Herbstansichten 2025

Herbstansichten 2025

Meermänner und un-forgotten Creatures, Steampunk und Solarpunk, Fanfiction und vergebene Auszeichnungen, Manifeste und SF-Tourismus u. v. m.

Während die spooky season sonnig in die cozy season übergeht, nutze ich den Moment für den Rückblick auf die vergangenen drei Monate Phantastikszene – oder was ich davon mitbekommen habe.

Meermänner und (un-)vergessene Kreaturen: Gute Portrait-Zeiten

Für die Repräsentation nach außen war es eine gute Zeit. SWR Kultur hat sich der Dark Academia angenommen, im ZDF-Fernsehgarten wurde Steampunk präsentiert (ab ca. 01:15:00), Aiki Mira hat u. a. die FAZ und den Tagesspiegel beschäftigt[1], Zeit.de ein Meermann-Portrait geliefert und der HR Florian Schäfers Forgotten Creatures gleich eine 45-minütige (sehr sehenswerte!) Doku nebst Tagesschau-Artikel spendiert.

Und tagesaktuell sei darauf hingewiesen, dass ab morgen, dem 6. November, die ARD Hörspieltage laufen – mit Science-Fiction-Schwerpunkt!

Manifestierte Murmeltier-Abgründe

Intern lief’s konfliktreicher. Insbesondere galt das, nachdem ein Aktionsbündnis Fantastik und Gesellschaft sein „Wuppertaler Manifest“[2] in die Weiten des Netzes ausgeworfen hatte. Wobei diese Weiten vermutlich recht beschränkt geblieben wären, hätte dieses Manifest nicht ein Feindbild entworfen, das darauf via Social Media reagiert bzw. sich zur Wehr gesetzt hat. Verkürzt gesagt haben sich die Unterzeichnenden gegen queer-progressive Stimmen in der Phantastik und deren vermeintliche Einflussnahme ausgesprochen. Ok, ich glaube, es war von „Gender-Extremisten“ die Rede. Nachlesen kann man’s nicht mehr, die Seite ist vom Netz. Ob man überrascht war von der Gegenwehr? Unwahrscheinlich, war es doch die „Empörungsindustrie“, gegen die sich das Manifestchen ausgesprochen hat. Allerdings scheint manchen auch nicht ganz klar gewesen zu sein, was sie da eigentlich unterzeichnen, so interpretiere ich zumindest eine im Nachgang veröffentlichte Stellungnahme der Exodus.

Dass irgendwas noch kommen würde, ließ sich erahnen, wenn man die Diskussionen um die vom Kurd Laßwitz Preis 2025 ausgeschlossene Kemmler-Grafik ein wenig verfolgt hat. Dass die Unterzeichnenden des Textes (eigentlich wenig Lust, das als „Manifest“ zu adeln) hinter dieser schlichten Jury-Entscheidung nun aber offenbar wieder eine woke Szene-Verschwörung sehen, ist schon ein wilder Move.[3]

Trotzdem überrascht mich das wiederum weniger als die Überraschung, mit der manche auf die Veröffentlichung reagiert haben. Leute so „jetzt kommen die Sad Puppies auch bei uns an“ – nee, die sind schon lange da. Bei p.machinery ist z. B. 2018 mit „Weiberwelten“ eine Anthologie mit dem vorangestellten Giordano-Zitat „Feminismus ist Faschismus für Feiglinge“ erschienen. Und habt ihr denn die Alt-Nova-Diskussion aus 2021 verpasst? Ihr müsst meinen Blog aufmerksamer lesen!

Kürzlich habe ich tatsächlich mal einen Podcast entdeckt, den ich gerne höre: In „Fuck you very, very much“ berichten Jennifer Weist und Markus Kavka über die größten Beefs der Musikgeschichte. Sowas sollten wir auch über die deutschsprachige Phantastikszene machen, ich hätte da ein paar Themenvorschläge:

  • Heicon 70: Beef gab‘s schon vor Twitter
  • John Asht vs. The Bloggerverse
  • Die Nova-Akten 1 bis … wo sind wir inzwischen, 4?[4]

Heut kopier ich, morgen inspirier ich

Andere Subszenen sind einander derweil ebenfalls nicht grün. Da ich voll damit ausgelastet bin, mit Popcorn vor SF-Foren zu sitzen, dauert es immer eine Weile, bis die Bookstagram-Auseinandersetzungen bei mir ankommen. Z. B. jene um die Frage, was Fanfiction darf oder was nicht. Ich bin hier entsprechend nicht so tief drin, aber im Wesentlichen scheint mir diese Diskussion drei Dimensionen zu haben (die Reihenfolge ist variabel):

Erstens geht‘s – oft – um die Frage, wie viel Daseinsberechtigung man der Romantasy einräumt. Mein zwiespältiges Verhältnis zu dieser habe ich an diversen Stellen erörtert, z. B. in einem Blogbeitrag aus 2020. Kurz gesagt: Ich finde vieles daran schwierig, aber die Romantasy ist ein Subgenre wie alle anderen und bedeutet nicht zuletzt eine Einstiegschance für Autorinnen auf dem Buchmarkt.

Zweitens geht es um urheberrechtliche Fragen. An dem Punkt bin ich vielleicht zu naiv, aber ich sehe größere Krisen fürs Urheberrecht als Fanfiction oder ,bereinigte‘ Fanfiction. All die kleinen Urheberrechtsverletzungen im Netz – die Screenshots von Pinterest-Boards ohne Urhebendenangaben, das Teilen von Bildchen Marke „Künstler leider unbekannt“, die Wiedergabe von *räusper* Blogbeiträgen oder Artikeln ohne Quellenverweise, der ewige Verweis auf die in Deutschland nicht zum Tragen kommende Fair-Use-Regelung, … Das alles hat das Urheberrecht in eine krasse Krise getrieben. Wozu es kürzlich übrigens auch einen interessanten Artikel namens „Die Erosion der Quellenkultur“ gab. Fanfiction, die ihre Inspiration angibt, ist demgegenüber doch der Himmel auf Erden. (Btw., es gibt doch locker schon „Alchemised“-Fanfiction, d. H. Metafanfiction? OMG, what a time to be alive!)

Und drittens haben Unternehmen eine subversive Bewegung und deren Kapitalpotenzial für sich entdeckt, also …

… genauso wie im Solarpunk.

Nach dem Hype die Reflexion

Über den hab ich im jüngst bei Hirnkost erschienen „Science Fiction Jahr 2025“ mal wieder einen Artikel verfasst („Solarpunk im Wandel der Zeiten“). Auch hier hat‘s ein Manifest, das der Sache meines Erachtens zwar zu mehr Bekanntheit, aber nicht zu mehr Innovationskraft verholfen hat. Jetzt ist alles Solarpunk, was irgendwie hell und glänzend und grün ist. Ein Möglichkeitsraum, aber ästhetisch überladen. Ästhetiken verkaufen sich schließlich gut. Besser jedenfalls als eine Wassermühle für den Hausgebrauch. Nehme ich zumindest an; ich habe keine Ahnung, wie die aktuellen Wassermühlen-Aktien stehen.

Anyway. Eigentlich war mein Plan, im SF Jahr über die aktuelle Lage in Sachen Solarpunk zu schreiben, denn eine Vorstellung der Bewegung hatte Wenzel Mehnert bereits vor vier Jahren an selber Stelle vorgenommen. Aber ohne Einführung ging‘s dann doch wieder nicht. Die Entwicklung ist schließlich nicht unerheblich für den Blick auf den Status Quo und ich kann nicht voraussetzen, dass alle Lesenden sie schon kennen. Trotzdem ging es mir dieses Mal stärker darum, welche internen Konflikte bestehen, wie unterschiedlich Solarpunk interpretiert wird und dass der Gedanke von Solarpunk mehr umfassen sollte als die (KI-)gefällige ästhetische Seite.

Allerdings, allerdings, und damit zurück zur Fanfiction: Die Popularität mag den Solarpunk klischeebeladener gemacht haben, dadurch leichter zu vereinnahmen. Aber im Kern wurden durch diese Entwicklungen zugleich Reflexionen angestoßen, die ihn wachsen lassen. Bezogen auf Fanfiction könnte ich mir vorstellen, dass es hier ähnlich ist. Ich beobachte diese Szene nicht, aber würde ich es tun, wär ich jetzt hibbelig angesichts der neuen Dimensionen, die sich auftun. Neue Szene-Rituale! Neue identitätsstiftende Ereignisse! Eine neue Generation, die sich nach den wilden Zeiten zurücksehnt, als Legolas-Gimli-Fanfic(k) noch Innovation statt Kanon war.

Reise, Reise, Raumschiffreise

Gut, reden wir über potenziell harmlosere Dinge. Über Reisen zum Beispiel. Vor einiger Zeit habe ich mir ein Buch über Tourismus in der Science Fiction besorgt („Science Fiction, Disruption and Tourism“). Bis ich dazu komme, das zu lesen, bietet ein thematisch entsprechender Beitrag von Uwe Post auf TOR Online eine erste Anregung.

Und wer Anregungen für den eigenen Urlaub möchte, dem geben vielleicht die Bücher aus meinem Beitrag über in Paris angesiedelte Fantasyromane Idee und Anreiz. In Paris angesiedelte Science Fiction gibt es übrigens auch, und die ist oft sehr noir. Das finde ich insofern spannend, weil es dem romantischen Klischee widerspricht, das von deutschsprachigen – oder sagen wir, nicht-französischen – Schreibenden bevorzugt wird. Wobei es wohl nur logisch ist, wenn heimische Schreibende ihre Städte differenzierter betrachten als auswärtige Kolleg*innen.

Fun and Games

Ehe wir diese Herbstansichten beschließen, sei auf die anhaltende Award-Saison hingewiesen: Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse wurden die diesjährigen PAN-Stipendien an Jules B. Asches (Bestes Debüt), Nele Sickel (Bester Roman), Junipa Green (Bester Kinder- und Jugendroman), und Anna Hager (Cozy Fantasy) vergeben. Auf dem BuCon wiederum haben offiziell Gabriele Behrend (Beste Kurzgeschichte) und Ralph Alexander Neumüller (Bester Roman) den DSFP 2025 erhalten.[5] 

Und dann noch eine Werbung in eigener Sache: Am Sonntag, dem 16. November, nehme ich an der Talkien-Diskussionsrunde Nr. 31 zu GameLit und LitRPGs teil. Mit an Bord sind neben den Moderatoren (Frederik Brake und Thorsten Küper) Swen Harder, Lew Marschall und Aki Alexandra Nofftz. 20 Uhr geht‘s los auf dem YouTube-Kanal vom Kueperpunk. Freue mich, wenn ihr vorbeischaut“


[1] Die Jahreszeiten-Ansichten speisen sich ja immer aus Notizen, die ich mir im Laufe der Zeit mache. Die Notiz zu Aiki Miras Interviews war „Tagesspiegel, Hörspieltage, dunno, Aiki Mira ist überall“.

[2] Das hat Wuppertal nicht verdient. Davon ab: Wann hat ein Manifest eine Sache eigentlich je besser gemacht?

[3] Dass die Initiator*innen dieses Aktionsbündnisses offenbar in allem die Verstrickung einer Handvoll Personen sehen, geht indes über die Dimensionen eines einfachen Szenekonflikts hinaus. Auch das war 2021 schon mal Thema; ich dachte, die Sache hätte sich inzwischen geglättet, aber offenbar reicht eine Cover-Diskussion, mit der die intern benannten Personen gar nichts zu tun hatten, aus, das alles wieder hervorzuholen.

[4] In der aktuellen Nova findet sich übrigens ein Sammel-Interview inkl. mir zu Intelligenz in der Science Fiction. Wenn das kein gutes Timing ist.

[5] Beide DSFP-Siegertitel sind übrigens bei p.machinery erschienen, was die Aufregung um Einflussnahmen auf die traditionellen SF-Preise relativieren könnte. (Unabhängig von der Qualität der Texte.)

Beitragsbild via Canva mit Icons von Victoriia Rusyn, kolonko, iconfield, Nadya, TheAnts und Magic Media (KI)

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