
Buchansichten 2025, Teil 1
Kämpferinnen und Füchse, Klone und Kinder entführende Häuser, und ganz viele Ruinen: der Buchansichten 2025 erster Teil.
Nachdem ich kürzlich ein Manuskript für den nächsten Roman abgegeben habe, entfroste ich nach und nach, was während der letzten Arbeitsphase daran auf Halde lag. Zum Beispiel diesen Blog und die Ansichten zu den Romanen, die ich in der ersten Jahreshälfte 2025 gelesen habe.
Dieses Mal kommen sie nicht als 7er-Listical, denn ich habe schlicht keine sieben „neue“ Romane gelesen, nicht einmal wenn ich den Begriff großzügig auslege. Dafür stand zu viel anderes an und zwischendurch war mir mehr nach Rereads. Aber reden wir weniger darüber, was ich nicht, sondern was ich gelesen habe …
Den Start ins Lesejahr habe ich mit Anne Reineckes „Hinter den Mauern der Ozean“ begangen. Das Buch ist bei Diogenes Tapir erschienen und wenn Nicht-Genre-Verlage Genreliteratur herausbringen, kommen zuweilen erfrischende Perspektiven heraus. Daher wollte ich einen Blick wagen.
Die Handlung spielt in einem postapokalyptischen, von einer gigantischen Mauer umgebenen Berlin. Fünf „Ewige“ durchkämmen die Ruinen der Stadt nach Wissen über die Alten, die Zivilisation, die hier zuvor gelebt hat.
In einer ritualisierten Abfolge erhalten die Ewigen Besuch von mysteriösen Fremden, die möglicherweise Anhänger der Ewigen sind, möglicherweise auch die Wärter von dessen Gefängnis. Diese Fremden bringen Nahrung und erhalten Wissen. Und manchmal bringen die Fremden auch eine neue Version der Ewigen mit – einen Klon, dessen Ankunft bedeutet, dass sein älteres Alter Ego bald verschwinden wird.
Friedrich, auf den die Wahl dieses Mal fällt, und Lola, die als Letzte hinzukam, wollen den Kreislauf durchbrechen und in die Welt hinter der Mauer fliehen. Aber vorher gilt es die Frage zu klären, was mit Lolas Vorgängerin geschehen ist, die noch vor Ankunft der neuen Lola irgendwo in den Ruinen verschwand.
„Hinter den Mauern der Ozean“ ist ein Rätsel und eine Einladung zur Interpretation an die Lesenden, was ich nun, da so etwas selten geworden ist, umso mehr schätze. Das Buch mixt Elemente aus Postapokalypse, Coming-of-Age und Krimi, und hat mich an einigen Stellen an „Liminale Personae“ erinnert. Es geht ums Schicksal, um Gruppendynamik und Identität, aber vor allem ist es eine Reflexion der Geschichte Berlins und unserer Gesellschaft. Genre-Erwartungen werden dabei gebrochen bzw. umgangen und überhaupt bot die Handlung die eine oder andere solide Überraschung. Allerdings war es mir ein wenig zu viel der Berlin-Bezogenheit und zu wenig der Figurenzeichnung. Letztlich hat mich die Meta-Ebene mehr gereizt und es war zweitrangig, ob Lola und Friedrich der Weg über die Mauer gelingt.[1]
Nach diesem vielversprechenden Start bin ich in eine grüne Phase übergegangen. Auf Twitter gab es vor längerer Zeit mal eine Diskussion darüber, ob sich grüne Bücher schlechter verkaufen. Mein 2025er-Stapel wollte davon auf jeden Fall nichts wissen …
Angefangen hat es mit Becky Chambers „Dex und Helmling 1: Ein Psalm für die wild Schweifenden“ (Carcosa), und geendet hat es damit ebenfalls. Die Erzählung um einen Teemönch und einen Roboter, die auf einem fernen Planeten zwischen Ruinen (schon wieder!) über die Menschheit philosophieren war nichts, was ich am Stück hätte lesen müssen. Ich habe immer mal zwischendurch dazu gegriffen und so hat sich die Lektüre über einige Monate gezogen, was allerdings keine Aussage über die Qualität impliziert. Wiederum geht es um Betrachtungen zum Hier und Jetzt, aber sie sind weniger eingewoben als in „Hinter den Mauern …“. Dank des freundlichen Duos war es eine nette, eine niedliche Lektüre, und vielleicht lese ich auch noch Band 2. Aber so richtig hat mich die Stimmung nicht gepackt, und inhaltlich war es wie ein Sinnieren im Park. Kann man schon mal machen, es entspannt vielleicht, aber die großen Erkenntnisse lassen auf sich warten. An „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“ reicht es nicht heran. Was übrigens die Interpretation dieses Buchs als Solarpunk angeht: Nää. Von der Ästhetik her, okay. Aber ist mir alles zu glatt hier, wo bleibt die Widerstandskraft, der Dreck unter den Solarpanelen? Das ist mehr Post-Solarpunk. Solar-Status-Quo quasi.
Nach der Dex und Helming-Freundlichkeit war es dann mal wieder an der Zeit für mehr Drama und ich habe zu meinem – höhö – Comfort Read „Die Tribute von Panem: Tödliche Spiele“ (Oetinger) gegriffen. Das dürfte ungefähr mein fünftes Mal gewesen sein und ich entdeckte mit jedem Lesen neue Details und weiß jedes Mal mehr zu schätzen, dass Katniss keine wirkliche Sympathieträgerin ist.
Zum neuen Haymitch-Prequel habe ich noch nicht gegriffen. Ich fürchte mich ein wenig vor zu viel Fanservice und davor, die Botschaften zu sehr vor den Latz geknallt zu bekommen, daher habe ich es nicht eilig. Außerdem hat mich eine Rezension mies gespoilert.
Weitgehend unbespoilert bin ich hingegen an Christian Endres‘ „Die Prinzessinnen 2: Helden und andere Dämonen“ (Cross Cult) herangegangen. Mit Band 1 hatte ich ja 2023 viel Spaß und auch Band 2, in dem die Söldnerinnen-Truppe widerwillig als Leibwächterinnen eines alternden Helden engagiert werden, hat vielversprechend angefangen. Aber während ich Band 1 gerade für seine Episodenhaftigkeit geschätzt habe, wirkt diese hier doch arg beliebig. Zudem ist das Buch gerade dadurch, dass es mit allen tropes brechen will, vorhersehbar – man weiß halt immer, was nicht passiert. Vor allem aber fehlt es den Heldinnen mit Ausnahme von Narvila völlig an Profil und die Figuren sind austauschbar; dass eine alles rammelt, was nicht bei 3 aufm Baum ist und eine andere Dolche gegenüber Äxten bevorzugt, macht noch keine Charakterisierung aus. Letztlich tragen vor allem der alternde Held Prytos und dessen Begleiter Kaer durch die Handlung, deren zum Ende hin auftauchender roter Faden auf ein dämonisches Finale in Band 3 verweist.
G. A. Aikens „Royal Arrow“ (Piper), der dritte Band aus der Blacksmith Queen-Reihe, die ich ebenfalls 2023 für mich entdeckt hatte, ist inhaltlich sehr ähnlich. Auch hier kämpfen Königinnen und Prinzessinnen gegen das Böse, auch hier mischen sich ein paar Grimdark-Elemente mit sehr viel Humor, auch hier werden tropes ins Gegenteil verkehrt. Dieses Buch höre ich aktuell noch als Hörbuch, aber bisher funktioniert es für mich besser als „Die Prinzessinnen 2“. Es ist stellenweise genauso albern, nimmt sich aber auch insgesamt weniger ernst, was ihm zugutekommt. Außerdem stehen die Figuren für sich und ihre Interaktion mit ihrer Umwelt wirkt glaubwürdiger.
Zurück aber zu Büchern, die ich bereits ausgelesen habe: Ein Halbjahr ohne eine Erzählung aus dem Die Flüsse von London-Universum geht ja nicht. Dieses Mal war „Die Füchse von Hampstead Heath“ (dtv) an der Reihe, ein Novellen-Spin-off über Peters Cousine Abigail, die eine Affinität zu Londons sprechenden Füchsen hat. Gemeinsam mit diesen und ihrem neuen Freund Simon versucht sie einem Edifice-Haus das Handwerk zu legen, das Kinder entführt.
Der Erzählung, die eher Richtung Young Adult geht, fehlt die Komplexität der Peter-Grant-Bände, aber sie füllt ein paar Leerstellen der Hauptreihe und gibt vor allem Abigail mehr Profil.
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Ein richtiges Highlight bot mir das erste Lesehalbjahr zwar nicht, aber unterhalten wurde ich allemal. Aktuell wartet noch der zweite Band der Magier-Bände darauf, dass ich ihn lese, ehe das Rückgabedatum für die Bibliothek ansteht. Und auch sonst gibt es hier jede Menge Bücher und Comics, die auf ihren Moment warten. Ich hoffe, ich komme im zweiten Halbjahr wieder häufiger zum Lesen und auch Hören.
[1] Eine Rezension von mir zu „Hinter den Mauern der Ozean“ erscheint übrigens auch im Science Fiction Jahr 2024.