Eher traurig als bösartig: Der zombi im Voodoo
Der nachfolgende Beitrag ist eine leicht verkürzte und überarbeitete Version meines Artikels „Der zombi aus Métraux’ Schilderungen des haitianischen Voodoo“, ursprünglich erschienen in Neues aus Anderwelt Nr. 42.
Ob rasend schnell oder bedrohlich langsam: Der Zombie der Popkultur ist ganz allgemein kein Zeitgenosse, dem man gerne begegnet. Indem er den Menschen objektiviert und zugleich das Objekt belebt, vereint er gleich zwei angstauslösende Momente – und den Teil mit der unbändigen Lust auf Menschenfleisch haben wir da noch nicht einmal angesprochen.
Die Ahnen dieser Zombies sind vielfältig und ihre Ursprünge über den ganzen Erdball verstreut. Dennoch verweist allein schon der Name auf den zombi der Voodoo-Religion – und dass dessen Formen in Haiti oder New Orleans Einfluss auf die amerikanische Gesellschaft und deren Popkultur genommen haben, erscheint schon geographisch nur logisch.
Dabei hat der (haitianische) Voodoo-zombi in seiner „Ursprungsform“* nicht mal besonders viel gemein mit seinen Äquivalenten der modernen Phantastik. Ein Überblick:
Alles eine Frage der Ausbildung: Der Priester und der Zauberer
Haitianische Voodoo-Gemeinden lassen sich als eine Art spirituelle Großfamilie betrachten. An deren Spitze steht ein Priester (hungan) oder eine Priesterin (mambo). Ihre Position kann vererbt werden, doch mitunter wählen die Geister und Gottheiten des Voodoo (die loa) die Person auch selbst aus, die als nächste/r mambo oder hungan dienen soll. Der Betroffene wird durch Träume und Visionen von der Wahl der loa unterrichtet; weigert er sich, dem Ruf nachzukommen, droht er den Zorn der loa auf sich zu ziehen. Ergibt er sich dagegen in sein Schicksal, so wird er zu hungan oder mambo ausgebildet.
Diese Ausbildung macht den wesentlichen „strukturellen“ Unterschied zwischen dem/der positiv konnotierten Priester/in hungan/mambo und dem negativ konnotierten Zauberer boko aus. Letzterer durchläuft nämlich keine Ausbildung, sondern erkauft sich sein Wissen und seine Gaben von den loa.
Sowohl hungan und mambo als auch boko verfügen dem Voodoo-Glauben nach über magische Fähigkeiten. Doch während hungan und mambo ihre sogenannte conaissance offen praktizieren und zum Wohle ihrer Gemeinschaft einsetzen (etwa als Heiler), führen die boko im Verborgenen Schadenszauber aus. Logisch, dass die Erschaffung von zombis auch aufs Konto der boko geht.
Dem Ruf des boko folgen: Der zombi als Arbeitssklave und Rächer
Beim Vodoo-zombi handelt es sich um einen Toten, der vom boko ins Leben zurückgeholt wird – so weit, so klassisch.** Anstatt danach allerdings lefzend durch die Gegend zu laufen und die Lebenden anzufallen, wird der zombi zu einem lethargischen Sklaven jenes boko, der ihn erschaffen hat. Um zu verhindern, dass ein Toter ein solches postmortales Dasein fristen muss, werden in Voodoo-Gemeinschaften zuweilen Tote von ihren Verwandten ein zweites Mal „getötet“ (z. B. durch Gift oder einen Schuss) oder den Leichen die Lippen zugenäht. In einem solchen Zustand kann die Leiche nämlich nicht auf den Ruf des boko antworten – ein notwendiger Schritt, um einen Toten in einen zombi zu verwandeln.
Hinter diesem Verfahren steckt also nicht die Angst der Verwandten davor, ihr Verstorbener könne zum menschenfressenden Monster mutieren, vielmehr wollen sie ihm ein Dasein als untoter Diener ersparen. Denn der zombi kann sich zwar bewegen, Nahrung zu sich nehmen und kommunizieren, doch besitzt er kein Ich-Bewusstsein mehr.
Oft werden zombis vom boko zur Arbeit auf dem Feld eingesetzt. Eine besondere Form von ihnen, die zombi-graine, ist jedoch aufs Stehlen von Kaffeebaumblüten spezialisiert. Es gibt eben für alles Experten.
Gefährlich werden können die zombis eigentlich nur ihren Erschaffern. Denn wenn ein zombi mit Salz in Kontakt kommt, so wird er sich seines Zustands bewusst und Rache an seinem boko nehmen, ehe er sich auf die Suche nach seinem Grab begibt.
Keine angenehme Expedition: Weitere Wesen des Voodoo
Neben den zombi existieren im haitianischen Voodoo-Glauben eine Reihe weiterer durch magische Einflüsse geschaffener Kreaturen. Dem zombi verwandt ist beispielsweise die Vorstellung der Expeditionen, bei denen ein Toter in den Körper eines Lebenden gesendet wird, um diesen zu schwächen. Nicht auf boko-Magie, sondern auf eine Krankheit oder rachsüchtige loa, wird dagegen das Dasein als vampirähnlicher Werwolf zurückgeführt. Dieses trifft fast ausschließlich Frauen – aber selbst diese Werwölfe sind im Grunde um einiges harmloser als ihre Horror-Pendants.
![Zombie](https://fragmentansichten.de/wp-content/uploads/2017/08/zombie.jpg)
Auf zur Feldarbeit: drei Zombies (Quelle: Pixabay)
Quellen:
Deren, Maya, 1992: Der Tanz des Himmels mit der Erde. Die Götter des haitianischen Vaudou. Wien: Promedia. [1953]
Herskovitz, Melville J.; 1994: Life in a Haitian Valley. Princeton: Markus Wiener. [1937]
Métraux, Alfred, 1994: Voodoo in Haiti. Gifkendorf: Merlin. [1958]
*Streng genommen macht es natürlich nicht viel Sinn, hier von einer „Ursprungsform“ zu sprechen, da sich der haitianische Voodoo auf westafrikanische, indianische und christliche Elemente bezieht – und wer weiß, wo die wieder ihre Ideen herhatten. Aber irgendwo muss man ja anfangen.
**Manchen Quellen nach ist der zombi allerdings auch „nur“ ein Lebender, der durch Magie in eine Art Ohnmacht versetzt wurde.
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