Dreaming of Dreampunk

21. Mai 2021 12 Von FragmentAnsichten

Manchmal gehen Diskussionen ja seltsamer Wege: Im Rahmen des letzten Autor_innensonntags – einer Aktion, die immer sonntags auf Instagram stattfindet – ging es eigentlich darum, welche Themen man als Autor_in nicht behandeln möchte. In meinem Beitrag habe ich eher als Scherz am Rande Dreampunk erwähnt, was einige Nachfragen nach sich gezogen hat. Und nun, wie könnte ich da anders, als alle eigentlich anstehenden Deadlines zu ignorieren und eine kurze Übersicht zu diesem herrlichen Subgenre™ zu verfassen?!

Wann immer ich mit einem Begriff um die Ecke komme, der noch nicht allen SF-Expert_innen geläufig ist, wird mir ja gerne vorgeworfen, mir diesen ausgedacht zu haben oder etwas aufzubauschen, was nur mal drei Leute auf einem Stammtisch vor sich hin gebrabbelt haben. Erfunden habe ich noch keinen der Genre-/Movementbegriffe (ok, fast keinen), aber den zweiten Vorwurf kann ich ein Stück weit verstehen – sicher gibt es z. B. einige Punk-Derivate, die die Angewohnheit haben, nur mal kurz auf emurinem Con oder in einem Rollenspiel aufzuploppen und so ohne richtige Unterfütterung in den Diskurs übernommen zu werden. Aaaber für die Szenesoziologin in mir hat auch das seinen Wert. Zudem trifft der Vorwurf auf Dreampunk nur bedingt zu. Schließlich hat Wattpad ihm schon einen Beitrag spendiert!

Ein Traum von einem Mikrogenre

Aber was ist Dreampunk denn nun? Primär stammt der Begriff eigentlich aus der Musik, beschreibt hier ein Electro-Mikrogenre und soll ein Gefühl des surrealen Lustwandelns durch eine futuristische Stadt vermitteln. Zuweilen wird Dreampunk auch analog zu Vaporwave oder dessen „dreckigerem“ Äquivalent Hardvapour verstanden. Die Verbissenheit, mit der in der Electro-Community offenbar darüber diskutiert wird, ob das alles überhaupt valide Mikrogenres sind, erfüllt mich mit dem wissenden Lächeln der Popcorn essenden Außenstehenden.

Die Atmosphäre des Cyberpunk gilt als wichtige Inspirationsquelle für Dreampunk, Hardvapour und auch die im Vergleich ungleich utopischere Vaporwave. Und von diesen Musikgenres geht es wieder zurück zu Literatur, Comic und Film. Denn hier wurden Stimmung und ästhetisches Selbstverständnis des Dreampunk wiederum adaptiert: Gelegentlich taucht der Begriff auf, um Werke zu beschreiben, die eine dunkelbunte, urbane Atmosphäre mit sich bringen und inhaltlich einer surrealen, eben „traumhaften“ Logik folgen; zuweilen wird das Ganze garniert mit einem gewissen Hang zur futuristischen Nostalgie (yes), aber auch zum Techno-Orientalismus.

Nächtliche Skyline von Hongkong, hell und bunt erleuchtete Skyscraper
Hongkong bei Nacht: Eine wichtige Inspirationsquelle für die musikalische Seite des Dreampunk (Bild von Designerpoint via Pixabay)

Beispiele und Nähe zu anderen Movements

Folgerichtig wird beispielsweise gerne Neil Gaimans Sandman unter Dreampunk gefasst, andererseits aber auch die Scott Pilgrim-Comics, die auf den ersten Blick doch eher vaporwavig-bunt wirken. Aber seien wir mal nicht so. Auf der anderen Seite der Emotionsskala finden wir Haruki Murakamis Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt, auf jeden Fall Zack Snyders Sucker Punch und selbstverständlich hat der Dreampunk mit Mirrormaze auch eine standesgemäße Anthologie zu bieten. Weitere Werke, die unter Dreampunk gefasst werden, reichen von The Dark Tower über Fight Club bis hin zu Perdido Street Station. Spätestens an diesem Punkt wird dann auch die Nähe zum New Weird deutlich; beispielsweise würde ich auch dafür plädieren, Steph Swainstons modernen Weird-Klassiker Komet unter Dreampunk zu fassen.* Um beides voneinander zu trennen, könnte man sich darauf einigen, Dreampunk als Submovement der Weird Literature zu begreifen, die insgesamt noch etwas themenoffener agiert als der kleine Elektropunk. Nicht allzu stark sind hingegen überraschenderweise die Parallelen zum Vaporpunk. Beide teilen zwar eine gewisse Nostalgie und Farbverbundenheit, doch geht Vaporpunk deutlich weiter zurück und kann quasi als süd- und mittelamerikanische Steampunk-Variante verstanden werden.

Der Movement-Check

Movements wie Hope- und Solarpunk finde ich in erster Linie aus der Beobachterperspektive spannend. Ich schreibe wohl hin und wieder Erzählungen, die ein paar Elemente beinhalten – wenn man mag, kann man das Ende von Spielende Götter hopepunkig interpretieren –, aber grundsätzlich betrachte ich das Ganze lieber interessiert und mit ethischer Verbundenheit vom Rande aus. Mit Dreampunk ist es umgekehrt: Vor meiner Ewigkeit ist Dreampunk par excellence, und auch für Die Türme von Eden hätte ich dieses Label besser mal verwendet, dann würden Leute auf die surrealen Elemente weniger überrascht reagieren …

Na ja, trotzdem weiß ich nicht, ob ich auch geistig Teil des Movements bin, denn – gibt es hier überhaupt ein Movement zu? Ich übernehme diesen u. a. von Alexander Knorr verwendeten Begriff gerne, weil er gut diese Überschneidung zwischen sozialer Szene und (Literatur-)Genre umschreibt, und weil mir „Strömung“ zu literaturwissenschaftlich orientiert zu sein scheint.** Aber damit er passt, braucht es nicht nur eine Ästhetik, sondern auch eine Haltung. Die meisten Movements zeigen diese in einem Manifest und … heureka, es gibt tatsächlich ein Dreampunk-Manifest! Und eine Anthologie hat es ja auch schon, also vielleicht gibt es Hoffnung und ich kann mich bald als Dreampunkerin bezeichnen. Allerdings muss ich dann erst mal Spanisch lernen. Und meinen Musikgeschmack ändern.

Hm. Kann ich Dreadpunk noch mal sehen?


*In Sachen Kunst habe ich außerdem bei Laura Flöters Wicked Wonderland starke Dreampunk-Assoziationen.
**“Mikrogenre“ gefällt mir aber auch sehr gut, neues Lieblingswort.

Text unter CC BY 3.0 DE
Verwendete Bilder: „Alice in Wonderland“ von whale05 unter CC BY 2.0, „Alice in Nukeland“ von Aledin unter CC BY NC-ND 3.0, „Hongkong Peek Nacht“ von Designerpoint via Pixabay, Cover von „Vor meiner Ewigkeit“, Cover von „Die Türme von Eden“