Frühlingsansichten 2024

Frühlingsansichten 2024

2. Mai 2024 3 Von FragmentAnsichten

Mit und ohne Einhörner

What a time to be a Phantast: Schaut man sich an, was die letzten drei Monate so abging, kann man sich endgültig von der Vorstellung verabschieden, als Phantastik-freundlicher Mensch noch Nische zu sein. In der FAZ wird Science Fiction als „Genre der Stunde“ bezeichnet, in der TAZ (im Interview mit Aiki Mira) gleich als „wichtigste[s] Genre unserer Zeit“. Wenn ihr auf der nächsten externen Party einen überheblichen Blick für euren Literaturgeschmack ernten wollt, sagt also lieber, dass ihr Fantasy mögt. Das mag zwar der am stärksten wachsende Markt sein, ist aber trotzdem gut für den Underdog-Kick, kürzlich für euch getestet. Und wenn es ganz hart auf hart kommt, könnt ihr sagen, dass ihr vor allem romantische Fantasy oder solche mit Farbschnitt lest. Statistisch gesehen müsstet ihr da zwar auf der Party wenigstens eine*n Verbündete*n haben (nee, hab nicht nachgerechnet), aber das zuzugeben, gehört sich ja nicht überall. Btw., eine Freundin hat mich letztens darauf aufmerksam gemacht, dass der Begriff „Romantasy“ inzwischen auch im englischen Sprachraum verwendet wird. Das scheint sich mir dort erst mit Maas und Co. etabliert zu haben, während es hierzulande schon länger ganz und gäbe ist. Aber es ist so ein praktischer Begriff, wer will sich da denn mit romantic fantasy oder fantasy romances aufhalten! Feine Unterschiede sind eh nur was für Leute, die zu viele Obsidian-Einträge anlegen.

Apropos. Also, eigentlich wollte ich sagen, dass solche SF-Lobeshymnen in den letzten Jahren immer mal wieder auftauchen, und ich mir da nicht zu viele Sorgen machen würde. Die Nerds und Geeks sitzen halt auch in Redaktionen. Und ich kann zwar nicht fühlen, dass „Dune“ gerade einen Space-Fantasy- oder Science-Fiction-Hype auslösen würde (Petition, dass „Die Türme von Eden“ als SF laufen darf, wenn das für „Dune“ klar geht!), aber zumindest viiel Beschäftigung mit Space-Kram. Und eine unterhaltsame, bislang zweiteilige „Dune für Dummies“-Artikelreihe von Andreas Giesbert auf Zauberwelten.de.

Aber weil es thematisch gerade ebenfalls passt, komme ich stattdessen auf Subgenres zu sprechen: Aiki Mira hat sich für Post-Cli-Fi ausgesprochen (die mir recht ähnlich zum Nischengenre Ecotopia klingt, aber vermutlich nicht ganz so harmonisch gedacht ist), Theresa Hannig erneut für Utopien. Für den Solarpunk war dieses Mal Annie Levin via Current Affairs zuständig (wirklich, Ecotopia ist ein Ding, ihr könnt Callenbach dort lassen).

Alles viel zu optimistisch für euch? Ja, dann guckt halt Nachrichten. Oder informiert euch mit Tobias Hof über faschistische Auslegungen von Tolkiens Werk und was das mit Julius Evola zu tun hat.

Wir hätten dank der FU Berlin aber auch noch Einhörner im Angebot. Zu denen hab ich ebenfalls mal was geschrieben, ha! Und in meinem Artikel zum Zirkus in der Fantasy kommen einige Exemplare vor. Eklatanter Einhorn-Mangel herrscht hingegen bei Peter auf Skalpell & Katzenklaue. Ein ganzer Artikel zur Urbanisierung der Fantasy und kein einziges Einhorn, was soll das? Ist denn in Lankhmar kein Platz für Einhörner? In unserem diesjährigen Klassiker-Reread zu „Die Chroniken von Tornor“ kamen auch keine zur Sprache. Nächstes Mal dann. (Ich verspreche nichts.)

Gemälde einer weißen Frau mit langen blonden Haaren, die seitlich am Betrachter vorbeisieht. Sie trägt ein rotgoldenes Kleid und ebensolchen Schmuck, in den Armen außerdem ein kleines Einhorn.
Ich mag mein kleines Einhorn, doch es sticht, sticht, sticht
(„Dame mit Einhorn“ von Raffael Santi, ca. 1505)

Vielleicht tauchen bei Radiator Publishing ja mal Einhörner auf. Wenigstens welche, die durch Träume galoppieren. Radiator wurde 2023 gegründet und startet nun mit dem ersten Programm, was u. a. neues und altes Phantastisches beinhalten soll. Angekündigt ist bereits die Anthologie zum 1. Berliner Preis für Science Fiction („Mensch, Verwandler“). Verlagstechnische Neuigkeiten gibt es außerdem vom Blitz Verlag, der von Maritim übernommen wird, wie beide Verlage auf Instagram berichten. (Sie berichten das erst heute, am 2. Mai, aber versuchen wir mal tagesaktuell zu sein und übernehmen es noch in die Frühlingsansichten.)

Weitere Neuigkeiten, die meinem ersten Blick nach ebenfalls ziemlich Einhorn-mager ausfallen, gibt es in Sachen Award-Landschaft: Im Rahmen des Marburg Con wurde der Vincent Preis verliehen. Das Rennen haben u. a. Vincent Voss und Timo Kümmel gemacht (beide für „Der Fliegenmann“, mal Roman, mal Grafik), Jörg Fuchs Alameda für die Kurzgeschichte „Das Rufen des Ozeans“ (Anthologie „Neue Geschichten aus den Herbstlanden“) und Bettina Ickelsheimer-Förster mit dem Shadodex Verlag. Honorable Mention meinerseits geht an Ingrid Pointecker, die für ihre Verlags- und Herausgebertätigkeiten und die Aktion Libro Sospeso auf Platz 2 landete. Alle Gewinner*innen und Nominierten von Vincent Preis und RAZ (dieses Jahr ohne Kurztexte :() findet ihr auf dem Award-Blog.

Herausgekommen sind außerdem die Nominierungen für den Kurd Laßwitz Preis. Der kommt nun mit einer neuen Kategorie, kritisch, engagiert und intersektional, daher. Hm. Joa. Ich bin davon nur bedingt Fan, als deutlich besseres Zeichen sehe ich es, wenn die Diversität in den Standardkategorien zunimmt, innerhalb und außerhalb „engagierter“ Literatur. Aber auch in der Hinsicht tut sich definitiv was, wenngleich ein paar wenige Verlage die Platzhirsche bleiben.

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Leider hat das Frühjahr auch wieder einige betrübliche Meldungen mit sich gebracht: An Neujahr ist mit 83 Jahren Herbie Brennan verstorben, Autor u. a. der Faerie Wars-Reihe („Das Elfenportal“ usw.).

Zudem ist am 13. April Carola Wolff verstorben. Für „Mein erster Selbstmord“ erreichte sie 2013 den zweiten Platz des Autoren@LeipzigAwards 2013, in der Phantastikszene war sie vor allem für ihre im Fabulus Verlag veröffentlichten Romane „Ausgerechnet Muse“ und „Der Fluch des Erlkönigs“ bekannt. Hin und wieder habe ich mich mit ihr über Mastodon oder ihren Blog ausgetauscht, wo sie nicht nur über Phantastisches, sondern auch über ihren Umgebung mit ihrer Krebserkrankung berichtet hatte. Ich habe sie als warmherzig und hilfsbereit gegenüber ihren Autorenkolleg*innen erlebt. Sie wird fehlen.
Einen Nachruf hat Maike Stein auf der PAN-Website veröffentlicht.

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Damit enden diese relativ kurzen Frühlingsansichten. Im Sommer wird sich gewiss viel tun: Die Con- und Award-Saison ist schließlich gerade erst gestartet. Die re:publica muss dieses Mal leider ohne mich auskommen wegen einer Terminkollision, ich habe jetzt schon FOMO. FeenCon sollte hingegen als Besucherin drin sein, aber ich weiß noch nicht, an welchem Tag. So oder so: Wir lesen uns.

Edit und P. S.: Habe gestern zwei Artikel in meiner Liste übersehen, die ich eigentlich in den Frühlingsansichten nicht missen wollte. Gut, der eine wird dann Teil eines eigenständigen Beitrags. Den anderen will ich wenigstens kurz erwähnen: Bereits vor einem Jahr ist in der phantastisch! ein Beitrag von Nicole Rensmann mit Übersetzer-Interviews erschienen, den man nun aber auch online auf ihrem Blog lesen kann. In der jüngst erschienenen aktuellen Ausgabe 94 der phantastisch! ist (neben z. B. einem Artikel über Postapokalypsen) ein entsprechender Beitrag über die Lektoratsarbeit enthalten.