Geek Quest #1: Der (Liebes-)Brief (an Age of Wonders)

10. Januar 2017 16 Von FragmentAnsichten

Ihr erinnert euch noch an die Zeitzeugin, hoffe ich. Die Gute hat ihren Blog jüngst dicht gemacht. Klingt traurig, ist es auch. Aber dafür gibt es jetzt den frittierten Phönix, also ihre neue Webseite, die sie mit einem Nerd-Wikiant aufgezogen hat. Und dort haben die beiden eine Blogger-Challenge, die Geek Quest, ins Leben gerufen. Ich hab von der ersten Aufgabe gelesen, einen Brief an meinen bewegendsten Geek Stuff von 2016 zu schreiben und gedacht „ja cool, aber ich hab keine Zeit und keine Idee“.

Aber dann begab es sich eines Montagabends, dass ich Age of Wonders III spielen wollte, aber nicht durfte, weil ich arbeiten musste. Also … da hab ich’s mir dann anders überlegt und mir das folgende Zuckerstück aus den Händen geleihert – Procrastination at its best! Enjoy.


Liebes Age of Wonders,

ich war 14 oder 15, als mein Vater mir deinen zweieinhalbten Teil Age of Wonders: Shadow Magic zeigte. Ich erinnere mich noch an meine ersten Schritte – wie ich den Halblingszauberer Simon durch das Tutorial gelenkt habe und erst mal nur dachte „Hm, die Optik ist ja hübsch, aber so richtig spannend finde ich das nicht“.

Ein paar Tage später war ich dir verfallen, und das über inzwischen 12 Jahre hinweg. Ich habe die Kampagne und fast jedes Szenario durchgesuchtet, viele aus verschiedenen Perspektiven. Ich habe Feinde in unzähligen Zufallskarten bezwungen, irgendwann angefangen, dafür auch eigene Zauberer zu schaffen. Ich habe Age of Wonders II durchgespielt und bin schließlich auch mit dem Urgestein Age of Wonders in die letzten Mysterien des Gesegneten Kontinents eingetaucht, bis in die Zeit, als noch Inioch über die Elfen herrschte. Und irgendwann habe ich den Editor entdeckt.

Wie viele Stunden sind draufgegangen, während ich einzelne Bäume am richtigen Ort platziert habe? Wie viele Nerven habe ich verloren, wenn eine in mühevoller Kleinstarbeit erstellte Quest im Spiel doch einen Fehler hatte? Und wie viele Romane, eigene und fremde, habe ich im Laufe der Zeit mit dir nachgebaut? Wie viele Endorphine habe ich freigesetzt, als ich den Fanpatch 1.4 entdeckt habe?

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Weltenbau mit dem Editor von Age of Wonders: Shadow Magic

Ich gebe zu, dir manchmal andere vorgezogen zu haben. Es gab eine Phase, in der ich lieber die Dungeons von Faerûn unsicher machte, als Vampir durch Ancaria reiste, Antilopen mit Nilpferden in ein Gehege zu setzen versuchte oder auf tropischen Inseln Baumwolle anbaute, um meine allzu fordernden Untertanen zufriedenzustellen. Aber früher oder später bin ich immer zu dir zurückgekommen, habe sogar Kurzgeschichten geschrieben, die auf dem Gesegneten Kontinent spielten, Artikel über dich verfasst und mich beim Cosplay als Julia versucht.

Als ich in einem Forum las, dass Age of Wonders als Trilogie angelegt war und kein weiterer Teil nach Shadow Magic erscheinen sollte, war ich enttäuscht. Klar, die Geschichte war zu Ende erzählt und man soll aufhören, wenn’s am besten ist. Außerdem gab es ja auch noch 844.938 Zufallskarten, die ich noch nicht ausprobiert habe, und der Editor wurde auch nicht langweilig. Aber … trotzdem! Anders als viele andere Spiele hast du nicht nur vom Gameplay gelebt, sondern auch von deinen inneren Werten. Du hast immer tolle, komplexe Geschichten erzählt, deine Figuren waren vielschichtig und Humor hattest du auch. Ich habe es genossen, jede einzelne Figurenbeschreibung zu lesen und auf Gladiator– und Star Wars-Easter Eggs zu treffen.

Und dann, ich war gerade in ein Age of Wonders-Forum mit ein paar letzten hartgesottenen Fans und Mappern eingetreten, kam die erste Pressemeldung von Age of Wonders III. Ein neuer Teil, nach zehn Jahren! Ich habe nach Infos gegiert, war sogar kurz in Versuchung, als du einen Moderator für dein offizielles deutschsprachiges Forum gesucht hast. Aber dann kamen die Enttäuschungen. 3D. Steam. Die Optik an den ersten Age of Wonders-Teil angelehnt. Keine Zauberer mehr, stattdessen Klassen wie Schurken oder Kriegsherren. Und, das Schlimmste von allem: Meandor, dessen Tod in Shadow Magic mich das erste und letzte Mal bei einem Computerspiel hat weinen lassen, würde nicht mehr auftauchen, ebenso wenig wie meine geliebten Dunkelelfen.

Ich war natürlich immer noch gespannt darauf, wie du dich entwickelt hattest. Aber als du 2014 in die Läden kamst, habe ich lieber die alten Seiten unserer Beziehung aufgewärmt und einmal mehr die Shadow Magic-Kampagne durchgespielt (auch wenn das bedeutete, einmal mehr tatenlos dabei zusehen zu müssen, wie Meandor von Schattenlords getötet wird).

Aber an Weihnachten 2015 lagst du in deinem neuen Gewand unter dem Weihnachtsbaum und wie hätte ich mich dir da weiter verweigern können? Im Frühjahr 2016 habe ich mit Age of Wonders III angefangen und Kampagnen-Protagonistin Sundren, immerhin Meandors ähnlich zwielichtige Nichte, sofort ins Herz geschlossen. Für den Rest galt das zunächst nicht so. Die Kameraführung hat mich manchmal fast in den Wahnsinn getrieben, meine Truppen sind reihenweise gestorben, weil ich sie schlicht nicht gesehen habe, wenn sie von Mauerteilen verdeckt wurden, deine Level waren übelst schwer und die Technokraten-Klasse … na ja, die ist wohl nicht für jeden was. Verzaubert war ich immer dann, wenn die Handlung auf Shadow Magic und die anderen Vorgänger zurückgegriffen hat. Wenn ich Bowans Ring fand oder Rylthas Reservedolch. Wenn Sundren Bormac aus einem Kerker befreite oder Merlin am Wegesrand auftauchte.

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Another day in paradise: Age of Wonders III

Doch je länger ich mich mit deinen neuen Seiten befasste, desto mehr begann ich auch sie zu lieben. Ich sehe jetzt die positiven Seiten an dir. Du bist intelligenter geworden, hast neue Einheiten und „Helden“ in dir gefunden. Du hast dich zwar säkularisiert, aber dafür kann man jetzt für die irdischen Bewohner Aufträge erfüllen. Die Diplomatie hat an Komplexität gewonnen, Völker oder Helden sind nicht mehr dazu verdammt, „gut“ oder „böse“ zu sein, sondern entscheiden durch ihre Handlungen, auf welcher Seite sie stehen (wenn sie denn überhaupt eine wählen). Du hast dich verändert, und immer noch kehre ich gerne zu deiner Vergangenheit zurück. Aber ich mag inzwischen beide Seiten an dir – auch wenn ich manchmal etwas sauer bin, wie viel Zeit du mir raubst. Du hast mich im letzten Jahr begleitet – und ich möchte dich weiterhin auf deinem und meinem Weg begleiten. Willst du auch weiter mit mir gehen? Bitte kreuz an:

Ja I   I
Nein I   I
Vielleicht I   I

In Liebe
Deine Alessandra