Blogrückblick / [Top 7] Romanansichten 2020
So langsam geht dieses denkwürdige Jahr seinem Finale zu und ich bin schon einigen Jahresrückblicken, Top-Listicals usw. begegnet. Ob ich einen persönlichen Rückblick mache, weiß ich noch nicht so recht, aber vermutlich kommt (neben den obligatorischen Monatsansichten) im Januar wieder der Szenerückblick. Erst mal aber wird es höchste Zeit für den Blick auf Blogstatistiken und gelesene Romane.
In Sachen Blog kann ich mich nicht beschweren. Sowohl die Besuchs- als auch die Klickzahlen haben 2020 zum zahlenmäßig erfolgreichsten Jahr gemacht – yay und danke dafür! Und das, obwohl ich wieder nur die Hälfte der eigentlich geplanten Beiträge umgesetzt habe. In der Pipeline stehen u. a. noch die drei abschließenden Teile der Interview-Reihe, aber auch ein MCU-Rückblick, eine Liste international orientierter Phantastik-Magazine, verschiedene Random-7-Listicals, Tipps für digitale Publikums-Interaktion und diverser anderer Kram. Manches davon ist nun schon wieder veraltet, anderes kann dann hoffentlich 2021 folgen. Oder 2022 (bleiben wir realistisch).
Blogrückblick
Ein kurzer Blick in die Statistiken verrät mir, dass die erfolgreichsten neuen Beiträge jene zur Liste mit den Punk-Derivaten sowie das Interview mit Kai Meyer und die Aprilansichten waren. All-Time-Favorit bleibt aber mit Abstand der Beitrag zu den Heldinnen-Duos. o.O
Die meisten gespeicherten Suchanfragen interessierten sich für ein „Bullshitbingo Schriftsteller“, obwohl ich ja nur jährlich das für den BuCon liefere. Beliebt waren auch Anfragen zum Koblenzer Phantastik-Shop Zeitgeist*, zu berühmten weiblichen Duos (das erklärt was), zu Vampirromanen und zu Kurzgeschichten-Magazinen. Kuriose Suchanfragen blieben dagegen Mangelware, auch wenn offenbar ein großes Interesse daran besteht, Musik von Thilo Corzilius zu hören (sorry, damit kann ich nicht dienen).
Romanrückblick
Aber kommen wir zum eigentlichen Thema, der Top bzw. Random 7 an in diesem Jahr gelesenen Romanen.
Ich würde gerne behaupten, die viele Zeit allein daheim mit Lesen verbracht zu haben. Die Wahrheit ist aber, dass mein Age of Wonders 3-Counter bei aktuell gut 950 Stunden liegt.** Nee, Scherz beiseite, ich habe tatsächlich mehr gelesen als in den vorangegangenen Jahren. Allerdings fürchte ich, eine schlechte Bücherhamsterin gewesen zu sein, denn ich habe vornehmlich meinen SuB abgebaut, Comfort Reading betrieben oder mal mehr, mal weniger erfolgreich versucht, mich via Sachbüchern fortzubilden (jaha!). Die folgende Liste umfasst aber nur Bücher, die ich 2020 das erste Mal gelesen habe. Ebenfalls ausgeklammert hab ich Comics, Graphic Novels, Hörbücher, Sachbücher und Kurzgeschichten-Sammlungen***. Wisst ihr Bescheid. Und damit kann es dann in chronologischer Reihenfolge losgehen:
(1) „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“ von Becky Chambers
Fischer TOR 2014, ISBN: 978-3-596-03568-7
Wenn ein Buch sehr gehypt wird, ist die Gefahr einer Enttäuschung groß. Insofern habe ich nicht erwartet, dass der erste Band von Becky Chambers Wayfarer-Zyklus meinen Erwartungen gerecht werden könnte, aber – doch. Das Buch erzählt vom Alltag einer interspezifischen Raumschiff-Crew und deren Odyssee auf dem Weg zu einem prestigeträchtigen, aber nicht ganz ungefährlichen Auftrag. Wahrlich eine Space Opera, und der vage Handlungsfaden um besagten zornigen Planeten ist eigentlich nebensächlich. Weitaus zentraler sind die episodenhaften Schilderungen des Zusammenlebens an Bord, wobei Themen der Hard SF spielerisch mit solchen der Social Speculative Fiction verbunden werden. Mit anderen Worten: Dieses Buch ist angenehmste Unterhaltung und very wholesome Bilderbuch-Hopepunk, ohne dabei arg ins Naive abzudriften. Macht Freude!
(2) „Das Geheimnis von Shadowbrook“ von Susan Fletcher
Suhrkamp 2018, ISBN: 978-3-458-17816-3
Nach Jahren in Isolation reist eine junge Frau im Jahr 1914 zu einem abgelegenen Herrenhaus, um sich um dessen Gewächshaus zu kümmern. Anwohner*innen und Bedienstete reagieren jedoch mit Ablehnung und die Protagonistin stellt fest, dass des Nachts allerlei seltsame Dinge in dem Haus vor sich gehen: Dinge verschwinden oder gehen zu Bruch, Fremde scheinen durch den verbotenen ersten Stock zu schleichen und am Morgen finden sich Kratzspuren an den Türen. Mit viel Hartnäckigkeit, Mut und empathischer Naivität versucht unsere Protagonistin herauszufinden, welches Geheimnis Shadowbrook birgt.
Ich wusste nicht recht, was mich erwartet, als ich mit diesem Buch angefangen habe. Entpuppt hat es sich als klassischer Mystery-Roman, der gekonnt zahlreiche Elemente wie das Alltagsleben mit einer Behinderung, Grabenkämpfe zwischen Religion und Wissenschaft sowie Feminismus und Klassismus verknüpft. Zugleich wird aber die Rahmenhandlung nie zur Nebensache und das Rätsel rund um Shadowbrook bleibt tatsächlich lange im Dunkel, erst ganz zu Ende wird es (ein wenig überdramatisch) gelüftet.
Insgesamt hat mich das Buch an einen Mix aus Kazuo Ishiguros „Was vom Tage übrig blieb“ und Nicholas Christophers „Das verlorene Bestiarium“ erinnert, garniert mit einer Portion Schauerroman.
(3) „Krieg der Seelen“ von Melissa Marr
Ravernsburger 2014, ISBN: 978-3-473-40115-4
In der Arena der STADT ist alles möglich: Wer hier zum Sieger oder zur Siegerin gekürt wird, kann vom Streuner zum Herrscher oder von der Hausfrau zur Politikerin aufsteigen. Grund genug für Kaleb und Aya, sich die Köppe einzuschlagen. Weil es aber doch nicht allen passt, wenn eine Frau in die Politik eingreift, gibt’s (noch mehr) Beef, und dass sich Kaleb – der neben der Arena u. a. als Auftragsmörder jobbt – in eines seiner Opfer verliebt, ist auch nicht das Gelbe vom Ei.
Letzteres trifft das auch auf dieses Buch zu, das viel zu viel will und dabei nicht alles hinbekommt. Meine gesammelten Irritationen habe ich in einem eigenen Blogbeitrag unter dem Titel „Grimdark, so romantisch“ verarbeitet.
(4) „Firefly: Die glorreichen Neun“ von James Lovegrove
Panini 2019, 978-3-833-23780-5
Den ersten Firefly-Roman „Großer, verdammter Held“ fand ich letztes Jahr nach Anlaufschwierigkeiten ja recht unterhaltsam. Also habe ich mir auch Band 2 gekauft, in dessen Zentrum dieses Mal Haudegen Jayne steht: Weil dessen Ex in Schwierigkeiten steckt, reist die Crew der Firefly auf einen entlegenen Mond und ballert eine Kleinstadt zusammen. Das ist recht unterhaltsam, aber streckenweise auch zum Haare raufen. Es gelingt den Büchern einfach nicht, aus dem Schatten der Serie hervorzutreten. Während die Comics inzwischen zu ihrem eigenen Handlungsstil gefunden haben, liest sich „Die glorreichen Neun“ nur wie Hochglanz-Fanfiction, obwohl deren Fakten manchmal zugleich von der Serie abweichen.**** Außerdem ist die Handlung arg aufgebauscht und zu sehr auf Jayne zentriert, der als Protagonist nur bedingt taugt und sich frustrierend irrational verhält. Band 1 hat insgesamt noch besser funktioniert und ich hoffe, dass sich die Reihe wenigstens wieder auf dessen Niveau einpendeln wird.
(5) „Der Oktobermann“ von Ben Aaronovitch
dtv 2019, ISBN: 978-3-423-21805-4
Mit Ben Aaronovitchs Peter Grant-Reihe hatte ich auch so meine Anlaufsschwierigkeiten, doch hier hat sich das Durchhalten gelohnt: Aktuell ist sie meine liebste Urban-Fantasy-Reihe, und ich freu mich, dass munter weitere Bände erscheinen (auch wenn ich dadurch immer weiter ins Hintertreffen gerate, aber nu, die Bücher laufen nicht weg).
Im Novellen-Spin-off „Der Oktobermann“ folgt man nun zur Abwechslung nicht Peter Grant bei dessen übernatürlichen Ermittlungen in London, sondern begleitet stattdessen Grants deutschen Kollegen Tobi Winter, der sich in Trier mit magischen Wein-Pilzen und zwei übellaunigen Flüssen herumschlagen muss. Da Aaronovitch die Gegend selbst eher als Tourist kennt, lesen sich seine Beschreibungen stellenweise putzig und man bekommt eine Ahnung davon, wie es von außen wirken muss, wenn man als deutsche Autor*in eigene Romane auswärts ansiedelt. Allerdings ist das ganz charmant und ich mein, wann sonst hält eine Gegend, die man aus der Kindheit kennt, schon mal als Setting für einen international bekannten Fantasyroman her?
Abgesehen vom Lokalkolorit kann das Buch allerdings nicht ganz mit der Hauptreihe mithalten. Es ist vergnüglich und kurzweilig, doch fehlt der Esprit der Peter Grant-Bände und alles passiert sehr plötzlich. Ist man bereits in die Welt eingeführt, ist das okay. Als Einstieg ist die Novelle aber trotz unabhängigem Settings nicht zu empfehlen.
(6) „Drei Tage bis Vollmond“ von Hagen Haas
Feder & Schwert 2017, ISBN: 978-3-867-62287-5
Mit der Funtasy ist es so eine Sache. Einerseits können Humor und Selbstironie der Fantasy nur gut tun. Übertreibt man es damit, ist andererseits aber die Gefahr groß, in Albernheiten abzudriften, den Handlungsfaden aus den Augen zu verlieren und Klischees zu reproduzieren, anstatt sie zu parodieren.
„Drei Tage bis Vollmond“, einer Urban Fantasy, in der sich vier Studenten, paranormale Agent*innen und eine Handvoll Dämonen in Köln um ein wertvolles Artefakt kabbeln, gelingt die Gradwanderung. Es kommt dem Buch wahrscheinlich zugute, dass es sich anders als z. B. das vergleichbare „Nebenan“ von Bernhard Hennen stärker an Abenteuerfilm-Reihen wie Indiana Jones oder Die Mumie statt an Rollenspiel- und Fantasyklischees abarbeitet. Allerdings hätten dem Text einige Kürzungen und ein, zwei Storywendungen weniger gut getan. Zudem fällt negativ auf, wie wirklich ständig die körperlichen Vorzüge der weiblichen Figuren hervorgehoben werden. Meinetwegen wird’s halt mal erwähnt, wenn A neu auf B trifft, aber c’mon, bitte sagt mir nicht, dass Mann selbst im Angesicht tödlicher Gefahr nichts Besseres zu tun hat, als schon wieder die Hinterteile seiner Gefährtinnen zu beschreiben?! Und auch, dass eine wichtige Nebenfigur ständig nur als „die kleine Chinesin“ bezeichnet wird, ist nicht so ganz 2020.*****
(7) „The Iron King“ von Julie Kagawa
dt. Heyne fliegt 2011, ISBN: 978-3-453-26721-3
Die Iron Fey-Serie war über mehrere Jahre Stammgast diverser Bestsellerlisten und zählt zu den modernen Klassikern der Portal Fantasy. Also hab ich mir kürzlich den ersten Band ausgeliehen und mitten im Winter diesen Roman gelesen, der auf Deutsch als „Plötzlich Fee: Sommernacht“ erschienen ist. Den Titel finde ich eher bissl zu generisch, aber nun, inhaltlich passt er auch, er ist bloß etwas … zielgruppeneingeschränkt.
Wie dem auch sei. Wir begleiten in dem Buch Teenager Meghan, die in die shakespeareske Feenwelt Nimmernie (engl. nevernever) reist, um ihren kleinen Bruder aus den Fängen des finsteren Eisenhofs zu retten. Das Buch ähnelt dabei verschiedenen anderen Portal- bzw. Romantasytiteln, die im Zuge des Twilight-Booms herausgebracht wurden. Vor allem die Parallelen zu Jenna Blacks Fariewalker-Reihe sind so stark, dass ich stellenweise dachte, das könne unmöglich Zufall sein; da beide 2010 erschienen sind, ist es aber vielleicht einfach eine Frage des Zeitgeists. Trotzdem ist „The Iron King“ nicht völlig austauschbar. Im letzten Drittel des Buchs kommen beispielsweise unerwartet ein paar Cyberfantasy-Elemente zum Tragen, die man in diesem Setting so nicht unbedingt erwartet hätte. Zudem folgt der Roman nicht dem klassischen Handlungsbogen, sondern beschreibt eher eine ziemlich atemlose Abfolge von Events – was kein Kritikpunkt sein soll, denn wenn man sich erst mal darauf eingelassen hat, macht das ein Stückweit den Reiz des Buches aus. Ansonsten … nun. Weltliteratur ist das jetzt nicht unbedingt, Spaß gemacht hat’s aber allemal. In einem Review hieß es: „Sometimes you need a little candy, though, and that’s exactly what this book was.“ Dem kann ich mich eigentlich nur anschließen.
***
Die letzten Tage dieses Jahres werde ich nun dem Erdzauber-Reread widmen, außerdem freue ich mich sehr darauf, endlich Joey Goebels „Irgendwann wird es gut“ zu lesen. Ansonsten lasse ich mich überraschen, was mir 2021 so als Lesejahr bescheren wird.
*Den ich heute übrigens deutlich kritischer sehe als zum Zeitpunkt, da ich über ihn gebloggt habe. Inzwischen hat er die Grenze vom charmenten Wirrwarr zum undurchdringlichen Chaos leider überschritten.
**Habe 2020 den Multiplayer-Modus für mich entdeckt. Ist geil.
***Da wären dieses Jahr „Andere Himmel“ von China Miéville und eine Solarpunk-Anthologie zu nennen gewesen. Aus beiden habe ich nur einen Teil der Beiträge gelesen, zur Solarpunk-Anthologie aber dennoch bereits hier einige Worte verloren.
****Beispielsweise ist mehrmals von der ehemaligen Liebesbeziehung zwischen Mal und Inara die Rede. Äh, hab ich das verpasst …? Die beiden scharwenzeln zwar ständig umeinander herum, aber hatten doch nie wirklich was miteinander.
*****“Drei Tage bis Vollmond“ ist 2017 erschienen und ich find’s schon bemerkenswert, wie viel sich seitdem in der Wahrnehmung solcher Passagen verändert hat.
[…] Ben: „Der Oktobermann„. Fantasykrimi in TrierAlpers, Hans Joachim (1994-1995 / Sammelband 2003): „Shadowrun: […]
[…] mehr als slice of life (= Alltagsgeschichten quasi). In der Science Fiction haben sicher die Wayfarer-Bücher von Becky Chambers eine cozy Lanze gebrochen, in der Fantasy startete der Trend spätestens […]