Szeneansichten 2018
Hah! Da sind sie doch noch, die Szenenansichten für 2018! Jedenfalls, ich weiß nicht, welche Muse sich da in den letzten Tagen meiner erbarmt hat, aber ich finde sie sehr nett. Sie darf bleiben.* Danach reicht es mir dann aber auch an Rückblicken, versprochen!
Jo. Dann versuche ich also mal, anhand der Monatsansichten, PAN-Newsletter und bloßen Gefühls zusammenzufassen, was die deutschsprachige Phantastik-Szene so im letzten Jahr zusammengehalten und beschäftigt hat.
Disclaimer: Selbstverständlich bin ich mir im Klaren darüber, die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen zu haben. Ich bilde mir ein, einen ganz guten Überblick über die Szene (TM) zu haben, merke allerdings auch immer wieder, dass es da ein paar Ecken gibt, von denen ich wenig Ahnung habe. Was die Selfpublisher beschäftigt, bekomme ich beispielsweise nur ab und zu bei Stammtischtreffen u. ä. mit. I’m sorry.
1. Diskussionsthemen
Ja, ist es nun meine Blase oder doch mehr? Ich denke, man kann durchaus behaupten, dass Diversität das Diskussionsthema Nr. 1 im letzten Jahr war. Natürlich brodelte es schon eine Weile, aber im Zuge des PAN-Branchentreffens und einer Ulisses-Veröffentlichung bekam das Thema noch einmal ganz neuen Zündstoff, v. a. in Bezug auf Sexismus und, mit etwas zeitlicher Verzögerung, Rassismus.** Vor allem auf Twitter wurde viel diskutiert, woraus mehrere TOR-Artikel, aber auch Beiträge auf Privatblogs resultierten. Darunter auch von Leuten, die sonst eher selten ans Licht der Blogosphären-Öffentlichkeit treten.
Ich wage zu prophezeien, dass es auch 2019 eines der wichtigsten Diskussionsthemen bleiben und den einen oder anderen Artikel von Judith Vogt hervorbringen wird. Hoffe allerdings, dass die Diskussionen dabei nicht innerhalb der Blase verharren, aus der heraus sie gestartet werden.
Oft ging es zudem um Schubladen. Genres wurden mal mehr, mal weniger ausgiebig beschrieben (jaa, nicht nur von mir), manchmal das Ganze sogar mit Identitäts-Philosophien verknüpft. Die Sword&Sorcery als Ausdruck einer hinterfragenden Generation und so, ihr wisst schon. Das aber auch eher in angloamerikanischen Artikeln.
Paradoxerweise ging es zugleich viel um innovative Phantastik außerhalb dieser Schubladen – und weshalb diese in Deutschland kaum erscheint. Der Ball wurde dabei von Bloggern zu Autoren zu Agenturen und Verlagen und wieder zurück gespielt; eine Lösung lässt auf sich warten und ist wohl auch eher eine langfristige Sache.
Ansonsten dominieren klar Science-Fiction-Inhalte. Fantasy spielt, wenn überhaupt, nur noch in Bezug auf oben genannte Diversitätsdiskussionen eine Rolle. Oh, natürlich gibt es weiterhin jede Menge Interviews und Listicals zu Fantasythemen. Aber an anderen Darstellungsformen, an Essays, Themenfeatures, Reportagen mangelt es. Die SF trifft hier (zuminest oberflächlich betrachtet) deutlich stärker den Zeitgeist, wird aber manchmal lieber als „utopische Literatur“ bezeichnet, das klingt so’n bisschen abgehobener, kann man gut feuilletonieren. Vielleicht müssten wir die Fantasy einfach auch mal umbenennen. Alternativreale Literatur oder so.
2. Veranstaltungen
Geht es nach der Anzahl an Conventions, kann sich die deutschsprachige Geek Culture echt nicht beschweren. Jede größere Stadt, die was auf sich hält, leistet sich eine Comic Con. Hinzu kommen größere und kleinere Dauerbrenner wie BuCon, FeenCon, PAN-Branchentreffen, NordCon, die Buchmessen in Frankfurt und Leipzig, Buch Berlin, RPC*** etc. pp. Für noch breitere Auffächerung sorgen zudem die Literatur-Barcamps.
Daneben gibt es aber auch mehr kleine, regionale Veranstaltungen mit Phantastik-Bezug. Lesungen gehören dazu, doch auch Diskussionsrunden, Tagungen, Themenabende, Märkte usw. Denke, das ist ein noch viel größeres Zeichen als jede (ohnehin eher an visuellen Medien orientierte) Comic Con, dass Phantastik längst nicht mehr Nischenliteratur ist.
3. Magazine, Blogs, Fanzines und Communitys
Das große Fanzinesterben ist vorbei, der Bloghype aber auch. Stattdessen hat sich ein relativ fester Kern herausgebildet, innerhalb dessen verschiedene Zielgruppen bedient werden. Es gibt die Hochglanzmagazine ebenso wie die kleinen Fanzines (off- wie online), die Web-Portale ebenso wie Podcasts und Szene-, Rezensions- oder Autorenblogs. Die DSGVO hat dennoch einige Lücken hinterlassen – vor allem Communitys wie Fantasy-forum.org oder Drachenlanze.de haben nach teilweise mehr als 15 Jahren die Segel gestrichen.**** Andere, wie zwei SF-Foren oder der Tintenzirkel, bleiben dagegen unverwüstlich.
4. Verlage
Auch im Verlagsbereich herrscht relative Stabilität. Mit dem Ja/Nein/Vielleicht-Ende der Voodoo Press hat sich zwar einer der Genre-Verlage verabschiedet, aber im Vergleich zum Kleinverlags- und Imprint-Hü-Hott der letzten Jahre hat es sich auch hier eingependelt. Ob das 2019 so bleiben wird, ist allerdings eher mit Vorsicht abzuwarten.
5. Trends
Hätte ich eine Ahnung von Trends, sähen dieser Blog und meine Romane vermutlich etwas anders aus. Wenn euch aktuelle Verlagsüberblicke interessieren, schaut besser bei Translate or die oder SF-Lit vorbei.
Aber wenn ich doch ein wenig herumschwadronieren darf: auf der Buchmesse in Frankfurt fiel Kuddel auf, Unterwasser-Fantasy liege schwer im Trend. Wenn das stimmt – und wenn ich mich in der Jugendfantasy-Abteilung so ansehe, ist da durchaus was dran – läge ich mit dem Bretagne-Roman tatsächlich mal voll am Puls der Zeit, wuhu.
Ansonsten gab es mit den Heitz-„Doors“ den Versuch, das Genre der Spielromane wiederzubeleben. Bei den unabhängigen Verlagen waren dagegen eher Space Opera, sanftere SF und Sword&Sorcery hoch im Kurs. Auch den Steampunk will man immer noch nicht so ganz aufgeben, und weil das mit -punk am Ende so fancy klingt und Utopien das nächste große Ding sein sollen, wird dann auch immer mal von Solarpunk geschwätzt. Aber erschienen ist da meines Wissens hierzulande noch nichts.
So gesehen war 2018 trotz aller inhaltlichen und ökonomischen Unzufriedenheit für die Szene ein solides Jahr. Aber sie hat auch einige bedeutende Akteure verloren: International Ursula K. LeGuin, William Goldman, Gardner Dozois oder Jack Ketchum, national Christiane Nöstlinger oder Achim Mehnert, der nicht nur zahlreiche Serienromane veröffentlicht hat, sondern auch einer der Köpfe hinter dem ColoniaCon war.Ohne ihn sähe die heutige Phantastik-Szene von NRW anders aus.
*Vermute, es handelt sich um eine Wuhu-alle-2018er-Deadlines-sind-geschafft-Muse.
**Die Diskussion um LGBTQ-Figuren dagegen scheint mir in Twitter hängengeblieben zu sein. Dafür flammt sie hier regelmäßg auf. Vermisse dabei aber noch den Anteil zu asexuellen Figuren. Ebenso wird die Diskussion zur Repräsentation von Menschen mit Behinderung hierzulande eher ausgespart.
***Ab 2019 da leider nur noch als Teil der Comic Con Experience Cologne. :/
****Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich diese Beschreibung nutze. Woah 😮
Ich persönlich finde ja alternativreale Literatur ganz stylish 😁
Schön geschrieben und LG
Vielen Dank!
Finde auch, das klingt angemessen nach ernsthafter Literatur 😉
[…] Previous post: Szeneansichten 2018 Posted vor 1 Minute von FragmentAnsichten […]
[…] Platz ist, nutze ich diesen, um einen kurzen Blick zurück aufs Szenejahr zu werfen. Das habe ich auch 2019 getan, und auf den ersten Blick scheint sich mir da auch gar nicht viel verändert zu haben. Wie […]