[Bericht] re:publica 2023
Ein neues Jahr, eine neue re:publica: Eigentlich sollte das im ohnehin schon sehr vollen Messe-, Con- und Konferenzjahr nicht zu einem weiteren „Pflichttermin“ werden, aber nachdem es im letzten Jahr so schön war, hab ich mir im November dann doch wieder ein Early-Bird-Ticket gekauft und bin am 5. Juni einmal mehr quer durch die Republik gegurkt, um an der „Blogger-Konferenz“ teilzunehmen. In der Praxis sind vermutlich die wenigsten Teilnehmenden tatsächlich noch Blogger, aber hey, ich hebe den Prozentsatz diesbezüglich etwas an.
Das Schöne an der re:publica ist ganz generell, dass sie zwar einen Fokus hat, gleichzeitig aber viele verschiedene Themenbereiche bedient: Lernen und Bildung ist ebenso ein Thema wie Kunst und Kultur, Wissenschaft und Technologie hat gleichermaßen Raum wie die Wirtschaft. Entsprechend kann man an Bekanntes anknüpfen, gleichzeitig aber auch viel Neues entdecken. 2023 standen die verschiedenen Bereiche unter dem Großthema „Cash“, wodurch viele, aber längst nicht alle Sessions, Geld und Finanzierung in irgendeiner Form mitbedacht haben.
Insgesamt habe ich an den drei Tagen ab Montagnachmittag zwanzig verschiedene Vorträge, Workshops und Diskussionsrunden besucht. Ich bespreche in diesem Jahr nicht alle davon, stelle aber ein paar meiner Favoriten mit Phantastik-Relevanz vor und verlinke, sofern vorhanden, die Aufzeichnungen. Die Sessions rund um Hochschuldigitalisierung, KI und Co. habe ich bereits in einem eigenen Beitrag auf LinkedIn vorgestellt.
Tag 1: Horror und der Lärm der Zukunft
Am liebsten besuche ich immer die Lighning Boxen, in denen in kurzen Inputs von 15-20 Minuten ein Thema vorgestellt und anschließend darüber diskutiert wird. Auch in diesem Jahr konnte man hier in ganz unterschiedliche Bereiche eintauchen. An Tag 1 habe ich mir beispielsweise angeschaut oder besser gesagt angehört, wie die Stadt der Zukunft klingen könnte. Wolfgang Gruel, Professor für Intelligent Mobility Concepts an der Universität Esslingen, und Jonas Kieser vom Impulse Audio Lab boten hierzu Soundbeispiele mit mal mehr, mal weniger viel Lärm. Bemerkenswert dabei: In Bezug auf städtische Lautstärke macht die Umstellung auf E-Mobilität offenbar nicht viel aus (in anderer Hinsicht aber schon). Soundbeispiele kann man sich unter how-does-tomorrow-sound.com/ anhören.
Nach diesem Lightning Talk habe ich mich das erste Mal auf einen re:publica-Workshop getraut und festgestellt, dass die Workshops hier … nun, tatsächlich Workshops sind 😀 Nabila Bushra und Farah Bouamar haben ihren Occult-Horrorkurzfilm „I can heal you“ gezeigt und über die Filmfinanzierung berichtet. Wir Teilnehmenden sollten uns dann überlegen, wie wir 15.000 Euro für einen Kurzfilm mit drei Tagen Drehzeit ausgeben würden. Ich war in einer Gruppe mit zwei Studenten, die grundsätzlich alles mit Lastenfahrrädern, unterbezahlten Praktika und eigenem Kostümfundus lösen wollten. Dafür hatten wir dann immerhin genug Geld fürs Catering übrig.
Tag 2: KI-Verzauberung und China-Cheerleader
Dienstags hätte ich den Tag gerne mit Biohacking auf Stage 4 gestartet, allerdings habe ich die zugehörige Bühne nicht rechtzeitig gefunden. Generell war das Gelände rund um Arena Berlin und Festsaal Kreuzberg toll, aber auch abenteuerlich und sehr verwinkelt. Einen Teil der Bühnen habe ich erst am dritten Tag entdeckt und je mehr man den Eindruck hatte, anstatt in einem Panel-Raum in einem Rave-Tunnel zu landen, desto weniger Leute fanden sich ein. Trotzdem finde ich es etwas schade, dass die re:publica 2024 zur STATION Berlin zurückkehrt. Aber das nur am Rande, auch dieser Ort hat sicher seine Qualitäten …
Statt zu Biohacking wollte ich dann jedenfalls zur KI-Wissensvermittlung, da war es aber schon rappelvoll. Also bin ich herummäandriert, habe mir einen Lighting Talk zu Finanzbildung angeschaut, mich ein bisschen in Sachen „Digitale Tools für ein Sustainable Paradise“ weitergebildet und dann endlich die Stage 4 gefunden – allerdings wiederum nicht rechtzeitig, um die Panel-Diskussion zu „Speculative Ecologies“ mit Pinar Yoldas, María Antonia Gonzáles Valerio und Ingeborg Reichle von Anfang an zu sehen. Etwa die Hälfte habe ich aber noch mitbekommen, und fand z. B. die (semi-ernst gemeinte) Idee interessant, Museen als die „neuen“ Kirchen und Kunsthistorik als neues Priestertum zu betrachten. Vielleicht erklärt das ja meine Museumsliebe.
Im Anschluss an die Stage-4-Quest ging es wieder in bekanntere Gefilde, nämlich zu zwei weiteren Lightning Talks: Marie Bröckling stellte in „Cheerleaders for China“ ihre Recherchen zu nicht-chinesischen YouTubern vor, die in ihren Videos China bewerben. Dass die meisten das nicht des Geldes wegen tun – die wenigsten werden überhaupt dafür bezahlt –, sondern aus Überzeugung, hat mich nicht unbedingt überrascht. Bemerkenswert finde ich es dennoch.
Anschließend bin ich direkt sitzen geblieben und habe mir noch Prof. Marion Planks Input zum Aktionshashtag #humanartist angeschaut. Hier ging es um die Vermenschlichung von KI und die Problematiken, die damit einhergehen. Plank sprach sich dafür aus z. B. weniger von KI, sondern mehr von Machine Learning zu sprechen, da der Begriff stärker betone, dass die KI-Leistung auf Datensätzen beruht, nicht auf einer tatsächlichen „Intelligenz“.
In eine etwas ähnliche und doch ganz andere Richtung ging abends AX Minas Vortrag „Magic and Our Many Futures“. Sie verglich hier u. a. wie die Berichterstattung über Tools und Generatoren der Art ähnelt, wie z. B. auf den Philippinnen über magische Geisterwesen gesprochen wird. Die Vorstellung, Technologie könne uns retten, stellt dabei zweifellos eine Form magischen Denkens dar. Ihr Fazit war letztlich, dass Technologie als Form von Magie sowohl hilfreich als auch schädlich sein kann – dazu zog sie auch eine Reihe von Beispielen u. a. aus der Science Fiction heran. Wichtig seien letztlich vor allem klare Werte.
Tag 3: Globale Träume, technische Albträume
Der dritte Tag war warm und sonnig und ich habe mir vor allem Außenpanels angeschaut. Wobei das eher Zufall war … vielleicht war ich auch einfach so froh, die Oberhafenkantine hinter einer Reihe Fahrradschuppen gefunden zu haben, dass ich einfach nicht mehr von dort weg bin.
Jedenfalls startete der Tag mit Barbara Wimmers „9,99 Euro für magische Wichs-Avatare“, worunter ich mir gar nichts vorstellen konnte, was sich aber als eines der unterhaltsamsten Panels der ganzen re:publica herausstellte: Wimmer berichtete von einem Selbstversuch mit dem auf Stable Diffusion aufbauenden Tool Lensa AI, das ein Foto von ihr verfremdete und dabei sexistischen – bei anderen Personen auch rassistischen – Stereotypen folgte. Je nachdem, welches Geschlecht Wimmer für sich angab, konnte sie Arzt oder Rockstar, Blumenfee oder einfach irgendwas mit Regenbögen werden. Es war einer von vielen KI-thematisierenden Vorträgen, den ich besucht habe, aber leider der Einzige, der das Bias-Problem angesprochen hat.
Direkt im Anschluss folgte ein weitere Highlight: Sascha H. Funk von der Thammasat University stellte in „Digital Dreams, Cultural Realities“ im Eiltempo vor, wie eng südostasiatische Popstars und die dortige Tech-Kultur miteinander verwoben sind. Leider scheint es ausgerechnet diesen Vortrag nicht auf YouTube zu geben, schade.
Später am Tag habe ich mir noch ein Panel rund um Leerstand-Nutzung auf dem Land angeschaut und dann die Diskussion „Umsetzen statt Aussitzen – Wie bekommt die (digitale) Kultur Schwung ins Thema Barrierefreiheit?“. Radiojournalistin Amy Iman Zayed (kennt ihr vielleicht vom John Sinclair-Podcast) diskutierte mit Helge Rehders (von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt), Andreas Krüger (Referent für Barrierefreiheit und Inklusion der Berlinischen Galerie), Eva-Katharina Jost (vom Berliner Spielplan Audiodeskription) und Noa Winter (Leitung des Projekts Making a Difference) über den aktuellen Stand. U. a. ging es dabei um mangelnde Repräsentation und Ticketshops, deren Barrieren es unmöglich machen, Eintrittskarten für barrierefreie Angebote zu kaufen. Ebenfalls angesprochen wurde das Dilemma, dass sich Datenschutz und Barrierefreiheit im digitalen Bereich oft in die Quere kommen und letzteres dann meist hintenan fällt. Ich glaub, vielen ist gar nicht bewusst, dass das echt ein Riesenproblem ist. In der Arbeit an der Hochschule erlebe ich z. B. immer wieder, dass Untertitelungssoftware für hörbehinderte Studierende wegen Datenschutz- und Prüfungsbedenken nicht zugelassen wird. Faktisch ist Teilhabe also nicht oder nur erschwert möglich, weil die Kompromissbereitschaft in dem Bereich gleich null ist. Bestenfalls werden unter der Hand U-Boote zugelassen, aber offiziell heißt es ständig, dass im Zweifelsfalle der Datenschutz wichtiger ist. Und versteht mich nicht falsch, Datenschutz ist eine tolle Sache – aber ich bin mir sicher, dass man hier zufriedenstellende Lösungen für beides finden könnte, wenn man nur wollte. Dass es eine rechtliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit gibt, hat sich im Gegensatz zur DSGVO leider noch nicht recht herumgesprochen (von der ethischen Seite red ich ja gar nicht …).
Zum Abschluss ging es noch mal in die Höhen-Katakomben von Stage 4, um dem Diskussionspanel „Muslim Futures“ mit Anja Saleh, Makan Fofana, Sara Bolghiran und Ouassima Laabich zu lauschen. Die vier diskutierten darüber, ob es ein europäisch-muslimisches Futurismus-Movement gibt oder geben könnte. Viel ging es dabei um Fragen der Identität, Erinnerung oder Ästhetik, aber auch um ganz praktische Fragen wie – zählt das Beten im Metaverse?
Mit entsprechend vielen Eindrücken ging es dann wieder zurück nach Koblenz. Obwohl ich erneut null Networking betrieben habe und außerhalb der Workshops eigentlich nur äh still Wissen konsumiert habe, war die re:publica mein bisheriges Veranstaltungshighlight des Jahres. Gleichwohl ist mir bewusst, dass es sich am Ende des Tages und trotz aller Diversität um eine ziemlich elitäre Veranstaltung handelt. Auf einem Event, dessen Standardtickets 300 Euro kosten, über Finanzbildung zu sprechen, ist halt nicht ganz so durchlässig. Andererseits werden fast alle Vorträge über YouTube bereitgestellt, das Wissen ist also für alle oder zumindest viele verfügbar. Mich besänftigt das, und ich spiele mit dem Gedanken, auch im nächsten Jahr wieder hinzufahren. Was macht schon ein Pflichttermin mehr, haha …
[…] Lesungsabende und Phantastik-Ausstellungen. Eigene Beiträge habe ich bereits zu MetropolCon und re:publica veröffentlicht, und ich kann gerade gar nicht glauben, dass die erst so relativ kurz her sind, […]