Irland-Reise- und Kelten-Fachliteratur. Der Großteil des Angebots besteht aber wirklich aus Druckerzeugnissen, die sich irgendwie der keltischen Fantasy zuordnen lassen. Notizbücher mit wimpernklimpernden Feen und Knoten-Tattoos, Selfpublishing-Romane mit steifen Helden im Schottenrock, vor allem aber Unmengen an schön illustrierten, aber inhaltlich unsäglichen Nachschlagewerken zu … Feen.

Ohne Mist. Vor ein paar Jahren fand man in Deutschland in jedem größeren Buchladen wenigstens ein dickes Nachschlagewerk zur Mythologie, wobei für gewöhnlich auch die keltische berücksichigt wurde. In der „Librarie Céltique“ dagegen liegt der Schwerpunkt auf Lexika zu quietschbunten Feen, die sich mal lasziv an der Küste Irlands im Sand fläzen, mal verspielt in Blümchen hocken, sich die Zipfelmützen zurechtrücken oder Horoskope deuten. Ich hätte nicht gedacht, dass es international so viele Bücher zu diesem Thema gibt – hier ist ein Großteil des Ladens nur mit solchen vollgestopft, und natürlich sind sie alle auf Französisch.

Bei näherer Betrachtung ist es nicht mehr soo verwunderlich, dass sich der Laden hält. Nicht nur liegt er im Zentrum des historischen Kerns einer wie gesagt sehr Besucher-verwöhnten Stadt, es kommen offenbar auch viele Touristen gezielt wegen des „keltischen Flairs“ in die Bretagne im Allgemeinen und nach Locronen im Besonderen.* Darüber hinaus strahlt die „Librairie“ diese Art urigen Kults aus, die bei vielen Läden in Künstlerstädtchen schon ausreicht, um selbst am Thema Uninteressierte anzulocken.

Davon abgesehen – keltische Fantasy ist ein großes Ding, auch hierzulande.** Erst waren es feministisch angehauschte Romane, die im Zuge von Marion Zimmer Bradley Erfolge feierten, später entdeckte nach einer Durststrecke auch die Jugend-Romantasy das Feld für sich.*** Inzwischen hat der Trend wieder etwas nachgelassen, aber das Keltische hat sich definitiv seinen Platz in der Popkultur gesichert**** (von Einflüssen auf Esoterik und Co. wollen wir jetzt gar nicht mal anfangen).

Ich will auf das Thema jetzt gar nicht ausführlich eingehen, das habe ich schon an diversen anderen Stellen getan (z. B. in Artikeln für Magira und Celtic Guide). Stattdessen ist es mal wieder an der Zeit für eine Top 7-Runde, die eigentlich schon seit meinem Locronan-Besuch im August auf Veröffentlichung wartet. Es geht natürlich um Romane, die sich irgendwie mit keltischen Fantasy und Folklore auseinandersetzen. Von denen habe ich vor allem als Teenager jede Menge gelesen. Warum, verrät euch direkt das erstgenannte Buch.

(1) „Der Sohn der Sidhe“ von Kenneth C. Flint

Okay, wer halbwegs regelmäßig auf diesem Blog mitliest, kann diesen Titel wahrscheinlich nicht mehr hören. Aber wenn es eine Liste gibt, in der er genannt werden muss, ist es diese. „Der Sohn der Sidhe“ war mein erster Fantasyroman***** und hat allein dadurch schon eine Sonderstellung, denn er hat mich in vielerlei Hinsicht stark beeinflusst (siehe dazu auch hier). Außerdem war er das erste Buch, von dem ich Fan war. Nachdem ich es auswendig konnte – und eine Weile konnte ich es tatsächlich auswendig – machte ich mich auf die Suche nach anderen Büchern von Kenneth C. Flint. Das war damals nicht so einfach, da er erstens nie wieder ins Deutsche übersetzt wurde, zweitens selbst im englischen Sprachraum nicht gerade zu den bekanntesten Autoren zählte, drittens seine inzwischen verfügbaren E-Book-Neuauflagen noch in weiter Ferne lagen und ich viertens minderjährig war, also nicht mal eben Amazon bemühen konnte. Wenn es meine Eltern schafften, eines von Flints Büchern antiquarisch aufzutreiben, war das für mich immer wie Weihnachten und Ostern zusammen.

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Fast wie neu.

Einige Jahre später, als meine Begeisterung für ihn nachgelassen hatte, schrieb mich Kenneth C. Flint tatsächlich mal an, weil er es bemerkenswert fand, dass ich auf einer Facebook-Page eines seiner Bücher geliked hatte. Ich glaub, ich bin an dem Tag wie ein euphorisches Huhn auf LSD durch meine damalige WG gehüpft, aber das ist mir peinlich, deshalb schreibe ich davon nichts. In der Folge musste Flint jedenfalls unter anderem für drei Interviews herhalten. Eins davon kann man hier lesen.

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(„Ferdia falls by the Hand of Chuchulain“ von Stephen Reid)

Nach heutigen Maßstäben finde ich „Der Sohn der Sidhe“, das den Taín bó Cuailnge als Fantasy-Road Novel nacherzählt, nicht mehr soo herausragend, was vor allem an der doch recht veralteten Sprache liegt. Irgendwann habe ich mal geschrieben, dass ich manchmal Buch-Remakes gar keine schlechte Idee fände. Ein „Der Sohn der Sidhe“-Remake wäre jedenfalls was. Also, wenn ich es schreiben darf :p

(2) „Das Nachtvolk“ von Bernhard Hennen

Über dieses Buch habe ich schon einmal am Rande des (ohnehin keltenlastigen) Top-Artikels über fast vergessene Bücher berichtet. Um mich also zu wiederholen: Auf der Suche nach ähnlichen Büchern wie „Der Sohn der Sidhe“ wurde ich irgendwann bei „Das Nachtvolk“ vom damals noch recht unbekannten Bernhard Hennen fündig. Die Handlung rund um Volker von Alzey, der sich in einem Sumpf verirrt und dort auf keltische Göttinnen trifft, ist rückblickend zwar schon ein wenig hanebüchen, aber fesselnd war der Roman definitiv. Wird mal wieder Zeit, ihn zu lesen.

Wie viel später festgestellt, ist „Das Nachtvolk“ Teil der Nibelungen-Reihe und hat mit „Der Ketzerfürst“ einen direkten Nachfolger (siehe dazu oben verlinken Artikel). Trotzdem lässt sich „Das Nachtvolk“ unabhängig lesen.

Ebenfalls in der Liste auftauchen könnte übrigens Bernhard Hennens Funtasy-Roman „Nebenan“, in dem allerlei Märchen- und Mythenfiguren äh … Köln oder die Eifel oder den Rest der Welt retten. Gut, auch hier wird es Zeit für einen Reread.

(3) „Die Chronik des Eisernen Druiden 1: Gejagt“ von Kevin Hearne

Um noch mal zur Bretagne zurückzukommen: Jedes Mal, bevor ich in den Urlaub fahre, kaufe ich mir ein Buch, an das ich ausnahmsweise nur die eine Forderung stelle, dass es unterhaltsam sein soll. Abschalten und so, ihr wisst schon. Früher hab ich Nietzsche am Strand gelesen, aber entspannter wurde ich davon jetzt nicht unbedingt. Dieses Mal sollte es daher mal wieder bisschen Klischee-High Fantasy sein. Den Klischee-High Fantasy-Roman meiner Wahl gab’s aber nicht vorrätig und die Zeit drängte, also kaufte ich stattdessen „Gejagt“. Zwar als teure Klappenbroschur mit eigenwilligem Cover (sexy Held kratzt sich mit dem Schwert am Rücken),****** aber ich hatte schon viel Gutes über das Buch gehört, und im Personenverzeichnis stand was von Cúchulain, passte also.

Nun, manchmal sind spontane Blindkäufe doch eine gute Idee, denn – ich hab beim Lesen Tränen gelacht. Die Handlung rund um den Eisendruiden Atticus, der sich mit einem keltischen Liebesgott anlegt, ist so an den Haaren herbeigezogen, dass man sich ähnlich wie beim einen oder anderen alten Pratchett fragt, ob es überhaupt eine richtige Handlung gibt. Ist aber auch vollkommen wurscht, denn die aus einem wilden Mythenmix, popkulturellen Zitaten und einer Fülle abgedrehter Ideen resultierende Mischung ist so kurious, dass man einfach nicht anders kann, als von diesem Roman gute Laune zu bekommen. Daher eine unbedingte Leseempfehlung.

Bislang sind acht Bände der Chronik erschienen, ein neunter soll sie abschließen.

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Ich kratz mich mal am Rücken. (ISBN: 978-3-608-93930-9)

(4) „Faeriewalker 1 +2“ von Jenna Black

Ich laufe Gefahr, schon wieder über die Handlung zu lästern. Okay, wählen wir mal einen anderen Ansatz: Die „Fariewalker“-Trilogie spielt in einer Welt, die unsere sein könnte, wenn sich die Menschheit nicht vollkommen bewusst wäre, dass es mit der Feen-Welt noch eine zweite gibt, die aber von Menschen ebenso wenig betreten werden kann wie „unsere“ von den Feenwesen. Nur in der Kleinstadt Avalon können beide Spezies (erstaunlich einträchtig) koexistieren. Und genau in dieses Avalon verschlägt es Protagonistin Dana, die nach 16 Jahren Menschenwelt das erste Mal auf ihren Sidhe-Vater trifft – der sich natürlich prompt als politisch wichtiger Adliger herausstellt (dessen Nummer aber trotzdem im Telefonbuch steht). Und weil die sommernachtsträumenden Feenköniginnen es nicht so gut finden, dass seine Tochter eine Faeriewalker ist, also beide Welten betreten kann, ist die Kacke bald am Dampfen. Anschläge, fiese Verwandte, garstige Monster, sexy Sidhe, das ganze Programm eben.

Mein Vorliebe für diese Reihe – vor allem die ersten beiden Bände – läuft wohl unter guilty pleasure. Denn ob es um Danas bemerkenswerte Fähigkeit geht, dumme Entscheidungen zu treffen, um ihren arroganten Feenfreund Ethan oder die Unlogik im Weltenbau (Alle Feen sind entweder 1000 oder 18? Kein Run auf Avalons Krankenhäuser? Kein Supermensch-Gehabe der Feen, die die Menschen in allen positiven Attributen übertreffen?): Es gibt viel, was man „Faeriewalker“ vorwerfen kann. Aber wie schon hier erwähnt (hab ich keine neuen Themen?) ist Avalon ähnlich wie Hogwarts einfach ein Ort, den zu entdecken unglaublich viel Spaß macht.

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„The Riders of the Sidhe“ von John Duncan

 

(5) „Der schwarze Garten“ von Dorothe Zürcher

Auch in Zürich leben jede Menge nicht-menschlicher Humanoide – man muss nur wissen, wo man nach ihnen suchen soll und wie man sie erkennt. Kaia weiß über beides Bescheid und kontert Angriffe und Heimsuchungen aufmüpfiger magischer Wesen mit stoischem Pragmatismus. Als sich einer ihrer Gegner als keltischer Kriegsgott herausstellt, muss sie dann aber doch mal schlucken.

Dorothe Zürcher widmet sich der synkretistischen Schweizer Sagenwelt mit Unaufgeregtheit, Detailliebe und ohne unnötige Sprachschnörkel. Dank dieser Verbindung zählt „Der schwarze Garten“ nicht nur zu meinen derzeitigen Top 7 der keltischen Fantasy, sondern auch zu den besten Romanen, die ich dieses Jahr bislang gelesen habe. Ausführlicher gehen die Autorin und ich an dieser Stelle auf das Buch ein.

(6) „Ballade“ von Maggie Stiefvater

Sequels gelten allgemeinhin ja nicht unbedingt als die besseren Teile, aber „Ballade“ ist eine schöne Ausnahme dieser Regel. Seinen Vorgänger „Lamento“ fand ich inhaltlich eher durchschnittlich. Das Hintergrund-Setting hatte seinen Reiz, vor allem dank der ungewöhnlichen Sidhe-Darstellung, die sich stärker am Volksglauben denn an Mythen oder Sagen orientiert. Die Handlung läuft aber – jedenfalls bis zum ungewöhnlich pessimistischen Ende – sehr nach Romantasy-Schema-F ab. Zumindest, solange sie verständlich bleibt.

Die Fortsetzung „Ballade“ aber wählt einen anderen Weg, schon deshalb, weil dieses Mal die Perspektive des Sidekicks aus dem Vorgänger gewählt wird und die Protagonistin aus Band 1 nur noch durch SMS und Briefe zu Wort kommt. Interessante stilistische Mittel, die das auch inhaltlich überzeugendere „Ballade“ aus der Masse vergleichbarer Romane herausheben.

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Gut gelaunt, bis es weh tut (Illustration von E. Stuart Hardy)

 

(7) „Das Buch Merlin“ von T. H. White

Und wieder der siebte Platz, um den sich diverse Bücher kloppen und bei dem ich mich stets frage, ob ich nicht einen total wichtigen Roman vergessen habe. Zumindest als Platzhalter dient aber „Das Buch Merlin“, der fünfte Band von „Der König auf Camelot“ und der einzige davon, den ich gelesen habe – mit Band 1 zu beginnen ist einfach zu mainstream. „Das Buch Merlin“ steht an dieser Stelle vor allem, damit ich intellektuell rüberkomme, weil es mir nach „Der Sohn der Sidhe“ einen Meta-Blick auf die ganze keltische Mythologie und die westliche Gesellschaft geboten hat. Irgendwie sowas.

Nun, wie sieht’s bei euch aus, welche Bücher vermisst ihr in der Aufzählung?


* Nee, bei mir war’s tatsächlich Zufall.
** Von den seltsamen Lexika jetzt mal abgesehen.
*** Bezeichnende Kombi irgendwie.
**** Mich wundert allerdings, dass zumindest die irische Mythologie noch nicht so richtig in Hollywood angekommen ist. Es hat tatsächlich bis 2012 gebraucht, um einen (bis jetzt nicht realisierten) Cú Chulainn-Blockbuster ins Gespräch zu bringen.
***** Oder sagen wir, mein erster „bewusster“ Fantasyroman. Otfried Preußler oder Paul Maar kamen noch vorher.
****** Ungleich schöner ist die Hardcover-Ausgabe, die unter dem Namen „Die Hetzjagd“ erschienen ist. Gibt es zwar nur noch antiquarisch, dafür aber zum Teil günstiger als die Klappenbroschur-Version.