(Naive Gedanken) Zur Mobilität der Zukunft

(Naive Gedanken) Zur Mobilität der Zukunft

10. September 2017 3 Von FragmentAnsichten

Als 2004 Alex Proyas‘ Version von „I, Robot“ anlief, wurde der darin auftauchende Audi RSQ, der auf Kugeln statt Rädern fährt, als neues dickes Zukunftsding gefeiert. Heute, 13 Jahre später, fahren allerdings eher wenig Kugelautos durch die Gegend und überhaupt hat sich an unseren Fortbewegungsformen nicht besonders viel getan. Wie aber sieht es aus, wenn man nun 50 oder 500 Jahre in die Zukunft blickt und voller Optimismus davon ausgeht, dass wir uns bis dahin nicht als Elois und Morlocks bekämpfen? Eben diese Frage stellt anlässlich einer noch bis zum 15. September laufenden Blogparade das Weltreiseforum. Und sich darüber Gedanken zu machen, kann ja durchaus auch für Phantastikautoren relevant sein – zumindest, wenn ihre Werke in der Zukunft spielen.

Die Zukunft, auch nicht anders als die Gegenwart?

Mal abgesehen von „Melodie der Toten“ sind all meine bisherigen Romane und Novellen in der Zukunft angesiedelt, und dabei eher im Übermorgen als im Morgen. Dennoch gibt es bei mir – zumindest, solange ich auf der Erde bleibe – keine Hovercrafts und fliegenden Taxis. „Liminale Personae“ klammern wir aus – hier hat die Menschheit eine Apokalypse hinter sich und nutzt zur Fortbewegung Holzkarren, die eigenen Füße und – der Gipfel der Mobilität! – Fischkutter.

Die Zukünfte aus „Vor meiner Ewigkeit“ und „Spielende Götter“ sind von weltumspannenden Katastrophen verschont geblieben, aber die großen Mobilitätsinnovationen haben trotzdem auf sich warten lassen: Simon verlässt sich in „Vor meiner Ewigkeit“ auf Züge, um ans Meer zu gelangen, in „Spielende Götter“ wird Lucie im Auto herumkutschiert. Natürlich könnte ich jetzt mangels Detailbeschreibungen behaupten, mir da ausgefeilte Gedanken gemacht und hochtechnisierte Zukunftsmodelle im Kopf gehabt zu haben. Hab ich aber nicht. In meiner Vorstellung fährt Simon mit einem stinknormalen RE, der in den Kurven quietscht, und Lucies Auto würde wahrscheinlich schon heute als old fashioned gelten.

Audi rsq

Der Audi RSQ (Foto von Florian K unter CC BY-SA 3.0)

Glaube ich also, dass sich auch in 100 oder 200 Jahren nichts auf den Schienen und im Nahverkehr getan hat? Himmel, nein. Ich halte sowohl den RE als auch das klassische Auto eher für Auslaufmodelle. Was allerdings die Alternativen sind? Schwer zu sagen. Selbst mir, die ich vor acht Jahren zuletzt ernsthaft Auto gefahren bin, erschließt sich der Charme selbstfahrender Autos nur bedingt. Und ob die Züge immer schneller werden, das überhaupt sinnvoll ist? Selbst der Flugverkehr ist davon wieder abgekommen, ebenso wie bisher kaum von fliegenden Taxis auszugehen ist. Irgendwann zählt nicht einmal mehr das Wirtschaftlichkeitsargument.

Mobilität der Enge und vertikale Stadtplanung

Beim PAN-Branchentreffen wurde in einem der Workshops danach gefragt, wie wir uns die Städte der Zukunft vorstellen. Die Diskusison hat gezeigt, dass die Antworten darauf eng verknüpft sind mit der Frage der Mobilität – vor allem, falls sich die Mobilität einmal weniger auf die Verbindung von Fernem, sondern mehr auf die Verbindung von Nahem, Engem bezieht. Und Enge darf man einigermaßen sicher als eine der Grundphänomene der Zukunft ansehen, außer vielleicht, wir besiedeln plötzlich doch munter den Mars. Schon jetzt ächzen viele Städte unter der andauernden Landflucht, und die wird vorerst wohl andauern.

An Stadtstaaten wie Singapur lässt sich gut beobachten, welche Folgen das hat: Eine durchorganisierte, funktionalisierte und effiziente Stadtplanung etwa, bei der Wolfgang Welsch* die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde, oder die Orientierung von Wohn-, Geschäfts- und sogar Grünflächen ins Vertikale. Das hat natürlich auch Folgen für die Mobilität. Im Weltreiseforum wird in diesem Zusammenhang auf die wachsende Bedeutung von Fahrstühlen aufmerksam gemacht, die man sicher nicht unterschätzen sollte. Ich vermute, dass dagegen der motorisierte Personenverkehr schon aus Platzgründen weichen wird – schon jetzt ist es schwierig, für Autos, ÖPNV und Fußgänger gleichermaßen Platz zu schaffen.  Auch die Integration von Natur und Verkehrswegen wird eine Herausforderung bleiben, die manchmal – wie in Wuppertal mit der Schwebebahn – vorbildliche Lösungen hervorbringen mag, in anderen Fällen – wie der Naheüberbauung in Idar-Oberstein – dagegen die Lebensqualität einschränkt.

Gardens by the bay

Die Supertrees in Singapur als vertikale Gärten (Foto von Jan unter CC BY-SA 2.0)

Virtual Reality, Aura und Nostalgie

Neben dem „tatsächlichen“ hat aber in den letzten Jahren noch ein anderer Raum an Bedeutung gewonnen, der ebenfalls für die Mobilität von Bedeutung ist: die Virtualiät. Die wird ebenfalls vom Weltreiseforum angesprochen, indem dem VR- oder AR-Tourismus mehr Bedeutung für die Zukunft zugesprochen wird. Zunächst einmal: Ich denke auch, dass dieser Bereich sehr zunehmen wird. Ich schaue mir beispielsweise gerne Virtual-Reality-Ausstellungen wie Dreams of Dalí an. Das Museum in Saint Petersburg, Florida, werde ich vermutlich nie zu Gesicht bekommen – falls ich mal in die USA reise, gibt es dann doch noch ein paar Punkte, die mich mehr reizen. Doch dank der virtuellen Ausstellung kann ich dennoch auf seine Inhalte bzw. einen Teil dessen zugreifen. Die VR-Möglichkeit bringt hier entsprechend eine neue Form von Reisen und Mobilität mit sich.

Allerdings: So schön die VR-Möglichkeiten sind, es bleibt doch etwas anderes, ein Gemälde oder einen Ort tatsächlich zu besuchen. Ebenso wie bei Kopien im Wohnzimmer fehlt die Benjaminsche Aura. Anders steht es dagegen um rein virtuelle Orte, womit wir wieder bei „Spielende Götter“ wären: Hier besuchen manche Nutzer die virtuelle Welt Holus weniger, um tatsächlich zu spielen, sondern mehr, um  Sehenswürdigkeiten wie fancy Elfen- und Unterwasserstädte zu besuchen. Sie sind Touristen in einer virtuellen Umgebung, und ihre Mobilität ergibt sich aus  Möglichkeiten wie einem Spielanzug, aber auch Ingame-Portalen und dem Scrollen.** Ich glaube, dass diese Form von Tourismus in virtuellen Welten tatsächlich an Bedeutung gewinnen wird. Wie oft spielt man inzwischen Spiele zumindest auch wegen der Optik? Die Besonderheit gegenüber realen Orten ist dabei, dass die Aura nicht verloren geht. In „Spielende Götter“ versucht Lucies Vater, einen Ort aus Holus in der Realität nachzubauen, was ihm jedoch nur bedingt gelingt, da eben wiederum die originale, hier virtuelle Aura verloren geht. Die Möglichkeiten des virtuellen Raums sind gleichzeitig begrenzt und viel weiter als die der Realität, wodurch beides einander nicht 1:1 kopieren kann.

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Sightseeing in Holus hoch zu Ross (Bild von Fabian Dombrowski)

Daneben kann die Virtualität aber auch die Nostalgie an Mobilitätsformen wahren, die eigentlich überholt sind. Eine Dampflok-Simulation etwa kann die Begeisterung für „echte“ Dampfloks hervorrufen oder vergrößern und so kleine Inseln der touristischen Mobilität schaffen, die aus der Zeit gefallen wirken und doch nur zu gut zu ihr passen.

Was weiß ich schon …

Abschließend bleibt zu sagen, dass ich mir bei diesen Betrachtungen angemessen naiv vorkomme. Vielleicht irre ich mich vollkommen und in drei Jahrzehnten haben Kugeln die Reifen ersetzt. Vielleicht werden Züge Europa und Amerika verbinden und Überschallflüge doch mehr sein als Prestigeprojekte. Oder die Apokalypse kommt noch vor dem Boom der Automatik-Autos und wir kloppen uns in der Wüste um Benzin.


* Siehe Welsch, Wolfgang (1996): Städte der Zukunt – Architekturtheoretische und kulturphilosophische Ansätze. In:  Grenzgänge der Ästhetik, S. 260-288. Stuttgart: Reclam.
** Heißt einfach nur, dass sich Holus ähnlich wie in Google Earth darstellen und betrachten lässt.