Gegenlichtlesen 11: Ein Resümee
Vor fünf Tagen fand Gegenlichtlesen Nr. 11 statt – ein Lesungsevent, bei dem ich zur Abwechslung nicht selbst gelesen, dafür aber an der Organisation mitgewirkt habe. Zeit, den Abend Revue passieren zu lassen.
Es geschah irgendwann an den ersten warmen Tagen dieses ohnehin sehr warmen Jahres, dass Christina Löw und ich uns im Café Jakubowski* trafen und sie mich fragte, ob ich ihr dieses Jahr bei der Orga von Gegenlichtlesen helfen wollte. Long story short: Ich wollte.
Ein bisschen Lesung, ein bisschen Theater und Konzert
Hinter Gegenlichtlesen verbirgt sich ein seit einigen Jahren im Theater Die Wohngemeinschaft (Köln) stattfindendes Event, das Konzert, Lesung und Theater vereint. Heißt: Schauspieler tragen Literaturauszüge vor, zwischen den Themenblöcken gibt es zudem musikalische Einlagen. Lange war Christoph Danne, selber Autor und Verleger, der Hauptorganisator. Im letzten Jahr kam Christina dazu. 2018 hat Christoph das Zepter endgültig an sie abgegeben und ich wurde, um es mit Christinas Worten auszudrücken, zum Sidekick.
Christina und ich haben uns über den Tintenzirkel-Stammtisch kennengelernt, wir sind beide Phantastik-Autorinnen und waren Stand-Nachbarinnen auf diversen Cons und Co. Mit anderen Worten: Wir kommen beide aus dem SFF-Bereich. Entsprechend stand für uns schnell fest, dass wir dieses Jahr auch mit GGL in diese Richtung gehen wollen, wenngleich wir mit dem letztlich gewählten Titel „Andere Welten“ bewusst offengehalten haben, wie man diese Welten nun definiert. In den letzten Jahren war GGL zudem eher klassisch und lyrisch orientiert, dieses Mal haben wir uns für eine Mischung entschieden: Gedichte und Prosa, klassische und zeitgenössische Phantastik mit jeweils ähnlichen Thematiken. Also Jules Verne neben Annette Juretzki, Lyman Franz Baum neben Laura Flöter, Edgar Allan Poe neben Christian von Aster, Lewis Carroll neben Fabienne Siegmund und Franz Kafka neben Oliver Plaschka.
Bald war Miriam Berger (wie schon in den Vorjahren) nicht nur als eine der vortragenden Schauspielerinnen, sondern auch als begleitende Singer/Songwriterin mit an Bord. Hinzu kamen schließlich Mario Neumann, Sarah Schygulla und Sebastian Förster.
Glühweinkonkurrenz
Im Vorfeld hatte ich meine Zweifel, ob alles funktionieren würde. Allein schon die Textauswahl war ein kleines Experiment gegenüber dem, was das GGL-Stammpublikum gewöhnt ist. Hinzu kam, dass der Termin vom Oktober in den Dezember und damit auf ein Wochenende verschoben musste, an dem die meisten lieber mit Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt stehen anstatt eine Lesung zu besuchen.
Aber nun, es hat funktioniert. Zum einen inhaltlich; ich fand es persönlich sehr spannend, wie die Schauspieler*innen den Texten allein durch die Gestaltung von Rollen und Stimmen einen eigenen Touch, eine eigene Interpretation verliehen haben. Und die psychedelische, abwechslungsreiche Musik von Miriam hat nicht nur atmosphärisch viele verzaubert, sondern war auch inhaltlich eine perfekte Ergänzung. (Das klingt jetzt alles sehr nach PR, aber war halt echt so.)
Zum anderen aber auch organisatorisch. Zwar wurden weniger Tickets als im Vorjahr verkauft, und natürlich gab es die eine oder andere Stelle, an der es noch Verbesserungspotenzial gab.** Dennoch war der Abend meinem Empfinden nach deutlich besser besucht als viele andere Events dieser Art, und das, obwohl große Namen gefehlt haben (von den Autoren der verwendeten Texte mal abgesehen). Zudem war das Publikum überdurchschnittlich interessiert, es hat an den richtigen Stellen gelacht und einige Leuten kamen auch nach der Veranstaltung noch auf uns zu (ok, vor allem auf Miriam).
Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, worin nun der Grund liegen mag, dass Gegenlichtlesen erfolgreicher war als viele andere solcher Lesungsevents, bei denen oft nur 7,8 Leute im Publikum sitzen – selbst, wenn ein Rahmenprogramm mit Musik, Wein usw. existiert. Letzten Endes liegt es denke ich an verschiedenen Faktoren:
1. Feste Institutionen
In der Partyszene des Belgischen Viertels in Köln sind Bar und Hostel der Wohngemeinschaft eine feste Institution (wie man nach der Veranstaltung noch eindrucksvoll bezeugen konnte). Erstens feiern hier Hostelbesucher, zweitens viele Stammkunden, hinzu kommt drittens die Laufkundschaft. Das Theater, das hinter der Bar liegt, spricht damit auch Spontane an, die mit den ersten Gläsern Wein eben noch was für die Kultur tun wollen.*** Dadurch wird auch eine Szene angesprochen, die normalerweise nicht unbedingt auf eine Phantastik-Lesung anspringen würde.
Ebenso ist aber auch das Gegentlichtlesen-Konzept bereits als Marke etabliert und mit der Wohngemeinschaft verwoben. Laut Christina waren entsprechend einige Stammgäste da, die sich von den diesjährigen Veränderungen offenbar nicht haben abschrecken lassen.
2. Die Mischung macht’s
Musik, Literatur und Theater mögen ihre Schnittmengen haben, ziehen aber jeder für sich noch einmal ein anderes Publikum an. Dasselbe gilt für die Textmischung: Es war spürbar, dass viele vor allem wegen Lewis Carroll und Edgar Allan Poe gekommen waren.**** Andererseits haben gerade die zeitgenössischen Texte die Stimmung aufgelockert und die szenischsten Lesungen hervorgebracht. Miriams musikalische Einlagen wiederum waren wie Pausen für den Geist und haben als eine Art Puffer dafür gesorgt, dass die Konzentration nicht durch zu viel Textlastigkeit nachgelassen hat. Zudem ist Miriams Musik meinem Empfinden nach für ein breites Publikum leicht zugänglich; beispielsweise spielen auf Phantastik-Lesungen ja oft Bands, die Richtung Mittelalter oder Gothic, manchmal auch Metal gehen. Das ist sicher auch keine schlechte Idee, gerade wenn es Themenüberschneidungen gibt. Aber damit wird sich wiederum auf eine generische Zielgruppe fokussiert, eher allgemeiner Interessierte könnten dagegen Abstand nehmen.
3. Lokalkolorit
Außer mir kamen alle Beteiligten aus Köln bzw. der direkten Kölner Umgebung. Zudem sind viele von ihnen aktiv in der lokalen Kulturszene und hier entsprechend gut vernetzt. Das hat sich vor allem in der Presseberichterstattung vorab gezeigt. Social Media ist gut und schön, aber bei einer solchen Veranstaltung sind in einer Großstadt wie Köln die regionalen Medien Gold wert. Dass beispielsweise der KStA die Lesung in seine Wochenendtipps aufgenommen hat, dürfte noch einmal eine neue Zielgruppe auf sie aufmerksam gemacht haben.
Auch andere Aspekte mögen eine Rolle gespielt haben. Christian, unser Fotograf an dem Abend, meinte beispielsweise, das Kölner Kulturpublikum sei ziemlich offen.***** Außerdem waren sicher auch die einen oder anderen Freunde von Beteiligten im Publikum, die hat man allerdings auch sonst meistens.
Die Moral
Was ziehe ich nun daraus? Nun, vor allem die Erkenntnis, warum Gegenlichtlesen selbst mit Glühweinkonkurrenz funktioniert. Duh.
Lassen sich daraus Lehren für andere Lesungen ziehen? Jein. Es gibt zwei Probleme. Erstens: Gegenlichtlesen ist ein Konzept, das sich nicht einfach übertragen lässt. Bei „klassischen“ Lesungen stehen weniger Themen und der Vortrag selbst im Vordergrund, sondern auch der Autor als Person. Das bringt eine ganz andere Dynamik mit sich und verlangt vielleicht auch ein anderes, „fannigeres“ Publikum. Außerdem haben wir bewusst auch innerhalb der zeitgenössischen Texte solche gewählt, die zwar phantastische Elemente aufweisen, vom Publikum aber keine spezifische Genrekenntnis verlangen bzw. nicht einmal die Bereitschaft, sich auf SFF-Konventionen einzulassen (Ausnahmen bestätigen die Regel). Es bedeutet für mich aber vielleicht, dass ich in Zukunft versuchen werde, eigene Lesungen eher themen- als personenorientiert aufzuziehen.
Zweitens: Gegenlichtlesen ist keine einmalige Aktion, sondern bereits eine Marke, die sich vermutlich durch gute Vernetzung, den richtigen Standort und gute Presse zur richtigen Zeit herausgebildet hat. Mit einer einmaligen Lesung ist es schwer, dahin zu kommen, und eine Reihe muss sich eben auch erst etablieren.
Dennoch kann es vielleicht als Idee dienen, mal mit anderen Autor*innen ein ähnliches Konzept mit eigenen Texten auf die Beine zu stellen. Und als Reminder, die regionale Vernetzung nicht zu unterschätzen.
Letztendlich war es für mich persönlich auch einfach eine spannende Erfahrung. Ich konnte, da ich zwischenzeitlich kurzfristig aus Köln weggezogen bin, nicht so viel partizipieren, wie ich eigentlich wollte. Aber ich habe noch einmal einen anderen Blick auf die Texte bekommen, außerdem einen Einblick in spaßige Themen wie öffentliche Kulturförderung oder „vorführtaugliche“ Textauswahl.
Danke und Ausblick
Aufgrund der Entfernung werde ich mich 2019 aus der Orga heraushalten, aber es wird wieder eine Auflage geben.
Nun bleibt mir noch (einmal), Danke zu sagen: an Paul, den Tontechniker und die ganze Wohngemeinschaft.****** An Miriam, Mario, Sarah, Sebastian und Christian. An die beteiligten Autor*innen und deren Verlage. Und vor allem an Christina, an der die Hauptarbeit hängengeblieben ist und die mir die Möglichkeit zu diesem Einblick gegeben hat 🙂
*Schleichwerbung for more Hipsterness!
**Was den Ablauf angeht, nicht die Lesungen und musikalischen Einlagen selbst. Die fand ich wirklich super.
***An dieser Stelle sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass die Veranstaltung mit gut zwei Stunden nicht ausufernd war.
****Und es hat echt gedauert, bis ich gecheckt habe, warum so viele gelacht haben, als ich meinte, dass die Autor*innen nicht anwesend seien …
******Im Übrigen haben wir eigentlich ausschließlich ein „allgemeiner“ interessiertes Publikum angesprochen. Die SFF-Szene haben wir anscheinend weniger erreicht, obwohl auch die in Köln nicht eben klein ist.
******I’m deeply sorry, diesen Punkt am Samstag vergessen zu haben. Ich hatte gedacht, damit angefangen zu haben, aber mein Hirn war wohl woanders als meine Sprache …
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