
KinoAnsichten
[CN für Panikattacken, obwohl das hier eigentlich ein positiv gestimmter Beitrag ist]
Ich habe mir gestern auf Zeit.de eine Reportage von Valerie Schönian über die Liebe zum Kino und dessen Barbenheimer-Renaissance durchgelesen. Ein schöner Beitrag, und auch wenn ich wahrlich genug anderes zu tun hätte, hat er in mir die Muse geweckt, über meine eigene Kinozuneigung zu bloggen.
Denn obwohl ich nicht allzu oft Kinos besuche, gehört es doch zu meinen liebsten Freizeitaktivitäten. Ich mache vieles gerne allein, aber in Sachen Film bin ich Rudelgucker. Allein brauche ich oft Wochen, bis ich einen einzigen Film zu Ende geschaut habe. Filmabende mit anderen finde ich aber klasse – und was ist ein Kinobesuch anderes als ein Filmabend/-nachmittag mit (Freunden und) Fremden? Für mich gehört das im oben verlinkten Artikel genannte Gemeinschaftserlebnis, die Reaktion der anderen, zum Charme eines Films dazu. Direkt mitreden zu können, ist hingegen zweitrangig; entsprechend gehe ich selten schon in der Premierenwoche, sondern warte lieber, bis die Reihen etwas gelichtet sind. Ganz allein sitze ich andererseits auch wieder ungern im Saal, wo bleibt dann schließlich das Gemeinschaftserlebnis!
Von anderen höre ich oft, sie gingen nicht mehr ins Kino, weil sie der Lärm der anderen störe und oft Chaoten unterwegs seien. Letzteres habe ich zum Glück selten erlebt. In schlechter Erinnerung habe ich einen „Dark Phoenix“-Besuch mit einer Gruppe quasselnder und Popcorn-werfender Teenager. Und eine Vorstellung im UCI Hürth Park, wo zwei Jungengruppen kurz davor standen, aufeinander einzuprügeln, ehe sie des Saals verwiesen wurden. Aber den beiden Ereignissen stehen Dutzende positiver Erfahrungen gegenüber.
Indie-Freuden und Zufälligkeit
Am liebsten gehe ich in kleinere Kinos, in Koblenz z. B. ins Odeon/Apollo. Es ist mit Freunden oft eine leidige Diskussion, weil viele lieber ins Kinocenter im Industriegebiet gehen. Aber abgesehen davon, dass mich dort individuelle Probleme wie eine mangelnde ÖPNV-Anbindung und die überteuerten Snack-Preise abschrecken, sind mir die Cineplexe und Co. oft zu groß und … zu stylisch. Mag sein, dass der Sound dort besser ist, aber daheim gucke ich Filme auf meinem Laptop mit den eingebauten Boxen. Für mich klingt im Kino alles geil! Und wenn es nicht allzu laut ist, ist mir das nur recht. Wackelnde Sitze brauch ich ebenfalls nicht.
Außerdem schätze ich die Aktionen unabhängiger Kinos. Von Odeon/Apollo gab es z. B. schon Anime-Nächte in Kooperation mit einem Manga-Laden, eine queere Aktionsreihe oder seit neuestem das Kinderwagen-Kino für Eltern in Baby-Begleitung. Ich bin nicht für alles davon die Zielgruppe, finde es aber schön, wenn auf die Art nicht nur die üblichen Blockbuster laufen und Alternatives ausgetestet wird.
Ein weiterer Vorteil von Innenstadtkinos (das können natürlich auch mal Kinocenter sein), ist die Zufälligkeit. Ab und zu lande ich im Industriegebiet-Kino, z. B. da dort die Auswahl größer ist und Filme länger laufen. Aber das sind dann immer geplante Besuche. In die Stadtkinos dagegen falle ich schon mal auf dem Heimweg oder wenn ich nach einem Stadtbummel spontan von einem Kinoplakat angelockt werde. Und so schaue ich Filme, auf die ich sonst womöglich nie gekommen wäre. Im letzten Jahr landete ich z. B. primär deshalb in „Belfast„, weil es ein schweinekalter Februartag und das Kino beheizt war – es entpuppte sich als mein Lieblingsfilm 2023. Ein andermal bin ich mit meiner Mutter und meiner älteren Schwester spontan in Bielefeld in „Hangover“ gegangen, weil es geregnet hat und wir nicht recht wussten, was wir sonst so mit dem Abend anfangen sollten. Die Filme, die liefen, haben uns alle nichts gesagt, aber das Plakat zu „Hangover“ sah lustig aus, also haben wir uns dafür entschieden und später im Saal Tränen gelacht. Ein völlig alberner Film, der im TV für uns nicht mehr funktioniert hat. Für diesen Tag war er jedoch genau das Richtige.
Gute und weniger gute Erlebnisse
Ich weiß nicht, ob ich ein favorisiertes Kinoerlebnis habe. Vielleicht sogar die „Hangover“-Sache. In intensiver Erinnerung habe ich auch manches Vorfilm-Erlebnis, z. B. als mich der Trailer zu „Mad Max: Fury Road“ völlig geflasht hat (bis dahin ging mir „Mad Max“ am Hintern vorbei). Ein Happening waren außerdem immer die „Herr der Ringe“-Besuche, ebenso die beiden letzten „Avengers“-Filme. Oder der Besuch des ersten „Downton Abbey“-Films in einem Hamburger Kino (es war kalt, im Kino war es warm): Ich kannte die Serie bis dahin nicht, entsprechend war der Film für mich eher mittelmäßig spannend. Im Publikum waren jedoch viele verkleidet und sind voll mitgegangen; es war einfach lustig, die Reaktionen der Menschen zu beobachten.
Eine ganz andere Kinoerinnerung verbinde ich mit meiner Großmutter mütterlicherseits: Sie war eine sehr schweigsame Frau und hat nicht gerne von „früher“ erzählt. Aber für ein Uniprojekt in Medienwissenschaft habe ich sie einmal zu ihrer Kinobiographie interviewt. Sie hat mir dann erzählt, dass sie als Teenager und junge Erwachsene direkt neben dem Dorfkino gewohnt hat, auf Errol Flynn stand und zweimal die Woche hin ist – freitags liefen immer Western. Auch meinen Großvater hat sie dort im Kino kennengelernt. Also vielleicht ist mir die Kinoliebe einfach in die DNA geschrieben.
Mit Kino-Dates kann ich auch dienen, obwohl ich nicht direkt neben dem Kino gewohnt habe. Im Gegenteil war es immer eine halbe Stunde Fahrt und ein ewiges „wenn deine Mutter fährt, kann mein Vater abholen“ etc. pp. Eigentlich weiß ich nicht, warum Kinos so ein Dating-Ort sind. Gut unterhalten kann man sich da ja nicht. Andererseits hatte ich den Eindruck, dass manche bei Dates ohnehin nicht so viel reden wollten.
Wenn wir schon bei Kindheits-Kinotalk sind: An meinen ersten Kinobesuch habe ich noch ziemlich klare Erinnerungen. Meine Eltern parkten vor einem Betonklotz und ich war schlecht gelaunt, weil ich dachte, wir würden in ein Möbelhaus gehen. Stattdessen haben wir uns „Der König der Löwen“ angeschaut und ab da konnte ich nicht mehr genug Kino bekommen. In den ersten Jahren waren es meistens Disneyfilme – ich erinnere mich an „Pocahontas“ und dass ich darum gebettelt habe, mehrfach in „Mulan“ zu dürfen. Aber auch an „Amy und die Wildgänse“ (den fand ich gruselig), an „Schweinchen Babe“ und eine Wal-Doku auf Niederländisch.
Mit 17 war’s mit der Kinoliebe allerdings zeitweise vorbei: Von heute auf morgen hatte ich dauernd Panikattacken. Sie kamen in der Schule, im Bus, und eben auch im Kino. Heute gehört „Into the Wild“ zu meinen Lieblingsfilmen, aber der Kinobesuch war eine Tortur. Ich habe fast die ganze Zeit gezittert und war nur damit beschäftigt, nicht ohnmächtig zu werden, was mir vor meinen Freunden arg peinlich gewesen wäre (und eh nicht besonders angenehm ist). Na ja, ich habe eine Therapie gemacht, die ich zwar nicht in bester Erinnerung habe, aber danach ging vieles wieder, auch Kino. In der Anfangszeit habe ich mich noch an den Rand gesetzt und Filme mit zu vielen Effekten gemieden. Aber inzwischen ist mir sowas weitgehend egal, ich gehe nur nach wie vor ungern in späte Vorstellungen.
Meine kinointensivste Zeit hatte ich, als ich 2015-2018 neben dem Zoom, einem Kunstkino in Brühl, gewohnt habe. Das war nicht nur das erste Mal, dass ich hin und wieder allein in Vorstellungen bin, ich habe auch ein paar wirklich schräge Indie-Produktionen gesehen. Von vielen erinnere ich mich leider nicht mehr an die Namen. „Noma“ war auf jeden Fall dabei, eine Doku über das gleichnamige Restaurant, in dem man z. B. Ameisen und Moos verspeisen konnte. Außerdem ein Filmspaziergang, über den ich 2017 gebloggt habe. Und „Sully“, den ich gut fand, aber nicht so ausgefallen.
Abstandskino
Mit Corona kam für viele eine Kino-Durststrecke. Ich war 2020 hingegen so oft dort, wie sonst seit Brühler Zeiten nicht mehr. Glaubt mir, ich habe Corona sehr ernst genommen, bin sogar heute noch Maskenträgerin im Zug. Aber ich habe mich an wenigen öffentlichen Orten so sicher gefühlt wie mit 20 Leuten im riesigen Kinosaal, während moderne Klassiker wie „Matrix“, „Inception“ oder „Herr der Ringe“ liefen. Auch aktuell fühle ich mich im Kino wieder wohl – wie gesagt gehe ich ohnehin selten in die überfüllten Vorstellungen. Bisher habe ich noch nicht mal „Barbie“ oder „Oppenheimer“ gesehen, obwohl mich beide vage interessieren. Dafür lief letzte Woche „Im Taxi mit Madeleine“ im Open Air; eine angenehm kurze französische Tragikomödie, die ich nur empfehlen kann.
Nun habe ich die letzte Seite in meinem Notizblock erreicht, was ich als Zeichen sehe, diesen Beitrag zu beenden. Sonst bin ich wieder zu faul, ihn abzutippen.
Jedenfalls: Kino ist toll. Ja, ich bin mir der Barrieren bewusst, auch der finanziellen. Für mich ist es jedoch stets aufs Neue ein schönes Erlebnis und ich hoffe, dass sich die Kinos weiter behaupten können – auch über Barbenheimer hinaus.
Danke für diesen Einblick!