[Bericht] Mit Kohle und Dampf nach Sayn, Edition 2022

[Bericht] Mit Kohle und Dampf nach Sayn, Edition 2022

23. August 2022 0 Von FragmentAnsichten

Mein Verhältnis zum Steampunk ist ambivalent. Als ich um 2010 anfing, die Offlineseiten der Phantastik-Szene zu entdecken, also auf Conventions herumlief und Stammtische besuchte, erlebte der Steampunk gerade eine kleine Hoch-Zeit. Die Hoffnungen, die damals selbst größere Verlage u. a. durch die „Hugo Cabret“-Verfilmung mal kurz in das Genre setzten, wurden zwar nicht erfüllt. Mit einem eigenen Feder&Schwert-Imprint und später entsprechenden Schwerpunkten bei ohneohren, Art Skript Phantastik und Co. konnte es sich dennoch als eigene Sparte etablieren.* Mir hat sich der literarische Reiz des Steampunk allerdings nie ganz erschlossen. Ich habe immer mal wieder versucht, mich damit anzufreunden, ein paar Romane und Kurzgeschichten fand ich lesenswert. Aber unterm Strich waren Krimis oder Abenteuer mit Dampf und Äther in Sachen Setting und Struktur nicht mein Fall.

Als ästhetisch interessierter Zaungast hingegen kann ich Steampunk einiges abgewinnen. Dampf-Lokomotiven, Zahnräder und fancy Mode halt. ** Als ich noch in Köln gewohnt habe, bin ich daher regelmäßig, meist in Begleitung von Fabienne Siegmund, zum Steampunk Jahrmarkt in Bochum gefahren. Der ist nett, besteht aber vornehmlich daraus, dass man einen ordentlichen Eintritt zahlt, um drinnen noch mehr Geld auszugeben. Aber im schönem Ambiente der Jahrhunderthalle!

Wie auch immer. Inzwischen ist Bochum nicht mehr ganz um die Ecke, dafür aber Bendorf-Sayn. Und dort fand nach 2019 nun zum zweiten Mal das Steampunk-Event „Kohle, Dampf und Eisenglanz“ statt, organisiert von Anachronika in den Hallen des Industriedenkmals Sayner Hütte.

Über die Erstausgabe in 2019 hatte ich ebenfalls gebloggt. 2020 und 2021 fiel die Veranstaltung aus naheliegenden Gründen aus, am 20. und 21. August war es nun aber wieder soweit. Wie schon 2019 herrschte brütende Hitze und wie schon 2019 war es leider abseits der Künstlergruppen ziemlich leer. Ich hoffe, die Veranstalter entmutigt das nicht, denn inhaltlich war es wieder eine unterhaltsame Veranstaltung, auf der man getrost ein paar Stunden unterhalten wird.

Im Hof fanden Konzerte statt, u. a. von den Clockwork Animals, die trotz der gleißenden Sonne, die die Besucher in die schattigen Randbereiche vertrieben hatte, enthusiastisch bei der Sache waren. Rundherum gab’s Food Trucks, einige Verkaufsstände und ein Lager. Das Herzstück des Steampunk-Markts bildete jedoch die Gießhalle mit Hochofen, in der außerdem Walking Acts unterwegs waren und Poster über die verschiedenen Seiten des Steampunk informierten.*** Etwas versteckt im Turbinenraum lasen Anja Bagus, Marion Eisenblätter und Jasmin Jülicher aus ihren Romanen. Akustisch war das eine Verbesserung gegenüber 2019, als die Lesungen in der nicht eben ruhigen Gießhalle stattfanden.

Die meiste Zeit habe ich allerdings in der Krupp’schen Halle verbracht, normalerweise das Informationszentrum der Sayner Hütte. Auf der Galerie konnte man sich hier auch während des Events über das Industriedenkmal bilden. Im unteren Teil hingegen fanden sich weitere Markt- und Ausstellungsräume sowie der Vortragsbereich. Zum Start habe ich mir hier den Vortrag zu „Was ist Steampunk?“ von Mit-Veranstalterin Clara Lina Wirz angehört. Interessant fand ich insbesondere den Einblick in die Maker-Szene, die ja doch sehr unabhängig von der Literatur ihr Ding macht.

Eine Frau in Steampunk-Kleidung (mit Hut, Bluse, langem braunen Rock) hält einen Vortrag. Im Hintergrund sind die Folien zu sehen mit Kunsthandwerk und der Überschrift "Love the machine - hate the factory & DIY-Prinzip"
Clara Lina Wirz gibt einen Einblick in die Steampunk-Szene

Im Anschluss bot Valentin Felder einen Einblick in die Arbeit am Stop-Motion-Kurzfilm „Das Getriebe im Sand“ (engl. „An Unwound Clockwork“). Seit zehn Jahren arbeitet er an dem Projekt über schnuffige Roboter in einer dystopischen Welt, wobei aktuell von 30 geplanten Minuten 22 abgedreht sind. Wenn man sich das Making Of anschaut, von dem Felder einige Minuten gezeigt hat, ahnt man, warum das Ganze so viel Zeit in Anspruch nimmt, denn die Beteiligten werkeln mit sehr viel Liebe zum Detail. Finanziert wird der Film über Spenden, u. a. via Patreon und startNext. Mehr Infos findet ihr auf der Website des Films.

Screenshot aus dem Projekttrailer zu "An Unwound Clockwork", zeigt mehrere mechanische Roboter und den Untertitel "on one hand, the robots possess no power, but are quirky beings with highly individual characters". Ein Klick aufs Bild führt zum Trailer auf YouTube.
Ein Klick aufs Bild führt zum Projekttrailer auf YouTube.

Etwas später war es noch an der Zeit für die Präsentation zu Steam Trek, was Star Trek in eine Steampunk-Welt umimaginiert. Die entsprechend modifizierten Uniformen konnte man sich im Ausstellungsbereich anschauen, auf YouTube gibt es außerdem die 90er-Stummfilm-Parodie, mit der die Idee geboren wurde.

Danach ging’s zu einem letzten Rundgang durch die Gießhalle, um Geld für Ohrringe auszugeben.**** Ob für 2023 eine weitere Ausgabe geplant ist, weiß ich nicht, aber ich würde mich darüber freuen.

Die Kosten lagen übrigens bei 9 Euro. Das Gelände ist relativ barrierearm.


*Ruhig Blut, mir ist klar, dass Steampunk nicht erst 2010 erfunden wurde.
**Luftschiffe sind auch okay, aber ich würde ungern mit ihnen fliegen. Andererseits will ich die Mode ebenfalls nicht unbedingt selbst tragen. Na, für die Länge eines Fotoshootings hab ich sie schon getragen. Aber ich bin da mehr Team Cosplay als Team Rollenspiel oder Reenactment.
***Das Infoposter zur Literatur könnte allerdings eine Aktualisierung gebrauchen; 50 % der darauf genannten Verlage existieren inzwischen leider nicht mehr.
****Ich kann mir nun Seeungeheuer am Ohr baumeln lassen, yay!