Januaransichten 2020

Januaransichten 2020

30. Januar 2020 1 Von FragmentAnsichten

Kaum lässt man euch paar Tage unter’m Weihnachtsbaum, kullern die Ideen oder was. Oder vielleicht hatte ich auch einfach mehr Zeit, mir wieder Artikel durchzulesen? Nach dem mauen Dezember hab ich dieses Mal jedenfalls wieder mehr Themen gesammelt, als ich unterbringen kann, also fangen wir besser direkt an:

I can catch the moon in my hand

Und zwar damit, dass ich jetzt fame bin. Na ja, okay, nicht wirklich.* Aber ich durfte sowohl im Deutschlandfunk als auch via 3sats Kulturzeit über Hopepunk quatschen. Neben mir kamen in beiden Beiträgen auch Judith und Christian Vogt zu Wort, im DLF außerdem Alexandra Rowland selbst, auf Kulturzeit Journalist Stefan Mesch.

Irgendwie trifft das Thema schon einen Nerv, wa. Die Rückmeldungen zu den Beiträgen waren grundsätzlich positiv, einige haben aber bemängelt, dass sie zu oberflächlich seien. Sacht nur! Beide Beiträge haben circa fünf Minuten Zeit und richten sich an ein szeneexternes Publikum. Da in die Tiefe zu gehen, ist nun mal schwierig. Natürlich gab es noch viiiel mehr Material und überhaupt gäbe es ganz viel zu sagen, zu streiten und zu debattieren. Aber bis Hopepunk eine eigene Doku bekommt, dauert es dann vermutlich doch noch paar Jahre. Bis dahin sind die Ecken und Kanten des Movements vielleicht auch geklärter.

Edit: Da es gerade passt und noch in den Januar fällt (da bin ich ausnahmsweise einen Tag früher), eine Ergänzung: Wer eine ausführliche Betrachtung zu Hopepunk wünscht, kann bei den Teilzeithelden vorbeischauen. Heike Lindhold hat hier den aktuellen Stand zum Movement zusammengefasst und liefert dabei gewissermaßen einen dritten Standpunkt nach Judiths und meinem eigenen (oh, habe ich einen?). Ich stimme ihr nicht in allem zu, beispielsweise sehe ich durchaus eine Verwandtschaft zwischen Hopepunk und anderen Punk-Derivaten. Aber gut finde ich beispielsweise, dass Heike die Rolle von Gewalt in manchen Hopepunk-Logiken hinterfragt und dass wir hier überhaupt mal einen ausführlichen Beitrag haben, der versucht, Ordnung ins Hopepunk-Wirrwarr zu bekommen. Den TOR-Beitrag zu Hopepunk habe ich im Juni 2019 verfasst (auch wenn er erst im Oktober veröffentlicht wurde); seitdem ist einfach viel passiert.

Zum Thema, dass Hopepunk nichts hat, was es wirklich als Genre qualifiziert, möchte ich aber noch mal an den episodenhaften Charakter erinnern. Der taucht in vielen Hopepunk-Erzählungen von „Last Christmas“ über „Let it snow“ bis hin zu „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“ auf, fällt aber bei aller Freundlichkeit und Diversität oft als Merkmal hinten runter.

Nahe Vergangenheit und Zukunft

Kehren wir erst einmal zurück zum Cyberpunk, der sorgt für weniger Schnappatmung. Gibt es eigentlich jemanden, der keinen Cyberpunk mag? Hab das Gefühl, sobald der Begriff auftaucht, geht es immer nur darum, wie toll Cyberpunk ist, aber nicht, ob er toll ist.** Auch Tim Maughans Artikel auf One Zero fragt danach nicht, aber er ist trotzdem interessant. Maughan beschreibt, wie Werke des Cyberpunks und anderer SF-Genres die (damalige) Zukunft des Jahres 2020 gesehen haben.

Vermummte Frau und Katze vor Motorrad im Regen
Das praktische an Cyberpunk: Man findet fancy Bilder dazu.
(„Motorbike Cyberpunk“ by ptitvinc is licensed under CC BY-NC-ND 3.0)

Noch einmal in die Vergangenheit hat dagegen Fantasy-Faction mit einer Liste der ihrer Meinung nach besten Fantasyromane des letzten Jahres geblickt. Ich habe die Liste nur überflogen, aber soweit ich das sehe, habe ich ganze 0 der Bücher gelesen. Was mich aber auch nicht besonders überrascht; erstens lese ich ohnehin kaum aktuelle Fantasy und zweitens warte ich wenn doch auf die Übersetzungen bzw. lese solche deutschsprachiger Schriftstellender. Dafür wurde ich jetzt aber fett für „Nevernight“ gespoilert und habe ein paar spannende Bücher entdeckt. Noch ein paar.

Ebenfalls einen Rückblick auf 2019 und vor allem auf das Thema Frauen in der SF, wagte Lapismont vom Fantasyguide auf seinem Blog. Ein interessanter Beitrag und ich denke, gerade den Punkt, dass sich SF-Autorinnen und -Lesende im selben Raum aufhalten müssten, kann man nicht genug betonen. Das meine ich im Prinzip ja auch, wenn ich sage, dass die „alten“ und „neuen“ Szenegenerationen aneinander vorbeilesen. Die Leserschaft von Begedia und ohneohren überschneidet sich nur äußerst bedingt, und ebenso werden verschiedene Cons besucht, verschiedene Medien konsumiert, andere Kommunikationskanäle genutzt usw.*** Das führt letztlich dazu, dass auf beiden Seiten**** Namen und Inhalte übersehen werden. Auch in der Debatte um SF-Autorinnen.

Andere Perspektiven, so störend?

Dass mangelnde gemeinsame Räumlichkeit nicht der alleinige Kern des Problems ist, zeigen aber manche der Kommentare. Denke da z. B. an den Kommentierenden, der die Identifikation mit der Sichtweise des eigenen Geschlechts ein wenig ähm … überbetont. Klar spielt die eine Rolle, darum geht’s ja auch in vielen Repräsentationsdebatten.

Aber … weiß nicht, ist es so ungewöhnlich, dass mir das Geschlecht des/der Schriftstellenden nicht am wichtigsten dabei ist? Es gibt doch auch anderes, womit man sich identifizieren kann. Mir ist z. B. grundsätzlich am wichtigsten, dass die Schriftstellenden, deren Bücher ich lese, ein ähnliches Mindset haben wie ich selbst. Vielleicht nicht unbedingt in Hinsicht auf Werte, aber in Hinsicht auf die Themen, die sie beschäftigen. Dann kann ich mich gleichermaßen mit einer Diablo Cody wie auch mit einem Joey Goebel identifizieren. Mag natürlich sein, dass ich mich bei Cody noch stärker wiederfinde, aber auch die „andere“, in diesem Fall männliche Perspektive hat ihren Reiz. Nur die eigene Perspektive zu lesen, ist nu auch nicht ganz Sinn der Sache, oder?

Und überhaupt sollte man diese ganze Identifikationssache auch nicht überinterpretieren.***** Hab z. B. auch Spaß an den „Sturmlicht Chroniken“, aber ich kann mich so direkt mit keiner der Figuren, geschweige denn mit dem Autoren besonders identifizieren. Die Bücher bereiten halt einfach Lesefreude, weil sie spannend und komplex geschrieben sind. Punkt.

Dass in meinen Buch- und CD-Regalen mehr Männer als Frauen auftauchen, halte ich jedenfalls nicht für einen Beleg, dass ich mich mehr mit Männern als mit Frauen identifiziere o.O Aber vielleicht sollte ich mich einfach gar nicht so lange mit den Irrungen und Wirrungen eines einzelnen Kommentars aufhalten …

Traditionen enden (nicht)

Kommen wir zu erfreulicheren Dingen: Das SF Jahr 2019 wird dank erfolgreichen Crowdfundings nun doch erscheinen. Yay!

Weniger erfreulich ist wiederum, dass Willi Schumacher nach zehn Jahren die FeenCon-Orga abgibt. In einem Facebook-Post hieß es dazu, wer sich vorstellen könne, die Nachfolge anzutreten, könne sich an den Magistrat der Gilde der Fantasy-Rollenspielfreunde e. V. wenden (via Magistrat[at]gfrev.org). Ein neuer Vorstand wird im März gewählt. Der FeenCon findet dieses Jahr wie geplant am 04. und 05. Juli in Bonn-Bad Godesberg statt.

R.I.P., Königin der Atomtraumata

Leider sind im Januar gleich mehrere Szenegrößen verstorben. Am 09.01. verstarb der US-amerikanische SF-Autor und Redakteur Mike Resnick an den Folgen einer Krebserkrankung, am 16.01. Christopher Tolkien, der mehrere Werke seines Vaters J. R. R. erst der Öffentlichkeit zugänglich machte, und am 21. Januar Drehbuchautor und Monthy Python-Mitglied Terry Jones.

Persönlich am meisten getroffen hat mich die Nachricht vom Tod Gudrun Pausewangs am 23.01. Ich habe mit ihren Büchern, vor allem mit „Die letzten Kinder von Schewenborn“, immer eine gewisse Hassliebe verbunden. Ich habe sie gerne gelesen, viele mehrmals. Aber normalerweise verströmen selbst Dystopien an irgendeinem Punkt Hoffnung und sogar im Angesicht des Weltenendes wird den Figuren so etwas wie Frieden gewährt. Nicht jedoch in „Die letzten Kinder von Schewenborn“. Mein lieber Scholli. Da wurden gleich mehrere Generationen von Schulkindern nachhaltig mit traumatisiert, aber hey, auch das muss man erst mal schaffen. Und ich sage das mit allem Respekt, denn emotional packen konnte einen das Buch auf jeden Fall. Und das gilt auch für viele andere von Pausewangs Büchern, beispielsweise „Reise im August“ oder natürlich „Die Wolke“. Jedenfalls war Pausewang die Königin der gritty Atom-Dystopie … und, nebenbei bemerkt, die bisher einzige weibliche Preisträgern des Kurd Laßwitz Preises in der Roman-Kategorie. Den Deutschen Science Fiction Preis und den Deutschen Jugendliteraturpreis hat sie auch erhalten, beides für „Die Wolke“ bzw. den Deutschen Jugendliteraturpreis 2017 zusätzlich für ihr Lebenswerk.

Seniorin lächelt
Gudrun Pausewang bei der Verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises 2017
(„Gudrun Pausewang (cropped)“ von Arbeitskreis für Jugendliteratur / Anna Meuer, lizensiert unter CC BY-SA 3.0 DE)

Preise, Preise, Planetenreise

Apropos Preise. Jaqueline Mayerhofer, eine meiner Verlagskolleginnen von ohneohren, wurde mit dem Planet Award 2019 in der Kategorie „Buch des Jahres“ von Radioplanet Berlin für ihren SF-Roman „Brüder der Finsternis“ ausgezeichnet. Außerdem erlangte sie den dritten Platz als „Autorin des Jahres“. Sehr cool, herzlichen Glückwunsch!

Ebenso wurde im Januar der Gewinner des Heinlein Awards bekannt gegeben, das Rennen machte laut Locus Vernor Vinge (u. a. „Das Ende des Regenbogens“, „Die Tiefen der Zeit“).

Und dann hat die Phantastische Akademie noch die Longlists des Seraph 2019 bekannt gegeben. Ich picke jetzt mal bewusst keine Namen raus, sonst wird mir noch bewusste Auswahl unterstellt 😉 Denn ich darf wieder in der Jury mitwirken, yuchee. Dieses Mal aber zum Glück in der des „Besten Debüts“. Das freut mich erstens deshalb, weil ich hier keine*n der Nominierten kenne, was für’s Gewissen besser ist. Und zweitens bedeutet es, dass ich nur vier statt, wie letztes Mal, zwölf Bücher lesen muss. Das ist doch deutlich entspannter und gibt mir die Zeit, mich mit den einzelnen Werken etwas tiefgehender zu beschäftigen. Übrigens finde ich es immer wieder schön, wie ich auf die Art auf wirklich tolle Bücher und Schriftstellende aufmerksam werde, die mich sonst kaum gereizt hätten. Beispielsweise hätte ich das Buch, das ich gerade lese, normalerweise wohl nie näher angeschaut, weil es mich thematisch nicht gereizt hätte. Dabei ist es richtig gut und ich kann es kaum aus der Hand legen! Apropos, ich gehe dann mal wieder lesen …


*Vielleicht müsste ich dafür mal mehr über meine eigenen Werke reden und weniger über die anderer Leute bzw. theoretisches Tamtam. Andererseits macht mir theoretisches Tamtam derzeit mehr Spaß und es interessiert anscheinend auch mehr Leute … obwohl kreatives Schreiben auch schon mal wieder nett wäre … Äh, irgendwie hab ich den Faden verloren.
**Also nicht, dass viele die Inhalte des Cyberpunk an sich mit Drogen, Konzernherrschaft usw. toll fänden, aber auf Setting und Atmo fahren doch alle irgendwie ab. Ja ja, mit Neonfarben kriegt man euch. Hey, wusstet ihr, dass Neonfarben in „Vor meiner Ewigkeit“ eine große Rolle spielen …?
***Aber, wisst ihr … beim Blick in so manche Räume frage ich mich auch, ob es wirklich erstrebenswert ist, alle erreichen zu wollen.
****Wobei es natürlich sehr verkürzt ist, von „zwei“ Seiten zu sprechen. Ich glaube, es gibt da noch ganz andere Subszenen (z. B. in Sachen Romantasy), die wir in der Diskussion gar nicht so auf dem Schirm haben.
*****Nur um sicherzugehen: Natürlich soll das nicht heißen, dass wir nicht vielfältige Stimmen bräuchten. Im Gegenteil, denn erst dann können wir auch verschiedene Perspektiven kennenlernen. Also dass mir das hier keiner falsch versteht!

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Text unter CC BY SA