Bei der Schreibarbeit zu „Königsgift“

Bei der Schreibarbeit zu „Königsgift“

14. Oktober 2024 0 Von FragmentAnsichten

Wie wir mit zehn Leuten einen zusammenhängenden Roman geschrieben haben

[Vor einem Jahr ist das 10-Autor*innen-Projekt „Königsgift“ bei Edition Roter Drache erschienen. Anlässlich der Veröffentlichung sollte im Frühjahr eigentlich der nachfolgende Werkstattbericht im Rahmen der Reihe „Bei der Schreibarbeit“ in der We are bookish erscheinen. Leider kam es anders, denn das Magazin wurde kurzfristig eingestellt. Der Bericht muss deshalb aber ja nicht in der virtuellen Schublade enden, also erscheint er nun anlässlich des Geburtstags an dieser Stelle.]

Cover zu "Königsgift". Zeigt Oberkörper einer weißen blonden Frau, die eine Phiole um den Hals trägt, aus der grüner Dampf strömt

Dem Schreiben wird nachgesagt, eine einsame Tätigkeit zu sein. Oft nicht unbedingt zu Recht, denn viele Autor*innen – ob im Verlag oder Selfpublishing – haben schon während des Schreibens Kontakt zu den vielen anderen Menschen, die am Veröffentlichungsprozess teilhaben. Co-Working-Angebote und Streams sorgen zusätzlich dafür, dass man nicht vereinsamt.

Trotzdem kann man nicht leugnen, dass man bei der Entwicklung von Handlung, Figuren usw. meist erst mal auf sich selbst gestellt ist. Es sei denn, man schreibt im Team von zwei oder drei Leuten.

Oder, wie in unserem Fall, in einem Team aus zehn Leuten.

Wir, das sind Bernhard Stäber, Christian von Aster, Sonja Rüther, Fabienne Siegmund, Vincent Voss, Swantje Niemann, Christan Handel, Thilo Corzilius, Theresa Hannig und Alessandra Reß. Gemeinsam haben wir den Roman „Königsgift“ geschrieben, eine Portal-Fantasy-Erzählung über die Macht des Erzählens. Doch wie lief das Ganze ab? Und wie wurde aus unseren zehn Kapiteln ein zusammenhängender, stimmiger Roman?

Mit einer orangenen Katze fing alles an

Zurück geht das „Königsgift” auf eine Initiative von Bernhard Stäber. „Die Idee zu unserem Roman stammte von einem alten Kinderbuch mit dem Titel „Das Geheimnis der orangefarbenen Katze“, so erzählt er. „Es war von zehn Autoren aus zehn Ländern verfasst. Jeder hatte ein Kapitel geschrieben und es dann an den nächsten weitergegeben. Mich hat die Idee einer zusammenhängenden Geschichte von zehn verschiedenen AutorInnen nicht mehr losgelassen. Im Sommer 2019 beschloss ich, so ein Projekt selbst anzugehen.“

Mit dieser Grundidee im Gepäck ging es zunächst an die Auswahl der weiteren vier Autoren und fünf Autorinnen. Als Erstes mit an Bord war Christian von Aster. Nachdem Bernhard die Handlung eröffnet und Protagonist Anders in die Welt Karran geführt hatte, brachte Christian das Element des weisungsgebenden Königsgifts ein.

Danach wurde das Buch kapitelweise an die jeweils nächsten weitergereicht, wobei die Vorgaben sehr offen waren – an uns Nachfolgende bestand lediglich die Erwartung, die Handlung stimmig fortzuführen und das eigene Schreib-Ego ein Stück weit zurückzustellen. Bei Gemeinschaftsarbeiten – ob es dabei nun um geteilte Universen geht oder z. B. um die Arbeit im Writer’s Room für Fernseh- oder Hörbuchserien – ist es wichtig, die Balance zu finden zwischen eigenem Stil bzw. Geschmack und den Anforderungen an die Geschichte.

In der Fantasy zu Hause

Die ersten Kapitelautor*innen – neben Bernhard und Christian waren das Fabienne Siegmund und Sonja Rüther – haben neben dem Subgenre schnell einen märchenhaften, stellenweise melancholischen Stil mit Geschichten innerhalb der Geschichte etabliert.

Trotzdem scheinen bei allen immer auch die eigenen Vorlieben und Ausrichtungen durch: Wir schreiben in sehr verschiedenen Subgenres, für längst nicht alle von uns ist Portal Fantasy die Regel. Vincent Voss beispielsweise, der Autor von Kapitel 5, ist vielen durch seine Veröffentlichungen im Bereich Horror ein Begriff – und war durchaus überrascht, angefragt zu werden: „Tja, erst einmal habe ich mich sehr geehrt gefühlt, bei einem so tollen Projekt mit dabei sein zu dürfen. Und dann habe ich mich gefragt: Warum denn eigentlich ich? Kann ja nur sein, weil man Böses von mir erwartet. Tatsächlich gab es dazu Andeutungen, aber noch nichts Konkretes und so kam mir die tragische Figur von etwas Bösem, das in einem Fantasy-Setting funktioniert.“ Prompt gelangte mit Vincent der Schattenjäger in die Handlung, eine ambivalente Antagonistenfigur.

Als ich (Alessandra) nach Vincent an der Reihe war, habe ich vor allem versucht, die vorherigen Kapitel und Figuren – die in zwei verschiedenen Welten gespielt und agiert haben – zu verbinden. Danach war ich gespannt, was meine Nachfolgerin Swantje Niemann aus den Elementen machen würde, die ich ihr vorgesetzt hatte – zu schauen, wie sich das Eigene weiterentwickelt, macht immer einen großen Reiz an gemeinsamen Schreibprojekten aus.

Nach Swantje kamen Christian Handel, Thilo Corzilius und Theresa Hannig an die Reihe. Vor Thilo und Theresa lag dabei die große Herausforderung, alle bis dahin aufgetauchten losen Fäden zusammenzuführen und zu einem stimmigen Ende zu bringen.

„Immer wenn es ein neues Kapitel gab, habe ich den Text nochmal gelesen und hatte so mit der Zeit ein recht gutes Gefühl für die Geschichte und die Figuren“, so beschreibt Theresa, wie sie beim Finale vorgegangen ist. „Am Ende musste ich dann aber doch zwei Wochen lang vor mich hin brüten und die Ideen in meinem Kopf sortieren, bevor ich endlich wusste, wie die Geschichte endet. Dann habe ich das letzte Kapitel an einem Tag fertig geschrieben.“

Mit Theresas Kapitel war das Werk geschafft.

Nach der Schreibarbeit

Fürs Erste zumindest. Denn klassischerweise fängt die Arbeit erst richtig an, wenn das letzte Wort geschrieben ist und die Überarbeitungen anstehen. Bei uns hat Swantje die Aufgabe übernommen, als Erste das komplette Manuskript einmal durchzugehen und etwaige Unstimmigkeiten anzumerken.

Danach haben wir uns auf Verlagssuche begeben und mit Edition Roter Drache bald ein experimentierfreudiges Heim für das „Königsgift“ gefunden. Mitte Oktober 2023 ist dort unser Roman im Print erschienen, eine E-Book-Version ist inzwischen ebenfalls verfügbar.

Das Schreiben und Veröffentlichen – in diesem Fall war es kein einsamer Prozess.

6 Autoren und Autorinnen halten vor einem Stand der "Edition Roter Drache" das Buch "Königsgift" hoch. In der Mitte Fabienne Siegmund, rechts von ihr Vincent Voss und Alessandra Ress. Links Theresa Hannig, Bernhard Stäber und etwas verdeckt Swantje Niemann
Gruppenbild zum „Königsgift“ auf dem BuCon 2023. (Leider etwas verdeckt) Swantje Niemann, Bernhard Stäber, Theresa Hannig, Fabienne Siegmund, Vincent Voss und ich. Und Tom Daut im Hintergrund.