Das Unbehagen an der High Fantasy
… und was Superheldenfilme damit zu tun haben
Es mag in Anbetracht der Inhalte dieses Blogs sehr überraschen, aber ich mag Fantasy. Ich mag das Eintauchen in fremde Welten ebenso wie die Möglichkeit, einen alternativen Blick auf die eigene zu werfen. Von schwertschwingenden Heroen auf Einhörnern über Friedhofsführerinnen mit untoten Kriminalfällen bis hin zu artsy fartsy Coming-of-Agern mit Monstern im Gartenreich kann ich mir auch fast die gesamte Bandbreite des Genres geben.
Wege zur Fantasy
Heute läuft die Genreinitiation meinem Eindruck nach sehr heterogen ab. Viele kommen über YA-Urban-Fantasy, Dystopien oder Romantasy rein, einige über moderne Klassiker wie „Harry Potter“, und natürlich gibt es auch noch den „traditionellen“ Weg derer, die über die High Fantasy zum Rest finden.
Wenn man von ein paar Ausnahmen zu Anfang absieht, bin ich ebenfalls diesen Weg über die High Fantasy gegangen. Angefangen hat es mit „Erdzauber„, bevor ich mir mit „Drachenlanze“ die volle Breitseite gegeben habe, aus der dann noch dieses ganze andere Zeug mit „Forgotten Realms“, „Alasea“ oder später den „Elfen“-Romanen resultiert ist.* Irgendwann fand ich andere Subgenres spannender, hatte aber immer wieder Phasen, in denen es mir gar nicht episch genug sein konnte. Erst vor kurzem hatte ich wieder so eine Phase, und als Ergebnis lese ich nun den ersten Band der „Sturmlicht“-Chroniken von Brandon Sanderson (entgegen meines Vorhabens, nie wieder mit so einer Mammutreihe loszulegen).
Ist’n gutes Buch, vor allem dank des originellen Weltenbaus. Und dennoch bleibt, wie immer wenn ich Epic / High Fantasy lese, ein gewisses Unbehagen.** Es macht Spaß, solche Bücher zu lesen, gar keine Frage. Aber irgendwie ist es doch auch … ich will jetzt nicht sagen, albern, denn das klingt, als würde ich das Genre nicht ernstnehmen, was ich eigentlich durchaus tue. Aber ja, manchmal wirkt es alles etwas albern. Da laufen sie herum, die Helden in ihren prächtigen Rüstungen, tragen beseelte Waffen und nicht selten reichlich konservative Weltbilder mit sich herum, lernen Angehörige stereotyper Völker kennen (und lieben) und dienen irgendwelchen Göttern, die sie nach dem Tod ohnehin in ihr special Nirwana mitschleppen.***
Idealherrscher und andere Utopien
Natürlich ist mir klar, dass ich damit nun vielen Werken unrecht tue. Dass es sie gibt, die vielschichtigen Romane mit ambivalenten Charakteren, die die 80er-Klischees hinter sich gelassen haben. (Gerade Sanderson ist da eigentlich sogar ein gutes Beispiel für.) Und doch, das Unbehagen bleibt, auch bzw. vor allem beim Schreiben. Die virtuellen Figuren und die Avatare aus „Spielende Götter“ haben ursprünglich zu einem High-Fantasy-Projekt gehört, an dem ich mal lose herumgeplottet hatte. Richtig warm wurde ich damit aber nicht. Es fing schon damit an, dass ich jemanden als idealen Herrscher zeichnen wollte, obwohl mir gleichzeitig klar war, dass es einen solchen nicht geben kann, ganz egal, was irgendwelche obskuren Prophezeiungen behaupten. Sich zu sagen, dass so etwas nur innerhalb der alternativen Weltenlogik zu funktionieren braucht, war keine Lösung.
Mein Ausweg bestand stattdessen darin, Holus – die Welt aus „Spielende Götter“ – zu einem Spiel zu machen, in dem die Figuren nicht echt sind. Als virtuelle Welt darf Holus mit seinen unreflektierten Idealen und Stereotypen bestehen, weil es zwar die Figurengruppe gibt, die die In-Game-Werte von Holus vertritt, andererseits aber die Gruppe der Spieler hinzukommt, die ihre alternativen, eher postmodernen Werte und Normen entgegenhält.
Vielleicht – na ja, wahrscheinlich – stelle ich mich zu sehr an. Aber ich bin ja nun auch nicht die Einzige, die ihre Probleme sowas hat, sonst hätte sich die High Fantasy nicht schon dem Zeitgeist angepasst, hin zu den Graustufen und aufgebrochenen (Anti-)Heldenreisen. Trotzdem bleibt das Genre noch sehr in seinen eigenen, aus der Zeit gefallenen Gesetzen verfangen.
Die Superhelden im Wandel des Zeitgeists
In dem Zusammenhang finde ich es ganz interessant, einen Blick auf das Superheldengenre zu werfen, das in den letzten zwei Jahrzehnten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte. Auch hier sehen sich strahlende Helden einer komplexen Welt ausgesetzt, und die Entwicklung der Verfilmungen zeigt dabei verschiedene Möglichkeiten, mit dem Thema umzugehen.**** Die Lösungen reichen von den anfangs sozialkritischen X-Men über die finstere Phase, in der nicht nur Batman, sondern in einem besonders weirden Moment sogar Spiderman auf dark machte, über die Super-aber-irgendwie-auch-Anti-DC-Helden bis zu den Avengers, die ständig zwischen epischem Pathos und Selbstironie wechseln.*****
Inzwischen, in einer Zeit, die sich selbst nicht so recht entscheiden kann zwischen neuer Polarisierung einerseits und postmoderner Dauerironie andererseits, pendelt auch der Superheldenfilm zwischen diesen Seiten. Da sind Filme wie „Wonderwoman“, die dafür gefeiert werden, einen idealen Heldentypus zurückzubringen, oder solche wie „X-Men: Apocalypse“, in denen allen ambivalenten Figuren zum Trotz auch die ultimativen Bösewichte zurückkehren, die einfach böse sind, weil isso. Die Origin-Story des Villains ist zu einem Running Gag geworden, und die Antwort darauf lautet offenbar, dass er halt wieder um der Story willen fies drauf ist und daher auch problemlos entsorgt werden kann. Zum anderen sind da Filme wie „Thor: Ragnarök“, die sich mit ihrer absurden Ironie alles leisten dürfen, weil sie ohnehin eher Genreparodie als sonstwas sind.
Kein Platz für Ironie?
Den Lösungsansatz „einfach alle finster und böse machen“ gibt es in der High Fantasy auch (und schon eine Weile), und ich habe ohnehin den Eindruck, dass die Ambivalenz leider wieder abnimmt, das Böse also schlechter wird, das Gute besser.
Die bei aktuellen Superhelden fast allgegenwärtige Selbstironie dagegen taucht in der High Fantasy kaum auf. Da gilt es dann schon als selbstironisch, wenn ein Held mal versagt, weil er zu viel gesoffen hat, aber viel mehr ist zumindest mir noch nicht begegnet. Natürlich gibt es Parodien und humoristische Ansätze, aber die sind dann noch mal ganz eigene Genres. Ironie bedeutet offenbar einen Bruch, der nur dann funktioniert, wenn wir uns in unserer eigenen oder einer der unseren sehr ähnlichen Welt bewegen. Die Urban Fantasy kennt sie nämlich besser, vor allem dann, wenn wiederum verschiedene Wertkomplexe – meist die der Alternativwelt und die des (westlichen) 21. Jahrhunderts – aufeinandertreffen. Was vermutlich der Grund ist, weshalb ich mich in den Urban / Contemporary-Gefilden inzwischen wohler fühle, auch wenn wir damit wieder bei deren Clash of Cultures gelandet sind.
Und was nun?
Was als Empfehlung bleibt? Eigentlich keine, weil ich nur ausdrücken wollte, was mich stört und nicht, wie ich es denn gerne hätte. Wenn ich eine Lösung wüsste, könnte ich sie ja selbst ausprobieren. Aber nun, wiederum würde eine gewisse ironische Distanz zur Erzählung manchmal nicht schaden.****** Anders als die (meist in unserer Welt spielenden) Superheldenfilme muss die High Fantasy allerdings keine ganz so breite Masse ansprechen und trifft meist auf eine Leserschaft, die es gewöhnt ist, für Fantasywelten alternative Werte zu akzeptieren bzw. sie genau deshalb überhaupt so schätzt.******* Zu viel Ironie könnte in der High Fantasy die Gefahr mit sich bringen, das Genre aufzuweichen. Vielleicht wäre es aber schon eine Lösung, vom üblichen Herrschaftsformen-Einerlei wegzukommen, damit den Helden der High Fantasy mehr Reflexionsmöglichkeiten gegeben werden. Warum sollte am Ende Mittelerde nicht mal kommunistisch sein.********
*Wobei ich Rollenspiele erst durch Drachenlanze und Co. entdeckt habe. War glaub ich oft andersrum.
**Das aber nicht aus Sandersons Buch im Speziellen resultiert.
***Und sie bei Bedarf auch wieder vom Nirwana zurück in die Welt gehen lassen. Ernsthaft, warum fürchtet auf Krynn (Drachenlanze) überhaupt jemand den Tod? Raistlin, Sturm, Tolpan – kommen doch eh alle wieder!
****Wobei ich erwähnen sollte, dass jetzt eine laienhafte Betrachtung folgt, die lediglich aus meinen Filmerfahrungen resultiert.
*****Dabei fällt mir auf, dass der Tod für Superhelden ähnlich relativ ist wie für die Bewohner von Krynn.
******Wenngleich „Thor: Ragnarök“ da schon einen Overkill zu bieten hatte. Hat viel Spaß gemacht, aber das Genre darf trotzdem nicht aufhören, sich ernstzunehmen, weshalb ich auch ganz froh bin, wenn neben dem heiteren Marvel-Ansatz noch der grimme von DC existiert. Auch wenn ich da weiter bei Nolan festhänge.
******* Wenn man davon ausgeht, dass Alternativwelten einen Mangel an Ironie mit sich bringen, ist es insofern etwas verwunderlich, dass bei Marvel ausgerechnet die Filme vor lauter Selbstironie am stärksten Richtung Parodie rutschen, die nicht auf der Erde spielen.
******** Wobei die Herrschaftsform nur ein einzelnes, exemplarisches Beispiel sein soll. (Und 8 Sternchen? Weia.)
Hm, ich lese gerade The Key von James N. Frey. Das Buch ist in seinen Beispielen veraltet (oder aus unserer heutigen Sicht: „klassisch“), und dennoch sehe ich gerade in aktuellen Filmen wie die aus dem Marvel-Universum immer noch den Monomythos. Mir geht es auch ähnlich wie dir, dass manche Fantasy-Sachen bei genauerer Betrachtung lächerlich wirken und ich mich frage, warum man da überhaupt mit Elfen und Zwergen hantiert anstatt mit Gruppierungen in unserer Welt (ob nun ethisch, religiös oder anders gelagert). Selbstzweifel, ick hör dir trapsen.
Andererseits hilft auch wieder die Verfremdung mit fantastischen Kreaturen, und die Geschichten stehen dem Monomythos auch in der Ausstaffierung sichtbar nahe. Wenn man die Filme mit den Serien vergleicht, geht es mMn. in den Filmen deutlich geerdeter zu, die „Heldenreise“ machen sie am Ende aber doch alle durch. (Ich denke, bei Iron Fist ist es am deutlichsten, auch Shangri-La bzw. seine Kraft als solche ist/ sind recht mythisch/ mystisch.)
Was ich sagen will: Wenn man den Monomythos aus der High Fantasy nimmt, ist das dann überhaupt noch Fantasy? In Conan-Manier müssen wir uns trotzdem nicht mehr durch die Gegend schnetzeln, denke ich. 😉 (Macht es natürlich trotzdem nicht leichter High Fantasy zu schreiben, die immer noch High und Fantasy ist und gleichzeitig nicht wie schon tausendmal gelesen wirkt.)
„Wenn man den Monomythos aus der High Fantasy nimmt, ist das dann überhaupt noch Fantasy?“
Das müsste man eben mal ausprobieren. Ich hab ja schon mal auf die „Castle“-Trilogie verwiesen, die klassische (High) Fantasy-Elemente verwendet, aber mit neuen Systemen und „modernen“ Elementen mixt. Das war dann schon ungewohnt und keine „richtige“ High Fantasy mehr. Aber wenn das Genre langsam anfangen würde, sich weniger starre Regeln aufzuerlegen, würde es das vielleicht bereichern, ohne dass solche Abweichsungen gleich (im wahrsten Genresinne) weird wirken würden. Wobei ich auch zugeben muss, relativ wenig aktuelle High Fantasy zu kennen. Vielleicht wird da schon viel mehr experimentiert als ich mitbekomme.
[…] MCU hat ein ähnliches Problem wie viele High-Fantasy-Romane (mit denen es eh viel gemeinsam hat): Es erzählt schöne Geschichten von edlen, starken Menschen (bzw. von edlen, starken Humanoiden, […]