Märzansichten 2020
Wo wir auf alternative Apokalypsen und Naturkatastrophen, internationale Trends, neue und alte Podcasts, Awards und Diskussionen, Bücherhamstern und Schriftstellendenfrust zu sprechen kommen.
Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass ein sehr eigenartiger Monat hinter uns liegt. Von den Phantastik-Events, die ich in den letzten Ansichten für den März angekündigt hatte, hat letztlich keines stattgefunden. Trotzdem standen Welt wie Szene nicht still, es wurden weiterhin Blogposts und Longlists veröffentlicht, Preise vergeben, Aktionen gestartet.
Kuschelsocken statt Macheten
Dass sich viele Beiträge mit Apokalypse-Themen beschäftigen, überrascht nicht. Positiv besprochen wurde in den letzten Tagen beispielsweise Laurie Pennys „This Is Not The Apocalypse You Were Looking For“ auf Wired. Es ist ein ziemlich sympathischer Artikel, weil er witzig geschrieben ist, ein bisschen anklagt, zugleich aber bemerkenswert positiv auf die Menschheit blickt. Im Wesentlichen geht es Penny darum, dass in unserer Apokalypse nicht testosteronstrotzende Krieger, sondern „Nurses, doctors, cleaners, drivers“ zu den entscheidenen Akteur:innen werden. Das klingt nett und klar hat Penny Recht, wenn sie sagt, dass das nicht die Apokalypse ist, die sich die Popkultur immer vorgestellt hat.* Aber vielleicht nimmt sie den Vergleich auch ein bisschen zu ernst. Oder nicht? Hm, ich bin mir uneins, ob wir schon an der Apokalypse kratzen. Ein typisches Element ist zumindest erfüllt, die Umkehrung von Verhältnissen: Beispielsweise dadurch, dass es nun viele Geringverdiener:innen sind, die sich als systemrelevant herausstellen**. Oder dadurch, dass Bildungsdigitalisierung im Schnelldurchgang zum Normalzustand geworden ist statt zum Spielplatz einiger Technikfreaks.*** Also ja, irgendwie hat Penny schon recht, ich hoffe nur, dass auch Spät- und Postapokalypse weit von unseren dystopisch-martialischen Ideen entfernt bleiben.
Wir können’s auch vor Gericht klären
Von anderen Apokalypsen erzählt Autorin Swantje Niemann im Auftakt ihrer Blogreihe rund um „Fantasykonflikte jenseits von Krieg“. Mit Beispielen aus Literatur und Geschichte stellt sie dar, inwiefern sich Naturkatastrophen eignen, um darauf einen Plot aufzubauen. Zusätzlich liefert sie Inspiration für die Figurenmotivation.
Während Naturkatastrophen noch ein recht klassisches Beispiel sind (ich denke da beispielsweise an der Drachenlanze-Roman „Die Stadt der Göttin“ oder auch meine „Spielende[n] Götter„), wird es mit Swantjes zweitem Teil rund um alternative Konflikte exotischer: Dort geht sie auf Gerichtsdramen ein. „Wer die Nachtigall stört“ im Fantasysetting? Warum nicht!
Raumschiffe gibt’s überall
Was an Themen international gerade so ein thing ist, habe ich für einen TOR-Online-Artikel herauszufiltern versucht. Der Beitrag und seine Formulierungen haben mir glaub ich einige graue Haare beschert, aber nun, ich hoffe damit auf die eine oder andere interessante Entwicklung aufmerksam gemacht zu haben. Schade natürlich, dass vieles in so einem Rahmen nur äußerst oberflächlich angekratzt werden kann bzw. ganz herausgelassen werden muss. In einer ersten Version des Artikels hatte ich beispielsweise noch einen Absatz zu Bengali SF drin, aber das ließ das Ganze ausufern.
Auf viele der Themen bin ich dank internationer Zines wie der Mithila Review aufmerksam geworden, die auch mal eine Ausgabe zur deutschen Phantastik hatte. Vor wenigen Tagen ist eine weitere Ausgabe erschienen, in der es unter anderem um „Science Fiction Writings in Punjabi“ geht.
Flitter und Brunch
Ein bisschen wurden solche Fanzines ja von Podcasts abgelöst. Und auch in Sachen Phantastik wächst der Markt weiter: Michelle Gyo, Natalja Schmidt und Jennifer Grimm haben sich zum „Phantastik-Brunch“ zusammengetan, um über einschlägige Veröffentlichungen zu berichten,**** und ich hoffe sehr, bald zum Aufräumen aka Podcasthören zu kommen. Darüber hinaus ist im März auch Episode 77 des queeren SFF-Podcasts „GlitterShip“ erschienen.
Verlagsfreuden …
Und noch eine Neuankündigung: Zu einem nicht ganz so idealen Zeitpunkt wurde am 1. März Squirrelpunk’d gegründet, ein neuer Kleinverlag, der sich auf Animal Fantasy spezialisiert hat. Nicht mein bevorzugtes Genre, aber der Verlagsauftritt wirkt sympathisch. Die ersten beiden Veröffentlichungen sind für Juni und September angekündigt: Robin Laceys 50er-Jahre-Klassiker „Die Vögel singen nicht mehr“ macht den Anfang in einer schmucken Neuauflage inklusive Sammelfigur. Der hochaktuelle Roman erzählt von den verzweifelten Versuchen der Vögel, die Menschen vor dem drohenden Weltuntergang zu warnen. Ungleich romantischer wird es im September mit Martha Romans frisch übersetzten „Wolf Song“, einer Art Romeo und Julia-Story über die Liebe zwischen einem Wolf und einem Otter.
… und Verlagsleiden
Scherz mal beiseite, für bestehende Verlage sieht es derzeit wie für so viele Unternehmen (und Künstler:innen) leider nicht so rosig aus. Die Veranstaltungsabsagen machen ebenso zu schaffen wie der Verlust, der durch geschlossene Buchhandlungen entsteht sowie dadurch, dass Amazon sein Buchsortiment in der Priorität zurückgestuft hat. Über die Auswirkungen unterhalten sich beispielsweise heute (!) Abend um 19 h VS-Vorsitzende Lena Falkenhagen, Verleger Björn Bedey und PAN-Vorstand Diana Menschig via Lenas Twitch-Kanal.
Durch die Absage der LBM konnte leider auch „Vor meiner Ewigkeit“ nicht mehr wie geplant bestmöglich abverkauft werden. Seit gestern ist das Buch bei Großhändlern ausgelistet. Was genau das heißt und wie es für das Buch bei Art Skript Phantastik weitergeht, erfahrt ihr im Verlagsblog.
Erleichterung für die Buchbranche, zumindest für einige Phantastik-Kleinverlage, bringt dagegen die Aktion #buecherhamstern, mit der via Social Media für den Buchkauf geworben wird. Erfreulich finde ich vor allem, dass die Aktion weit über die Szene hinaus bekannt geworden ist. Mich hat sogar ein Kollege auf der Arbeit darauf angesprochen, der mit Phantastik sonst gar nichts am Hut hat. Echt nice.
Mit Awards durch die Krise
Gute Nachrichten gibt es auch von diversen Awards. So wurde trotz der LBM-Absage der SERAPH verliehen, und das zur Abwechslung über den Twitch-Kanal Wildmics. Der Award ging an Christoph Marzi für „Mitternacht“ (Bester Roman), Bijan Moini für „Der Würfel“ (Bestes Debüt) sowie Mira Valentin und Erik Kellen für „Windherz“ (Bester Independent-Titel). Herzlichen Glückwunsch!
Darüber hinaus haben der Deutsche Science Fiction Preis und der Kurd-Laßwitz-Preis ihre Longlists veröffentlicht, der Vincent Preis lädt außerdem zum Voting.
Was noch geschah
Und sonst? Julia Lange, Autorin u. a. von „Irrlichtfeuer“,berichtete auf ihrem Blog über Schreib- und Veröffentlichungsfrust und sprach damit vielen Autor:innen aus der Seele. Peter Schmitt widmete sich auf Skalpell und Katzenklaue u. a. Tanith Lees „Weggefährten“ und Harold Warner Munn bzw. dessen „King of the World’s Edge“. Von mir wiederum gab es noch einen Artikel zur Zwillingssymbolik in Mythen und Phantastik; quasi das Remake eines Beitrags, den ich mal für Film und Buch geschrieben hatte, damals noch mit mehr Fokus auf ethnologische und mythologische Beispiele. Bleibt ein Thema, das ich sehr spannend finde.
Jo. Dann schauen wir mal, was uns der April so bringt. Bleibt gesund und nach Möglichkeit daheim!
*Wobei ich z. B. das eine oder andere Mal an die australische Serie „The Tribe“ denken musste. Ein Virus tötet alle Erwachsenen, die Kinder sitzen in stillgelegten Einkaufszentren, ziehen sich fancy an und bekommen Panik, wenn sie älter werden.
**Im Grunde war das natürlich vorher ebenfalls so, aber es war nicht so bewusst.
***Auch wenn ich davon profitiere, da sich die Leute an meiner HS jetzt mal für die komischen E-Learning-Leute interessieren, bereitet mir dieser Schnelldurchgang bissl Bauchschmerzen. Weißte, jahrelang alles verpennen und dann innerhalb einer Woche verlangen, dass alles läuft, sowas geht halt auch nur auf Kosten von Datenschutz und Co. Hätte man alles mit ein bisschen Verstand gesellschaftlich sinnvoller angehen können, aber ach, was erwarte ich.
****Habe die drei erst als „It-Girls der deutschen Phantastik“ bezeichnet, aber das klang zu ironisch. „Grande Dames“ wiederum klang zu alt. Einigen wir uns darauf, dass da drei Leute sprechen, die sich gut mit dem auskennen, worüber sie reden 🙂
Text unter CC BY SA 2.0 DE
[…] *Dieses Mal handelt es sich nicht um einen Aprilscherz 😉 […]