Novemberansichten 2016
Sorry, kein Adventskalender. Hab irgendwie ganz verpeilt, dass schon der erste Dezember ist. Aber hey, wenigstens die Novemberansichten gibt’s heute noch – lieber spät als nie und eher … eh, qualitativ denn quantitativ.
Phantastik und die Frage(n) der Religion
Mythen dienten ursprünglich der Erklärung der Welt: ihrer Entstehung ebenso wie ihres Zustands. Auf diese Weise waren sie zwangsläufig mit Kultur und Religion verbunden, was für die meisten Völker ohnehin Hand in Hand geht.
Nun ist es nicht sonderlich schwer, die Schritte von Mythologien hin zur heutigen, populären Phantastik zu vollziehen. Ebenso ist der Weg von ihr zurück zur Religion nicht schwer – treffen wir doch in zahlreichen Werken mindestens halbgöttliche Wesen, die ihre Umgebung auf mal explizite, mal implizite Weise formen und verändern. Dadurch wirft die Verbindung aus Phantastik und Religion eine Reihe interessanter Fragen auf, die in manchen Büchern sehr bewusst aufgegriffen werden. Einige solcher Werke – insbesondere solche, die sich dem Thema „in respectful and positive ways“ widmen – wurden Anfang November von Leah Schnelbach auf der englischsprachigen Tor-Seite vorgestellt.
Ich kenne keines davon, könnte an dieser Stelle aber einige andere Beispiele nennen, die sich dem Thema auf faszinierende Weise nähern. „Wenn Voiha erwacht“ von Joy Chant zum Beispiel, wenngleich es hier schon sehr zwischen den Zeilen steht. Vielleicht auch „Otherland“. „Watchmen“. „Alles Sense“ oder diverse andere Scheibenwelt-Romane.
Aber stattdessen ein Zitat aus dem Text:
For people who choose to leave a religious tradition, science and science fiction can become the home they didn’t find in a church or temple, and can also provide a way to critique the life they left.
Während meines Studiums habe ich mich ziemlich intensiv mit Szenen, vor allem der Phantastik-Szene, auseinandergesetzt, und ich wünschte, ich hätte damals schon diesen Artikel als Quelle heranziehen können. Ich weiß nicht, ob Phantasten in ihren Genres eine „Ersatz-Religion“ finden, wie Oliver Krüger es einmal formuliert hat. In gewisser Weise dienen als solche wahrscheinlich alle Szenen, wenn auch nicht so stark wie ihre umfassenderen Brüder, die Subkulturen. Sie weisen ähnliche Merkmale auf – bestimmte Riten, Symbole, Medienorientierungen. Aber das tun Gemeinschaften generell. Andererseits ist die Phantastik-Szene ebenso wie die der Goths oder Metaller religiösen Themen klassischerweise recht nahe, im Gegensatz zu manch anderen Szenen wie beispielsweise den Cosplayern oder Warez. Anyway – für diese Stelle wird das Thema zu komplex, aber ich denke, die Frage wird mich noch eine Weile weiterbeschäftigen.
Und was ist mit der Wissenschaft?
Natürlich hat nicht nur die Religion großen Einfluss auf die Phantastik gehabt, sondern auch ihre scheinbar unversöhnliche Schwester, die Wissenschaft. Den frühen Liaisons zwischen ihr und der Fiktion widmete sich Edward Simon jüngst in seinem Artikel „The Science Fiction that came before Science“. Ein interessanter Einblick, bei dem wir an diesem Zitat hängenbleiben:
The capacity to envision alternative social arrangements, in particular, makes science fiction arguably the literary genre with the most revolutionary potential.
Auch hier bin ich mir noch unsicher, ob ich das unterschreiben soll. Die Fantasy beispielsweise besitzt dieses Potenzial meines Erachtens durchaus auch. Es gibt nur zwei Probleme: Erstens traut man es ihr nicht zu, und zweitens gibt sie sich zu schnell zufrieden, wie China Miéville es sinngemäß einmal formuliert hat. Insofern können wir Simon zumindest soweit zustimmen, dass die Science Fiction ihr Potenzial vielleicht am besten zu nutzen weiß.
Searching for utopia? (Quelle: Pixabay)
An dieser Stelle enden wir früher als gewohnt und ohne Sternchen und entlassen Sie in eine hoffentlich entspannte Winter- und Weihnachtszeit. Wir lesen uns diesen Monat noch.