Top 7: 2016

7. Januar 2017 6 Von FragmentAnsichten

Wir haben noch Anfang Januar und mein Zug macht keine Anstalten, sich aus dem Koblenzer Hauptbahnhof herauszubewegen.* Ideale Voraussetzungen also, um noch einen kurzen Rückblick auf 2016 in Sachen Blog und Buch zu wagen.

Allgemeinhin genießt 2016 nicht gerade den besten Ruf und ich meine auch, die Negativnachrichten in meinen zugegebenermaßen nicht ausgeprägt politischen Monatsansichten hätten zugenommen. Blogtechnisch kann ich mich dagegen nicht beschweren – die Aufruf- und Leserzahlen haben sich gegenüber 2015 fast vervierfacht. Danke dafür! Die meisten Artikel sind doch ziemlich viel Arbeit und direkt verdiene ich mit dem Blog keinen Cent. Daher ist es schön zu wissen, dass er wenigstens gelesen wird. Auch wenn es mir etwas zu denken gibt, dass der mit Abstand erfolgreichste Beitrag dieser Nonsens ist, immerhin gefolgt von meinen Berichten zur RPC 2016 und der Koblenzer „Jesus Christ Superstar“-Aufführung.

Persönlich habe ich 2016 auch als leichte Steigerung gegenüber dem Vorjahr empfunden, aber das nur am Rande. Weniger am Rande der dezente Hinweis, dass im Mai eine Novelle von mir erschienen ist, wie womöglich der eine oder andere noch nicht mitbekommen hat. Im Oktober folgte außerdem die wunderhübsche Print-Ausgabe von „Spielende Götter„.

Nun aber wieder zu den Werken anderer Leute. Ich kam das erste Mal seit längerer Zeit wieder dazu, einige Bücher zu lesen.** Viele habe ich zum zweiten, dritten oder sechsten Mal gelesen, beispielsweise „Das Licht hinter den Wolken„, „Phantasmen“, „Faeriewalker“ oder „Die Tribute von Panem“. Einige aber auch zum ersten Mal und sieben davon stelle ich euch kurz vor. Und ja, die meisten Bücher sind nicht dieses Jahr erschienen, sondern schon was älter. Macht doch nüchts.

(1) „Die Krone des Schäfers“ von Terry Pratchett

Traditionell beginnt mein Lesejahr mit Terry Pratchett. 2016 traf es „Die Krone des Schäfers“, den Abschluss der Tiffany Weh-Reihe und zugleich Pratchetts letzten, posthum erschienenen Roman. Er hat 2016 einige Auszeichnungen abgeräumt, darunter den Locus Award als bester YA-Roman und den Deutschen Phantastik Preis als Bester Internationaler Roman. Sicher ist das auch den Umständen seiner Veröffentlichung zu verdanken, aber davon abgesehen ist „Die Krone des Schäfers“ auch ein Roman, der seine Ehrungen verdient.

Wie in vielen seiner jüngeren Romane hat Prachett hier seinen satirischen, aber oft auch etwas beliebigen, humororientierten Erzählstil gegen eine nachdenklichere, melancholische Variante getauscht. Man soll bei Büchern nicht zu viel in den Autor hineininterpretieren, aber dieser Coming-of-Age-Roman trägt auf jeden Fall einiges an Gedanken und Ansichten mit sich, das zumindest mir die Identifikation nicht schwer gemacht hat und den Autor Terry Pratchett umso schmerzhafter vermissen lässt.*** In Kombination mit der gelungenen, runden Handlung mein Favorit von 2016, und neben anderen Tiffany Weh-Büchern und „Dunkle Halunken“ einer meiner Lieblingsromane von Pratchett.

(2) „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf

Manche Familienmitglieder lassen sich von Büchern schwerer begeistern als andere. Wenn die schwer zu Begeisternden dann mal von einem Buch schwärmen, sind die Erwartungen daher zwangsläufig hoch. Schwärmt auch noch der Rest von Deutschland mit, werden die Erwartungen so hoch, dass ich misstrauisch werde. Trotzdem, Herrndorfs Jugendroman um zwei Jungs, die mit einem geklauten Lada durch Ostdeutschland tuckern, stand schon lange auf meiner imaginären Leseliste, was mir mit der Verfilmung auch wieder eingefallen ist.

Rückblickend … ein gutes Buch, zweifellos. Die Figuren sind sympathisch – durchgedreht genug, um die Handlung tragen zu können, aber auch ausreichend normal, um sich noch irgendwie mit ihnen identifizieren zu können. Trotzdem: Coming-of-Age-Romane (mit denen ich es offenbar im letzten Jahr hatte) funktionieren für mich am besten, wenn sie an meiner eigenen Lebenswirklichkeit anknüpfen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob diese Wirklichkeit auf dem Mond, in den USA, Phantásien, dem Westerwald oder Ostdeutschland angesiedelt ist, solange die Themen stimmen. Und die stimmen dann doch bei anderen Autoren (noch) mehr. Insofern ist „Tschick“ zwar ein toller Roman voll lakonischen Witzes, der meinen Erwartungen gerecht wurde, aber an einen Joey Goebel kommt er für mich nicht heran. Was zugegebnermaßen etwas viel verlangt ist.

lada

Jetzt weiß ich auch, was ein Lada ist. Ich hoffe, das ist einer (Quelle: Pixabay).

(3) „Die Chronik des Eisernen Druiden 1: Gehetzt“ von Kevin Hearne

Im Mittelteil ein paar Bücher, die auch schon anderweitig zur Sprache kamen, in diesem Falle in der vorangegangenen Top-Liste.

„Gehetzt“ ist ein im Grunde abstruser Roman, der so viele Ideen mixt, dass es schon etwas zu viel des Guten ist und sie zulasten der Handlung gehen – ein bisschen wie bei Pratchetts früheren Romanen. Dafür macht das Buch aber einfach Spaß und wirft einen frischen Blick auf alte Mythen-Bekannte. Definitiv eine Empfehlung für jeden, der humoristische Fantasy schätzt.

(4) „Das Herz der Nacht“ von Fabienne Siegmund

Ein sehr märchenhafter, melancholischer und stimmungsvoller Roman, der in erster Linie von seinem Setting lebt. Ausführlich bin ich darauf an dieser Stelle eingegangen.

(5) „Der schwarze Garten“ von Dorothee Zürcher

Auch über dieses Buch habe ich schon mehrfach berichtet, beispielsweise hier und hier. Es war wohl die für mich größte Überraschung meines Lesejahres, weil ich an das Buch keine besonderen Erwartungen gestellt habe. Die hat „Der schwarze Garten“, ein Urban Fantasy-Roman quer durch die Schweizer Sagenwelt, zweifellos übertroffen. Zu verdanken hat er das seinem Ideenreichtum und seiner Unaufgeregtheit, die an Magischen Realismus erinnert. Ein ungewöhnlicher Roman im positivsten Sinne.

(6) „Lampedusa: Begegnungen am Rande Europas“ von Gilles Reckinger

Zwischen all den Romanen ein Buch zu bringen, das sich irgendwo zwischen ethnologischem Feldbericht, Reisereportage und politischem Sachbuch verorten lässt, wirkt ein bisschen unfair. Andererseits ist es auch ein Buch, das Aufmerksamkeit verdient und eine eigene Top 7-Liste für Sachbücher … wäre eigentlich eine gute Idee, aber daran habe ich erst gedacht, als ich schon den ersten Satz geschrieben hatte. Anyway.

2013 erschienen, widmete sich „Lampedusa“ der Flüchtlingsproblematik zu einem Zeitpunkt, da sie einerseits alltäglich und andererseits zu weit von der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen entfernt war, um in der Bevölkerung eine größere  Auseinandersetzung hervorzubringen, wie es vielleicht heute eher der Fall ist.

Die Bewohner Lampedusas allerdings müssen sich zwangsläufig mit dem Thema bzw. dessen unmittelbaren Folgen vor ihrer Haustür auseinandersetzen, ist ihre Insel doch für viele so etwas wie das Tor nach Europa. Die Geschichten, der Alltag und die Ansichten dieser Bewohner sind es, mit denen sich Reckinger auseinandersetzt, der die Insel dafür gemeinsam mit der Ethnologin Diana Reiters zweimal bereist und zahlreiche qualitative Interviews geführt hat. So wird ein facettenreicher Blick auf eine Insel geworfen, die gefangen ist zwischen nicht immer angenehmen Pragmatismus, Mitgefühl, Zukunftssorgen und dem Versuch, den eigenen Alltag zu meistern. Ein bisschen liest sich das wie Daniel Millers „Der Trost der Dinge“, ist dabei aber weniger selbstherrlich.

(7) „Das verlorene Bestiarium“ von Nicholas Christopher

Dieses Werk aus der „gehobene[n] Abenteuerliteratur“ (Stephan Maus in der SZ) ist klassische Phantastik im Sinne Todorovs. Der Autor schert sich nicht um „Show don’t tell“****, was in der ersten Hälfte klar von Vorteil ist. Der Leser erhält hier Einblick in das Leben des jungen Xenos, angeblich Ur-Enkel einer Dryade und besessen von der Suche nach dem „Karawanenbuch“, einem Bestiarium, in dem jene Wesen verzeichnet sein sollen, die nicht auf der Arche Noah Platz fanden.

Die Verbindung aus märchenhaften Elementen und politischem Realismus bis in die Wirren des Vietnamkriegs hinein ist angenehm ungewöhnlich. Allerdings lässt die Spannung deutlich nach, sobald es nicht mehr um Xeno und seine komplizierten Familienverhältnisse bzw. seine Suche nach sich selbst geht, sondern nur mehr die nach dem Bestiarium. Irgendwann ist es dann halt doch nicht mehr so spannend, von der x-ten Bibliothek auf Malta oder Venedig oder fancy Ledereinbänden von wertvollen Büchern zu lesen.

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Der Phönix – eines von vielen Tieren, das Xeno mit dem Bestiarium zu erforschen hofft
(Quelle: Pixabay).

So weit also mein Leserückblick auf 2016. 2017 beginnt derzeit – natürlich – mit Terry Pratchett.

P. S.: Ich weiß auch nicht, warum die Anführungsstriche nach den Links nicht oben angezeigt werden. In der Vorschau ist noch alles, wie es sein soll und wildes Rumtricksen bringt mich nicht weiter. Weiß jemand Rat?


*Im Verlaufe der Artikelentstehung wird der Zug ausfallen, ich werde in einem anderen Zug und einem Wartezimmer weiterschreiben. True Story.
** Ist es nicht irgendwie paradox, dass man während des Studiums so viel lesen muss, dass man kaum noch zum Lesen kommt?
*** Trotzdem bzw. gerade verpasst man meiner Meinung nach etwas, wenn man das Buch als Scheibenwelt-Leser nicht liest.
**** Find ich sympathisch, mir geht das Rumgehacke darauf voll auf den Senkel.