[Rewatch] Der Prinz und der Abendstern

[Rewatch] Der Prinz und der Abendstern

Sternengötter, Traumlabyrinthe und ein Prinz, der sich beweisen muss: Ein Weihnachtsfilmtipp muss auch mal sein, also gibt’s heute eine kurze Besprechung zum Märchen „Der Prinz und der Abendstern“.

Es begab sich am zweiten Advent, dass ich mich abends vor „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ wiederfand. Schließlich gibt es gewisse Traditionen, die in der Weihnachtszeit eingehalten werden müssen. Den Ohrwurm vom Tanzszenen-Banger aufzufrischen, gehört definitiv dazu.

Allerdings ist der Film für mich eine vergleichsweise junge Tradition. Ein anderer Streifen, ebenfalls mit Libuše Šafránková in der weiblichen Hauptrolle, war für meine Kindheit viel prägender: Die Rede ist von „Der Prinz und der Abendstern“. Gedreht 1979 – sechs Jahre später als „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ –, war er hierzulande im Vergleich kein ganz so großer Erfolg. Unter den Märchenenthusiasten in meinem Freundeskreis sorgt der Titel jedenfalls regelmäßig für fragende Gesichter.[1] Dabei wurde der Film früher gefühlt wöchentlich in den Dritten gesendet; ich habe ihn als Kind sicher 10 oder 20x geschaut.

Danach allerdings lange nicht mehr, abgesehen von einem Märchenabend um 2017, bei dem er im Hintergrund lief. Entsprechend konnte ich mich letzte Woche nur noch sehr vage an Details erinnern. Da war etwas mit Doppelgängerinnen in einer Burg und vielen Geschwistern. Aber sonst? Auf jeden Fall hatte ich ihn als eher düster, gar gruselig in Erinnerung. Als ich nun dem Aschenbrödel dabei zusah, wie es leichtherzig durch den Fischmehl-Schnee ritt, dachte ich mir, es sei Zeit für einen Rewatch von „Der Prinz und der Abendstern“. Und da die ARD-Mediathek ihn derzeit im Angebot hat, stand der Sache nichts im Wege.[2]

Screenshot aus der ARD-Mediathek mit dem Stream zu "Der Prinz und der Abendstern". Im Vorschaubild grinst der Prinz verschmitzt und Abendstern, eine Frau mit dunklen Locken, guckt besorgt.
Im Mediathek-Vorschaubild darf Prinz Velen mal kurz markig aussehen.
Ein Klick aufs Bild führt zum Stream.

Überirdische Brautschau

Die Handlung basiert auf „O Měsíčníku, Slunečníku a Větrníku“ und ist schnell erzählt: Prinz Velen (Juraj Ďurdiak) möchte seine drei Schwestern unter die Haube bringen. Es mangelt jedoch an passenden Freiern und so jammert Velen eines Nachts sein Leid. Der materialisiert sich prompt als schöne Frau, die versichert, sich des Problems anzunehmen. Gesagt, getan: Kurz darauf tauchen die Herren Windfang, Mondmann und Sonnenmann auf und nehmen je eine der Schwestern mit sich. Bleibt nur der Prinz übrig, der fortan von seinem Abendstern träumt. Ehe er die holde Sternenbraut ehelichen kann, muss er jedoch einige Prüfungen absolvieren – und dem Wolkenman Mrakomor die Stirn bieten, der Abendstern auf seine Burg entführt. Zu Velens Glück stehen ihm seine drei frischen Schwager dabei zur Seite.

Lakonischer Traumreigen

Der nonchalante Unwetter-Zauberer, der wie eine Art hotter Argus Filch aussieht, dessen von Illusionen gespickte labyrinthartige Burg und Sisyphos-Prüfungen: Ich verstehe, warum ich den Film als Kind als düster empfand.

Aus heutiger Sicht ist er aber mehr Weird Fiction als Dark Fantasy, und das bewusst. Der ganze Film folgt einer herrlich absurden Traumlogik, in der Höhlen Portale in Sternenreiche sind, Prinzessinnen willig den erstbesten Glamrockern folgen, die in ihre Gemächer schweben, und es niemanden schert, wenn die Kleidung in der einen Einstellung noch tropfnass, in der nächsten plötzlich staubtrocken ist.

Eingerahmt wird das alles von einem lakonischen Humor, der zumindest dem erwachsenen Publikum klar macht, dass den Filmschaffenden um Regisseur Václav Vorlíček die Ambivalenzen klar sind. Die schlagen sich auf in der Optik wieder, die beeindruckende Kulissen wie die Adersbach-Weckelsdorfer Felsenstadt mit glitzernder Lametta-Kleidung paart.[3]

Dass die Spezialeffekte wiederum daraus bestehen, dass z. B. ein Leguan einen Drachen darstellt, ist einfach lebenswert – und soweit ich mich erinnere, war ich als Kind von dem Monster absolut überzeugt. Ein paar Szenen haben mich zudem nachhaltig beeindruckt: Erstens die besagte Doppelgänger-Szene, bei der Velen in der Burg des Zauberers zwischen mehreren Abendsternen die richtige identifizieren muss. Und zweitens ein Gemälde, ebenfalls in der Burg, das sich in den Zauberer selbst verwandelt.

Die Göttin und der Jüngling

Wie in den tschechischen Märchen der 70er üblich, werden die Herrschaften als liebenswert und eigen, aber auch ein wenig einfältig-naiv dargestellt. Allen voran Prinz Velen, der von seinen göttlichen Schwagern erst mal ein paar Lektionen erteilt bekommt. Beim jetzigen Gucken fiel mir zusätzlich auf, dass Velen und Abendstern nicht gerade ein einander ebenbürtiges Pärchen abgeben. Der Prinz wirkt neben der divenhaften Göttin wie ein Schuljunge. Er dürfte mehr der erwählte Jüngling für ein paar Jahrzehnte sein als ein Gefährte für die Ewigkeit – quasi das umgekehrte Motiv vieler heutiger Fantasy Romances.[4]

Die Untertanen sind zwar treu ergeben, aber zeigen sich eher mitleidig denn respektvoll – wobei man sagen muss, dass außer dem Hofnarren kaum echte Untertanen auftauchen. Anders als in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ ist das Figurenensemble hier sehr eingeschränkt. Dafür gibt es ja genug Mitglieder der Königsfamilie, und wie unbefangen die miteinander umgehen, ist für mich ein weiterer Pluspunkt des Films.

Fazit

Unterm Strich: Aus heutiger Sicht haut mich „Der Prinz und der Abendstern“ nicht mehr so vom Hocker, dass ich ihn jede Woche schauen müsste. Aber es ist liebenswerte Unterhaltung, tendenziell übrigens mehr Fantasy als Märchenfilm. Ich kann jedem nur raten, ihn sich einmal anzuschauen. Diese Frisuren muss man einfach mal gesehen haben! Und es ist ja bald der vierte Advent.


[1] Der englischen Wikipedia nach hat der Film einigen Einfluss in China und Vietnam.

[2] Alternativ bietet derzeit die DEFA den Film über YouTube an.

[3] Übrigens trägt eine der Prinzessinnen eine Brille. Das sollte eigentlich nicht der Rede wert sein, aber Disney hat bis 2021 gebraucht, um das zu wagen.

[4] Sprachliches Detail am Rande: Im Film wird oft von Abendstern als „er“ gesprochen, weil es nun mal „der Abendstern“ ist. Eine tschechisch sprechende Freundin hat mir verraten, dass der Abendstern im Original das weibliche Wort „Večernice“ nutzt.

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