Novelizations: Fanservice in Romanform

Novelizations: Fanservice in Romanform

22. März 2022 9 Von FragmentAnsichten

Wer schrieb die deutschsprachige „Willow“-novelization, warum haben Film-Romane einen weniger guten Ruf und was kann bei der Erstellung so alles schief gehen? Ein paar Antworten gibt es in diesem Beitrag.

Titel aus Öffentlichen Bücherschränken machen inzwischen einen nicht geringen Anteil an meinem Lesematerial aus. Auf diese Weise gerate ich an seltsame Genre-Mischungen, an Klassiker mit einprägsamen Coverbildern, an überraschend gefällige Teenie-Vampir-Novellen – kurzum: an Romane, die ich mir in den meisten Fällen nicht gekauft hätte, die im Eifer des Moments aber irgendwie doch mein Interesse geweckt und mich zum Blick über meinen Geschmackstellerrand gebracht haben.

„Willow“ und die Frage – wer hat’s denn nun geschrieben?

Schon vor einigen Monaten bin ich auf diese Weise an George Lucas‘ „Willow“ gekommen. Der Fantasyfilm von 1988 ist eine Bildungslücke von mir, und ich dachte, ich könne sie ja zumindest mit dem Roman zum Film schließen. Jetzt habe ich dann auch endlich mal angefangen, ihn zu lesen.

Die Erzählung – 187 Seiten im Großdruck  – wirkt auf die ersten Kapitel niedlich, voll von klassischen Fantasy-tropes und sehr 80er. Was mich aber mehr beschäftigt als die Geschichte an sich, sind seine Gattung und seine Autorenschaft.

Als Kind habe ich sehr viele novelizations, d. h. Buchadaptionen von Filmen, gelesen. Die meisten drehten sich um Disney-Streifen, andere um Abenteuerfilme wie „Amy und die Wildgänse“ oder „Little Panda“. Üblicherweise hatten diese eine Szene aus dem Film auf dem Cover sowie den Hinweis „Das Buch zum Film!!!11!!“ Auch „Willow“ hat eine (gemalte) Szene aus dem Film auf dem Cover, kommt ungewöhnlicherweise ansonsten jedoch völlig ohne Hinweis auf diesen aus. Was mich wiederum zur Frage gebracht hat, ob es sich nicht vielleicht andersherum verhält und „Willow“ eine Filmadaption war.

Eine Netzrecherche später komme ich zum Schluss: Nope.

Zwar basiert „Willow“ auf einer Erzählung von George Lucas, der zudem gemeinsam mit Chris Claremont die gerüchteweise miserable „Chronicles of the Shadow War“-Trilogie als Fortsetzung geschrieben hat. Aber bei meinem Bücherschrank-Exemplar hier handelt es sich nicht um diese Erzählung, sondern um die Adaption einer gewissen Joan D. Vinge, Autorin zahlreicher novelizations von „Der Tag des Falken“ über „Der Wüstenplanet (1984)“ (ja, sehr meta) bis hin zu „Cowboy & Aliens“. Im Buch selbst taucht sie allerdings nur im Impressum als „redaktionelle Mitarbeiterin“ auf, als Autor ist George Lucas angegeben. Irritierend ist zudem, dass es noch eine zweite Filmfassung gibt, die sowohl im englischsprachigen Original als auch in einer Goldmann-Ausgabe unter Autorenschaft von Wayland Drews erschienen ist. Diese richtete sich offenbar an ein erwachsenes Publikum, Vinges hingegen an Kinder und Jugendliche, was den selbst für novelizations sehr einfach gehaltenen Stil erklärt. Es gibt übrigens noch eine dritte deutschsprachige Ausgabe von „Willow“, ebenfalls 1988 erschienen, und wiederum unter Autorenschaft von George Lucas; ich vermute, dass es sich dabei um die Drews-Variante handelt, da als Übersetzer Werner Waldhoff angegeben ist, nicht wie in „meinem“ Buch Fritz R. Glunk. Verwirrende Sache. Aber dass Autor*innen als Ghostwriter für Lucas agieren, ist nicht ungewöhnlich, in der ersten „Star Wars“-Romanadaption nach Lucas‘ Drehbuch erfüllte diese Funktion Alan Dean Foster.

novelizations von „Dracula“ bis „Gossip Girl“

Gut. Die ganze Sache hat mich nun aber wiederum dazu gebracht, unter der Dusche auf einer grundsätzlicheren Ebene über novelizations zu philosophieren. Wie schon gesagt, habe ich früher viele dieser Art Bücher gelesen. Zu manchen kannte ich die Filme, zu anderen nicht oder ich habe sie erst deutlich später angeschaut.

Als Teenager habe ich novelizations schon seltener gelesen, mochte aber z. B. die zu Francis Ford Coppolas „Bram Stoker’s Dracula“ (wiederum meta) oder die zu Jonathan Demmes „Philadelphia“ gerne. Auf dem Schulhof beliebt waren zu dem Zeitpunkt außerdem Romanreihen wie „Gilmore Girls“ oder „Gossip Girl“, die die Serien-Handlung um weitere Episoden ergänzt haben. Beliebt sind solche Reihen bis heute z. B. zu „Star Wars“ oder „Star Trek“, wo sie ihre ganz eigene Lore entwickelt haben; ich lese in dem Bereich alles, was mir zu „Firefly“ unter die Augen kommt.

Mein Interesse für klassische novelizations ohne eigene Handlung hat in den letzten Jahren allerdings weiter abgenommen. Aus den letzten zehn Jahren fallen mir nur zwei von mir gelesene Beispiele ein: Wolfgang Hohlbeins „Wir sind die Nacht“-Adaption, die ich trotz einer unnötigerweise hinzugedichteten Liebesgeschichte um Vampirin Nora sehr unterhaltsam fand. Und Robert Greenbergers „Hellboy 2: Die Goldene Armee“, worauf ich mit gemischten Gefühlen blicke. Das Buch war solide geschrieben, aber meine Hoffnung auf tiefere Einblicke in die Feen-Parallelwelt oder gar zur Beziehung zwischen Nuala und Nuada erfüllte sich damit nicht. Zudem merkte man dem Buch an, dass es einige hastig eingestreute Kampfbeschreibungen gab, weil Greenberger – wie in den Romanextras nachlesbar – kurz vor Abgabe den ersten Trailer und damit Nuadas Kampfstil zu Gesicht bekam.

Collage aus verschiedenen novelizations mit den typischen Filmmotiven ("Encanto", "Godzilla", "Willow", "Dragonheart", "Little Panda", "Star Wars Episode 1", "Hellboy 2 - Die Goldene Armee", "Wir sind die Nacht", "Bram Stoker's Dracula"

Greenbergers „Hellboy“-Roman ist damit ein Paradebeispiel für eine novelization. Meinem Empfinden nach genießen sie heute keinen allzu guten Ruf mehr. Leute greifen zu ihnen, wenn sie mehr über die Figuren oder das Setting erfahren bzw. mehr Details erleben wollen. Allerdings erscheinen viele dieser Buchadaptionen als Marketingmaßnahme mehrere Wochen bis Monate vor den Filmen und die Auftragsautor*innen haben nur (bzw. bestenfalls) Drehbuchentwürfe zur Hand, um in einem gewissen Gitter ihren Roman zu schreiben. Mancher weiß seine Möglichkeiten zwar durchaus auszunutzen, aber was Fan sich nach Anschauen des Films wünscht, kann eine ganz andere Sache sein.

Ein moderner Anachronismus

Umgekehrt haben es Filmadaptionen zwar auch nicht leicht, die Fan-Wünsche zu erfüllen, trotzdem sind sie in der Regel um einiges erfolgreicher (und teurer in der Produktion). Nach Jan Baetens dürfte das mit unserem allgemeinen Hang zu visuellen Medien zusammenhängen; in seinem Artikel „Novelization, a Contaminated Genre?“ (Critical Inquiry Vol. 32, Nr.1 Autum 2005) bezeichnet er novelizations gar als Anachronismus. Zudem weist er darauf hin, dass es sich bei ihnen eigentlich nicht um Adaptionen handle: „Novelization does not so much aspire to become the movie’s other as it wants to be it‘s double.“ Während Filmschaffende, die einen Roman adaptieren, sich weit vom Ursprungstext lösen können, ist das den Auftragsautor*innen in der Regel nicht gestattet. Sie sollen die Bilder in Text bannen, keine eigenen Visionen des ihnen zur Verfügung stehenden Materials entwickeln. Und das ist selten eine gute Voraussetzung, wenn man das Medium wechselt; beispielsweise bin ich überzeugt davon, dass mir die Firefly-Comics vornehmlich deshalb besser als die -Romane gefallen, weil sie im Laufe der Zeit zu einem eigenen Erzählstil gefunden haben, ohne deshalb mit ihrer Quelle zu brechen.

Und dennoch – sie halten sich, die novelizations, auch wenn ihre Anzahl abgenommen hat. „Yes, People Still Read Movie Novelizations … And They Write Them, Too“, schrieb Alex Suskind 2014 in der Vanity Fair, nachdem es Greg Cox mit dem Roman zum damaligen „Godzilla“ auf die New York Times-Bestsellerliste geschafft hatte. Suskind wirft in dem Beitrag einen Blick auf die historische Entwicklung des Genres, das seine Anfänge in der Stummfilm-Ära genommen hat und in den späten 1970ern (mit) in Form von Tie-ins eine Blütezeit dank Franchises wie „Alien“ oder „Star Wars“ genoss. „Novelizations may have made more sense before the advent of home video. Back then, films were released in the theater and often not heard from again. The best way to relive those original memories was to read them in book format (or to use your imagination).“ Doch die Fankultur hält novelizations bis heute am Leben. Ich weiß nicht, ob ein Buch zu einem Film wie „Philadelphia“ heute noch so viel Erfolg hätte. Aber es wundert mich kein Bisschen, dass es ausgerechnet Cox‘ „Godzilla“ auf die Bestseller-Listen schaffte. Immerhin blickt die Riesenechse auf eine riesige Fangemeinde, die alles aufsaugt, was mit ihr in Zusammenhang steht. (Darüber hinaus ist das Buch den Rezensionen nach gut geschrieben, was ja auch keine schlechte Voraussetzung ist.)

It pays the bills …

In Suskinds Artikel kommt auch, wie die Überschrift andeutet, die Sicht typischer novelization-Autoren wie Alan Dean Foster oder Terry Brooks zum Tragen. Die dort geschilderten Anekdoten sind unterhaltsam zu lesen, aber ich kann die Verzweiflung nachempfinden, die Autor empfinden muss, wenn er nur neun Tage Zeit für eine Buchfassung hat. Oder wenn ihm nicht mal ein Drehbuch zur Verfügung steht und er sich Handlung oder Atmosphäre aus Frank-Frazetta-Bildern zusammenreimen muss (yeah, wir reden über „Luana“). Ein Extrembeispiel, das die Beschränkungen der Schreibenden zeigt, ist sicher jenes von Max Allan Collins, der die Vorlage für „Road to Perdition“ schrieb, sich in dessen novelization aber nur eng an den Film halten durfte. „It’s one of the great frustrations of my career“, so Collins. Kann man sich vorstellen, wa. Gleichwohl kommen auch positive Beispiele mit fruchtbarem Austausch zwischen Autor und Filmschaffenden vor.

Nun. Lest Suskinds Artikel, er ist sehr gut! Und dann verratet mir doch noch, welche novelizations ihr gut fandet. Oder auch nicht so gut. Hat zufällig jemand welche von den Avengers-Buchfassungen gelesen? Die würden mich ja schon bissl reizen … Aber erst mal lese ich „Willow“ zu Ende.


Text unter CC BY SA 4.0
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