7+7 Buchansichten 2023, Teil 1

7+7 Buchansichten 2023, Teil 1

1. Juli 2023 2 Von FragmentAnsichten

In den letzten beiden Jahren ist es zu einer gewissen Tradition geworden, dass ich einmal pro Halbjahr einen Blick auf sieben in den vergangenen Monaten gelesene oder gehörte Romane werfe. Auch 2023 will ich damit nicht brechen.

Das Jahr fing lesetechnisch gut an mit dem Drachenlanze-Reread und der fröhlichen Albernheit „Princess Knight„. Danach habe ich aber einige Romane abgebrochen. In einem Fall war’s unfreiwillig – mein Hörbuch zu Naomi Noviks „Scholomance 1“ ist anscheinend defekt und bricht nach einer Stunde ab. In den anderen Fällen war die Zeit noch nicht reif. Vielleicht bin ich ein andermal in der Stimmung für sie, aber für den Moment gab es genug andere Titel, die gewartet haben. Zum Beispiel …

(1) „Klima-Korrektur-Konzern“ von Uwe Post

Wenn Computerviren auf genveränderte Algen treffen, kann es ungemütlich werden. Trotzdem ist „Klima-Korrektur-Konzern“ ein recht optimistischer CliFi-Roman, sogar mit einigen Solarpunk-Elementen. Vor allem aber ist es eine zynische Satire und ja, das geht durchaus alles zusammen. Vordergründig geht es um Phil, der nach einem folgenschweren Fehler seinen IT-Job verliert und danach bei einer Tochterfirma von besagtem „Klima-Korrektur-Konzern“ anfängt. Prompt bringt ihm das Weltrettungsideen, psychedelischen Sex und das Balancieren zwischen realen und theoretischen Verschwörungen ein. Das ist ein bisschen chaotisch und in Qualität wie Stimmung wechselhaft. Stellenweise hatte ich den Eindruck, dass der Autor aktuelle Trends persiflieren will, dann wieder, dass er einfach kreativ mit ihnen spielt. Auf jeden Fall verfügt er über viel Fachwissen, wodurch jedoch einige Dialoge zwischen Figuren schon mal im Infodump enden. Am Ende bleibt ein inhaltlich interessanter und stellenweise sehr humorvoller Roman, der im Aufbau ausgereifter sein dürfte.

„Klima-Korrektur-Konzern“ von Uwe Post, Polarise 2021, ISBN: 978-3-947-61992-4

(2) „Qualityland 2.0“ von Marc-Uwe Kling

Beim Lesen vom „Klima-Korrektur-Konzern“ habe ich mich immer wieder an „Qualityland“ erinnert gefühlt, was mich prompt dazu veranlasst hat, im Anschluss dessen Fortsetzung zu hören. Beide Romane – „Klima-Korrektur-Konzern“ und „Qualityland 2.0“ – widmen sich einer nahen, weiter mit dem Klimawandel kämpfenden Gesellschaft auf satirische Weise. Interessant finde ich dabei, dass KKK ein eher utopisches, „Qualityland 2.0“ ein dystopisches Bild entwirft, und dennoch Letzteres deutlich philanthropischer daherkommt.

Wie auch immer. „Qualityland 2.0“ knüpft inhaltlich direkt an den Vorgänger an: Nach dem Attentat auf John of Us konkurrieren neue Kandidaten um das Amt des Präsidenten, Peter – der Held aus Teil 1 – therapiert Maschinen und seine Ja-Nein-Vielleicht-Freundin Kiki versucht herauszufinden, wer ihr ständig Auftragsmörder auf den Hals hetzt (daher auch der Untertitel „Kikis Geheimnis“). Gegenüber Teil 1 ist das Buch weniger essayistisch, stattdessen hat es überraschend viel Handlung. Und schon wie bei der Känguru-Trilogie kommt das auch „Qualityland 2.0“ gar nicht mal so zugute. Ich meine, versteht mich nicht falsch, ich hatte viel Freude an dem Buch – allein die Therapiesitzungen mit den traumatisierten Maschinen, oder der verbale Generationen-Schlagabtausch zwischen Präsidentenberaterin Aisha und ihrer jüngeren Kollegin Lucia waren das Hören schon wert! Die stärksten Momente sind aber meist die, in denen Klings Sozialkritik zu Hochform aufläuft und solche Stellen gehen hier trotz allem ein bisschen in der Handlung unter. Trotzdem, ja ja, es ist Jammern auf hohem Niveau. Keine Ahnung, ob „Qualityland 3.0“ geplant ist, aber ich würd’s nehmen. Sogar mit Handlung.

„Qualityland 2.0“ von Marc-Uwe Kling, Ullstein 2022 / Hörbuch Hamburg 2020, ISBN: 978-3-548-06481-9

(3) „Damals in Nagasaki“ von Kazuo Ishiguro

Wir unterbrechen das laufende Programm für etwas ganz anderes: „Damals in Nagasaki“ erzählt in zwei Episoden aus dem Leben der Japanerin Etsuko. In der ersten wohnt Etsuko in England und bekommt Besuch von ihrer jüngeren Tochter Niki aus London, während sie den Suizid der älteren, Nikis Halbschwester, verarbeitet. In der zweiten Episode erleben wir Etsuko in Nagasaki, einige Jahre nach dem Atombombenabwurf. Sie ist schwanger mit ihrem ersten Kind und freundet sich mit einer Nachbarin und deren sonderbarer Tochter an.

Die beiden Episoden überschneiden sich inhaltlich, werden parallel erzählt. Anfangs scheinbar ohne Zusammenhang, nehmen beide mit der Zeit immer mehr Bezug aufeinander. Es geht um Schuld und Trauma, um Geschlechterrollen und Generationenkonflikte, um kulturelle und persönliche Identität. Das alles intelligent verschachtelt und einerseits mit ruhiger Distanz erzählt, andererseits dennoch sehr berührend, manchmal beklemmend und tieftraurig.

„Damals in Nagasaki“ war ein Spontankauf und ich habe erst hinterher gelesen, dass es Ishiguros Debütroman aus 1983 ist. Das Debüt zeigt sich in der Erzählweise, wenn man spätere Romane des Autors wie „Was vom Tage übrig blieb“ kennt. Dass das Buch so alt ist, hätte ich hingegen nicht erwartet. Es behandelt viele auch heute sehr aktuelle Themen, und man merkt dem Buch die persönliche Komponente an. Bisher mein Highlight des Jahres, das ich entsprechend nur empfehlen kann.

„Damals in Nagasaki“ von Kazuo Ishiguro, Blessing 2021, ISBN: 978-3-896-67699-3

(4) „Das Quaken der Nachtigall“ von Katharina Fiona Bode

Von beklemmend und traurig zu überdreht und gewitzt: In „Das Quaken der Nachtigall“ ermitteln eine Kröte und eine Kaulquappe in und unter den Straßen von Grim City in einem Fall von Platzdeckchen-Falschhandel. Die Vierte Wand wird dabei munter durchbrochen und es gibt fast mehr Fußnoten als Fließtext. Das ist auch einer meiner Kritikpunkte an dieser Novelle, denn ihr wisst ja hoffentlich, dass ich Fußnoten liebe, aber man kann alles übertreiben. Irgendwann hab ich aufgehört, die Fußnoten zu lesen, um noch der Handlung folgen zu können. Wobei die nicht wirklich komplex ist. „Das Quaken der Nachtigall“ lebt in erster Linie vom Wortwitz, für den Katharina Fiona Bode bekannt ist (oder … war; die Nachtigall ist von 2019 und ihre bis dato letzte Veröffentlichtung). Der Rest ist nett, aber mir auf die Dauer einen Ticken zu überdreht. Erinnert inhaltlich an eine Kreuzung aus „Zootopia“ und „Lemmy Lokowitsch„.

„Das Quaken der Nachtigall“ von Katharina Fiona Bode, Art Skript Phantastik, ISBN: 978-3-945-04506-0

(5) „Die Glocke von Whitechapel“ von Ben Aaronovitch

Wir bleiben bei Fantasykrimis: Mit „Die Glocke von Whitechapel“, dem siebten Band der Die Flüsse von London-Reihe, wird der Zyklus um den (inzwischen nicht mehr) gesichtslosen Magier zum Ende gebracht. Dazu muss Nachwuchsmagier und Police Constable Peter Glocken zerstören, durch Zeiten springen und sich mit Fae anfreunden. Das ist gewohnt flott geschrieben, aber ausgerechnet zum großen Finale wirkt das Ganze seltsam fahrig. Außerdem … hm, interessiert mich Peters Privatleben nicht. Von mir aus könnte er die ganze Zeit im Folly (=Hauptquartier quasi) chillen und Geister jagen. Die kruden Sexszenen mit Flussgöttinnen gehören wohl auch zum typischen Polizistenalltag, sind aber weniger mein Fall. Dass das Ende andeutet, dass der Privatkram ab Band 8 (jaa, ein Zyklus endet, was Neues beginnt) noch mehr Raum einnimmt, hat mich bisher zögern lassen, die Reihe weiterzulesen. Aber mir bleiben ja diverse Spin-offs, Comics und Rereads. Und irgendwann lese ich eh weiter, ich kenn mich doch.

Übrigens hat’s in der aktuellen Ausgabe der Geek! ein interessantes Interview mit Aaronovitch zur Reihe.

„Die Glocke von Whitechapel“ von Ben Aaronovitch, dtv 2019, ISBN: 978-3-423-21766-8

(6) „Pyramiden“ von Terry Pratchett

Ohne meine Obsidian-Notizen hätte ich schon vergessen, dass ich im Frühjahr „Pyramiden“ gehört habe und das ist vermutlich kein besonders gutes Zeichen. Dabei kann man mit Scheibenwelt doch nichts falsch machen! Dachte ich zumindest, als ich mir das Hörspiel von „Pyramiden“ gekauft habe, Pratchetts Ausflug zu Pharaonen und ins Alte Ägypten. Und es war ja auch nicht schlecht. Aber die Thematik vom Wesen der Götter kam in anderen Scheibenwelt-Romanen schon besser zur Geltung. Andere Pratchett-Romane hatten auch spannendere Hauptfiguren. Und die leichtbekleidete Dienerin als einzige wirklich relevante weibliche Figur ist so 80er (Erstveröffentlichung: 1989). Also mein Lieblings-Pratchett war’s nicht.

„Pyramiden“ von Terry Pratchett, Piper 2015 / Lübbe Audio 2006, ISBN: 978-3-492-28067-9

(7) „Weltenzerstörer“ von Cixin Liu

Zum Abschluss noch was Abbauendes, denn hier [Spoiler] geht die Erde unter. Passiert. Oder [Antispoiler] doch nicht? Auf jeden Fall sieht sich die Menschheit ihrer größten Bedrohung gegenüber, als der Weltenzerstörer, Heimat eines reptiloiden Volkes, sich anschickt, die Erde auszusaugen. Es bleiben 100 Jahre, um eine Lösung zu finden, in der die Menschheit nicht nur als Futterherde für die Zerstörer überlebt.

„Weltenzerstörer“ ist ein älteres Werk von Cixin Liu (2002) und das erste, was ich von ihm gelesen habe. Die (kurze) Geschichte ist mit Distanz erzählt und erinnert mehr an ein Szenario oder einen Bericht. Die Figuren haben lediglich Funktionen, sollen aber keine Nähe erzeugen. Wie von oben herab sieht man dem Geschick der Menschheit zu und folgt den philosophischen Gesprächen zwischen dem Marschall, Wortführer unter den Menschen, und „Beißer“, Botschafter des Weltenzerstörers. Immer wieder geht es dabei um die Arroganz und Selbstbezogenheit der Menschheit, und um die Frage, ob survival of the fittest das einzige Prinzip zwischen den Erdenvölkern sein muss. Trotzdem ist das Buch auch ein Stück weit Utopie, denn kaum ist der Feind da, zeigt sich die Menschheit bemerkenswert geschlossen in der Lösungsfindung. Nicht, dass man als Leser viel von dieser mitbekäme. Das Buch springt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und der Epilog ist fast länger als der ganze Rest. Das ist nicht spannend, aber interessant, auch durch die Schlichtheit der Erzählung. Ein paar Absätze mehr hätten der Qualität dennoch keinen Abbruch getan und vielleich manche Plattitüde in positiverem Licht gezeigt.

„Weltenzerstörer“ von Cixin Liu, Heyne 2019, ISBN: 978-3-453-31925-7

Weiter mit Teil 2 geht es dann voraussichtlich im Dezember. Mal schauen, was sich dann auf der Liste findet – der SuB ist nach vorübergehender Kürzung jedenfalls ganz gut angewachsen.

P. S.: Sobald ich Artikel veröffentliche, werden mir die Anführungszeichen nach Links „falsch herum“ angezeigt. Das ist nicht schön. Kennt jemand eine Lösung für dieses Problem?