[Top 7] Schullektüren
Vor ein paar Wochen kam auf Twitter eine Diskussion über die aktuelle Schullektüre auf, die erstens vor allem im Deutsch-Unterricht sehr depressiv und zweitens extrem von männlichen Schriftstellern dominiert sei. Ich habe diese Diskussion nur am Rande verfolgt, im Stillen aber durchaus zugestimmt, dass Schullektüre nicht unbedingt die Leselust fördert. Insbesondere die im Deutsch-LK habe ich in ermüdender Erinnerung. Während der Grundkurs Joey Goebels „Vincent“ lesen durfte, quälten wir uns durch Lessing, Goethe, Goethe und noch mehr Goethe. Was bei „Faust“ ja noch in Ordnung ging, aber kommt schon, das Lesen von „Die Leiden des jungen Werther“ sollte man höchstens als Strafe für besonders böswillige Pausenschlägereien einsetzen. Die coolen Typen wie Schiller oder E. T. A. Hoffmann sind mir übrigens während meiner Schulzeit nie begegnet, dafür hat Goethe zu viel Platz eingenommen. (Sorry, ich hab eine ganz persönliche Abneigung gegen diesen Herrn entwickelt, „Faust“ hin oder her.)
Aber ich schweife ab. Und bei näherer Betrachtung der Bücher, die mir in 12,5 Jahren Schule begegnet sind, muss ich zugeben, dass die Auswahl eigentlich gar nicht so übel war, sobald es mal nicht um Goethe ging. In Ethik und Englisch kam eh gutes Zeuch aufs Pult, aber in der Mittelstufe konnten sich auch die Deutsch-Lektüren durchaus sehen lassen. Was vielleicht auch daran liegt, dass wir von Pausewang verschont blieben* und den zweiten Weltkrieg mit zwei statt zehn Büchern behandelten.**
Und um (noch mehr) ins Detail zu gehen, hier nun meine Top 7 an Schullektüre. Wobei ich selbst überrascht bin, wie viel wir doch gelesen haben und wie schwer die Auswahl angesichts dessen fiel …
1. „Farm der Tiere“ von George Orwell
Ich habe kürzlich von der Lektüre im Ethikunterricht geschwärmt, muss inzwischen allerdings zugeben, dass wir die meisten Bücher doch nur in Auszügen gelesen haben. Auch „1984“ haben wir in der 7. Klasse anhand eines Reclam-Sekundärheftchens behandelt. Die Komplettlektüre gab es stattdessen zu „Farm der Tiere“, und die dazu geführten Diskussionen rund um Kommunismus, Kapitalismus und Pressefreiheit waren für mich durchaus prägend.
2. „Blueprint – Blaupause“ von Charlotte Kerner
Die Bücher aus weiblicher Feder, die wir durchgenommen haben, lassen sich an einer Hand abzählen: Das waren „A Raisin in the Sun“ von Lorraine Hansberry, „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ von Judith Kerr, „Der rote Seidenschal“ von Federica de Cesco und eben „Blueprint“ von Charlotte Kerner. (Na, immerhin. Und mit Hansberry und Ishiguro waren auch zwei PoC-AutorInnen vertreten.)
Dass wir 2003 „Blueprint“ gelesen haben, ist wohl vor allem dem damaligen Trendthema „Klonen“ zu verdanken – und der gerade im Kino gelaufenen Verfilmung mit Franka Potente. Die Unterrichtseinheit, die sich weniger auf sprachliche Besonderheiten, sondern mehr auf Themen wie Gentechnik, Leben mit chronischen Krankheiten und sozioindividuelle Identität fokussierte, war nachhaltig beeindruckend. Die Handlung des Romans dreht sich um die schwer kranke Künstlerin Iris, die sich in der Hoffnung klonen lässt, ihr Mini-Me werde ihr Werk fortführen.
3. „Das Parfum“ von Patrick Süskind
In der vor (Goethe-)Lektüre überquillenden Deutsch-LK-Phase gab es zwei Bücher, die ich in wohlwollender Erinnerung behalten habe: Zum einen Thomas Manns „Tonio Kröger“, zum anderen Patrick Süßkinds „Das Parfum“, die fiktive Lebensgeschichte des mit einer äußerst feinen Riechnase ausgestatteten Mörders Grenouille. Die Einheit zum „Parfum“ hatten wir dabei wiederum der gerade angelaufenen Verfilmung von Tom Tykwer zu verdanken. Abseits des Kinobesuchs (die Orgienszene im Kursverband zu sehen – ein Träumchen!), haben wir allerdings nicht wirklich viel mit dem Buch gemacht. Vielleicht mit ein Grund, weshalb ich es in so positiver Erinnerung behalten habe.
4. „The Remains of the Day“ von Kazuo Ishiguro
Während die anderen Englisch-LKs „The Picture of Dorian Gray“ oder „1984“ (dieses Mal wirklich) lesen durften, bekamen wir „The Remains of the Day“ vorgesetzt. Die Freude über dieses epische Werk, das die Politikgeschichte des 20. Jahrhunderts im Mikrokosmos eines englischen Herrenhauses zeigt, hielt sich zunächst in Grenzen. Mit der Zeit habe ich aber Gefallen an diesem sehr vielschichtigen Werk und auch an dessen gelungener Verfilmung mit Anthony Hopkins gefunden. Es wäre eigentlich mal wieder an der Zeit für einen Ishiguro …
5. „Achtung, Zeitfalle!“ von Andreas Schlüter
In der Mittelstufe durften wir uns in Deutsch zweimal selbst aussuchen, welches Buch wir behandeln wollten. Beim ersten Mal schlug ich „London, 13. Juli“ von Käthe Recheis vor, einen Roman um eine Gruppe jugendlicher IRA-Kämpfer, beim zweiten Mal „Harriet“, die Tagebuchsammlung und Biographie der Sklavin Harriet Jacobs. Letzteres machte sogar das Rennen im Klassenvotum, aber die Lehrerin fand’s dann sprachlich nicht geeignet.
Egal, jedenfalls „verlor“ ich beim ersten Mal gegen „Achtung, Zeitfalle“, was rückblickend durchaus akzeptabel war. Das Buch lässt sich zusammenfassen als eine Art „Fünf Freunde“ im Cyberspace. Dass es sich bei „Achtung, Zeitfalle“ um den dritten Band der „Level 4“-Reihe handelte, stellte ich wieder mal erst später fest. Ich hab die Vorgänger dann noch nachgeholt und eine Weile gehörten sie zu meinen Lieblingsbüchern. Obwohl ich zugeben muss, mich inzwischen nur noch an wenige Details erinnern zu können. Irgendwas war da mit Italien, Fußball und Cyberspace.
6. „Someone like you“ von Roald Dahl
In Englisch liest man halt schon die besten Kurzgeschichten. In der Oberstufe war meistens Edgar Allan Poe dran, weil unser Lehrer einen Narren an ihm gefressen hatte. In der 10. Klasse behandelten wir hingegen Roald Dahl, nachdem sich unser Lehrer sehr schockiert darüber gezeigt hatte, dass wir „Küsschen Küsschen“ nicht kannten. Klar, das ist bei einer Horde 15-Jähriger natürlich völlig unverständlich. Aber gut, wir haben dann also die skurrilen Geschichten aus „Someone like you“ gelesen und eine Creative-Writing-Einheit drangehängt, in der wir Storys im Dahl-Stil schreiben sollten. Leider ließ mich das glauben, ich sei begabt genug für den Englisch-LK, was rückblickend nicht die beste Idee gewesen war. Aber „Someone like you“ habe ich spätere Englisch-Misserfolge trotzdem nicht übel genommen.
7. „The Tempest“ von William Shakespeare
Eigentlich stand an dieser Stelle „Der rote Seidenschal“ von Federica de Cesco, aber ich bekam ein schlechtes Gewissen angesichts des Mangels an Klassikern in der Auflistung. Und auch wenn ich wie der Rest des Kurses enttäuscht war, dass wir von allen Shakespeare-Stücken ausgerechnet „The Tempest“ lesen sollten – letztlich waren Lektüre und Unterrichtseinheit ziemlich vergnüglich, und ohne sie hätte ich viele Caliban-Anspielungen in der Popkultur nicht verstanden.
***
Soweit zu meiner Schullektüre. Aus der Liste ausgenommen sind übrigens der Französisch- und Lateinunterricht. Ich weiß, dass wir in Latein Livius und Astérix hatten, und ich fand beide gut, aber irgendwie laufen die außer Konkurrenz. Und in Französisch haben wir glaub ich nie einen Roman gelesen, was mich gerade selbst etwas verwundert.
Wie war’s bei euch? Habt ihr auch ein Goethe-Traumata erlebt? Was war eure Lieblingslektüre? Habt ihr in Französisch Romane gelesen?
*Privat habe ich Pausewangs Romane gerne gelesen, aber hm, in der Schule wollte ich sie irgendwie ungerne durchnehmen. Vielleicht zu deprimierend. Ich guck mir auch traurige Filme ungern im Kino oder in einer Gruppe an.
**Der Zweite Weltkrieg wurde mit – wie sollte es anders sein – „Damals war es Friedrich“ (fand ich gut) und „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ (hm … bestimmt sehr wertvoll …) behandelt.
Ich musste sehr, sehr viele Klassiker in der Schule lesen, habe es aber erst Jahre später zu schätzen gelernt. Einige Werke (insbesondere Werther) ziehen sich wie ein roter Faden durch mein Leben und ich bin jedes Mal wieder erstaunt, wie aktuell diese Themen auch Jahre später noch sind. Aber prinzipiell könnte man die Auswahl schon ein wenig moderner gestalten, es gibt auch gute „Neuzeitbücher“, die sehr lesenswert sind.
Solche Bücher kenne ich auch, denen man immer wieder begegnet. Ein bisschen geht es mir so mit „The Tempest“; ich sehe da zwar keine starken persönlichen Bezüge, aber es hat einfach so großen Einfluss auf die Formen der Popkultur genommen, die ich gerne mag, dass ich inzwischen wirklich froh bin, es damals so intensiv behandelt zu haben.
Ich war fast immer ein fleißiger Schulbuchleser.
Was war schrecklich?
# Salvi Fünf von Willi Meinck. Ich weiß nicht mehr worum es ging, aber es war gräßlich.
# Effi Briest von Fontane. Ein Buch fernab jeglichen Interesses und Verständnisses von Pubertierenden in den 80ern. Das konnte nur scheitern. Zumindest hab ich das Buch komplett gelesen.
# Buddenbrocks von Thomas Mann. Holzhammer und Langweile. Das Lesen wurde immer mehr zur Qual, dennoch kam ich weiter als der Rest der Klasse.
# Woyzeck von Büchner. Das Desaster hat wohl unser Deutschlehrer verursacht als er uns für minderbemittelt erklärte, weil wir die biologische Ursache von Woyzecks Wahnsinn nicht erkannten.
Was war cool?
# Robinson Crusoe Band 1. Zwar wurde in der Schule eine Jugendfassung gelesen, aber ich hatte das Buch eh schon vorher und mehrfach verschlungen.
# Käuzchenkulhe von Horst Beseler. Der Jugendbuchkrimi der DDR-Literatur schlechthin. Spannend, fesselnd und megacool.
# Antigone von Sophokles. Großartige Zeit während des Abiturs als wir uns mit den großen Dramen befassten. Ich fand Euripides’ Version damals besser und wühlte mich durch weite Teile der epischen Bearbeitung des Stoffes. Und ja auch durch Goethes Iphigenie auf Tauris.
Mehr ist mir nicht weiter im Gedächtnis geblieben. Oft hatte ich die Bücher bereits vorher gelesen.
Zum Thema Goethe und Schiller. Ich mochte Schiller immer lieber, bewundere Goethe aber wegen seiner Universalität. Faust I ist ein großartiges Stück Dichtung, Faust II gefiel mir aber um Welten besser, las Teil Zwei aber erst während des Abis. Mit dem Werther wurden wir zum Glück nicht gequält. Weiß gar nicht ob wir die Neuen Leiden von Plenzdorf in der Schule lasen.
Jedenfalls waren viele Schulbücher im DDR-Lehrplan ideologisch geprägt und deshalb verpönt. Von Gorkis Mutter über Wie der Stahl gehärtet wurde bis zu Werner Holt. Das las man eher mit Widerwillen. Hinzu kam, dass höchstens ein Drittel der Klasse überhaupt etwas freiwillig las. Zum Ende der Zehnten konnten fünf bei uns nicht fließend lesen. Das DDR-Bildungssystem hatte sehr viele blinde Flecken.
Vieles von dem, was du nennst, kenne ich gar nicht, „Käuzchenkuhle“ zum Beispiel. Aber „Woyzeck“ haben wir mal mit der Theater-AG aufgeführt; die Arbeit damit hat mir gefallen, aber als klassische Schullektüre hätte ich es glaube ich öde gefunden 😉
„Antigone“ mag ich als Stoff auch sehr gerne, kenne es aber nur als Nacherzählung. Alles, was vor Lessing war, haben wir leider nicht behandelt.
Schiller wiederum habe ich zu schätzen gelernt, allerdings kam der bei uns wie gesagt nicht im Unterricht vor. Ist ja auch völlig irrelevant, der Typ 😉 Bei Goethe denke ich, dass ich zumindest „Faust“ und vor allem „Faust 2“ wahrscheinlich mehr abgewinnen könnte, wenn wir ihn nicht so bis zum Erbrechen durchgenommen hätten.
Es ist eben immer auch eine Frage der Lehrerin oder des Lehrers. Interessant fand ich den Ansatz von Stefan Sasse, mit der Methodik von Buchinterpretationen, angesagte Filme und Serien im Unterricht zu besprechen:
http://www.deliberationdaily.de/2017/12/die-jugend-von-heute/
Ich glaub, der Artikel ist falsch verlinkt? Aber so oder so ein spannender Blog, danke für den Hinweis.
Hier der richtige Blogartikel, sorry!
http://www.deliberationdaily.de/2017/12/wann-kommen-endlich-games-und-serien-in-den-bildungsplan/
Jetzt sag‘ ich mal was verrücktes: Mir hat „Die Leiden des jungen Werther“ in der Schule sehr gut gefallen. Sogar so gut, dass ich’s später privat und freiwillig noch zwei weitere Male gelesen habe! So. (Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ fand ich hingegen unerträglich)
Dafür habe ich in 13 Jahren (inkl. Deutsch LK) NIEMALS „Faust“ in der Schule durchgenommen. Das kommt mir im Nachhinein ziemlich merkwürdig vor. Ich habe das erst vor wenigen Jahren nachgeholt.
Was mir sonst noch an Schullektüre gut gefallen hat (soweit es mir spontan einfällt):
– E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann
– Golding: Lord of the Flies (engl.)
– Frisch: Homo Faber
– Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker
Von den richtig coolen Sachen, die ansonsten häufig Schullektüre sind und mich damals durchaus interessiert hätten (Das Parfüm, 1984, Schöne neue Welt, Fahrenheit 451) war irgendwie nichts dabei – das musste ich mir später selbst aneignen. Immerhin wurde ich von Günther Grass verschont – dafür bin ich aus heutiger Sicht und nach mehreren Versuchen ziemlich dankbar …
Ich glaub, der leidende Werther polarisiert stark. Ich kenne einige, die das Buch sehr gerne mochten, und andere, die es wie ich nur noch mit spitzen Fingern anfassen 😉 Im Studium mussten wir zusätzlich die erweiterte Fassung lesen, die ich etwas besser fand, aber Werther selbst – ach, der Kerl ist einfach furchtbar. Hat Goethe eigentlich je einen netten Prota gehabt?!
„Lord of the Flies“ hätte ich sehr gerne in der Schule behandelt, aber das war bei uns seltsamerweise nie auch nur mal am Rande Thema, ebenso wie „Fahrenheit 451“ und „Schöne neue Welt“.
So richtig gehasst habe ich von unserer Schullektüre glaube ich nichts.
Klar, mit „Effi Briest“ z.B. konnte ich damals sicher wenig anfangen. Fontane habe ich erst viel später zu schätzen gelernt. Aber aktiv gehasst? Nö. Ähnlich sah’s mit Theodor Storms „Schimmelreiter“ aus.
Von E.T.A. Hoffmann gab’s „Das Fräulein von Scuderi“. Fand ich damals eher öde. Wie bei den meisten Autoren kam die Liebe auch da erst in späteren Jahren.
Eigenartigerweise haben wir weder „Faust“ noch „Werther“ in der Schule gelesen. Von Goethe hat man uns nur die „Iphigenie“ aufgetischt. Merkwürdig …
Sieben Favoriten? Mal sehen …
– Kurt Vonnegut: Slaughterhouse-Five
– H.G. Wells: The Time Machine
– Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz
– Lewis Carroll: Alice’s Adventures in Wonderland
– William Shakespeare: Macbeth
– Bert Brecht: Der gute Mensch von Sezuan
– Arno Schmidt: Schulausflug
Ach, da habt ihr aber auch eine ganz schöne Auswahl vorgesetzt bekommen. „Alice“ stelle ich mir für den Unterricht schwer vor. War das dann in Englisch?
Yep, „Alice“ haben wir in Englisch behandelt.
Ich habe allerdings keine Erinnerung mehr daran, wie das im Unterricht konkret ausgesehen hat.
In den Genuss der Arno Schmidt – Kurzgeschichte sind wir wohl nur deshalb gekommen, weil der gute Mann eine Zeit lang in Darnmstadt gelebt hat {er nannte es glaube ich „Darmstadt in der Barbarei“}, und „Schulausflug“ dort spielt.
Na ja, unser Deutschlehrer in der Oberstufe war eh ziemlich cool. Wir haben nicht nur „Berlin Alexanderplatz“ gelesen, sondern uns auch noch als freiwilliges Zusatzprogramm nach der Schule die epische Fassbinder – Verfilmung angeschaut.
Ich sag noch Lektüre 🙂 Gehasst habe ich unsere Schullektüre eigentlich nie. Wenn man mal von Fontanes Effie Briest absieht – das ist mein persönliches Trauma. Aber vor allem in der Unter- und Mittelstufe, als die Lehrer noch nicht im Zentralabi-Zwang waren, haben wir ziemlich coole Sachen gelesen. In der 6. Klasse z.B. den Hobbit (besagter Deutschlehrer ließ uns auch Aufsätze über Harry Potter schreiben und reicherte Philostunden mit Beispielen aus Eragon an); in der 9. Shutter Island von Dennis Lehane. In Englisch Dead Poet’s Society. Die Lektüre aus dem Zentral-Abi-Korsett mochte ich überwiegend auch (Christa Wolfs Kassandra hat im Nachhinein ganz schön Eindruck hinterlassen, das habe ich auch tatsächlich danach noch ein paarmal gelesen. Die Verwirrungen des Zöglings Törleß mochte ich ganz gerne, Don Carlos, Dantons Tod und Woyzeck auch), aber das, was Jahrgänge vor und nach uns gelesen haben, hätte ich lieber gelesen. Zumindest Faust und Macbeth. Das hab ich eben später so nachgeholt. Leider hatte ich in den LKs ziemlich doofe Lehrer, bei denen es dann auch wirklich keinen Spaß gemacht hat, die Bücher zu besprechen – nicht mal, wenn ich sie wirklich mochte. Was hab ich mich gefreut, bei der Ankündigung, dass wir das Parfüm lesen. Aber der Unterricht dazu war leider ziemlich Banane. Naja.
Ich glaub, ich muss mal „Effi Briest“ lesen, so oft wie das jetzt schon als Negativbeispiel genannt wurde 😀
„Don Carlos“ habe ich ganz vergessen, den hatten wir auch irgendwann mal, natürlich als gelbes Reclam-Heft. „Dead Poet’s Society“ haben wir anhand des Films länger in Ethik behandelt; ehrlich gesagt hab ich erst später gehört, dass es eine Verfilmung ist …
Das Problem in meiner Schulzeit war, dass die jeweilige Lektüre extrem trocken rübergebracht wurde, was letztendlich dazu geführt hat, dass niemand die Bücher gelesen hat. Den einzigen Roman, den ich damals in der Schule zu ende gelesen habe und der mir auch gefallen hat, war „Stiller“ von Max Frisch. Erst nach dem Abi habe ich mich selbst mit den (deutschen) Klassikern beschäftigt. Seitdem ist z.B. Theodor Storm einer meiner Lieblingsautoren. Seine Erzählungen lese ich immer wieder gerne. Auch Thomas Mann finde ich hervorragend, Jakob Wassermann usw. – Ich weiß nicht, wie es heute ist, aber anno dazumal waren der Deutschunterricht absolut nicht dazu geeignet, bei den Schülern Lust am Lesen zu wecken.
Schullektüre? Da gab es einige Bücher. Meine Favoriten: Otfried Preußler – Krabat, Shakespeare – Macbeth, Friedrich Dürenmatt – Die Physiker, Oscar Wilde – The Picture Of Dorian Gray, Louis Sachar – Holes, Gabriel Garcia Márquez – Chronik eines angekündigten Todes
In Ordnung waren: Schiller – Wilhem Tell, Goethe Faust 1, Hans Peter Richter – Damals war es Friedrich, Jochen Ziem – Boris, Kreuzberg, 12 Jahre, Molière – Der Geizige, Richard Carstensen – Prosanacherzählung der Griechischen Sagen, Brecht – Leben des Galilei, Antigone (mit verschiedenen modernen Adaptionen), Kafka – Die Verwandlung
Was gar nicht ging: Blueprint. Ich mochte das Buch nicht. Der Film war besser, aber nur mittelmäßig. Und: Lessing – Nathan der Weise, Grillparzer – Der arme Spielmann, Hartmut Lange – Das Konzert
Bis heute ist mir Krabat als Musterbeispiel für einen phantastischen Roman im Gedächtnis geblieben. Die Wirren im 30 jährigen Krieg, Jugendliche, die beim Teufelsmüller arbeiten müssen und am Ende fast immer sterben. Außerkörperliche Erfahrungen, schwarze Magie, bei der es einem kalt den Rücken runterläuft, erste Liebe, ein Charaktertod, der schockt, ein Charakter, der überrascht. Eins der besten Bücher, die ich je gelesen habe.
Marquez und Dürrenmatt begeistern mit Gaga-Formen, die Einleitung, Hauptteil, Schluss Monotonie sprengen. Shakespeare ist ein Genie, ohne das ich nicht leben möchte (Hamlet und Viel Lärm um Nichts sind so so so großartig). Und Oscar Wilde war einfach der coolste Ästhetikboy mit gelebter Homosexualität, Dekadenz und Extravaganz, so dass man einfach Fan sein muss. Klassischer Spruch auf dem Sterbebett: „Entweder geht diese hässliche Tapete oder ich“
(Effi Briest hab ich noch nicht gelesen. Kann nur Böhmermanns feministische Bitch Interpretation empfehlen. [Zusammen mit der Verwurstung der Physiker und Faust – mit einem Schiller, der den notgeilen alten Sack kritisiert, der sich ja nur jung zaubert, damit er rumhuren kann] Aber ich bin glühender Goethe-Fan. Lese zurzeit Rüdiger Safranski – Goethe – Kunstwerk des Lebens. Wie bei Shakespeare – werde ich immer lieben und mit Krallen verteidigen. Den Werther hab ich freiwillig gelesen und ohne Unterbrechung weggesuchtet. Aber ich mag ja auch Nights In White Satins und Sturmhöhe und Joy Division. Dieser Wahnsinn zwischen Liebe, Hass und Tod. Den Geschmack hat man vermutlich angeboren wie die Melancholie selbst. Oder man musste selbst mal Depressionen haben, um es verstehen zu können.
Aber den ersten prägenden Schock – der Grund warum ich heute schreibe – kam mit freiwilliger Lektüre in der elften oder zwölften Klasse: Robert Louis Stevenson – Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Ein Geniestreich. Die Sprache ist so unfassbar geschliffen, dass es ein Traum ist und die beiden Erklärungen am Ende waren wie ein Drogenrausch in der Antarktis. Wild, bunt, kalt, zittrig, vibrierend. Es hat mich dermaßen gepackt, dass ich zwei Dinge wusste: Erstens – ach darum machen Menschen über hohe Literatur so einen Aufwand und zweitens – das will ich auch. So geschliffen formulieren.
Aber wenn ich ehrlich bin, braucht man nur eine Handvoll Autoren:
Inhalt: Shakespeare
Stil: Joseph Conrad
Möglichkeiten der Textform: Kafka
(Ich hab hier ein Vorwort von Conrad, das so ist, wie man sich die Bilderbuchrede eines Literaturnobelpreisträgers vorstellt. Schade, dass Conrad mit seiner Kritik des Kolonialismus politisch verbrannt war und der Jury zu düster war. Aber dieser Stil. Diese Stimme. Als hätte jemand sein Herz in der Hölle verloren; die ganze Zeit schwingt da etwas aus der Tiefe der Zeit mit. Wie bei gutem Horror, man meint, da sei noch was unter der Oberfläche verborgen.)
Ah, ihr hattet Blueprint auch? Hab ich sonst noch selten mitbekommen.
„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ mochte ich auch sehr gerne, habe ich aber nicht für die Schule gelesen, ebenso wie Kafka.
Na ja, ich kann guten Gewissens behaupten, dass Depressionen kein Garant dafür sind, den Werther gut zu finden. Aber wie schon gesagt – die einen hassen ihn, die anderen lieben ihn. Dazwischen gibt es wohl nichts.
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