Fremdkörper. Gedanken zur Cosplay-Szene

21. Oktober 2015 14 Von FragmentAnsichten

Als Teenager habe ich mir große Mühe gegeben, mein Misstrauen gegenüber der Gesellschaft durch die Zugehörigkeit zu anderen Gemeinschaften zu demonstrieren. Soll heißen, ich habe intensives Szenehopping betrieben. Rückblickend betrachtet war es gar nicht so schwer, genügend Material zu finden, das meinen damaligen Interessensgebieten entgegenkam. Immerhin war das so in etwa von 2002 bis 2009, also in der Phase, als Gothic auf Viva lief, Marilyn Manson in gewissen Kreisen zum Posterboy wurde und Nightwish-Poster in der Bravo lagen. Gute Zeiten also für Orientierungslose mit Hang zu Melancholie und Nietenhalsbändern.*

Was dagegen seltsamerweise lange an mir vorbeiging, waren die Cosplayer. Seltsamerweise deshalb, weil Koblenz in dieser Zeit dank der AniMagic sozusagen der Nabel der deutschen Anime- und Mangaszene war.** Das eine Mal, als ich da zufällig reingeriet, hielt ich die AniMagic allerdings für eine etwas bunt geratene Gothic-Lolita-Veranstaltung und checkte so gar nicht, was eigentlich abging. Als ich 2005 (?) das erste Mal die Frankfurter Buchmesse besucht habe, ging mir dann so langsam ein Licht auf. Was mir aber noch mehr aufging, war folgende Information: Verkleidet kommt man umsonst auf die Buchmesse.***

Versuchen

Joa. In andere Szenen kam ich rein, weil ich mich dort auf irgendeine verquere Art daheim fühlte. Zum Cosplay kam ich, weil ich das Geld für die Buchmesse sparen wollte. Könnte das eine oder andere erklären.
Glücklicherweise hatte ich einige Freund_innen, die ebenfalls gerne gratis die Buchmesse besuchen wollten und unter ihnen war auch eine, die uns über die elementaren Bestandteile des Manga-Fandoms aufklären konnte. Zwölf Monate und einen Crashkurs in Sachen Cosplay (und Visual Kei) später machten wir also im Dutzend erstmals die Erfahrung, dass sich Flügelspannweiten und Buchmessengänge nicht so gut miteinander vertragen. Ich habe an diesem Tag sehr viele (natürlich schwarze) Federn gelassen (und frage mich, was mich geritten hat, gleich als Erstes einen auf Angel Sanctuary machen zu wollen; klarer Fall von Overstatement).

Die meisten anderen Szenen entfalten ihren Reiz für mich bis heute dann, wenn sie sich in ihrem eigenen Biotop befinden. (Was auch mehr oder weniger der Normalfall und Nährboden für den allseits bekannten Conblues ist.) Anders beim Cosplay. Seine spannendsten Momente hat es für mich immer dann, wenn es als „Stilbruch“ erscheint. Es gibt diese Fotoreihe von Oliver Sieber, „Character Thieves„, für die er Cosplayer im bürgerlichen Milieu, in Tiefgaragen oder auf Parkplätzen fotografiert hat. Nicht bei irgendwelchen Posen, die zu den dargestellten Figuren passen. Sondern einfach so, in den Kostümen, aber alltäglichen Situationen. Diese Bilder transportieren für mich die Atmosphäre, die ich mit meinem Idealbild vom Cosplay verbinde. Es hat seinen Reiz, auf der Buchmesse als Fremdkörper wahrgenommen zu werden. Mit einer Kultur zusammenzutreffen, die im Grunde wenig mit einem anzufangen weiß. Ich kann nicht genau sagen, warum ich das so spannend finde. Vielleicht, weil es so viel realer wirkt. Die typischen Szene-Shootings sind zweifellos hübsch anzusehen, verharren aber in ihrer eigenen Fantastiewelt was mich auch bei vielen Arten des Rollenspiels stört. Ist das Phantastische nicht eigentlich spannender, wenn es in die Realität eindringt?

Cosplayer in Kostüm eines Schwarzen Engels
„Howl“ von Oliver Sieber, Leverkusen 2007

Verstehen

Nur – weder die Fotos von Sieber noch meine eigenen Ideal-Vorstellungen vom Cosplay entsprechen dem Szene-Selbstverständnis. Die Cosplayer bleiben in ihrer eigenen Welt – auch, wenn sie auf der Buchmesse sind. In Leipzig haben sie inzwischen ihre eigene Halle, was ich einerseits schade finde. Andererseits ist der „Culture Clash“ auch schwieriger geworden: In Deutschland ist die ganze Cosplay is not consent-Debatte nicht so ausführlich geführt worden wie beispielsweise in den USA.**** Das Bewusstsein dafür ist aber zweifellos da; dank einzelner Fotografen, die ihre Kamera einfach immer drauf halten – egal, ob man posiert, isst oder mit einem ungünstigen Windstoß kämpft. Oder dank der Leute, die über die LBM laufen und Cosplayerinnen fragen, ob sie Interesse an Erotik-Shootings haben. Spreche ich darüber mit Leuten, die keinerlei Bezug zur Szene haben, reichen die Reaktionen meistens von Na ja, sie fragen ja nur bis Selber schuld, so wie manche da herumlaufen. Die klassischerweise enge Bindung zwischen Fotografie und Szene, für die extern oft das Verständnis fehlt, verstärkt das ganze Problem und macht victim blaming gesellschaftsfähig.

Hinzu kommt das nicht besonders freundliche Verhältnis zwischen Hegemonialmedien und Szene. Gut, das ist auch kein Problem, welches die Cosplayer für sich gepachtet hätten – als Gamer oder Goth weiß man ebenfalls, was einem beim Anblick von RTL– und Bild-Reportern erwartet. Aber unter den harmoniebedürftigen (und, das sollte man vielleicht auch erwähnen, zum Großteil sehr jungen) Cosplayern ist das Misstrauen gegenüber der medialen Berichterstattung spätestens seit Jonathan H. neu gewachsen.

Cake an Mr Brown von Oliver Sieber, Queens NY 2007

Händchenhaltendes Pärchen auf einer Straße. Er (?) mit Teddykopf, sie im Lolita-Style
„Cake and Mr Brown“ von Oliver Sieber, Queens NY 2007

Verlassen

Ob es nun daran liegt oder ob ich einfach zu viel hineininterpretiere: In den letzten Jahren, in denen ich nach einer mehrjährigen Pause wieder etwas mehr mit der Szene zu tun hatte, ist mir aufgefallen, dass zumindest in Teilen der Szene ein Trend dahingehend besteht, den öffentlichen Raum zu verlassen. Manche Veranstalter geben zudem Leitfäden heraus, wie mit Medienvertretern oder Fotografen umgegangen werden soll oder raten inzwischen dazu, sich besser erst auf dem Event umzuziehen.

Verändern

Die Frankfurter Buchmesse dieses Jahr als Cosplayer zu besuchen, war irgendwie aufschlussreich. Es war kein „daheim sein“ wie auf dem BuCon oder auch der RPC. Es war mehr ein „dabei sein“, manchmal auch ein „fremd sein“ auf zwei Arten. Es hat Spaß gemacht. Aber obwohl ich noch viele Ideen habe, die ich gerne umsetzen würde, frage ich mich, ob es nicht mein letzter Ausflug als Cosplayerin war.***** Ich hab mich verändert, die Szene hat sich verändert und war wahrscheinlich auch nie so, wie ich sie mir gedacht habe. Das ist alles okay so. Aber irgendwie auch schade.


*Leider fanden diese schwarz-goldenen Zeiten zumindest in meinem Soziotop mit der Rückkehr des Emoismus ein jähes Ende. Emo machte das Seltsamsein seltsam.
** Mit Verkauf des Koblenzer Schlossgeländes musste die AniMagic leider nach Bonn auswandern. 🙁
*** Ist inzwischen nicht mehr so.
**** Soweit ich das beurteilen kann, ist die Problematik dort auch weitgreifender. Aber dazu wollte ich auch einen eigenen Artikel machen … irgendwann …
***** Zumal er wie schon 2012 so einen leichten Touch von Halbherzigkeit hatte.

Quellen:
Verwendung der beiden Fotos von Oliver Sieber mit freundlicher Genehmigung des Fotografen. Aktuell sind sie im Rahmen der Ausstellung „Ego Update“ in Düsseldorf zu sehen. [Edit 2021: Bis 12. September 2021 sind Siebers Werke Teil der „Dress Code„-Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn.]

[Text unter CC BY-ND 3.0 DE]