Logbuch Re:publica 2025

Logbuch Re:publica 2025

31. Mai 2025 0 Von FragmentAnsichten

Chinesische Science Fiction, soziale Netzwerke und ganz viel KI: Nach einjähriger Pause war ich in diesem Jahr wieder zu Besuch auf der Medien- und Digitalkonferenz re:publica. Ein Logbuch:

Montag, der 26. Mai: Hungrige KI, subversive KI

Fast zur geplanten Zeit erreiche ich Montagnachmittag die STATION Berlin. Hierhin ist die re:publica im letzten Jahr zurückgezogen, und das Gelände ist hübsch, keine Frage. Aber ein wenig vermisse ich den Festsaal Kreuzberg mit Anhang. Erst durch drei Hinterhöfe und einen Rave kraxeln zu müssen, ehe man die Bühnen erreicht, war eine nette Nebenquest. In der STATION ist alles aufgeräumter und man findet die Bühnen auf Anhieb. Wo bleibt da der Charme?

Nun gut, dank dessen schaffe ich es zumindest punktgenau zu „Effizient, vertrauenswürdig, digital souverän: Auf dem Weg zur Deutschland-Architektur!“ Das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung gibt hier Einblick in die Nationale IT-Architekturrichtlinie, die über Open Code einsehbar ist. Ich würde gerne behaupten, das alles zu kapieren, aber mein größter Erfolg besteht erst mal darin, nach etwa der Hälfte des Lightning Talks LiveVoice zum Laufen zu bringen. Die App für Silent Stages ersetzt in diesem Jahr die Apparate, die man sich in den letzten Jahren für die Lightning Boxen ausleihen musste. Manchmal hakt es zwar, aber insgesamt vereinfacht es das Prozedere und ermöglicht es einem, auch von anderen Orten dem Bühnenprogramm quasi als Podcast zu lauschen, solange man im WLAN der re:publica bleibt.

Im Anschluss an die IT-Architekturrichtlinie habe ich die Wahl, etwas zu essen oder zu „Science in Science Fiction: Die Wissenschaft von Star Trek und Star Wars – Teil II“ hinüberzugehen. Nun. Was soll ich sagen. Nach 5 Stunden Zugfahrt hab ich dann doch Hunger, SF hin oder her. Die Nahrungsauswahl lässt auch 2025 für meine Arten von Allergien wenig Auswahl, aber Pommes und Brezeln hat’s zum Glück ja (fast) immer.

Mein Appetit ist gestillt, der von KI aber nicht: An der Lightning Box 2 berichten Beyond Fussil Fuels und AlgorithmWatch über „AI’s insatiable appetite: How Big Tech’s energy demands endanger Europe’s climate goals“. Wo AlgorithmWatch draufsteht, kann man sich eigentlich immer sicher sein, was Solides zu bekommen, und auch dieses Mal warten interessante Backgroundinfos rund um den vergleichsweise schwindelerregenden Wasser- und Energiebedarf generativer KI.

Direkt im Anschluss dann mein persönliches Highlight des ersten Tages: Johannes Kuhn vom Deutschlandfunk spricht in „Manufacturing Consent“ darüber, wie KI-Companions (mal mehr, mal weniger) subversiv Einfluss auf ihre Gesprächspartner nehmen. Außerdem weist er darauf hin, dass für diese Art von KI eine Regulierungslücke bestehen dürfte, und zieht in der Art der Verwendung eine Brücke hin zu Fanfictions und MMOs. Viel Input für einen 30-minütigen Vortrag, aber für sowas schätze ich die Lightning Talks.

Danach sind die Reihen schon deutlich gelichtet. Ich schaue mich ein wenig an den Ständen um, mache mich dann auf, noch ein wenig durch die Stadt zu mäandrieren. Tag 1 der re:publica war für mich kurz, aber es bleiben ja noch zwei Tage.

Dienstag, der 27. Mai 2025: Von chinesischer Science Fiction bis zu unterbrochener Sonartechnologie

Die Besuchenden der re:publica sind gut darin, geordnete Schlangen zu bilden. Von Vorteil ist das schon beim Ankommen, denn vor der Taschenkontrolle zieht es sich um zwei Straßen. Als ich es nach vierzig Minuten aufs Gelände schaffe, habe ich zwei Morgensessions zu Nextcloud und Mastodon bereits verpasst. Nun, früher oder später landen ja alle Aufzeichnungen auf YouTube und um Mastodon und das Fediverse dreht sich ohnehin gefühlt 1/3 der Angebote.

Ich schaue bei ein paar bereits laufenden Lightning Talks vorbei, ehe ich mich vor Stage 2 niederlasse zu „Is Reality Outpacing Fiction? A fireside chat with author Chen Quifan“. Neben besagtem Chen Qiufan nehmen am Gespräch Moderatorin Geraldine de Bastion und Uri Aviv teil; letzterer wird in schönstem LinkedIn-Sprech als „Science fiction evangelist“ vorgestellt. Ich wiederhole mich ja, aber – bei den Science-Fiction-Szenen, die auf der re:publica vertreten sind, handelt es sich noch mal um ganz eigene Bubbles. In diesem Falle um eine, die sich in Cannes zum Lunch trifft, wie die Panel-Teilnehmenden kundtun, oh, là, là. Na, ich bin nur neidisch. Pommes ohne alles und Brezeln, ihr wisst schon.[1]

Primär geht es allerdings um die chinesische Science-Fiction-Szene, um deren Entwicklung und aktuelle Trends. Quifan redet über seine Anfänge und ersten Veröffentlichungen, über den Einfluss von Jules Verne auf die Geburt der Science Fiction in China, und über aktuelle dortige Genretrends von Climate Fiction und Cyberpunk bis hin zum Hopepunk. Er bezeichnet die chinesische Spielart als vergleichsweise optimistisch, betont gleichwohl, dass die Szene sehr heterogen sei, sich Trends und Einflüsse z. B. je nach Generation unterscheiden. Ein wichtiger Punkt, nicht nur in Hinblick auf die chinesische SF.

Geraldine de Bastion, Chen Qiufan und Uri Aviv im Gespräch vor einem Bildschirm mit der Aufschrift "re:publica 25". gerade spricht Qiufan
Geraldine de Bastion, Chen Qiufan und Uri Aviv im Gespräch

Weiterhin beschreibt Quifan, wie seine Geschichten je nach Land unterschiedlich interpretiert werden: Während in Deutschland z. B. die dystopischen Seiten hervorgehoben würden, spreche man ihn in den USA eher auf die Bezüge zur Silicon-Valley-Techculture an. Apropos: Natürlich kommt auch dieses Panel nicht ohne den Bezug zu KI aus. Hierzu erwähnt Quifan, die Technologie seit Jahren zu nutzen – wie genau, bleibt unklar –, und spricht sich für eine Art „deeper writing“ als Chance für die Zukunft des menschlichen Schreibens aus.

Ich sehe hier einige Anknüpfungspunkte, aber erst mal geht es für mich weiter zur Lightning Box 3, wo Lea Weinmann von der Süddeutschen Zeitung über „Recherche im Netz: Wie finde ich die Infos, die sonst keiner hat?“ spricht. Allerdings wollen sehr viele Leute wissen, wie man diese Infos findet und ich stehe so weit hinten, dass ich weder von Weinmann noch vom Bildschirm etwas sehen kann. Setze mich daher nach draußen und lausche dem Workshop über LiveVoice. Mangels Bildschirm kann ich den Beispielen und genannten Tools leider nicht ganz folgen, nehme aber zumindest mit, mir Mapillary demnächst mal genauer anzuschauen.

Nach der Mittagspause besuche ich erstmals Stage 1, wo Katharina Meyer gerade Jaroslaw Kutylowski interviewt, den Gründer des Übersetzungstools DeepL. Der erklärt, sich aktuell auf den asiatischen Markt zu konzentrieren, und dass er aufgrund der Konkurrenz durch die großen Big-Tech-Player kein Open-Source-Modell anbieten kann. Aus seiner Perspektive nachvollziehbar. Die Antwort auf die Frage, ob DeepL ein LLM ist, verstehe ich nicht so ganz, aber das scheint der Default zu sein (es war keines, aber es funktioniert so und jetzt ist es auf eins umgestellt?).

Eine frühere Bahnhofshalle, nun Veranstaltungsraum mit blau beleuchtetem Publikum und einer Bühne, auf der sich eine Frau und ein Mann vor einem Bildschirm mit der Aufschrift "re:publica 25" unterhalten. Rechts wird das Gesprochene auf Englisch angezeigt, außerdem eine Gebärdendolmetscherin eingeblendet. Links in Nahaufnahme Jaroslaw Kutylowski.
Stage 1 beim Gespräch mit Katharina Meyer und Jaroslaw Kutylowski

Etwas ratlos bleibe ich sitzen und komme so an meine größte Überraschung des Tages: André Frank Zimpel von der Universität Hamburg möchte darüber reden, inwiefern neurodivergentes Denken eine Chance für die KI-Entwicklung bedeutet. Am Rande taucht dieses Thema auch auf, aber ansonsten rappt sich (!) Zimpel durch eine sehr unterhaltsame und durchaus lehrreiche Session, in der es irgendwie von Synästhesie über Massenpsychologie bis hin zu Autismus und IT um alles mögliche geht. Was dann vielleicht mehr über das Thema aussagt als ein stringenter Vortrag es hätte tun können.

Danach geht es nach draußen in Richtung Loft. Unter dem Titel „Coding the Urban Commons“ stellen Christine von Raven und David Braun vom Netzwerk Urbane Liga u. a. drei Smart-City-Projekte vor, bei denen lokales Engagement und Open Data zusammengeführt werden. Das ist thematisch eine willkommene Abwechslung gegenüber dem sonstigen KI-lastigen Programm.

Im Anschluss stehe ich vor der Qual der Wahl: Gehe ich lieber zu „Was jetzt zu ändern ist: Regulierung im KI-Zeitalter“ mit Axel Voss und Ulrich Kelber, zu „Save Social – Wie bekommen wir ein besseres Netz?“ mit Marc-Uwe Kling, Markus Beckedahl und Franziska Heine, oder zu „Digitale Kompetenz – Bildung, Plattformen und gesellschaftliche Verantwortung“ mit Nathanael Liminski (CDU), Influencerin Susanne Siegert und Tim Klaws von TikTok? Leider entschließe ich mich für Letzteres, was sich eher als Werbeveranstaltung für TikTok entpuppt. Liminski versucht zwar tapfer, ein wenig Kritik einfließen zu lassen, aber insgesamt bleibt das Thema oberflächlich und es geht vornehmlich um die Frage, ob man TikTok verbieten solle, was alle drei ablehnen. Es ist die einzige Veranstaltung, die ich vorzeitig verlasse; dafür schaue ich noch kurz bei „Save Social“ vorbei und wünschte mir, man hätte mal jemanden von den zahlreichen Fediverse-Lobeshymne-Panels (wozu auch „Save Social“ zählt) ins TikTok-Gespräch gesetzt.

Einen gelungenen Tagesabschluss verspricht „GhostNetZero.AI: Wie Sonartechnologie, KI und Citizen Science den Meeresschutz revolutionieren“ mit Maren Lee vom WWF. Gerade als Lee uns die Funktionsweise von Seitensichtsonar erklärt, dem „MRT fürs Meer“, unterbricht allerdings der Standbetreuer den Vortrag und weist darauf hin, dass wegen Feueralarm alle raus müssen. Den Alarm selbst haben wir nicht mitbekommen, da „GhostNetZero.AI“ an einer der Kopfhörerbühnen stattfindet.  Aber auch sonst bekommen längst nicht alle was davon mit: Auf manchen Bühnen geht das Programm weiter, im Co-Working-Space wird gerüchteweise munter gestreamt und als ich nach draußen gehe, fragt mich eine Frau, ob das Piepsen ein Alarm gewesen sein soll.

Eine Frau checkt etwas an ihrem Laptop oder Handy, im Hintergrund der Startbildschirm "Geisternetze mit I aufspüren und bergen" mit der Grafik einer Weltkugel
Wurde leider unterbrochen: Mareen Lee im Lightning Talk, wie KI gegen Geisternetze helfen kann

Wir stehen dann draußen eine Weile verwirrt herum. Auf Mastodon teilt sich die Meute in „omg wir werden evakuiert“ und „häh, hier ist ganz normal Programm?“ Irgendwann kommen drei Feuerwehrleute aus dem Hauptgebäude, Leute gehen wieder in die Halle und ich ins Hotel. Infos in der re:publica-App, die ansonsten über alle Änderungen und News informiert, gibt’s keine.

Mittwoch, den 28. Mai 2025: Wider der Zuversicht

Tag 3 startet mit der Erkenntnis, dass ich gut daran tue, daheim immer zwei Wecker zu stellen. Soll heißen: Ich verschlafe. Daher muss ich nicht die Entscheidung treffen, ob ich lieber ins Dystopie- oder ins Anti-Dystopie-Panel gehe,[2] verpasse aber leider auch Anna Maria Weiß‘ Erklärung, wie sie den Exoplanten TOI1147b entdeckt hat. Schade, darauf hatte ich mich mit am meisten gefreut.

Nun ja. Wenigstens steht die STATION noch. Mehrere Accounts auf Bluesky und Mastodon berichten, dass eine Nebelmaschine zu früh angegangen sei und eigentlich nur ein Teil von Stage 1 hätte evakuiert werden sollen. Ok. Also passiert ist im Grunde nichts, das ist schön. Die Krisenkommunikation verharrt gleichwohl ausbaufähig.

Mein Inputtag startet mit Dina Padalkinas Einblick in „From Awareness to Action: Shaping Curcular Cities Across Generations“ am Beispiel von Berlin. Danach rüber zu Stage 7, wo Katja Muñoz mit Konstantin Kuhle (FDP) über den Einfluss von KI auf Wahlen diskutiert. Muñoz geht das Thema dabei grundsätzlicher an, erklärt z. B. dass bei den Wahlen in Frankreich die Diskreditierung von Politikern eine größere Rolle gespielt habe als Desinformation (mit und ohne KI). Auch Kuhle sieht die Probleme nicht primär bei KI. Er nennt Beispiele, wie gut Desinformation schon ohne diese Technologie funktioniere und mahnt an, dass Deutschland in besonderem Maße hierfür anfällig sei. Demgegenüber könne KI auch für Gutes genutzt werden, wobei ich sein Beispiel von KI-Übersetzungen im indischen Wahlkampf unglücklich finde. Ich weiß nicht, wie genau diese eingesetzt und geprüft wurden, stelle es mir aber hochproblematisch vor, die Übersetzung von Bürgerinformationen KI-Tools zu überlassen – zumal die Datenmenge für einige indische Sprachen sehr mager ausfallen dürfte. Das Thema des Panels wird letztlich jedenfalls nur angeschnitten, einig ist man sich aber mit Moderatorin Rachel Beig – die versucht, zum KI-Problem zurückzuführen –, dass Leute raus müssten aus ihren Bubbles. Was bekanntlich leichter gesagt als getan ist.

Weniger versöhnlich ist der Ton in „Europe’s digital future: How to build the EuroStack!“ Die italienische Wirtschaftswissenschaftlerin Francesca Bria startet mit Kritik an der Lichtsituation und Akustik – die an Stage 3 in der Tat nicht ganz ideal ist, weil es sich um eine Kopfhörerbühne handelt, aber direkt hinter dem Speaker-Podest Stage 2 mit den Boxen flext. Aber auch sonst ist Bria nicht hier, um Blumen zu verteilen. Sie macht keinen Hehl aus ihrer Frustration angesichts der Versäumnisse insbesondere Deutschlands, aber auch Europas insgesamt, wenn es um die Digitalinfrastruktur geht, und mahnt an, Europa dürfe nicht zur digitalen Kolonie werden. Ebenso hält sie nicht hinterm Berg mit ihrer Kritik am „nationalistischen“ Begriff des DeutschlandStack, und präsentiert zwischenzeitlich im Schnelldurchgang die Vision des EuroStack. Danach sind dann auch alle wach.

Francesca Bria und Moderator Robert Peter vor einer Präsentation mit der Aufschrift "The Stack: The layers of digital power" und einer Grafik, die die Bereiche "Data und Artificial Intelligence", "Software", "Cloud", "Internet of Things & Devices", "Networks", "Chips" und "Raw Materials, Energy and Water" danach aufdröselt, wie abhängig Europa von welchen Ländern ist. Als europäische Staaten sind nur Niederlande (bei Chips) und Deutschland (bei Software und IoT / Devices) vertreten, Europa insgesamt bei "Networks"; ansonsten USA; China, Südkorea, Taiwan, Japan, Russland
Francesca Bria erklärt die Abhängigkeiten Europas vor allem von Tech-Unternehmen aus den USA und China. Rechts Moderator Robert Peter

Mit einer ehemaligen Kollegin aus Mainz schaue ich mir jetzt den Makerspace an, wo Designstudierende der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle Prototypen und Produkte vorstellen, die mit offen verfügbaren Daten nachproduziert werden können. Zur Verfügung stehen z. B. eine Fingerprothese, Fahrradzubehör und ein Schallplattenspieler. Dann testen wir im TINCON-Bereich noch ein Game, mit dem man in die Seelenwelten verschiedener queerer Figuren eintauchen kann.

Abschließend widme ich mich meiner finalen Sessionphase: „Mind the Gap: KI-EntwicklerInnen und KI-NutzerInnen haben unterschiedliche Werte zu Moral und Diversität“ heißt der Vortrag von Anne-Maria Nussberg vom Max-Planck-Institut. Nussberger zeigt u. a. auf, dass viele Modelle von einer utilitaristischen Ethik gekennzeichnet sind, die unter KI-Entwickelnden weiterverbreitet sei als in den Nutzerkreisen. Außerdem geht sie auf die Machine Culture ein, in der KI schon jetzt z. B. unsere Sprache und Kultur prägt – dass sie uns auch ethisch und moralisch beeinflussen werden, erscheint insofern nur als Frage der Zeit. Umso wichtiger wäre eine diversere Zusammensetzung der KI-Entwickelnden. 

Ein wenig Optimismus versprüht der Talk „Unabhängige soziale Netzwerke“, worin Merve Kayikci vom SWR X Lab, Pia Maria Lexa von der Initiative Media Lab Bayern und Felix Hlatky darüber philosophieren, wie man das Fediverse einsteigerfreundlicher und massentauglich machen kann. Angesprochen wird dabei u. a. das Problem, dass Algorithmen für viele in der bestehenden Community ein rotes Tuch seien und generell Wege gefunden werden müssten, die Mastodon-Kultur durch Anpassungen nicht kaputt zu machen.

Was in der Diskussion dann leider gar nicht angesprochen wird: Zu dieser Kultur gehört auch eine gewisse Überheblichkeit, die viele Leute, die nach dem faktischen Twitter-Aus phasenweise zu Mastodon kamen, verschreckt hat. Man wird zwar willkommen geheißen, es herrscht aber auch eine gewisse Wikipedia-ähnliche Gatekeeping-Mentalität. Dass eine der Personen aus dem Publikum behauptet, wer guten journalistischen Content mache, erreiche auch ohne Algorithmen seine Followerschaft auf Mastodon, ist so ein Beispiel dafür. Ich bin gerne auf Mastodon, aber mit einigen der Umgangsformen dort muss man erst mal lernen, klarzukommen. Und wenn es Alternativen wie Bluesky oder Threads gibt, hat da nicht jeder Bock drauf. Manche Ecken des Fediverse im Allgemeinen und Mastodon im Besonderen sind mir auch nach vier Jahren noch ein Rätsel, z. B. erscheinen mir die Ergebnisse der Suchfunktion ziemlich random.

Trotzdem vermisse ich den freundlichen Aufbruchsgeist dieses Panels spätestens, als ich mich in „Digitaler Faschismus“ von Rainer Mühlhoff (Uni Osnabrück) und Aline Blankertz (Rebalance Now) setze. Beide stellen vor, wie Faschismus und KI gemeinsame ideologische Wurzeln haben, gehen dabei auf Transhumanismus und Singularität, die Rückkehr der Eugenik, Effektiven Altruismus und Longtermismus, Neoreaction (NRx) und Dark Enlightenment ein. Und wer danach noch einen Rest Zuversicht empfindet, verliert ihn spätestens bei der Vision von CEO-Staaten als neuen Monarchien. Hola die Waldfee. Und das nach 3 Tagen „KI ist schon nicht so gut, aber“, das kickt. Mag’s übrigens, dass beide auch die Utopie in die Nähe des Longtermismus rücken. Der Begriff wird in der SF-Szene zwar sehr divers gebraucht, aber ich tue mich zunehmend schwer mit ihm, selbst wenn er für „inklusive Zukünfte“ gebraucht wird. Denn wo Utopie eine „perfekte“ Zukunftsgesellschaft darstellen will, da ist sie auch ideologisch unterfüttert. Was ist mit denen, die anders leben wollen? Mit denen, die es nicht in diese Gesellschaft geschafft haben? Auch dass sich KI-Kitsch und die neuere Solarpunk-Ästhetik so gut miteinander verstehen, sollte uns zu denken geben. Zurück zum Optimismus und den Makerspaces, weg von der Utopie und den Allweltrettungsfantasien!

Apropos Optimismus. Im Vergleich wirkt der direkt im Anschluss geführte (Final-)Vortrag „Autoritäre Strategien entlarven, um die Demokratie zu verteidigen“ vom Verfassungsblog, richtig hoffnungsvoll. Hey, noch wird mit der Raumfahrt nicht selektiert, noch funktioniert die Justiz. Lasst retten, was zu retten ist!

Draußen riecht Berlin nach Petrichor.

Fazit

Mein Beschluss, tatsächlich zur re:publica zu fahren, ist in diesem Jahr vergleichsweise spontan gefallen. Bereut habe ich es nicht – es waren erneut drei dichte Tage voller Input, für mich ist das psychisch entspannender als drei Tage am Strand.

Mit ein wenig Abstand bleibt gleichwohl ein zwiespältiges Gefühl zurück. Die vorangegangenen Ausgaben habe ich als optimistische Makerspaces erlebt, aus denen ich neue Ideen und Inspirationen mitgenommen habe. Dieses Mal ist da eher eine gewisse Schwermut, was ich vor allem dem KI-Schwerpunkt anlaste. Dass KI auch in der Digitalbubble keineswegs unkritisch betrachtet wird, hat mich beruhigt (zu dem Thema veröffentliche ich die Tage noch was auf meinem Arbeitsaccount auf LinkedIn). Aber mir hat der Ausgleich gefehlt. Vielleicht lag es an meiner Auswahl, aber früher war mehr Neues entdecken, mehr freundliches mind blowing, letztlich mehr Abwechslung. Als Kommentar zum Zeitgeist ist es vielleicht die passende re:publica gewesen. Aber ich hoffe, es kommt auch wieder Aufbruchsstimmung.


[1] Möchte gleichwohl anmerken, sowohl Pommes als auch Brezeln sehr zu schätzen, ohne beides wäre ich oft sehr aufgeschmissen.

[2] Ich hätte mich wahrscheinlich für „Die KRITIS Dystopie“ entschieden, denn Isabella Hermanns Erklärung, was es mit ihrem Anti-Dystopie-Konzept auf sich hat (ähnelt Hope- oder Solarpunk, mit stärkerem Near-Future-Anspruch), habe ich mir schon kürzlich auf dem University: Future Festival angeschaut, was ohnehin einige Schnittmengen zur re:publica aufweist.