Maiansichten 2016
Endlich: Die Phantastik ist wieder dämonisch!
Hattest du in letzter Zeit immer seltener das Gefühl, mit deinen Lesevorlieben anecken zu können? Vermisst du die „Oh Gott, Fantasy“-Ausrufe, das Naserümpfen, das Hervorholen des hölzernen Kreuzes? Mit anderen Worten – hat der Fantasy-Trend den Underdog in dir verletzt?
In diesem Fall dürfte es Salbei für deine Seele gewesen sein, dass sich ein britischer Schuldirektor im Mai mit der üblichen christlich vermurksten Rhetorik anschickte, diverse phantastische Werke von „Der Herr der Ringe“ bis „Die Tribute von Panem“ als psychisch schädlich für Kinder, ja sogar als „demonic“ zu betrachten. Wie viel besser sei da doch Shakespeare. Klar, bei dem wird gemordet, verraten und vergewaltigt, was das Zeug hält, aber hey – seine Werke sind Klassiker!
Allerdings, wo man sich vor einigen Jahren noch relativ ausführlich mit solchen Vorwürfen auseinandersetzte, werden sie heute quer durch die meisten Hegemonialmedien eher belächelt, mindestens aber kritisiert. Kein Grund also für den unter Mangel-Unterdrückung leidenden Phantasten, empört aufzubegehren – die Hegemonialgesellschaft hat ihm das schon abgenommen.
Der GoT der Verstandlosen?
Weil die Diskussionen in diesem Fall also mangels Gegenmeinung auf Facebook ziemlich unspektakulär verliefen, versuchte die eine oder andere Szeneseite, ein neues Feindbild auszumachen und fand es scheinbar in einem Zeit-Artikel von Shida Bazyar. Bei dem heißt es schon im Teaser: „Wer ein bisschen Verstand hat, sollte „Game of Thrones“ nicht mögen.“ Das klingt doch nach einem gefundenen Fressen! Noch dazu, weil es um die moderne Bibel des Phantasten geht, die auch hier die Unterscheidung zwischen U- und E-Literatur salonfähig gemacht hat. Dumm nur: Hinter dem vielversprechenden Teaser verbirgt sich ein ziemlich gelungener Artikel.* Natürlich bleibt vieles ungesagt und der Blick auf die Serie bei aller Liebe zu ihr sehr kritisch-einseitig. Aber andererseits – mehr kritische Denke gegenüber diesem GoT würde den meisten Phantasten auch nicht schaden.
Kehren wir lieber vor den eigenen Türen
Es waren im Mai also offenbar nicht die Hegemonialmedien, gegen die der Phanta-Underdog guten Gewissens aufbegehren konnte. Ist auch nicht nötig, verbergen sich doch in seinen eigenen Reihen genug Baustellen.
Das wird spätestens dann ersichtlich, wenn Gender- oder Diversity-Debatten die Branche erreichen. Zuletzt war es hier die Science Fiction-Riege, die im negativen Sinne von sich reden machte, weil sie offenbar fürchtet, ihre schöne, heile Militarywelt an eine diversere und womöglich komplexere Genre-Entwicklung zu verlieren. Auf den ersten Blick wirkt das als ein sehr amerikanisches Problem, da es sich an Hugo Award und Ann Leckies Jury-Erfolge knüpft. Wer sich durch Artikel gewisser Fanzines, durch Foren und Facebook-Gruppen liest, wird aber schnell feststellen, dass es auch hierzulande einen Kern … „konservativer“ Phantasten gibt, für die schon eine homosexuelle Hauptfigur zu viel der political correctness ist.
Auch wenn wir hier nur von einer Minderheit sprechen, finde ich das einigermaßen erbärmlich. Ist nicht eigentlich gerade die (weitläufige) Science Fiction DAS Genre, das nicht nur technischen, sondern auch gesellschaftlichen Vordenkern ein Forum bieten will? Traurig, wenn es sich in solchen Momenten stattdessen in seinen eigenen Pulp-Klischees zu verlieren droht.
Ein Hauch von Optimismus
Aber vielleicht tut es das ja gar nicht. Zumindest zeigt sich Markus Mäurer gerade in Sachen Sci Fi relativ optimistisch, nachdem er in den letzten Wochen unermüdlich die Phantastik-Programme der deutschen Publikumsverlage durchgeackert hat. Nicht nur sieht er generell ein Widererstarken des Genres, nun, da die Fantasy ziemlich „abgegrast“ ist.** Er hofft sogar auf eine Phase der „vielseitigeren, anspruchsvolleren und originelleren“ Stoffe. Nur bei der Sache mit den Autorinnen herrscht offenbar weiter Nachholbedarf. Trotzdem – auch hier gibt es Hoffnung. Mit etwas Glück sogar außerhalb des obligatorischen Romantasy-Blas.
#DontgiveElsaaboyorgirlfriend
Wo wir gerade wieder bei Diversität angelangt sind, beenden wir diese Monatsansichten doch mit der Debatte, die sich im Mai rund um #GiveElsaAGirlfriend entzündet hat. Unter dem Hashtag forderten Twitteraner, Disney-Eiskönigin Elsa möge in ihrem unvermeidlichen Sequel bitte keinen Traumprinzen, sondern eine Traumprinzessin abbekommen. Und wenn wir gerade dabei sind, könnte Captain America doch auch noch offiziell bisexuell werden (#GiveCaptainAmericaABoyfriend).
Was ich davon halte, kann man bei der Zeitzeugin in den Kommentaren nachlesen, aber ich wiederhole mich gerne: Mehr (in diesem Falle sexuelle) Vielfalt bei Disney-Prinzessinnen und Marvel-Helden? An für sich gerne. Aber wie wär’s, wenn wir eine Disney-Dame einfach mal über was anderes als Beziehungen definieren? *** Bisher hat das bei Elsa prima funktioniert. Was sie im Sequel mit ihr anstellen, ist Sache der Produzenten und Drehbuchautoren. Aber wenn sie sich einen Gefallen tun wollen, lassen sie sie einfach so, wie sie ist. Sie ist bereits anders – niemandem wäre damit geholfen, wenn man jetzt ankäme und sagen würde „Oh, Elsa ist so krass anders und emanzipiert, deshalb muss sie jetzt auch noch unbedingt lesbisch sein!“ Das würde nur wiederum Klischees bedienen. Warum nicht stattdessen einfach offen lassen, ob sie auf Männer, Frauen, Sternschnuppen oder schlicht gar nichts steht? Beziehungsdiversität besteht aus mehr als hetero, homo und bi.
Einer meiner Lieblings-Disneyfilme ist übrigens „Cap und Capper“. Einer der wenigen Filme, in dem eine Freundschaft nicht irgendwann durch eine Liebesbeziehung abgewertet wird. Mensch, ich will mehr Zeuch, in dem es um freundschaftliche Beziehungen geht. Vielleicht sollte ich einen Hashtag starten.
Danke für eure Aufmerksamkeit.
P. S.: Role Play Convention und Colonia Con haben stattgefunden. Am selben Wochenende. In derselben Stadt. *seufz*
P. S. 2: Hab ’ne neue Veröffentlichung. Bitte kaufen. Euer Geld macht mich immer noch glücklich.
P. S. 3: Feder & Schwert gehören jetzt zum Uhrwerk Verlag.
* Was nicht besonders verwunderlich ist. Ob Süddeutsche, Zeit oder Spiegel – die Redaktionen diverser Zeitungen rekrutieren sich offenbar seit neuestem aus „GoT“-Fanforen.
** Wobei ich nicht nachvollziehen kann, warum er die Jugenddystopien unter Fantasy fasst. Für mich zählen zumindest die modernen Klassiker klar selbst zur Science Fiction. Siehe auch den bereits verlinkten 8 Tribes-Artikel.
*** Ich würde ja jetzt auch noch einmal den Marvel-Held nennen, aber bei dem ist der Zug eh schon abgefahren.
„** Wobei ich nicht nachvollziehen kann, warum er die Jugenddystopien unter Fantasy fasst. Für mich zählen zumindest die modernen Klassiker klar selbst zur Science Fiction.“
Jugendystopien zähle ich nicht zur Fantasy. Ist für mich eindeutig Science Fiction, kommt in meiner Aufzählung aber wohl missverständlich rüber.
Achso, ok. Ja, dann hab ich dich da missverstanden, tut mir leid 🙂
Nee, das war von mir missverständlich formuliert: Völkerfantasy, Vamire, Jugenddystopien – und dann der Schwenk zur Science Fiction.
War mir gar nicht aufgefellen.
Ich muss allerdings gestehen, dass ich so meine Zweifel habe, ob Shida Bazyar »Game of Thrones« regelmäßig und am Stück verfolgt (Stichwort „goldener Thron“). Wenn man nur gelegentlich mal in einzelne Folgen reinschaut, dann wirkt das alles natürlich nur wie ein hirnloser Reigen an Sex, Gewalt und Völlerei, folgt man der Serie aber über mehrere Staffeln, merkt man, dass unter der rauen und teilweise durchaus plakativen Oberfläche einiges an Subtilität und Tiefgang angeht, zum Beispiel in Bezug auf die Dynamik von Macht und Herrschaft. Gerade in der aktuellen Staffel sehr schön am Beispiel von der Verzahnung von Macht und Religion am Beispiel des perfide manipulierenden High Sparrow in seinem grauen Büßergewand zu sehen. Man kann diese Serie durchaus auch mit einem kritischen Gehirn ansehen und genießen, ohne aber alles an ihr toll zu finden.
Und der Netflix-Account lohnt sich schon allein wegen der großartigen Serie »Master of None« von Aziz Ansari, der die Themen Diversität und Diskreminierung in Film und Serie auf urkomische und sehr kontroverse Weise meisterhaft behandelt. 😉
Deshalb der Hinweis zur Einseitigkeit. Aber auch in der Szene bzw. unter den GoT-Fans wird die Serie sehr einseitig betrachtet.
Klar hat sie ihre Stärken. Man braucht nur mal eine Folge z. B. von „Agents of S.H.I.E.L.D.“ anzusehen, um sich die Komplexität von „Game of Thrones“ und dessen Figuren zurückzuwünschen. Trotzdem verlässt sich die Serie zu sehr auf ihr Sex & Gewalt-Image (wie es bei den Büchern ist, weiß ich nicht). Das wäre schlicht nicht nötig. Und auch inhaltlich kann man einiges kritisch betrachten, beispielsweise das Verhältnis zwischen Daenerys und den Dothraki.
Wie immer gut.
Danke =)
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