[Bericht] Spectrum-Event zu Solarpunk
Der nachfolgende Eventbericht war und ist eigentlich Teil der vorangegangenen Juniansichten. Da das Interesse daran durch das allgemeine Interesse an Solarpunk in den letzten Tagen wieder zugenommen hat, gibt’s ihn der Übersichtlichkeit halber noch einmal als ausgesonderte Variante. Eine Übersicht zu Solarpunk findet ihr außerdem auf TOR Online, eine Besprechung zu Roberta Spindlers „Sun in the Heart“ hier auf dem Blog, eine weitere deutschsprachige Übersicht auf Arte.de
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Die Londoner SFF-Writergroup Spectrum lud am 26. Juni zu einem Solarpunk-Nachmittag, der zumindest im Ansatz versuchte, Brücken erstens zwischen den Szenen verschiedener Länder*, zweitens aber auch zwischen Autor*innen und anderen Solarpunk-Akteur*innen zu schlagen. In einem ersten Panel tauschten sich daher die Dozentinnen Lisa Garforth und Thorunn Helgason mit Software-Multitalent Devine Lu Linvega und dem Künstlerkollektiv Commando Jugendstil aus. In der dichten Diskussion kam dabei immer wieder auf – vor allem vonseiten Lu Linvegas und Commando Jugendstils –, dass es darum gehe, zweckbezogene, kommerziell losgelöste Technologien zu entwickeln. Zugleich wurde die Ganzheitlichkeit der Solarpunk-Idee hervorgehoben. „Es geht um mehr als ein paar Bäume auf einem Wolkenkratzer“, brachte das beispielsweise Commando Jugendstil auf den Punkt [meine Übersetzung].
Das zweite Panel dagegen fokussierte sich mit den üblichen Verdächtigen des internationalen Solarpunk-Litkanons – d. h. Verlegerin Sarena Ulibarri, und den AutorInnen Phoebe Wagner, Fabio Fernandez, Francesco Verso und Vida Cruz – auf den literarischen Solarpunk. Und damit schlagen wir wieder den Bogen zur Küper-Diskussion, denn wiederum wurde herausgehoben, dass Solarpunk ein Movement von small press und Selfpublishing ist. Es ist aber auch ein sehr internationales Genre, und das nicht nur in dem Sinne, dass es inzwischen in vielen Ländern entsprechende Szenen gibt, sondern auch, dass diese überdurchschnittlich viel zusammenarbeiten, wofür dieses Panel ja der beste Beweis war. Das entspricht dem kosmopolitischen Community-Ideal des Movements.
Aber auch inhaltlich wurden einige Aspekte besprochen. Beispielsweise ging es um die Unterschiede zur Climate Fiction und Sarena Ulibarri machte darauf aufmerksam, dass Solarpunk zwar optimistischer ist als die oft dystopische CliFi, das aber nicht bedeute, dass Probleme ausgeblendet würden; „better futures“ bedeuteten eben keine „perfect futures“. Mit diesem Fazit schließt sie an ihr Vorwort aus der US-Edition von Lodi-Ribeiros brasilianischer „Solarpunk“-Anthologie an. Außerdem sprach sie sich für einen Hard-SF-Schwerpunkt aus und erklärte, von ihren Autor*innen – Ulibarri gibt die Solarpunk-Anthologien der World Weaver Press heraus – hier intensive Recherche für realistische Technologien zu erwarten. Phoebe Wagner fügte dem allerdings hinzu, dass auch social awareness eine große Rolle spiele und letztlich technische und soziale Aspekte zusammen gedacht werden müssen.
Es gab noch viele weitere spannende Punkte, die in der gut vierstündigen Veranstaltung angesprochen wurden, aber das würde hier zu weit führen. Was mich an beiden Diskussionen gefreut hat, war, dass sie über die üblichen Definitionsdiskussionen weit hinausgegangen ist. Klar wurde trotzdem auch hier angesprochen, was denn nun der Punk an der ganzen Sache ist und worum es sich beim Solarpunk überhaupt handelt. Sarena Ulibarri sprach dabei von einem „storytelling mode“, einem Movement und von „genre fiction“, Vida Cruz von einem „playground“. Ulibarri formulierte zudem diese Definition:
Solarpunk is a movement of artists, writers, and activists interested in changing the trajectory of our world for the better. As a genre of fiction, solarpunk is optimistic science fiction stories that engage with issues of climate change and social injustice. Solarpunk stories don’t always show the specific solutions that led to a better world, but they do always strive to show that better futures are possible.
Sarena Ulibarri (Definition aus dem Chat der Veranstaltung kopiert)
Am Ende ist Solarpunk all das und eines zumindest dürfte klar sein: Es ist nicht nichts und eine verdammt spannende Angelegenheit.
*Wenn Solarpunk noch ein bissl größer wird, lässt er sich tatsächlich auch als Szene begreifen. Er hat die Historie, die Medien, die Werte, die Ästhetik und auch die Symbole, die es dafür aus soziologischer Sicht braucht. Allein bei den Ritualen und Treffpunkten bin ich mir nicht ganz sicher, aber gebt uns mehr solcher Solarpunk-Nachmittage und die Szenesoziologin in mir ist glücklich! Und wenn der Solarpunk noch den Alltag seiner Mitglieder durchdringt, wird er sogar zur Subkultur. [/Begriffsexkurs Ende]
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[…] wegen des Berichts zum Solarpunk-Event von Spectrum? Der Übersichtlichkeit halber habe ich ihn hier zusätzlich in einen eigenen Beitrag ausgesondert. Die anderen Themen aus den Juniansichten sind […]
Danke, das ist immer interessant zu lesen. An Solarpunk faszinierend finde ich, obwohl ich technisch nicht fit bin, eben die pragmatische Technologie. Aber es ist wohl unpassend zu fragen, ob hier im Blog irgendwo Links zu dieser Seite davon sind.
Irgendwo in den Untiefen hatte ich dazu meine ich auch mal Artikel verlinkt, aber in welchen Ansichten das war, weiß ich nicht mehr. Aber schau mal nach Stephen Gossetts „What does Solarpunk look like in practice?“, da steht einiges zur Solarpunk-Technologie (der Direktlink ist ellenlang, aber Google findet den Beitrag problemlos ;)).
„Auslöser“ für den Blogpost, der den Startpunkt von Solarpunk markiert hat, waren ja die von Lenkdrachen betriebenen Frachtschiffe (bzw. EIN von einem lenkdrachen betriebenes Frachtschiff). Finde ich eine sehr spannende Idee, da sie im Grunde sehr simpel ist, aber eben auch tatsächlich funktioniert. Und leider zeigt das Beispiel auch gut, woran es dann in der Praxis hadert – wären die Ölpreise damals nicht gesunken, wären die Lenkdrachen vielleicht heute Standard.
Danke. So bist Du zum Solarpunk gekommen?
Nein, ich meinte, so ist Solarpunk entstanden. Also die Sache mit den Lenkdrachen war die Inspiration für einen anonymen Blogpost auf „Republic of the Bees“, wo 2008 das erste Mal der Begriff Solarpunk auftauchte – damals als Reaktion auf Steampunk, nicht auf Cyberpunk, auch wenn das heute oft etwas untergeht …
Ach. Den Artikel hatte ich mal gelesen, aber wieder vergessen. Gossetts Artikel habe ich gerade fertig. Der ist interessant. Danke für den Hinweis.
[…] dessen nur bedingt wahrgenommen wurden. Das ist nun anders. In den letzten Monaten habe ich Veranstaltungen mit SFF-Autor*innen aus den verschiedensten Ländern besucht und konnte dank Zoom-Meetings und Mailinglisten in […]
[…] Rolle oder gar meine Freundschaften hinterfragen – es ist sehr entspannend. Also habe ich eine Panel-Diskussion nach der anderen besucht und hach, was schien das schön! Da diskutierten Autor_innen aus Italien, […]
[…] Das pragmatische Utopia, Alles über Solarpunk, Solarpunk – Warum gerade jetzt?, Spectrum-Event zu Solarpunk, Keine schöne neue […]
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