Ist Fantasy rassistisch?

10. April 2015 6 Von FragmentAnsichten

Ist Fantasy rassistisch?

Bereits im Februar hatte Florian Born sich auf Phanwelten im Rahmen einer Blog-Parade der Frage gewidmet, ob Fantasy rassistisch sei. Bereits im Februar hatte ich vor, dazu einen Kommentar zu schreiben, aber … nun ja. Erst wurde der Kommentar zu lang für einen Kommentar, dann wollte ich einen Artikel schreiben, für den mir aber Zeit und/oder Worte gefehlt haben.

But well. Lieber spät als nie widme auch ich mich dann mal der brenzligen Frage, ob Fantasy rassistisch ist. Meine Meinung/Antwort: Nein, aber irgendwie doch, schon.

Eine super Antwort, also muss ich ausholen. Zunächst einmal: Fantasy ist nicht gleich Fantasy. Das war sie nie und unter Betrachtung all der Subgenres, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben, ist sie das inzwischen schon gar nicht mehr. Meist bezieht sich der Vorwurf auf die High Fantasy bzw. Völkerfantasy, daher fokussiere ich mich jetzt auch darauf und teile die Frage nach dem Rassismus hier in zwei Teile: Erst ein paar Worte zu werkinternem Rassismus, dann zu solchem, der explizit unsere Welt betrifft.

Metapher oder Selbstzweck?

Rassismus bezeichnet zunächst „nur“ die Annahme, dass genetisch-biologische Faktoren auch Verhaltensweisen und Eigenschaften bedingen. Und ja, diese Annahme findet man in der High Fantasy. Im englischen Sprachraum wird sogar explizit der Begriff der „race“ für Elfen, Orks und so weiter verwendet, wo im Deutschen aus naheliegenden Gründen die Bezeichnung Volk üblich ist. Und jede dieser races ist typischerweise mit charakteristischen Eigenschaften behaftet – Elfen neigen zu Dekadenz und schätzen die ästhetische Kontemplation, Orks sind von Natur aus gewalttätig und nicht ganz helle im Kopf, Zwerge stehen auf Äxte und Bergarbeit und so weiter. Soziokulturelle Faktoren spielen dabei auch eine Rolle, aber nicht nur. In vielen Fantasy-Romanen tauchen Außenseiter auf, Ausnahmen, die der Norm nicht entsprechen. Aber sie sind eben nur Ausnahmen, genetische oder göttlich gewollte Ausreißer, und nicht selten neigen sie zu „Rückfällen“ in Volksschemata, wenn sich ihr dunkles Erbe meldet oder so ein Kram.

Allerdings wäre ich hier trotzdem vorsichtig, per se den Begriff des Rassismus zu verwenden. Vor allem spielt für mich bei der Beurteilung eine Rolle, welchen Zweck die races haben. Haben sie einen Selbstzweck, um für klare Gut/Böse-Einteilungen zu sorgen? Oder steht dahinter eher der Versuch, die Facetten menschlicher Identität zu versinnbildlichen? In zweiterem Falle würde ich nur von einer sehr vagen Form des Rassismus sprechen, wenn überhaupt. Wenn sich beispielsweise ein Mensch in einen Vampir verwandelt, dann steht diese Daseinsform normalerweise für das Dunkle, Triebhafte im Menschen. Und nicht in den Vampiren als Volk oder gar „Rasse“, die hier mehr als Platzhalter fungieren.*

Allzu realer Rassismus

Die Form des werkinternen Rassismus findet sich in vielen (High) Fantasy-Romanen, wobei das Thema oft gerade mit der Überwindung von Vorurteilen verknüpft wird. Das prominenteste Beispiel dafür sind wohl Legolas und Gimli. Allerdings, mit Der Herr der Ringe sind wir auch beim zweiten Teil: Finden sich in der Fantasy rassistische Tendenzen, die explizit auf unsere Welt verweisen?

Nun, natürlich finden die sich! Leider finden sie sich in wahrscheinlich so ziemlich jedem Genre (ebenso wie z.B. Sexismus). In der Fantasy mit ihrer werkinterne Einteilung in verschiedene humanoide „Rassen“ ist der Vorwurf aber umso naheliegender, wahrscheinlich auch durch populäre Negativbeispiele.

Womit wir wieder bei Tolkien sind. Ja, er hat Legolas und Gimli. Aber in Der Herr der Ringe finden sich zugleich einige Elemente, die man leicht als kolonialistischen Rassismus begreifen kann, siehe dazu den Essay „Bekanntes verwenden, um Fremdheit und Gefahr darzustellen. Rassismus in und durch Der Herr der Ringe“ von Alexander Thattamannil-Klug (Link).

Mit Tolkien hat diese Tradition nicht angefangen, aber auch keineswegs geendet, in späteren High-Fantasy-Werken finden sich ebenso entsprechende Elemente. Was wahrscheinlich in den meisten Fällen nicht mal böse Absicht ist, aber das Erbe einer Tradition, die kolonialistisch-rassistische Motive mit sich bringt und erst relativ spät hinterfragt wurde. Beispielsweise werden Wüsten- oder Steppenvölker oft als „Barbaren“ bezeichnet. Nachdem ich in einem Forum mal darauf aufmerksam gemacht hatte, hieß es, dahinter verberge sich kein Rassismus, weil die Völker das als Eigenbezeichnung verwenden. Das macht es in meinen Augen allerdings nicht besser, im Gegenteil. In solchen Momenten wird einfach sehr deutlich, dass Fantasy (oder zumindest die populäre angolamerikanische und in deren Tradition stehende Fantasyliteratur) ein sehr „weißes“ Phänomen ist.

Dass in der Drachenlanze-Saga die Barbarenheldin Goldmond ausgerechnet deshalb positiv hervorsticht, weil sie blonde Haare und blaue Augen hat, finde ich ebenfalls bezeichnend. Oder dass das populärste dunkelhäutige Fantasy-Volk – die Drow – seine Hautfarbe (angeblich?) als Strafe erhalten hat. Oder dass in Das Lied von Eis und Feuer eine sehr weiße Daenerys braucht, um die Sklaverei abzuschaffen. All das sind Elemente, die man getrost kritisch betrachten darf.

Fazit

Um es also sehr kurz herunterzubrechen: Fantasy ist nicht unbedingt rassistischer als andere Genres, beinhaltet aber zweifellos rassisische und vor allem kolonialistische Elemente. Immerhin: In den letzten Jahrzehnten hat dafür eine Sensibilisierung eingesetzt.

In anderen Ländern oder Sprachräumen mag das aber anders aussehen. Wenn ich mir englischsprachige Diskussionen durchlese, kommt es mir vor, als polarisiere die Rassismus-Debatte dort deutlich stärker. Zudem kommt z.B. bei US-amerikanischer Fantasyliteratur noch die Frage des Nationalismus hinzu, die ich hier ausgeklammert habe.

[Edit: 2020 lese ich diesen Text noch mal durch und es ist krass, wie sich die Diskussion in Deutschland seither verändert hat. Positiv ist, dass sie heute viel stärker geführt wird, gerade auch durch Beiträge Betroffener. Negativ allerdings, dass das bei vielen zugleich zu einer starken Abwehrhaltung geführt hat. Die Sensibilisierung, die ich hier noch so lobe, hat zugleich zu- als auch abgenommen.]


*Gleichwohl besteht die Gefahr, dass bewusst oder unbewusst auf rassistische Klischees zurückgegriffen wird, um Bilder des (oft negativ konnotierten) Fremden zu erzeugen.

[Text unter CC BY ND]