Bewaffnete Träume
Über die „Somniscope“-Anthologie, meine erste englischsprachige Kurzgeschichte, Dreampunk und KI-Übersetzungen
Another lonely night, another borrowed dream. You know you’ll never get to sleep on your own, so why bother trying? It’ll only waste time, and you’ve got to be up in six hours. Five and a half now.
What is it about other people’s lives that satisfies that gnawing hunger in your chest, if only for a moment? Living in someone else’s skin scratches an itch that can’t be reached any other way. All the little parts of yourself that aggravate like a pebble in your shoe… they’re just gone. Sure, everybody’s got problems, but they don’t have your problems, not exactly. It’s this momentary relief that keeps you coming back night after night.
So you pull out the device, plug it into the wall beside your bed, slip on the headset, and lie back onto your pillow. You close your eyes and listen to those ten hypnotic clicks, your countdown to dreamland. Precisely one second after the tenth click, you lose consciousness. There in front of your eyes is the loading screen…
Eine Handlung, durchbrochen von 27 Traumsequenzen, verfasst von ebenso vielen Autor*innen: Das ist das Prinzip von „Somniscope: A Dreampunk Convergence“, der nach „Mirrormaze“ zweiten Dreampunk-Anthologie aus dem US-Hause Fractured Mirror Publishing. Herausgeber ist Cliff Jones Jr., der auch die Haupthandlung geschrieben, einen der Träume verfasst und die übrigen Schreibenden inkl. mir zusammengetrommelt hat.
„Replaced“ ist damit meine erste englischsprachige Kurzgeschichten-Veröffentlichung. Wie konnte es nur so weit kommen, fragt ihr euch? Shiny, ich erkläre es euch: Alles begann im Jahre 2021. Der krasseste Lockdown war zwar vorüber und der Sommer lockte, aber noch immer blieb genug Zeit, sich in gar erhellende oder gar obskure Genres einzulesen. Und nachdem ich mich munter durch Hope- und Solarpunk gearbeitet hatte, wollte ich mich mal einem Mikrogrenre widmen, das zu meinen eigenen Romanen passt – ansonsten sind die Schnittpunkte zwischen meinen Primär- und Sekundärtexten ja eher vage vorhanden. So bin ich beim Dreampunk gelandet, der auch deshalb eine angenehme Wahl war, weil über ihn bis dato weder zu viel noch zu wenig geschrieben worden war.
Einer, der gleichwohl viel über ihn schreibt und das unvermeidliche Manifest beigesteuert hat, ist besagter Cliff Jones Jr. Nach Veröffentlichung meines Blogbeitrags kamen wir in Kontakt und in ein Gespräch über Dreampunk und sein Austauschsemester in Deutschland. Er wies mich auf die zu diesem Zeitpunkt laufende Ausschreibung zu „Somniscope“ hin und schlug vor, ich solle doch auch etwas einsenden. Ich habe das für eine Höflichkeitsfloskel gehalten, quasi das Phantastik-Pendant zu „How are you?“ Jedenfalls hatte ich nicht ernsthaft vor, etwas einzusenden, hauptsächlich weil ich mein Englisch als nicht praxistauglich genug empfinde, um damit eine Geschichte zu schreiben. Sachtexte hier und da gehen noch klar, solange jemand mit Sprachahnung korrigierend drüber liest. Aber bei Prosa, wo der Stil noch mal zentraler ist, habe ich mir das nicht zugetraut, und nicht mehr weiter an die Ausschreibung gedacht.
Kurz vor Deadline fragte Cliff jedoch nach, ob ich nun etwas einsende. Ich hab also kapiert, dass das offenbar nicht nur eine Floskel war, und irgendwie hat das meinen Ehrgeiz geweckt. Teste ich es halt mal aus, was hatte ich zu verlieren? Geschichten, die sich mehr oder weniger unter Dreampunk fassen lassen, sind schließlich schon mein Ding, und ich hatte noch eine (deutschsprachige) Kurzgeschichte in der Schublade, die ich mal für eine andere Ausschreibung verfasst hatte. Ob sie dort abgelehnt oder nicht rechtzeitig fertig wurde, weiß ich nicht mehr, auch nicht, um welche Ausschreibung es ging. Ist letztlich auch egal, hier wartete jedenfalls ihre zweite Chance. Sie war die SF-Version eines Albtraums, den ich mal gehabt hatte – (Alb-)Träume sind einfach eine tolle Inspirationsquelle, ohne sie gäbe es z. B. auch nicht meinen Beitrag aus der „Geschichten aus dem Keller“-Anthologie oder „Spielende Götter“. Wie auch immer, die Geschichte war also da, jetzt musste sie noch übersetzt werden. Aus Zeitgründen habe ich dafür eine Kombi aus eigener Übersetzung + DeepL gewählt.
Nun bin ich mir der Probleme, die mit KI-basierten Übersetzungen einhergehen, durchaus bewusst. Manchmal erwische ich Texte, die ganz offensichtlich nicht lokalisiert, sondern halt nur wörtlich übersetzt wurden – ob durch KI-Tools oder durch Menschen. Solchen Texten fehlen das Leben und oft die Verständlichkeit. Zu behaupten, eine 1:1-Übersetzung erhalte den Ton des Ursprungstexts, halte ich dabei für Unsinn. Wenn den Lesenden das Hintergrundwissen zu sprachlichen oder kulturellen Besonderheiten fehlt – und das dürfte der Standard sein – geht durch eine solche nicht-lokalisierte Übersetzung der Kontext verloren. Leute studieren sowas ja schon nicht ohne Grund, wisst ihr … Davon abgesehen bin ich jemand, der schon deshalb gerne Übersetzungen liest, weil ich es spannend finde, wenn die Handschrift der Übersetzerperson durchschimmert. Texte als Teamwork, da haben wir das Thema wieder.
Auf der anderen Seite machen KI-Übersetzungen aber auch kulturelle Räume auf bisher nicht da gewesene Art zugänglich. Ein Beispiel: Ebenfalls 2021 bin ich in ein Kaninchenloch zur sehr vielfältigen brasilianischen Phantastik gefallen (woraus u. a. mein Queer*Welten-Essay „Von Mythpunk bis amazofuturismo“ resultiert ist). Ohne die Möglichkeit der Autoübersetzung vieler portugiesischer Texte wären mir diese nicht zugänglich gewesen, ich hätte also weitaus weniger Quellen zur Verfügung gehabt. Zur Expertin wird man mit autoübersetzten Texten vielleicht nicht, weil auch hier Details verloren gehen. Einblicke ermöglichen sie jedoch zweifellos.[1]
Mit „Ersetzt“, bzw. „Replaced“, habe ich das erste Mal mehr als einen Mailtext aus eigener Hand via KI-Tool übersetzt. Natürlich bin ich auch selbst drüber gegangen und habe dabei schon das eine oder andere gefunden, was mit falschem Kontext übersetzt wurde oder schlicht schräg klang. Außerdem habe ich mich dazu entschieden, ein Wortspiel zu kürzen, das sich um Käfer und den Bug aus Computerspielen dreht, weil ich mir unsicher war, ob es auf Englisch funktioniert bzw. nicht zu sehr Holzhammer ist – für sowas hätte es dann wieder Experten gebraucht. Trotzdem war ich letztlich recht zufrieden mit der Version, die ich eingesendet habe. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich die Sache mit der Kurzgeschichte wieder sehr ernstgenommen habe: Wir reden von fünf Normseiten, also einer überschaubaren Anzahl, bei der ich mir noch zugetraut habe, gut selbst drüberschauen zu können. Bei einem ganzen Roman oder einer stärker von Wortspielen lebenden Geschichte hätte ich deutlich mehr Bedenken gehabt.
Der Text wurde angenommen und hat im Anschluss zwei Lektoratsrunden durchlaufen, in denen noch einiges angepasst wurde. Dass Cliff Linguistik studiert hat und ebenso wie (mindestens) eine der Verlagsmitarbeiterinnen etwas Deutsch spricht, war sicher auch von Vorteil, um ein paar Textverwirrungen zu klären.
Ich weiß, dass es an einer Stelle ein größeres Missverständnis gab, als es um die Formulierung „sie zieht eine Grimasse / she grimaces“ ging – da der Text online bearbeitet und dort nun nur noch in der „bereinigten“ Form vorhanden ist, kann ich nicht mehr nachvollziehen, was genau das Problem war, aber vielleicht fällt es ja jemandem mit Übersetzungsahnung direkt auf 🙂 Ansonsten bezog sich die größte Änderung auf den Namen der Hauptfigur: Aus „Nastja“ wurde erst „Nastia“, und schlussendlich „Tasia“ (wobei die Anregung dazu von einer Testleserin kam, nicht vom Lektorat selbst).
Der Rest bezog sich auf viele Kleinigkeiten: aus „residential gardens“ wurden z. B. „spacious gardens“, aus „he strokes her hair“ „he gave her hair a playful tousle“.
Davon ab lief der Prozess nicht allzu anders als ich es von deutschsprachigen Anthologien gewöhnt bin. Okay, es war sehr viel Google Docs im Spiel, und es gab statt eines Vertrags im engeren Sinne ein zweiseitiges „Author Agreement“.[2] Ansonsten … wie gesagt, zwei Lektorats- bzw- Editing-Durchgänge, ein paar Mails ans Team, Ende letzten Jahres die Druckfahnen – und nun ist der offizielle Erscheinungstag von „Somniscope“ da. Ich bin gespannt auf die anderen „Träume“, die u. a. von Dev Schwartz, Yelena Calavera oder dem Münchner Ragnar Martinson stammen. Außerdem bin ich gespannt, wann meine Belegexemplare den Weg über den Ozean finden.
„Mirrormaze“ konnte ich ganz normal über den Buchhandel bestellen. Ich nehme an, dass das mit „Somniscope“ auch bald möglich sein wird, und ein E-Book müsste ebenfalls zeitnah verfügbar sein. Euch erwartet dann eine psychedelische Cyberpunk-Erzählung mit Traumsequenzen – Dreampunk eben.[3]
[1] An dieser Stelle ein ergänzender Disclaimer: Bedenken sollte man bei der Verwendung von KI-Tools, dass die Werke, die man hier eingibt, teilweise wieder zum Anlernen genutzt werden. Im Falle von DeepL entfällt das bei der Pro-Version. Bei der freien Version rate ich davon ab, urheberrechtlich geschützte Texte komplett zu übersetzen. Zudem sollte man Texte um persönliche Daten bereinigen, ehe man sie zur Übersetzung eingibt.
[2] P.S.: Falls mal jemand ähnlich verwirrt ist wie ich: In dem Agreement wurde zwar nach einer Social Security Number gefragt, die bezieht sich aber nur auf Leute mit Wohnsitz in den USA. (Jaa, ich dachte einen *winzigen Moment lang, ich solle meine Sozialversicherungsnummer angeben und war sehr europäisch empört.)
[3] Von dem, was ich über die Druckfahnen mitbekommen habe, ist es eine etwas dreckigere Version als „mein“ Dreampunk. Ich betrachte Träume gerne als Werkzeug, hier sind sie vor allem Waffe. Wie gut, dass ich die Überschrift erst in einer Fußnote erkläre. Oh und die ersten Absätze da, die sind übrigens der Klappen-/Beschreibungstext.
Ich habe den Eindruck, dass zumindest die freien KIs vom Lernen aus Texteingaben nicht wirklich profitieren. Google Bard lügt mittlerweile einfach bei jeder Antwort, da gibt es gar keine Versuche mehr richtig zu antworten und Chat GPT ist zumindest beim Textkorrigieren definitiv schwächer geworden. Und dann waren da ja noch da diese Meldungen, dass er im Dezember faul geworden wäre…
Bei Textgeneratoren beobachte ich das Nachlassen zumindest anekdotisch auch; das Problem dürfte hier (u. a.) darin liegen, dass die KI nicht davon profitiert, wenn sie mit KI-generiertem Material angefüttert wird. So beißt sich das Prinzip gewissermaßen selbst in den Schwanz.
Bei DeepL, was ja schon auf eine etwas längere Geschichte blickt und vermutlich noch stärker mit menschlichem Material arbeitet, sind mir allerdings noch keine Schwächen aufgefallen.
Stimmt, deepl ist stark und überhaupt die reinen Übersetzer im übersetzen recht gut. Außer der von Bing 😀
Wobei es zB aus dem Russischen wirklich nur grad so reicht, um den Inhalt zu verstehen.
Stimmt, in den Sprachen gibt es deutliche Unterschiede, auch je nach Anbieter. War letztens bei einem Test mit Amazon Translate dabei; Französisch ging recht gut, Deutsch war auch okay, die Italienerinnen hatten aber … sehr viel Spaß, sagen wir es mal so. [Edit: Übersetzt wurde teils aus dem Englischen, teils aus dem Deutschen in die jeweiligen Sprachen.]
[…] zum Glück ist am 30. Januar noch „Somniscope“ erschienen, sonst nähme es überhand mit den Blogbeiträgen mit Jahresangabe. Wenigstens steht […]
[…] Als weiterführende Lektüre verlinke ich hier noch einen Blogpost von Alessandra Reß, hier geht es um das Übersetzen einer Kurzgeschichte und damit einhergehende Problematiken. Während mein Blogpost sich eher mit den ethischen Dimensionen und meinen Bedenken auseinanersetzt, fokussiert dieser hier stärker auf das konkrete Wie und geht tiefer in die Materie „Übersetzung“ an sich rein (und erklärt mir zumindest zum Teil mein Uncanny-Gefühl.). https://fragmentansichten.com/2024/01/30/bewaffnete-traume-die-somniscope-anthologie/ […]
Hab Somniscope erfolgreich über Reuffel (für nicht Koblenzer: Buchhandlung in Koblenz) bestellt und auch bekommen. Hat ein paar Tage gedauert, da Print on Demand.
Bin schon sehr gespannt auf die Geschichten.
Oh, viel Spaß, schön, dass das geklappt hat. Meine Belegexemplare hängen wohl noch irgendwo auf dem Atlantik fest^^
Hast Du inzwischen ein Exemplar bekommen?
Nein, die sind wohl alle auf dem Weg verschollen -_- Hab mir gesagt, ich kauf mir eins zum Einjährigen. Das E-Book habe ich aber immerhin.