18 Jahre im Age of Wonders
Es ist 18 Jahre her, seit ich zum ersten Mal mit der PC-Fantasy-Strategie-Reihe „Age of Wonders“ in Kontakt kam: Damals war ich 15 Jahre alt und mein Vater zeigte mir das Tutorial zu „Shadow Magic“, dem zu diesem Zeitpunkt aktuellsten Teil der Reihe.
Im ersten Moment erschien mir die Grafik zu bunt und kindlich, das Rundensystem war außerdem ungewohnt. Trotzdem habe ich das Game ausprobiert. Und bin seither nicht mehr davon losgekommen.
Ich habe mir schon oft vorgenommen, über meine wenig ökonomische Liebe zu dieser Reihe zu schreiben. 2019 ist in diesem Zusammenhang ein Beitrag auf Geekgeflüster erschienen, in dem ich darüber berichtet habe, wie schwer es mir fällt, „böse“ Figuren zu spielen. 2013, in einer der letzten Ausgaben des Magira-Jahrbuchs, hatte ich außerdem einen Essay über „Shadow Magic“ veröffentlicht. Auch hier auf dem Blog kam die Reihe häufiger zur Sprache. Die geplanten Blogreihen sind jedoch alle im Entwurfstatus hängengeblieben. Nun, da vor einem Monat der vierte und offenbar kommerziell bislang erfolgreichste Teil erschienen ist, will ich aber doch einen neuen Versuch wagen und wenigstens der Frage nachgehen, was denn nun der Grund dafür sein könnte, weshalb ich „Age of Wonders“ über einen so langen Zeitraum die Treue halte.
Für alle, denen der Titel bisher nichts sagt, zunächst aber ein Überblick:
Entwickelt wird die „Age of Wonders“-Reihe von den niederländischen Triumph Studios. Der erste Teil erschien 1999 und erzählt vom Herrschaftsanspruch der Menschen auf Athla, dem „Gesegneten Kontinent“, sowie der anschließenden Aufsplittung der Elfen-Völker in die friedenspredigenden Wächter und den rachsüchtigen Kult der Stürme (=Dunkelelfen). Neben Menschen, Elfen und Dunkelelfen gibt es noch neun weitere in Kampagne und Szenarien spielbare, hier noch streng in Gut, Böse und Neutral eingeteilte Fantasy-Völker. Der detailreiche Stil in Grafik, Handlung und Figuren hat dem Titel seinerzeit schon eine treue Fangemeinde eingebracht.
Die Fortsetzung „Age of Wonders II: Der Zirkel der Zauberer“ (2002) führt die Handlung fort, wobei der Fokus dieses Mal tendenziell mehr auf dem Geschick der Menschen denn dem der Elfen liegt – in der Kampagne übernimmt man hauptsächlich die Rolle des Menschenmagiers Merlin. Erneut gibt es aber elf weitere spielbare Völker, teils mit Abweichungen gegenüber Teil 1. „Der Zirkel der Zauberer“ brachte erstmals die heute charakteristische Einteilung der Karte in Sechsecke mit sich, außerdem eine endlose Auswahl an spielbaren Karten, die bespielbare Unterwelt sowie den Editor, mit dem sich eigene Szenarien und Kampagnen entwickeln lassen. „Age of Wonders: Shadow Magic“ (2003) wiederum ist ein Add-On zu Teil 2, obwohl auch einzeln spielbar. Spielprinzip und Optik sind identisch mit „Der Zirkel der Zauberer“, allerdings kommen drei neue Völker (Nomaden, Syron und Schattendämonen) mit entsprechend neuen Einheiten, Helden und spielbaren Zauberern hinzu. Außerdem ist es der (meines Wissens) bislang einzige Teil, in dem mit der „Schattenwelt“ eine dritte spielbare Weltenebene verfügbar ist. Die Handlung knüpft an die Ereignisse aus „Der Zirkel der Zauberer“ an, verlangt von den traditionellen Völkern aber ein grenzenüberschreitendes Bündnis, als die seelenverschlingenden Schattendämonen den Gesegneten Kontinent ins Dunkel reißen wollen. Das Finale sorgt für einige Umwälzungen.
Damit war ein rundes Ende der Geschichte um Menschen und Elfen gegeben und eigentlich hat in der Fan-Community niemand mehr so recht mit einem vierten bzw. offiziell dritten Teil gerechnet. 2013 erschien dann aber doch noch „Age of Wonders III“, was einige Änderungen mit sich gebracht hat, darunter neue Völker, einen umgearbeiteten, deutlich komplexeren Editor, und neue spielbare Charakterklassen (z. B. Kriegsherren, Priester usw. anstatt nur Zauberern). In der Grafik orientiert sich „Age of Wonders III“, worauf noch zwei Add-Ons („Golden Realms“, „Eternal Lords“) gefolgt sind, wiederum am ersten Teil. Die Zeichen sind jedoch nicht nur auf Nostalgie gestellt, das Spiel hat sich auch an den Zeitgeist angepasst. So wird z. B. endlich das Gut/Böse-Schema der Vorgänger aufgelöst, stattdessen ist es den Spieler*innen weitgehend selbst überlassen, in welche Richtung sie sich kraft ihrer Entscheidungen entwickeln.
Inhaltlich ist die Handlung dieses Mal fragmentarischer, in verschiedenen Kampagnen verhilft man je nachdem den Hochelfen, Menschen, Frostlingen oder Halblingen, den eigenen Platz in einer neuen Ära zu finden.
Die Ankündigung für Teil 4 kam Anfang des Jahres – erneut zehn Jahre später – für viele überraschend, aber nach ein paar vagen Andeutungen in den Beschreibungstexten von Teil 3 dachte ich mir schon, dass da irgendwann noch was folgen würde. Zunächst erschien mit „Age of Wonders: Planetfall“ jedoch 2019 ein weitgehend unabhängiger SF-Ableger.
Was ich bisher von Teil 4 gesehen habe, sieht vielversprechend aus. Trotzdem wird es sicher noch lange dauern, bis ich das Spiel ausprobiere – hauptsächlich, weil es mir an der erforderlichen Hardware mangelt. Und bei aller Liebe, nicht mal für „Age of Wonders“ kaufe ich mir mal eben einen neuen Laptop, wenn es ansonsten nicht nötig ist.
Davon abgesehen bin ich einfach nach wie vor sehr zufrieden mit „Age of Wonders 3“, was ich meist allein, regelmäßig aber auch im Multiplayer spiele. Wenn ich Zeit habe, öffne ich es fast täglich, und auch „Shadow Magic“ habe ich noch lange nach der Veröffentlichung von Teil 3 gespielt.
Woran liegt es nun aber, dass ich so lange mit der Reihe zufrieden bin, dass ich immer wieder zu ihr zurückkehre? Worin liegt der Reiz, den ich im Übrigen mit einer kleinen, aber sehr treuen internationalen Fangemeinde teile? Ein paar Erklärungsversuche:
1 Athla ist freundlich
Athla – der Gesegnete Kontinent – hat durchaus seine dunklen Seiten. Verrat ist mehr oder weniger Teil der Strategie, es gibt ein paar fiese nekromantische Zauber oder Fertigkeiten, mit denen man z. B. die eigene Macht durch das Verspeisen von Leichen steigern kann, und in „Shadow Magic“ rauben einem Schattendämonen schon mal die Seele, um sie als Wirt zu nutzen.
Und doch ist Athla keine düstere Spielwelt. Der Tod ist vor allem in „Age of Wonders 3“ eine relative Angelegenheit, mit dem passenden Zauber kann man Freund wie Feind schnell wiederbeleben. Außerdem flattern an jeder Ecke Feen, Engel kacken Blumen, Yetis Schneeflöckchen, und die Untoten wollen einem zwar ans Leder, verhalten sich dabei aber ausgesprochen höflich.
Die Beschreibungstexte der zahlreichen Einheiten und die Dialoge sind zudem mit einer feinen Ironie gewürzt, die zeigt, dass die Entwickler ihr Genre zwar lieben, sich dessen tropes aber bewusst sind – die ideale Mischung also.
Und schließlich sorgen der Soundtrack und die liebevolle Spieloptik dafür, dass man sich einfach irgendwie wohl fühlt. Heute würde man vielleicht sagen, dass das Spielerlebnis cozy ist. In jedem Falle ist Athla auf eine Art sehr freundlich.
2 Athla ist entspannend
Hin und wieder spiele ich schon auch mal was anderes als „Age of Wonders“, aktuell z. B. immer mal wieder „Pillars of Eternity“. Da passiert ständig was: Grad will man sich gemütlich am Lagerfeuer niederlassen, dann schaut schon wieder ein belebter Schleim vorbei, um einen zum Frühstück zu verspeisen. Mache ich mir hier während des Spielens einen Tee, muss ich dran denken, vorher zu pausieren, sonst komme ich zurück und finde mich in einem Kampf mit, weiß nicht, Berglöwen oder so wieder.
„Age of Wonders“ hingegen ist rundenbasiert und wenn nicht gerade eine Piraten-Galeone die geruhsame Fahrt übers Meer stört oder ein Ereignis wie der „Marsch des Trollkönigs“ für unerwartete Monstermassen sorgt, kann man die nächsten Schritte in Ruhe bedenken und dabei sogar Tee kochen, ohne vorher zu speichern. (Aber in Meeresnähe rate ich trotzdem immer zum Speichern; ehrlich, die Galeonen sind Endgegner.) Und sind die Mitspielenden gerade noch damit beschäftigt, ihre Helden mit Schätzen auszustatten, kann man zwischendurch den Abwasch erledigen.
Ich schätze, für ungeduldige Leute ist das nichts. Für mich hingegen ist es genau richtig, denn so kann man das Spiel zwischendurch spielen, ohne drei Stunden nur dafür zu reservieren.
Tatsächlich empfinde ich das Spiel aber nicht nur als entspannend, sondern sogar als beruhigend. Wenn ich nervös oder deprimiert oder aufgeregt bin, dann versinke ich eine Runde in Athla und komme so wieder runter. Selbst wenn ich dabei noch staubsauge.
3 Athla ist endlos
Ich spiele Games gerne mehrfach, aber in der Regel doch keine dreihundert Mal. Da in „Age of Wonders“ immer wieder neue Karten generiert werden und zusätzlich (zu Teil 3) mehrere Kampagnen, Szenarien und Karten aus der Fan-Comunity zur Verfügung stehen, ist der Wieder-Spielwert aber sehr hoch. Klar, die Elemente wiederholen sich in den Zufallskarten – nach einer Weile weiß man z. B., dass eine Straße in einer offenen Ebene im Untergrund darauf hindeutet, dass sich in unmittelbarer Nähe eine Stadt befindet. Aber das stört mich wenig, und irgendwas gibt es selbst nach sechs Jahren noch zu entdecken oder auszuprobieren. (Habe z. B. erst vor kurzem das erste Mal einen Gegner durch die Fertigkeit „Huhn werfen“ besiegt!)
4 Athla ist inspirierend
Egal, ob ich zwischendurch noch staubsauge oder nicht: Wenn ich „Age of Wonders“ spiele, versinke ich in der Welt. Ich identifiziere mich mit den Figuren, die ich spiele und versuche aus ihrer Sicht heraus zu handeln. Ich organisiere gedanklich Trauerfeiern, wenn ein Held stirbt, ich überlege, was es für die Bevölkerung einer Stadt bedeutet, wenn ich sie umsiedle oder in Ghule verwandle, und ich baue auf Inseln Hospitäler, damit die Bürger für die Behandlung nicht erst übers Galeonen-versuchte Meer müssen, wenn sie sich vom jüngsten Drachenangriff erholen. Ich schätze, genau deshalb fällt es mir auch so schwer, „unverfälscht böse“ Figuren oder die Nekromanten-Klasse zu spielen (= über seelenlose Ghule zu herrschen). Aber dieses persönliche Storytelling ist für mich klar ein Reiz der Reihe. Dadurch, dass ich eigene wiederkehrende Figuren in die Welt hineinschreiben kann, entsteht mein ganz persönliches Athla, eine Funktion, die ich aus anderen Spielen so nicht kenne. „Age of Wonders“ ist auch das einzige, wozu ich in den letzten zehn Jahren Fanfiction geschrieben habe. (=Einen Briefwechsel zwischen einem Dunkelelfkönig und einer Frostlingskönigin.)
Und obwohl ich es mag, so mein „eigenes“ Athla zu erschaffen, gefällt mir zugleich, dass die Reihe, obwohl Teil 3 eine recht unabhängig Story erzählt, die eigene Lore ernstnimmt und z. B. über den Namen von Objekten oder Orten auf Helden oder Ereignisse aus vorangegangenen Teilen verweist.
Auch die Karten-Editoren gehören für mich zum Paket dazu, vor allem der zu „Shadow Magic“. Leider bekomme ich diesen unter Win 10 nur noch zum Laufen, wenn gerade die Sterne günstig stehen, und vom Fan-Patch mit vielen Erweiterungen (lebende Pilzwälder!) musste ich mich ganz verabschieden. In positiveren Nachrichten aber: Ich finde es klasse, dass für „Age of Wonders 3“ ein paar der Fan-Ideen aus besagtem „Shadow Magic“-Patch aufgegriffen wurden, z. B. das Volk der Naga oder völkerspezifische Priester-Einheiten. Das zeigt halt, dass die Entwickler ihre Fan-Community ernstnehmen und im Blick behalten.
5 Athla ist detailreich
In den vorangegangenen Punkten ist es bereits angeklungen: Die Spielwelt von „Age of Wonders“ steckt voller Details. Jedes Volk verfügt über zahlreiche individuelle Einheiten, außerdem hat man je nach Teil der Reihe die Wahl zwischen zwei bis drei verschiedenen Welten, und spezifische Talente und Klassen bestimmen über die Zauber, die man ausführen und mit denen man Athla terraformen kann. Die Animationen sind liebevoll und individuell; zoomt man heran, kann man beispielsweise den Meerjungfrauen zuschauen, wie sie ihr Haar richten, oder den Schocktruppenkämpfern, wie sie ungeduldig von einem Bein aufs andere wechseln. Einheiten, Völker und in „Shadow Magic“ auch Anführer und Helden kommen außerdem mit ausführlichen Beschreibungen daher, in denen sich schon mal Anspielungen auf „Gladiator“, „Arielle“ oder „Dr. Who“ verbergen. Kurzum: Es gibt immer was zu gucken.
*
So erkläre ich es mir also, selbst nach all der Zeit vor allem „Shadow Magic“ und „Age of Wonders 3“ immer noch viel abgewinnen zu können. Und sollte mir eines Tages doch mal langweilig werden – nun, dann kann ich ja mal „Age of Wonders 4“ ausprobieren.
Ich hatte mich mal an Heroes of M&M versucht, das ja gewisse Ähnlichkeiten zu haben scheint. Hat mich aber überfordert. Und Age of Wonders soll eher schwerer sein…
Aber von der Idee her fand ich Rundenstrategie + Fantasy-RPG-Elemente immer faszinierend.
Ja, Heroes of M&M soll sehr ähnlich sein, aber weniger detailreich. Selbst ausprobiert habe ich es aber auch noch nicht. Es gibt auch noch ein paar andere in der Richtung, mir wurde z. B. mal „Fantasy General“ empfohlen. Aber mir reicht das eine 🙂
Die Kampagnen sind nicht ohne, die spiele ich beim ersten Mal auch immer auf „leicht“. Mit der Zeit arbeite ich mich hoch, aber bis heute spiele ich nur auf Mittelmaß. Auf „schwer“ macht es keinen Spaß mehr, weil dann nur gekämpft wird, ich will aber lieber Städte bauen und die Welt entdecken. Finde, „Age of Wonders 3“ ist mit „leicht“ durchaus gut zu schaffen, „Shadow Magic“ war echt eine Herausforderung.
Als ich jung war gab es auch noch ein „Lords of Magic“, das mich sehr interessiert hat. Aber irgendwie war ich nie hartnäckig genug, um die Spielmechaniken so zu lernen, dass mehr daraus wird als „ah… also in der Theorie klingt das faszinierend…“
Jetzt hab ich den Drang, mit einige Teile der Serie bei GoG zu kaufen. Danke 😉
Hehe, immer gern. Falls du dir „Shadow Magic“ kaufst, verrat mir doch hinterher mal, ob es mit der GoG-Version noch problemlos läuft … Viel Spaß!
[…] sind wir schnell durch: Meinem Steam-Rückblick nach hatte ich vierhundert Sessions zur „Age of Wonders 3„, zwei zu „Pillars of Eternity“ und das war’s. Gut, nicht miteinberechnet sind […]
[…] sind wir schnell durch: Meinem Steam-Rückblick nach hatte ich vierhundert Sessions zur „Age of Wonders 3„, zwei zu „Pillars of Eternity“ und das war’s. Gut, nicht miteinberechnet sind […]