[Netztipp] Polnische Fantasy & Science Fiction

[Netztipp] Polnische Fantasy & Science Fiction

14. November 2021 4 Von FragmentAnsichten

Es ist schon seltsam. In den letzten Jahren ist es einerseits recht einfach geworden, sich über internationale Phantastik zu informieren. Ich folge indischen E-Mags auf Twitter, lese auf Facebook Diskussionen zwischen philippinischen SF-Bloggern nach, schaue Zoom-Panels mit Autorinnen aus Trinidad & Tobago, jage portugiesische Artikel über sertãopunk durch DeepL und … habe andererseits echt wenig Ahnung, was sich in Sachen SFF eigentlich so in den nicht-deutschsprachigen Nachbarländern tut. Erst letzte Woche hatte ich es in einem Gespräch davon, dass ich wenig über die französische Szene weiß, obwohl es mit Namen wie Pierre Boulle, Flavia Bujor, Jean-Louis Fetjaine oder Pierre Bordage einige auch hier recht erfolgreiche französische Genreautor*innen gab und gibt, von den Comickünstler*innen mal ganz zu schweigen.

Und dasselbe gilt für die polnische SFF, obwohl die dortige Szene doch als sehr lebendig gilt. Aber wie viel wissen wir hier darüber? Ja, uns sagen Stanisław Lem und Andrzej Sapkowski etwas, aber davon ab? Ok, 2014 hatte ich mal eine kurze Übersicht über polnische Fantasy für den Geisterspiegel verfasst; dank dessen weiß ich zumindest, dass es mit Nowa Fantastyka und Science Fiction zwei größere monatliche Zeitschriften für SFF gibt, prägend war außerdem das Fenix-Magazin von Jarosław Grzędowicz. Der Janusz-A.-Zajdel-Preis ist die wichtigste polnische Genre-Auszeichnung, für die Phantastik wichtige Verlage sind beispielsweise superNOWA, Rebys, Runa oder Fabryka Słów. Ausführlichere Betrachtungen zur polnischen Phantastik finden sich in der Encyclopedia of Science Fiction oder auch in der englischsprachigen Wikipedia.

Nicht ganz so ausführlich, aber dafür hübsch aufbereitet und auf neuestem Stand ist das Heftchen „Polish Sci-Fi & Fantasy“, das zur diesjährigen FBM an Stand von Polen ausgegeben wurde. Dieses stellt einige der aus Sicht des Polish Book Institute aktuell populärsten polnischen Genre-Autor*innen und deren Werke auf jeweils einer Doppelseite vor. Es verrät auch ein wenig über die Genres, in denen die genannten Personen schreiben; offenbar sind vor allem Hard / Military SF und Fantasy mit historischen Elementen, überraschenderweise aber auch die Weird Literature in Polen beliebt.*

Foto der Seite zu Radek Rak
Innenansicht des schmucken Print-Heftchens

Ihr könnt das Heft online auf der Seite des Instituts lesen und herunterladen. (Bei der Suche danach habe ich außerdem festgestellt, dass auch Nobert Fiks auf seinem Blog einige Worte zu dem Heft verloren hat.)

Hier eine kurze Übersicht, zu welchen Autor*innen Portraits enthalten sind:

  • Stanisław Lem. Well …
  • Jacek Dukaj. Schreibt u. a. Hard und Soft SF, Cyberpunk, Alternate History, aber auch Essayistisches. Die Netflix-Serie „Into the Night“ basiert auf seinem Kurzroman „Starość aksolotla / The old axolotl“.
  • Rafał Kosik. Schreibt Hard SF, Near SF, Gegenwartsliteratur, ist vor allem für seine Young-Adult-Romane populär.
  • Paweł Majka. Schreibt Science Fantasy, New Weird, Space Opera, Space Fantasy, Grimdark SF, Zombie-Apokalypse, Alternate History u. v. m.
  • Andrzej Sapkowski. Hat tatsächlich nicht nur die Geralt-Saga geschrieben, sondern z. B. auch die „Narrenturm“-History-Trilogie.
  • Robert M. Wegner. Schreibt Military SF, Grimdark Fantasy, Low Fantasy.
  • Jarosław Grzędowicz. Schreibt Horror, Weird Lit, Funtasy (?), Dystopien, Post-Cyberpunk. Im Heft leider nicht erwähnt ist seine Ehefrau Maja Lidia Kossakowska, ebenfalls eine beliebte Fantasyschriftstellerin in Polen.
  • Radek Rak. Schreibt Dark Fantasy, Fairytale Fantasy, Historical Fantasy, Urban Fantasy.
  • Krzysztof Piskorski.Schreibt Alternate Historical Fantasy, Steampunk.
  • Anna Brzezińska. Schreibt Light Fantasy, High Fantasy, Historical Fantasy, teilweise in Co-Autorenschaft mit ihrem Ehemann Grzegorz Wiśniewski. Auch bekannt für ihre Sachtexte zu historischen Themen (sie hat einen PhD in Mediävistik).
  • Tomasz Kołodziejaczak. Schreibt Military Space Opera, Postapokalyptische High Fantasy, polpunk**.
  • Marta Kisiel. Schreibt Fairytale Fantasy, Light Fantasy, Rural Fantasy, Gebäudefantasy, v.a. für Kinder und Jugendliche.

So schaut’s aus. Wenn ihr jetzt mehr wissen möchtet, ladet euch das Heft über die oben verlinkte Website herunter. Und schaut euch doch noch Tomasz Bagińskis „Katedra“ an, die formidable, 2003 oscarnominierte Verfilmung der gleichnamigen Kurzgeschichte von Jacek Dukaj. Es sind sechseinhalb gut investierte Minuten, vertraut mir 🙂 Ein Klick auf das Bild führt euch zum Film auf YouTube:

Screenshot aus dem Film "Katedra". Zeig ein kathedralenartiges Gebilde in Nebel
Screenshot aus „Katedra“. Ein Klick aufs Bild führt euch auf YouTube.

*Oder es klingt auch Sicht des PBL einfach gut, ein Buch mit „klingt wie Gaiman / Mieville“ zu bewerben.
**Jepp, ein weiterer Kanditat für die Liste der Punkgenres! Dem Heft nach steht Polpunk für Literatur, in der „the ‚Polishness‘, our history and tradition, become integral elements of the fantasticality of the story, providing ingredients for the magic that resists the power of evil“. Als Beispiel wird Kołodziejaczaks Reihe „Ostatnia Rzeczpospolita / The Last Republic“ genannt.