Meine literarischen Ruheorte

Meine literarischen Ruheorte

23. April 2025 0 Von FragmentAnsichten

Von Faeriewalker bis zu Lexika: Eine Auswahl meiner persönlichen literarischen Ruheorte.

Da sich die Deadlines gerade stapeln, ist es auf dem Blog ruhig geworden, was wohl auch noch einige Wochen so bleiben wird. Eine Ausnahme stellen hoffentlich die Frühlingsansichten dar, aus denen ich anlässlich des Welttages des Buches ein Thema vorziehe:

Mitte März ist auf Zeit.de ein Artikel über innere Ruhe- und Zufluchtsorte erschienen – gemeint sind damit Wege, dem Aufruhr der Welt zu entfliehen. Und damit ist klar, dass auch von Eskapismus die Rede ist, und gleich als erster Ruheort tauchen Romane und Lesen auf, wobei speziell die Fantasy hervorgehoben wird. Als zweiter Ruheort werden Imaginationstechniken genannt.

Nun habe ich unangemessen große Teile meines Lebens darauf verwendet, Leuten die Idee auszutreiben, dass Fantasy per se Eskapismus sei. Schließlich finden sich hier viele Anspielungen aufs Hier und Heute, nur eben transportiert durch Storytelling – ein legitimes Mittel, das unsere Gesellschaft ein wenig zu sehr prägt. Aber ich gehe mit den Verfassenden des Artikels, wenn sie davon sprechen, dass „Gefühle, die im Alltag oft zu bedrückend oder aufregend erscheinen, […] sich so wohldosiert genießen [lassen]“. Ich würde dabei um „Ereignisse“ ergänzen, wobei die natürlich besagte Gefühle hervorrufen. Wie stark man die Geschichte für sich genießt oder sie auf eine Meta-Ebene hebt, ist jedenfalls in vielen Fällen den Lesenden überlassen. Und zugegeben, für mich macht das phantastische Setting hier ebenfalls einiges aus. Beispielsweise habe ich eine starke Abneigung gegen Krimis (und erst recht gegen true crime), außer es ist cozy crime oder in ein Fantasy-/Science-Fiction-Setting eingebettet.

Das aber nur als Rechtfertigung am Rande, denn eigentlich möchte ich darüber nachdenken, was nun für mich entsprechende Ruheorte sind. In erster Linie gehe ich mit den Imaginationstechniken. Ich bin Hardcore-Tagträumerin, das ist im Prinzip mein größter Zeitfresser, aber ich bin dankbar um ihn. Dank Tagträumen ist mir das Konzept „Langeweile“ größtenteils unbekannt und sie sind mein Gradmesser für Probleme. Hindert mich etwas am Tagträumen, ist die Kacke wirklich am Dampfen und ich muss die Sache in Angriff nehmen.

Was sonstige Ruheorte angeht, will ich kein Ranking aufstellen, aber Medien sind hier auf jeden Fall eine praktische, da vergleichsweise wenig von äußeren Umständen abhängige Variante. Das gilt neben Romanen (und Sachbüchern) z. B. für Museen (die vielleicht eher unter Sinnes-Ruheorte fallen, dunno), Computerspiele (siehe dazu den Blogpost „18 Jahre im Age of Wonders“, der bis auf die Jahreszahl weiterhin aktuell ist), Serien (gucke schon wieder Gilmore Girls …), Filme (es wird mal wieder Zeit für „Hellboy“) und Musik. Aber Bücher haben als comfort reads schon einen speziellen Ort in meinem Herzen.

Bei meinem Vortrag über moderne Feen im Rahmen der letzten Wetzlarer Tage der Phantastik hatte ich erwähnt, dass die Faeriewalker-Reihe von Jenna Black sich gut weglesen lasse, wenn man krank ist. Von der Publikumsreaktion her habe ich den Eindruck, dass viele das als Roast verstanden haben, so war es aber nicht gemeint. Ich liebe die Reihe. Dabei ist sie für mich zugleich ein guilty pleasure; mir ist bewusst, dass das Konzept für viele nicht recht nachvollziehbar ist, aber für mich sind guilty pleasures generell gute Ruheort-Anwärter. Es geht mir dabei nicht darum, dass mir die entsprechenden Medien peinlich vor anderen wären, weil sie nicht zu meinem Selbstbild passen – beispielsweise wurde mir in Bezug auf Faeriewalker vorgeworfen, mein Problem liege darin, dass es Romantasy ist. Das ist aber nicht der Punkt. Es geht mir mehr darum, dass Faeriewalker – um bei diesem Beispiel zu bleiben –, vieles beinhaltet, was mich sonst stört. Logikfehler in Erzählung und Weltenbau, ein arg unglaubwürdiges love triangle, Wortwiederholungen. In kritischen Momenten ärgert mich das so sehr, dass ich die Bücher nicht lesen mag. Aber in unkritischen Momenten, in denen ich z. B. mit einer fetten Erkältung im Bett liege, ist mir das schnuppe. Dann erfreue ich mich an den liebenswerten Nebenfiguren und dem originellen Setting. Diese Bücher sind ein Ruheort für unruhige Momente, aber keiner für kritische Gedanken.

Einen anders und doch ähnlich gelagerten literarischen Ruheort bilden die ersten beiden Bände von Die Tribute von Panem. Das sind keine guilty pleasures, ich halte sie mit kritischem, erkältungsvirenfreien Kopf weiterhin für gute (Jugend-)Bücher. Hier muss man sich außerdem schon hart Mühe geben, will man die valide Medien- und Gesellschaftskritik überlesen. Sie bilden aber einen soliden Waagpunkt zwischen Gegenwartsbezug und Pageturner-Unterhaltung. Das funktioniert übrigens ebenso für nicht-phantastische Settings, z. B. hat für Teenager-Alessandra das IRA-Drama „London, 13. Juli“ einen ähnlichen Platz eingenommen.

Gerade in Krisenzeiten lese ich außerdem gerne Autobiografien. Ich vermute, es ist mir hilfreich zu lesen, wie andere mit ähnlichen Gedanken und Situationen hadern. Und wenn sie dann zur Lösung Fußballspiele besuchen („Hope Street“) oder mit Strippen anfangen („nackt“) ist das zwar nicht meine Lebensrealität, aber irgendwo fühle ich mich dennoch verstanden, was die halbe Miete ist. (Wobei es auch seinen Reiz hat, Autobiografien von Leuten zu lesen, zu denen ich nur bedingt Gedankenparallelen finde, wie zuletzt z. B. bei „In Liebe, Pamela“.) In eine ähnliche Spalte sind lange Comig-of-Bücher wie „Das also ist mein Leben“ gefallen, wobei ich da lebenswelttechnisch inzwischen doch herausgewachsen bin.*

Noch eine andere Kategorie des Ruheorts bilden Rereads von Klassikern wie „Der Sohn der Sidhe“ oder einzelnen Drachenlanze– und Scheibenwelt-Bände. Ich vermute, hier spielt die Kombination aus Unterhaltung und Nostalgie eine Rolle, wobei es Beispiele sind, die mir schon beim ersten Lesen ihrerzeit willkommene Zufluchten waren.

Und wenn das alles nicht mehr hilft – dann gibt es immer noch Lexika, am besten irgendwas über Mythologien, das Weltall oder Länder. Bildung kann eine passable Zuflucht darstellen.

Meine eigenen Romane und Kurzgeschichten taugen mir übrigens, sind sie erst einmal erschienen, selten als Ruheort. Aber vielleicht dienen sie anderen ja als solche; es würde mich freuen.


*Apropos Coming-of-Age-Romane und Herauswachsen: Lange war für mich Joey Goebel der Autor, der mich durch alle Lebenslagen begleitet hat. Er ist zwar neun Jahre älter als ich, aber seine Romane kamen immer zum für mich richtigen Zeitpunkt heraus. Einen Bruch in seiner Erzählweise gab es aber 2019. Zuvor hatte er Coming-of-Ager und Realutopien geschrieben, noch „Ich gegen Osborne“ war 2013 im Prinzip ein klassischer Highschool-Roman, der mich aber auch mit 23 gut abgeholt hat. Dann geschah sechs Jahre lang wenig, ehe mit „Irgendwann wird alles gut“ eine im Grundton frustrierte Kurzgeschichten-Sammlung über Leute erschienen ist, die verbindet, dass sie sich fehl am Platze fühlen. Allerdings fehlte diesen Erzählungen das frühere freundliche „es wird schon alles“-Ende, stattdessen war es jetzt ein verzweifeltes „es muss schon alles“. Dass ich Goebel auch zu dieser Entwicklung gefolgt bin, fand ich nachhaltig deprimierend.