[Netztipp] Übersetzung von Figurennamen …
… in den türkischen Versionen von „Gormenghast“
Es ist mal wieder an der Zeit für einen Netztipp außerhalb der Reihe (zu alt für die Monatsansichten, zu viel zu sagen für Mastodon oder Instagram): Auf der Suche nach einem anderen Text bin ich zufällig auf den Artikel „Translating Character Names in Fantasy Literature: A Study of the Turkish Translation of Invented Names in Mervyn Peake’s Gormenghast Triology“ (2022) von Naile Sarmaşık gestoßen, unter CC BY veröffentlicht im Fachmagazin „Names. A Journal of Onomastics“.
Wie der Titel schon sagt, stellt die Autorin hierin eine Studie vor, wie Namen in Fantasyromanen, speziell in der (posthum zu vier Bänden erweiterten) Gormenghast-Reihe, ins Türkische übersetzt werden. Gormenghast ist insofern ein interessantes Beispiel, da hier offenbar eine Reihe erfundener Namen auftauchen, die u. a. eine Foreshadowing-Funktion erfüllen oder allgemein zur grotesken Atmosphäre der Bücher beitragen.
In Anlehnung an Theo Hermans benennt Sarmaşık vier grundsätzliche Möglichkeiten, Namen in Übersetzungen zu übertragen: copying (Namen werden wie im Original übernommen), transcribing (Aussprache und Schreibweise werden der Sprache angepasst, in die übersetzt wird), substituting (der Name wird ersetzt) und translating (der Name und seine Bedeutung werden ersetzt/angepasst).
In Orientierung daran hat sich Sarmaşık zwei türkische Gormenghast-Übersetzungen vorgenommen. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind beide von Dost Körpe, jedoch in verschiedenen Verlagen veröffentlicht.
Nach Sarmaşık hat die Gormenghast-Trilogie 99 Figurennamen, 85 davon sind erfunden (das schließt Namen wie The Thing oder The Black Rose ein). Davon wurden lediglich acht übersetzt (translated) und zwei ersetzt (substituted), was zur Folge hat, dass die symbolhafte Bedeutung vieler Namen durch den Mangel an angepassten Alternativen verloren geht. Z. B. gilt das für die Figur des Lord Sepulchrave, dessen Name auf Englisch aus sepulcher, grave und crave zusammengesetzt wird.
In manchen Fällen wurden die Namen selbst zwar nicht übersetzt, wohl aber deren Spitznamen oder angelehnte Wortspiele. So bleibt Deadyawn einerseits Deadyawn, sein Spitzname The Yawner wird andererseits bedeutungsgetreu zu esneyici. Die Verbindung ist entsprechend nur Lesenden ersichtlich, die sowohl Englisch als auch Türkisch sprechen.
Andere Übersetzungsentscheidungen hebt Sarmaşık hingegen positiv hervor; so wird die Figur The Thing zu yaratık, was darauf verweist, dass es sich bei dem „Ding“ um eine Person oder zumindest ein lebendes Wesen handelt (ähnlich wie bei „Kreatur“). Der Student „Slogger“ wiederum wird zu İnek, was sich sowohl mit „Kuh“ als auch mit „Nerd“ übersetzen lässt. Und die Figur Anchor (=Anker) heißt auf Türkisch liman, was Teil einer Phrase ist, die sich auf Deutsch als „sicherer Hafen“ wiedergeben lässt. Im Originaltext von Sarmaşık (oben verlinkt) findet ihr noch viele weitere Beispiele.
Dass insgesamt dennoch so wenige Namen bedeutungsgerecht übersetzt werden, führt Sarmaşık auf Übersetzungstrends in der türkischen Fantasy, aber auch auf deren schwachen Stand zurück: 2020 entfielen nur knapp 2 % der türkischsprachigen Neuveröffentlichungen in der Erwachsenen-Belletristik auf Fantasy und Science Fiction.*
Ich habe mich mit dem Thema der Übersetzungen nie im Detail beschäftigt, finde es aus Lesendensicht aber sehr spannend. Viele meiner Bekannten lesen inzwischen nur noch englische Originaltitel, ich setze bei Prosa nach wie vor lieber auf Übersetzungen. Dabei begegnen mir immer mal Figuren, bei denen ich mich frage, ob sie im Original anders heißen. Z. B. hatte ich bei Salvatore Schick, dem Antagonisten der Mitternachtszirkus-Reihe, darauf getippt, dass er im Original Desther Tiny genannt wird und lag damit nicht so falsch: Er heißt Desmond Tiny.
Bei Diskussionen über strittige Übersetzungen bin ich meist pro-Übersetzung. Z. B. gefällt mir Königsmund für King’s Landing sehr gut und John Snow wird für mich immer John Schnee sein; allerdings bin ich auch mit den deutschsprachigen Begriffen zur Reihe gestoßen, insofern setzt hier vielleicht ein Stück weit der Gewöhnungseffekt ein. Wenn ein Name durch ein leichter verständliches „Pendant“ ersetzt wird, finde ich das oft schade, aber verständlich. „Hermione“ z. B. (Harry Potter) ist für einen Figurennamen aus einem Kinderbuch halt schon komplex. Und Rhaederle gefällt mir zwar besser als Rendel (Erdzauber / Riddle Master Trilogy), klingt aber auch ein bisschen nach schwäbischem Mini-Rad. In meiner Kurzgeschichte „Replaced“, die demnächst auf Englisch erscheinen soll, wurde übrigens auch eine Figur umbenannt, weil sie für US-Lesende zu schwierig auszusprechen war. Aber dazu dann mehr, wenn sie irgendwann erscheint.
Das Einzige, was mich nachhaltiger stört, ist Inkonsequenz. Warum wird in Drachenlanze Goldmoon zu Goldmond, aber Tearsong bleibt Tearsong?! Den Vogel hat allerdings „Ich gegen Osborne“ abgeschossen, wo eine Maureen zwischendrin zur Marion wird. Ich vermute, dass sich hier die Bearbeitenden uneins waren, ob der Name verändert werden soll oder nicht. Wäre halt nett gewesen, sich für eine Variante zu entscheiden. (Und ja, ich habe einige Zeit gebraucht, um zu kapieren, dass Marion und Maureen dieselbe Figur sein sollen. Zur Ehrenrettung aller Beteiligten sei aber gesagt, dass es sich um eine Nebenfigur handelt, die nicht allzu oft auftaucht.)
Zurück zu Gormenghast: Hier wäre es nun noch interessant zu schauen, wie oder ob die Namen auf Deutsch übersetzt wurden. Leider habe ich die Trilogie bislang weder gelesen noch besitze ich sie. Was ich aus Internetrezensionen zur Übersetzung von Annette Charpentier zusammenklaube, ist jedoch, dass auf Deutsch ebenfalls weder Sepulchrave, noch Flay oder Steerpike übersetzt wurden. (Zu Flay und Steerpike schreibt Sarmaşık im Artikel einige Worte.) Wenn ihr, die ihr das hier lest, genauere Anmerkungen zu den deutschen Übersetzungen machen könnt, freue ich mich sehr über einen Kommentar!
Edit: Peter von Skalpell & Katzenklaue hat netterweise nachgeschaut. Insgesamt scheint es in der Tat auf Deutsch sehr ähnlich gehandhabt zu werden. Ein paar Nebenfiguren wurden übersetzt, z. B. „Petersilie“ oder „Suppenkraut“ und auch „Anchor“ wurde zu „Anker“. Aber die meisten haben ihre englischen Namen behalten. Was gegen Sarmaşıks Theorie sprechen könnte, dass der Mangel an übersetzten Namen mit dem schwachen Stand der Fantasy am türkischen Markt zusammenhängt. Wäre hier wiederum interessant, wie es in der Türkei um Reihen wie Scheibenwelt steht, dessen Figurennamen zumindest auf Deutsch meist ersetzt oder übersetzt werden.
*Für weitere Infos generell zur türkischen Fantasy verweise ich auf einen entsprechenden Artikel von Asena Meric auf TOR-Online und (unbekannterweise) auf Inanc Atilgans Buch „Einführung in die türkische Science-Fiction-Literatur“.
Wie konntest du denn aus Salvatore Schick Desther Tiny erraten? Gab es mehr Infos oder ist da ein Zusammenhang zwischen den Namen, den ich nicht sehe?
Der Name ist eine Anspielung auf „Schicksal“ bzw. „Destiny“. Ob darauf schon zu Anfang hingewiesen wurde oder es mir nur am Namen auffiel, weiß ich aber nicht mehr.
[…] Ansonsten genieße ich es, wenn ich den Kopf frei habe für Spontanideen wie den Netztipp zu den Gormenghast-Übersetzungen, eine gelegentliche Buchbesprechung oder Berichte aller […]