Märzansichten 2017
Es war lange Zeit einfach viel zu ruhig gewesen. Keine szeneinterne Diskussionen zur Frage, ob moderne Dystopien Kinderkram sind. Keine Grabenkämpfe zwischen Selfpublishern und Verlagsautoren. Selbst das Feuilleton äußerte sich immer häufiger positiv über Phantastik. Aber kurz bevor wir anfingen, die WerkZeugs-T-Shirts gegen Nadelstreifenanzüge zu tauschen, waren sie endlich zurück: die empörten Aufschreie, die Ausgrabungen längst vergessener Kriegsbeile, die Longlists und herumkeifenden Literaten. Lehnt euch also zurück, wenn ich mich zwei Kriegs- und ein paar kleineren Nebenschauplätzen widme.*
Longlists für jedermann
Fangen wir gediegen an: Der März ist offenbar der Monat der Auszeichnungen. DPP, DSFP, SERAPH, Kurd-Laßwitz-Preis und Skoutz machten von sich reden, und das sind nur die für den deutschsprachigen Raum relevanten Preise. Da fand sich kaum jemand, der nicht wenigstens auf der Skoutz-Longlist gelandet ist. Zu müßig, jemanden herauszufischen, hier sind einfach alle nominiert. Also … außer mir halt. Ernsthaft: Wir sprechen hier von mehr als 1500 nominierten Buchtiteln. Ich finde, ich sollte einen Preis dafür bekommen, dort nicht dabei zu sein! Aus dieser Masse wiederum wurden aber inzwischen munter Midlists gebastelt, auf denen sich für die Fantasy z. B. Namen wie Thomas Thiemeyer oder Akram El-Bahay, für Horror Andreas Acker und Michael Mehr und für SF Karsten Kruschel oder die Vogts befinden. Shortlist folgt dann auch noch.
Beim Deutschen Science Fiction Preis (DSFP) ist die Longlist (die nicht Longlist heißt) weniger ausufernd. Für den „Besten deutschsprachigen Roman“ sind beispielsweise Dirk van den Booms „Prinzipat“ oder Jo Korens „Vektor“ nominiert, für die „Beste deutschsprachige Kurzgeschichte“ u. a. diverse Nova– und vor allem Exodus-Veröffentlichungen.
Die Longlist schon lange hinter sich gelassen hat wiederum der SERAPH, der im Rahmen der Leipziger Buchmesse von der Phantastischen Akademie e. V. an Katharina Seck für „Die silberne Königin“ (Bestes Buch) und an Julia Lange für „Irrlichtfeuer“ verliehen wurde. (Was mich, nebenbei bemerkt, besonders für Katharina freut =)) Zum Monatsabschluss folgten dann auch noch offiziell die Nominierungen für den Kurd-Laßwitz-Preis (KLP), auf den in der Kategorie um den deutschsprachigen Roman z. B. Christopher Ecker für „Der Bahnhof von Plön“, Matthias Falke für „Sternentor“ oder Karla Schmidt für „Ein neuer Himmel für Kana“ hoffen dürfen.
Klar kannste den DPP verändern, aber ist halt komisch
So weit, so unaufregend. Aber auch der DPP hat seine Longlist herausgegeben, und der DPP wäre nicht der DPP, wenn er nicht ein paar Diskussionen zu seinem Sinn und Zweck mit sich bringen würde. In den letzten Jahren hieß es, er sei nur noch eine kleinverlagsrelevante Veranstaltung, in der gewinnt, wer die meisten Stimmen auf sich vereinen kann. Ja, liebe Leute, so läuft das wohl bei Publikumspreisen. Trotzdem war ich froh, dass in den letzten Jahren Abstand von den Vorschlagslisten genommen wurde, die zwar teilweise realistische Nominierungen enthielten, aber die Masse an Gelegenheitsabstimmern naturgemäß dazu brachte, einfach für den bekanntesten Titel bzw. Namen zu stimmen. Für das Gros der Phantastikszene bedeutete das daher andauernde Unsichtbarkeit.
Dass sich dieses Jahr einiges ändern würde, war ja schon im Vorhinein klar. Beispielsweise wird der DPP ab sofort nicht mehr auf dem BuCon, sondern auf der neu installierten Phantastika im September verliehen. Das ist … schade. Es war irgendwie eine schöne Tradition, nach dem Ende des eigentlichen Cons noch auf den Tischen von Amrûn zu sitzen und den mal mehr, mal weniger charmanten Laudationen und Dankesreden zu lauschen – oder auch mal herumzuhibbeln, weil man selbst in irgendeiner Form nominiert war. Trotzdem, dem Ganzen einen neuen Rahmen zu geben, den Preis festlicher und sogar mit Dotierung aufzuziehen, hat irgendwo auch was. Auch wenn ich den spezifischen Reiz der Phantastika noch nicht erkannt habe, aber das kommt dann ja vielleicht im September.
Nur leider fand dieses Jahr auch ein Rückschritt zur Praxis der Nominierungslisten statt. Offiziell sind das keine Longlists, weil man unter viel Biegen und Brechen auch noch eigene Nominierungen hinzufügen kann. Insofern könntet ihr gerne auch noch „Liminale Personae“ bei den Kurzgeschichten nominieren. Ist ja auch eine super Sache, Novellen in die Kurzgeschichten-Kategorie zu packen. Aber lassen wir das. Inzwischen hat wahrscheinlich ohnehin jeder abgestimmt – zumindest, falls er sich nicht allzu viele Gedanken um den Datenschutz macht. Dieses und diverse weitere Probleme wurden mit als Erstes von Stefan Holzhauer in einem Beitrag zusammengefasst. Um die Kernproblematik noch einmal zu wiederholen: Eine Jury aus 3000 Fachleuten (Mensch, nicht mal dazu gehöre ich; so groß ist die Szene doch gar nicht!) hat die Vorschlagsliste erstellt und … nja, da fehlt so ein bisserl die Transparenz (nicht, dass das was Neues wäre, aber es geht ums Prinzip). Ich habe von ein paar Leuten mitbekommen, dass sie abstimmen durften und hatte schon den Eindruck, dass sie alle aus einer ähnlichen Richtung kommen und auch in diese eine Richtung abstimmen. Wobei man auch klar sagen muss: Ich rede von 10-20 von angeblich 3000 Leuten,** also muss das im Grunde gar nichts aussagen. Vielleicht kenne ich halt nur Leute aus einer „bestimmten Ecke“. Trotzdem, und auch unabhängig davon, dass ich die Vorschlagsliste selbst gar nicht so übel finde (vielleicht, weil eben doch so viel „aus meiner Ecke“ kommt?) und es auch wenig verwunderlich finde, wenn beim DPP nicht so viel „Perry Rhodan“ auftaucht – es bleibt ein unzufriedenes Gefühl. Wegen der Jury beim Publikumspreis, wegen der Longlist, die eine ist, ob sie es sein will oder eben nicht. Wir beschließen das Thema mit dem Verweis auf den gelungenen Beitrag zum Thema von Judith Vogt und mit ein wenig Ehrlichkeit von der anderen Seite des Ozeans (bei wem es nicht angezeigt wird, guckst du hier):
https://twitter.com/straycarnivore/status/842058512662446085
Wenigstens die Cosplayer sind noch underground
Nach diesem Ausflug in die Wirrungen der Phantasten, wenden wir uns einer Debatte zu, die total 2000er wirkt. Via SWR beschwerte sich deren Literaturredakteur Carsten Otte über die Cosplayer bzw. „nackten Hasen“, die der Leipziger Buchmesse in seinen Augen unnötigen „Klamauk“ und „kulturindustriellen Hokuspokus“ bescheren. Meinungsfreiheit ist halt nur schön, wenn sie nicht allzu bunt und freizügig daherkommt.
Vor zehn Jahren, bevor RTL lernte, dass es recht unangenehm sein kann, sich über Gamer zu beschweren und Denis Scheck noch weniger Phantastik vorstellte, wäre Otte mit seinem Beitrag vielleicht gut angekommen. Aber inzwischen hat die Geek Culture eine mediale Macht erlangt, die man als Literaturredakteur vielleicht nicht verkennen sollte. Konnte Otte auch nicht, nachdem die Kritiklawine hereinbrach. Auf verschiedenen Portalen und Blogs sind Kommentare erschienen; beispielhaft seien hier nur mal der vielbeachtete von Lena Falkenhagen auf Tor Online, der hegemonialmedialste von Margarete Stokowski auf Spiegel Online und der etwas weniger beachtete, aber vielleicht empfehlenswerteste, da differenzierte von Guddy auf Fried Phoenix erwähnt. Von Otte folgte dann eine Klarstellung, die vor allem auf generelle Netz-Diskussionsprobleme aufmerksam macht, sich aber nicht großartig bemüht, das Kind wieder aus’m Brunnen rauszuholen.
Freizügige Kulturindustrie (Foto von Pat Loika, CC BY 2.0)
Nach alldem hat die Diskussion meinen Kommentar nicht mehr nötig. Nur zwei Dinge: Erstens habe ich schon einmal gesagt, dass Cosplay für mich den meisten Reiz da entfaltet, wo es in die Realität eindringt. Wo es eben nicht nur Szene ist, sondern idealtypisch gesprochen eine Hinterfragung von Normen und Realität. Die Buchmessen sind dafür perfekte Orte und es stört mich noch immer, dass auf der LBM eine eigene Halle als Exil für die Cosplayer geschaffen wurde, an dem sie weniger im Weg sind.*** Sie komplett zu verbannen wäre ein Armutzeugnis für die deutsche Literatur- und Kulturszene, die sich zuletzt eigentlich ihren phantastischen Ausprägungen durchaus geöffnet hat – und das auch im März und auch vom SWR beispielsweise mit einem empfehlenswerten Radiobeitrag über die Liebe zur Fantasy unter Beweis stellte. Aber gerade die Cosplayer sind von dieser neuen Akzeptanz häufig ausgenommen. Ich weiß nicht, ob es irgendeine andere Szene gibt, die in ihrem Kawaii-Kern so dermaßen nett und harmoniesüchtig ist. Trotzdem muss sie als einer der häufigsten Angriffspunkte der Phantastik herhalten. Wo sonstige phantastische Literatur den Weg in den ernsthaften öffentlichen Diskurs findet, wo Games und Comics als Kunst gelten und Rollenspiel als kreatives Potenzial, da ist Cosplay allzu häufig noch eine Lachnummer. Da kann man es fast schon als Adelung sehen, wenn die „Kritik“ an ihr mal einen eigenen Artikel bekommt und nicht nur als Schenkelklopfer nebenher fungiert. Und so sehr es mich auch freut, wenn andere phantastische Medien, die Cosplay selbst oft eher mit einem müden Lächeln betrachten, sich nun für die Szene einsetzen – so sehr hoffe ich doch auch, dass deren eigene Mitglieder selbst ein stärkerer Teil des öffentlichen Diskurses werden. Dass sie nicht in ihrer eigenen, gegenüber der Außenwelt resignierenden Welt bleiben und sich das Cosplay so noch mehr in seine Refugien zurückzieht, aus denen es nur für DeviantArt hervorschaut. Eine Möglichkeit zum Gegenhalten gäbe es aktuell etwa bei den Teilzeithelden, die auf der Suche nach einem Cosplay-Redakteur sind.
In eigener Sache: Bücherschwund
Abschließend noch zwei Hinweise in eigener Sache: Dem Blitz-Verlag wurden die Lizenzen für Jürgen Grasmücks Werke und damit auch für die Reihe „Larry Brent“ entzogen. Ebenso wie der Hörspiel-Verlag WinterZeit stellt Blitz daher sämtliche „Larry Brent“-Produkte ein – und damit auch das eBook zu „Melodie der Toten„, das ich unter meinem Pseudonym Aleska Zilly veröffentlicht hatte. Derzeit haben es ein paar Shops noch im Angebot, aber es dürfte dann zeitnah aus dem Verkauf gehen. Ich hoffe, die Geschichte irgendwann noch mal ent-larrybrentiert rausbringen zu können, aber das wird wohl eine Weile dauern.
Gehört dann bald der Vergangenheit an.
Da Art Skript Phantastik und Amrûn die Kooperation zu den ASP-eBooks beendet haben, gibt es zudem „Vor meiner Ewigkeit“ derzeit nur als Print. Bis Ende des Jahres soll es auch wieder eine elektronische Variante geben.
*Bevor ich nicht darüber berichte, wurde es natürlich noch nicht zur Genüge durchgekaut.
**Wie Thomas Michalsky richtig anmerkt, wurden allerdings nur 3000 angeschrieben. Von denen werden sich kaum alle zurückgemeldet haben. Und welche Art Redakteure etc. das waren, weiß man auch nicht.
*** Mit dieser Haltung und Sichtweise bin ich aber auch unter Cosplayern relativ allein. Ich habe den Eindruck, die meisten schätzen es eher, hier einen Raum zu haben, in dem sie gleichzeitig für sich und doch nicht für sich sein können. Ähnlich wie beim Außenbereich auf der FBM.
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