Aprilansichten 2021
Wir denken über die Zweischneidigkeit allzu toleranter Toleranz nach, stellen Individualismus und Communitydenken einander gegenüber, interessieren uns für internationale SF-Ansichten, nahmen am Litcamp teil und lasen und hörten Beiträge u. a. über Amazonen, Coverkünstler und das Aufwachsen in Kerpen.
In den Märzansichten hatte ich geschrieben, es habe an großen Aufregern gefehlt. Der April hat das offenbar zum Anlass genommen, diese Lücke mit gleich zwei Diskussionsmeteoriten (und ein paar kleineren Brocken) zu schließen: Im ersten Fall ging es um eine mehrfach diskriminierende, insbesondere rassistische Karikatur, die in der phantastisch! veröffentlicht wurde; inzwischen wurde hierzu eine Entschuldigung von Klaus Bollhöfener veröffentlicht und im E-Book die Karikatur ersetzt. Der zweite, tiefer sitzendere Fall betraf einen Artikel von Dirk Alt in der neuesten Nova-Ausgabe und die anschließende (nicht mehr öffentlich zugängliche) Diskussion auf scifinet.org, in dem einige Mitglieder ziemlich zweifelhafte, teilweise ins Rechtspopulistische abdriftende Ansichten offenbart haben. Das Ganze hat dann auch via Social Media noch größere Kreise gezogen. Letztlich hat Alt das Redaktionsteam verlassen und es wird aktuell eine neue Person für die Nova-Storyredaktion gesucht. Eine Zusammenfassung der Angelegenheit findet sich auf Deutsche-Science-Fiction.de.
So weit alles geklärt, könnte man sagen. Nur stehen beide Vorfälle nicht nur für sich, sondern sind Produkt u. a. einer Szene, die, auch wenn sie das nicht gerne hört, durchaus einige Leichen im Keller hat.
Wisst ihr, als ich in die Szene kam – und das war eher noch diese „ältere“ Szene der Cons und Fanzines, nicht die von Bookstagram und Litcamps –, war sie für mich eine Oase. Hier wurde ich akzeptiert, meine Interessen, mein Äußeres. Diese gegenseitige Akzeptanz ungeachtet von Aussehen und Ansichten war immer etwas, auf das die Szene stolz war, die sich gerne als Community von Außenseitern gesehen hat.[1] Manchmal wurde das sogar ziemlich pathetisch besungen, schaut z. B. nur mal in „Geek Pray Love“ rein. Diese Akzeptanz oder zumindest Toleranz fällt uns heute aber auf die Füße, da ein Stück weit auch immer schon Ansichten toleriert wurden, die wiederum (mal mehr, mal weniger offensichtliche) Diskriminierungen beinhaltet haben. Hinzu kommt eine seltsame Mischung aus Geniekult und der Forderung danach, Kunstschaffende von ihren Werken zu trennen. Wie oft habe ich gehört, XYZ sei „ein komischer Kauz, aber genial“ oder Ähnliches …
Mit manchem komischen Kauz habe ich selbst schon zusammengearbeitet. Ich weiß, dass es dann schwerfallen kann, sich zu distanzieren oder es anzusprechen, wenn der nette Autor / Verleger / …, der einem so viele gute Tipps gegeben hat, plötzlich diskriminierenden Mist von sich gibt.[2] Aber es gibt da diese Sache mit der gesellschaftlichen Verantwortung, die übrigens auch über Meinungszügellosigkeit stehen sollte.[3] Heißt: Ich weiß, das klingt nun sehr pathetisch, aber es liegt in unserer Verantwortung, nichts schweigend durchzuwinken, vor allem nicht in der momentanen sozialen Stimmung. Auch nicht, wenn wir uns sagen, dass die Person aber doch so gut schreiben kann. Und auch nicht, wenn wir uns sagen, dass das nur ein Ausrutscher war. Gewissermaßen gerade dann nicht. Ich muss mir das auch selbst sagen, da ich nicht die konfrontationsfreudigste Person bin. Persönlich bevorzuge ich es zudem (weiterhin), nicht gleich in die Öffentlichkeit zu gehen – sowohl aus Fremd- als auch Eigenschutz – und ich habe manchmal vielleicht zu viel Verständnis für Grauzonen (denke da auch an die Tintenzirkel-Sache). Aber irgendwo gibt’s halt für alles eine Grenze, erst recht, wenn es um öffentliches Material geht.
Was mir Hoffnung gibt: Gerade die Diskussion auf scifinet.org hat meiner Meinung nach gezeigt, dass die Szene durchaus wehrhaft und in der Lage ist, Probleme zu benennen. Ich finde es viel Wert, dass in beiden oben genannten Fällen die erste Kritik aus dem ~engeren Kreis kam, und nicht aus jenem Teil von Twitter, der mit Nova, phantastisch! und Co. ohnehin so wenig wie möglich zu tun haben will. So hatte die Kritik einfach ein anderes Standing.
Insofern sehe ich es ähnlich wie in der Wikipedia-Diskussion: Abfackeln brauchen wir nichts, ein bisschen kokeln hier und da aber schon (bitte nicht wörtlich nehmen, ok). Wenn wir dem inklusiven Ideal der Szene tatsächlich gerecht werden wollen, müssen wir an einigen Schrauben drehen, das ist ja nicht nur diesen Monat offensichtlich geworden (im Übrigen außerdem nicht nur in einer Szeneecke). Und es gibt so einige Stellen, an denen mehr Selbstreflexion, aber auch Empathie, Offenheit, Ambivalenzakzeptanz und Weitsicht nützlich wären (ok, jetzt fahre ich bisschen viel auf).
Wenn wir hier dann alles benannt und ausdiskutiert haben, können wir uns auch wieder Gedanken machen, ob es nun „der“ oder „die“ Con heißt. Obwohl. Besser nicht, selbst solche Diskussionen bergen dieser Tage bemerkenswerte Risiken. Hm. Können wir über Cover diskutieren, ohne uns an die Gurgel zu gehen? Nein? Über Genres? Uh, besser nicht. Okay, dann über …
Internationale Science Fiction von Andean Futurism bis „sense of wander“
Na ja, weiß nicht, wenn man will, kann man sich hierzu ebenfalls ordentlich in die Haare bekommen. Aber Herausgeber Lavie Tidhar, Verleger Nicolas Cheetham von Head of Zeus und die vier AutorInnen Lauren Beukes, Taiyo Fujii, R. S. A. Garcia und Francesco Verso sind sehr höflich miteinander umgegangen in ihrer Diskussion über internationale Science Fiction. Anlass für das von Head of Zeus veranstaltete rund einstündige Zoom-Event war die Veröffentlichung der Anthologie „The Best of World SF“, an der alle Genannten beteiligt sind.[4] Beukes, Fujii, Garcia und Verso haben dazu einen Überblick über die SF-Situation in ihren jeweiligen Heimatländern (Südafrika, Japan, Trinidad und Tobago und Italien) gegeben und sich anschließend mit Tidhar und Cheetham über ihren Blick auf die Entwicklung der SF insgesamt ausgetauscht. Das Publikum hatte die Möglichkeit, über ein Q&A-Tool und den Chat mitzuwirken.
In Anbetracht der Zeit konnten natürlich viele Themen nur angerissen werden. Aber gerade solche internationalen Events finde ich derzeit sehr spannend, weil ich so auf neue Denkanstöße und Perspektiven stoße. Klar reden wir auch hierzulande aktuell sehr viel z. B. über die Dekolonialisierung der Phantastik oder über problematische tropes. Aber ich empfinde diese Diskussion oft als festgefahren zwischen zwei extremen Polen und Bedeutungskämpfen; da fällt es schwer, das alles bereits weiterzudenken, stattdessen drehen sich die Debatten oft im Kreis. Aber, auch das eine Erkenntnis aus dem Event, mit diesem Hin und Her steht der deutschsprachige Raum nicht alleine da.
Zu den weiteren Impulsen gehörten beispielsweise ein sehr kurzer Exkurs in Richtung des südamerikanischen Movements des Andean Futurism, von dem ich in letzter Zeit immer mal wieder lese, sowie über die Bedeutung von Kurzgeschichten-Magazinen gerade für kleine Länderszenen. Außerdem ging es darum, wie Mangas und Animes Einfluss nicht nur auf die SF-Literatur Japans, sondern auch Trinidad und Tobagos genommen haben.
Angesprochen wurde auch ein Punkt, der derzeit sehr en vogue ist: R. S. A. Garcia sagte, der Individualismus vergangener SFF – also einzelne Held:innen gegen das System / die Bösen etc. pp. – trete immer mehr in den Hintergrund, stattdessen werde der Communitygeist betont. Das ist ein Element, das ja auch in vielen jüngeren Movements wie Solar- oder Hopepunk zentral ist (man beachte dazu auch diesen aktuellen Beitrag von Phoebe Wagner) und das tatsächlich auch im Mainstream-Storytelling immer mehr Raum einnimmt. Aktuelles Beispiel dafür ist etwa „Falcon and the Winter Soldier“.[5] Gerade angesichts der globalen Krisen, mit denen wir kämpfen, erscheint mehr Community-Denken nur sinnvoll. Trotzdem habe ich ein etwas unwohles Gefühl dabei, den früheren „Heldenindividualismus“ deshalb abzuwerten. Ich muss da an einen älteren Artikel von Andrew O’Hehir denken, der die Jugenddystopien mit seinen auf eigene Faust agierenden Heldinnen als „capitalist agitprop“ bezeichnet hat. Mal ganz davon abgesehen, dass ich seiner Behauptung nicht zustimmen kann, dass die Bücher keinen Bezug zur Realität hätten – würde er das nach Trump immer noch behaupten? – denke ich auch, dass individuelles Hinterfragen irgendwo die Voraussetzung dafür ist, dass sich erst Gruppen bilden, die gemeinsam eine Sache angehen. Gruppendenken aus der Gruppe heraus lässt bei mir noch Alarmglocken schrillen … Als neues oder zumindest noch vergleichsweise ungewöhnliches Element bietet der Community-Aspekt dennoch viel Reiz. Passend dazu sprach Verso davon, der oft kolonialistisch angehauchte „sense of wonder“ werde durch einen „sense of wander“, ein gemeinsames Erkunden, ersetzt. Und das klingt doch durchaus nett. (Und seien wir mal ehrlich: Die meisten Beispiele verbinden ohnehin Individualismus- und Communitygedanken.)
Die Diskussion wurde aufgezeichnet, sobald sie auf YouTube hochgeladen wurde, ergänze ich den Link hier.[6]
Virtuelle dritte (oder vierte) Orte
Dass es derzeit möglich ist, so viele Events mitzuerleben, ist eine tolle Sache. Allerdings herrscht auch ein solches Überangebot, dass es kaum mehr möglich ist, den Überblick zu behalten. Während ich das hier schreibe, lese ich, dass heute via Twitch der Auftakt zu einer Aktion namens Facettenreich lesen stattfindet. Im April gab es außerdem eine digitale Ausgabe des MarburgCons und ein Event namens Booktastica, von zig weiteren Twitch– und Instagram-Panels und Co. mal ganz zu schweigen.[7]
Außerdem fand die erste digitale 2021er-Ausgabe des Heidelberger Litcamps statt. Daran habe ich sogar teilgenommen und einen Workshop über Twine beigesteuert. Es lief glaube ich ein bisschen chaotisch, aber soweit ich es den Rückmeldungen entnehmen konnte, wussten am Ende alle, wie sie das Tool bedienen, also ist mein primäres Ziel erreicht. Im letzten Jahr hatte ich meine Folien im Anschluss hier hochgeladen, aber ich glaube, ohne gleichzeitiges Präsentieren sind sie dieses Mal nicht so aussagekräftig. Stattdessen werde ich demnächst eine kurze Anleitung veröffentlichen.[8]
Als Teilnehmerin hat mir insbesondere die Session zu digitaler Barrierefreiheit gut gefallen; ich habe mich mit dem Thema zwar schon oft auseinandergesetzt, aber es gibt immer noch vieles (jetzt aber weniger!), was mir da nicht ganz klar ist. Ansonsten kam mir das Litcamp – ungeachtet einiger sehr angenehmer Sessions – ein wenig monothematisch vor und mir haben die Aha-Momente früherer oder themenoffenerer Barcamps gefehlt. Zudem habe ich mich angesichts der eingeschworenen Community eher wie ein Zaungast gefühlt, aber das will ich dem Litcamp nicht ankreiden – eigentlich ist es ja sehr schön, wenn digital ein Raum geschaffen wird, in dem so viele Leute virtuell knuddeln.
Von Amazonen bis zu Teppichvölkern: Sonstiges
Langsam droht dieser Text unleserlich lang zu werden, daher weitere Tipps und Punkte in schnöder, aber eigentlich doch übersichtlicherer Aufzählung:
- In einer sehr hörenswerten Reportage sprach Benedikt Schulz im Deutschlandfunk mit James Sullivan über Heimatgefühle und James‘ schriftstellerische Karriere, aber auch über dessen Rassismuserfahrungen,
- Joachim Boaz warf auf Blog und Twitter erneut Schlaglichter auf verschiedene SF-Cover-Künstler, u. a. auf Damian Petruscu,
- Wegbegleiter:innen von Terry Pratchett wurden nostalgisch angesichts des Jubiläums von dessen Debütroman „Die Teppichvölker“,
- auf Skalpell und Katzenklaue ging es in diesem Monat um den zweiten Band der Amazons-Anthologien von Jessica Amanda Salmonson,
- und dann wurden noch die Hugo-Finalist:innen bekannt gegeben, darunter als „Fan-Writer“ erneut die deutsche Cora Buhlert und … viele andere Menschen. Wer sich genauer für das Topic interessiert, dem seien Heike Lindholds Takes zu dem Thema empfohlen. (Muss zugeben, beim Hugo auch eher vage interessierter Zaungast zu sein.)
Tja. Ja. So war das also diesen Monat. Mal schauen, was wiederum der Mai an Aufregern bereithält … Zunächst mal wünsche ich euch eine schöne Walpurgisnacht, einen tollen Tag der Arbeit und Happy Beltaine. Wisst ihr, dass am 1. Mai mein 31,5-Geburtstag ist? Nein? Nun, jetzt wisst ihr es!
Kommt, zur Feier des Tages noch eine Amazone in der üblichen praktischen Kleidung (in mir kämpfen leichter Cringe und Bewunderung angesichts all der krassen Details):
[1] Streng genommen gilt das für alle Szenen, aber hier doch besonders.
[2] Diskriminierungen und Verschwörungstheorien müssen natürlich nicht zwangsläufig zusammen laufen und können völlig voneinander getrennt sein.
[3] Bin übrigens nach wie vor für flächendeckenden Ethikunterricht, damit alle den Unterschied zwischen Freiheit und Zügellosigkeit kennenlernen.
[4] Deutschsprachige Schriftstellende habe ich auf der Liste nicht entdeckt, aber vielleicht ja in Volume 2 …
[5] Offtopic: Puh, die Serie hat sich gezogen wie Kaugummi, oder? Ich mag die Figuren und auch einige der aufgeworfenen Fragen, aber Spannungsmoment war nicht so wirklich erkennbar. Na ja, man kann ja nicht jedes Mal „WandaVision“ haben.
[6] Disclaimer: Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich die Diskutierenden immer völlig richtig verstanden habe. Mein Englisch-Gehör ist leider nicht das Trainierteste.
[7] Insofern mag es auch sein, dass ich der Diskussionskultur hier etwas Unrecht tue – vielleicht schaue ich mir einfach nur nicht die richtigen Beispiele an 😉 Und unterm Strich bin ich übrigens auch einfach froh, dass wir nun so viele Diskussionen laufen haben. Noch 2019 hatte ich ja bemängelt, dass diese oft den Marketingpanels weichen.
[8] Ich nehme mir sowas zwar häufiger vor, als ich es tatsächlich tue, bin aber zuversichtlich, keine leere Versprechung zu machen.
Ich hoffe, mein Kommentar wird angezeigt und landet nicht im Nirwana. Ist ja schon eine Ewigkeit her, seit ich das letzte Mal direkt hier auf deinem Blog etwas kommentiert habe. Bin gespannt, wie das Desgin/ Layout mittlerweile aussieht (sofern die Technik mich mag) — anyway — zu den Aprilansichten 2021:
Mir fallen allgemein zwei Dinge auf, warum das hier aktuell der einzige Blog ist, den ich überhaupt (halbwegs) regelmäßig lese (ich weiß, ist peinlich, sollte viel mehr lesen, aber irgendwie i dont know …).
Erstens: Du packst immer so viel Information in deine Beiträge, das ist echt faszinierend. Jedes Mal stoße ich auf mindestens drei Dinge, von denen ich noch nichts mitbekommen habe. Gute Denkanstöße — „Allerdings herrscht auch ein solches Überangebot, dass es kaum mehr möglich ist, den Überblick zu behalten“ Das ist für mich tatsächlich so ein Grundproblem in unserer Welt. Und vermutlich auch so ein Grund, warum so viele Menschen dann pessimistisch werden im Alter (denke da speziell an Stanislaw Lem. Wenn man sich da seine letzten Interviews anschaut). Ist irgendwie auch super seltsam, wenn Leute seit Jahrzehnten für Klimawandel oder Frauenrechte kämpfen, man vielleicht selber tief in der Thematik drin steckt, und dann im aktuellen Kalenderjahr jemand anfängt von wegen: ‚Ach ja, Frauen existieren ja auch, oder, hmm, das Klimathema scheint aus irgendeinem Grund ganz plötzlich wichtig geworden zu sein‘ — es ist immer möglich, das jetzt gerade in diesem Moment irgendwo in einer Minderheiten-Nische Dinge diskutiert werden, die dann erst in Jahrzehnten im Mainstream ankommen (falls überhaupt). Hab mal so ein Interview aus den 1960ern oder 70ern mit dem Dune Autor gehört (also die ersten zwanzig Minuten oder so. Wie der da über Versandung und Dünen und Umweltverschmutzung und Klimaprobleme redet. Als hätte die Menschheit in den fünfzig Jahren danach nichts mehr gemacht, sondern einfach nur Lebenszeit verschwendet, ohne Probleme auch nur anzusprechen.
Zweitens: Mir ist jetzt schon häufiger aufgefallen, dass du immer sehr zurückhaltend und beschwichtigend schreibst. Du milderst viele deiner Argumente und Gedanken ja hinterher durch Klammern oder ironische Fußnoten noch mal ab. Das ist tatsächlich angenehm, wenn ich mir so anschaue, mit welcher Überzeugung manche Leute ihre Positionen raushauen, als sei das die einzige Variante, der einzige Flusslauf, den man mit einem Boot befahren könnte. An der Stelle ein spontaner Einfall: Ist es möglich, in wordpress die Fußnoten farbig zu machen? Scroll manchmal direkt runter und wenn ich dann nach oben zurück in den Text will, muss ich erstmal suchen, weil das eine graue Zahl in grauem Text ist (ich weiß, Luxusproblem von der neunten Matratze mit Seidenlaken aus betrachtet)
Ich nehme dich mal als Vorbild, und versuche mehr Infos in weniger Text unterzubringen. Diese Sache mit der Karikatur und den seltsamen Texten in diesem Forum hab ich mir auch angeschaut. (Aus Neugierde oder Reflex). — „zweifelhafte, teilweise ins Rechtspopulistische abdriftende Ansichten“ ist noch seehr nett formuliert. Hat mich ein wenig an Breitbart News oder manche Ausfälle bei Fox News erinnert, was da so stand. Vor allem die bemerkenswerte Tatsache, dass Menschen mit Intelligenz alle Fehler von Obama auflisten können, dann aber nicht in der Lage sind, Trump kritisch zu betrachten. Persönlich denke ich ja mittlerweile, dass es in jeder beliebigen Szene, so 10 bis 15% an Leuten gibt, die komplett ins ultrarechte Paralleluniversum abdriften. Hast du z.B. die Kontroverse um Sahra Wagenknecht oder Wolfgang Thierse mitbekommen? Der Zeitgeist ist aktuell so heftig. Entweder oder. Vermisse diese unaufgeregte Debattenkultur wie man sie von arte Dokus kennt. Aber vermutlich war das schon immer eine freundliche Bubble für Intellektuelle, und ich war damals noch zu jung, um zu erkennen, dass Hauen und Stechen mit Feindbildern schon immer der Maßstab war.
Was Individualismus vs. Community angeht: Das ist Zeitgeist (behaupte ich frech). Genauso, wie früher aufgrund von kaltem Krieg die ganze Phantastik ja sehr düster depressiv war oder sich komplett in bunte Mittelalterwelten geflüchtet hat. Und dieses „wonder“ „wander“ Ding ist mal wieder so eine verkopfte, nichtssagende Phrasendrechslerei. Bei sowas muss ich direkt lachen (sorry).
Bin übrigens auch für mehr Ethik-Verständnis von Leuten. Und dann bitte auch gleich die Sache mit dem Definitionen nennen, bevor man eine Diskussion beginnt. Es nervt mich seit 2015 beispielsweise, dass Leute immer wieder „Flüchtlinge“, „Migranten“, „traumatisierte Kriegsflüchtlinge“, „Wirtschaftsmigranten“ usw. bunt durcheinander benutzen und dann jedes Mal aneinander vorbei reden. Das Gleiche beobachte ich jetzt wieder beim Thema „Klimawandel“ wie da Leute an den Maßnahmen aneinander vorbei reden, weil sie nicht mit den gleichen Definitionen arbeiten. Sowas macht mich echt kirre. Und in der Phantastik kennst du es ja auch: Ist Star Wars jetzt Science-Fiction oder Märchen oder Space Opera oder dies oder das? Alles dreht sich im Kreis und nach spätestens fünf Jahren hat man keinen Bock mehr, sich an irgendeinem Gespräch zu beteiligen 😀
Wo ich die Punkte und Fußnoten sehe, finde ich es mal wieder problematisch, dass Autoren immer wieder an ihrer Biographie gemessen werden. Der eine ist also für „Heimat“ zuständig, der nächste wird beim Thema „Rassismus“ oder „Depression“ oder „kleine Kinder und Schreiben“ interviewt. Bin ich denn der Einzige, der diese privaten Sachen gar nicht mehr hören will, weil mich die literarischen Werke und Diskussionen dazu viel mehr interessieren? Finde es tatsächlich toxisch, dass Diskussionen von den eigentlichen Produkten der Kunst immer sofort auf Privatleben, Beziehungsstatus, Geld, Religion usw. abdriften. Dadurch werden doch sofort Schubladen aufgemacht, die einen vielleicht davon abhalten, überhaupt etwas von der Person zu lesen (aufgrund von vagen Vorurteilen, die man einfach nicht los wird) zumindest liest man Sachen dann erst Jahre später, weil man aus dem Bauch heraus aufschiebt.
Zum Schluss noch zwei Anregungen für Blog-Artikel. Da würden mich deine Gedanken enorm interessieren.
Erstens: Es kam die Meldung, dass Alan Moore wohl für Bloomsbury ein fünfbändiges Fantasy-Epos schreiben will. Gegen einen angeblich sechsstelligen Betrag. Ausgerechnet der Typ, der unlängst vom Anarchismus zum Labour-Unterstützer gewechselt ist. Ausgerechnet der Typ, der die Kühnheit besitzt gegen jeden Kommerz vorzugehen, der sich von allen Verfilmungen seiner Werke distanziert und Karriere-Schriftsteller kritisiert, die immer das Schreiben, worin sie gut sind. Und das sei ja keine richtige Kunst, weil man sich ja immer weiterentwickeln und Neues ausprobieren müsse und blabliblub. Wieder einmal ein alter, weißer Mann, der selbst alles darf (auch polemisch beleidigen — Thema kauziges Genie), aber wehe jemand hat eine andere Sichtweise.
Zweitens: Was sind deine Gedanken zu der psychologisch faszinierenden Tatsache, dass Leser:innen Jahre warten für das nächste Buch von George R. R. Martin oder Patrick Rothfuss, während andere Serien regelmäßig Updates erhalten, aber in der Szene irgendwie nur am Rande vorkommen? Also zumindest irritiert es mich, dass manche Leute und Serien wie etwas quasi-Religiöses behandelt werden. Sind game of thrones oder kingkiller chronicles literarisch soviel besser als alles andere? Die Science Fiction Serie „The Expanse“ hat wohl fünf Fernseh-Staffeln und neun Romane. (Daher bin ich drauf aufmerksam geworden. Scheint ja ein ziemlicher Monolith zu sein). Aber warum zünden einige wie Brandon Sanderson so hart und andere bleiben — im direkten Vergleich dazu — eher bedeckt? Früher dachte ich immer, das Material sei einfach besser und die Qualität regele das dann auf dem Markt. Aber ganz ehrlich: Hängt das nicht eher damit zusammen, ob man gerade einen Nerv trifft und den Leuten genau das präsentiert, was sie lesen/ sehen/ hören wollen? Oh, und was hältst du eigentlich vom Verhalten einiger Autoren da draußen? Stichpunkt Marketing. Mir ist aufgefallen, dass z.B. Neil Gaiman oder Patrick Rothfuss ja bis zur Unendlichkeit nett, liebevoll und weise sind, und fast alles tolerieren und mögen, und damit ganz geschickt einen sozialen Raum geschaffen haben, indem sie selber unkritisierbar sind. (komme gerade drauf, weil Rothfuss der mächtigste Manipulator ist, den ich in der Fantasy Szene je gesehen habe. Und bei Gaiman bin ich bei einigen Rezensionen richtig zusammengezuckt. Da haben einige Leute seine Romane regelrecht nach allen Regeln der Kritik seziert und vernichtet (In Deutschland ist mir das beim Content Creator und Let’s Player Gronkh aufgefallen. Unantastbar, denn es ist ja der liebe Märchenonkel mit Bart. Ein Ding, das mir bei Fantasy schon so häufig aufgefallen ist. Als ob das so ein Merkmal ist, das man mitbringen muss, um in der Fantasy ernstgenommen zu werden. Langer Bart und der liebe Vater/ Großvater/ Weihnachtsmann, der einem die Welt erklärt). Ist mir schon seit Jahren ein Dorn im Auge, dass auf die Tour Nettigkeit zu mehr Sichtbarkeit führt — selbst wenn die literarische Qualität von manchmal unangenehmen Leuten (Philip Pullman, *hust*) eigentlich besser ist. Gerade in der booktuber Szene ist mir das schon aufgefallen. Wie da jeder mit Ecken und Kanten, der nicht immer vor Pastellfarben strahlt und hdgdl Herzchen sendet, sofort immer im jeweiligen Skandal der Woche landet. (Oder hat das was mit dem noch jungen Alter der instagram/ booktube/ goodreads Szene zu tun? Oder gab es diese krampfhafte Harmonie-Sucht schon immer, und dank Internet und social media ist es einfach nur deutlich sichtbarer?
PS: „noch eine Amazone in der üblichen praktischen Kleidung“ — ich glaube, ich lurke auch dank solcher Sätze auf diesem Blog herum, haha.
PPS: „Stattdessen werde ich demnächst eine kurze Anleitung veröffentlichen“ — finde ich sehr gut. Hab das nämlich verpasst, weil mein Gehirn irgendwie davon überzeugt war, du würdest das nachmittags machen und nicht vormittags. Hab dann auf Twitter nur noch das Resultat gesehen. Und joa. Noch so ein Ding unserer digitalen Zeit. Man könnte zwar so vieles machen und nachholen, aber irgendwo weigere ich mich dann auch mal, verpasste Dinge zu betrauern. (Vielleicht eine Schwäche oder ein Schutzmechanismus, who knows) Hab ja auch kein instagram oder facebook mehr. Vieles bekomme ich über twitter oder twitch oder youtube mit. (Und so viele Leute veröffentlichen ja auch ihr ganzes Zeug auf mindestens vier Plattformen. Mir platzt da echt manchmal der Kopf, und ich ignoriere manche Sachen dann vollständig (z.B. noch nie Netflix benutzt). Führt immer mal wieder zu so einem weirden Moment, wenn ich dann mal so einen langen Blog-Text, oder noch besser, ein Sachbuch lese, und mir denke: ‚Da hast du ja in den letzten fünf Jahren glatt drei Weltuntergänge und Paradigmenwechsel verpasst‘ — in diesem Sinne: Bis zu den Novemberansichten oder so 😀
So, nun aber. Wie schon auf Twitter geschrieben, deine Nachricht kam an und ich freue mich über das Lob und dass meine Beiträge offenbar kreativitätsanregend wirken (eigentlich ist es auch nett, wenn jemand mehr als 240 Zeichen braucht, um sich auszudrücken, but …) 😉 Aber ich brauche Zeit, um auf solche XXL-Nachrichten zu antworten und ich behalte es mir auch vor, nicht zu allem eine Meinung haben geschweige denn sie teilen zu müssen. Beispielsweise habe ich mich nicht im Detail mit Sahra Wagenknechts Äußerungen der jüngeren Zeit beschäftigt und möchte nicht rein über Twitter-Zitate zu einem abschließenden Urteil über sie kommen.
Es stimmt wohl, dass ich „beschwichtigend“ schreibe. Ich betrachte mich nach wie vor als (moderate aka kosmopolitische) Relativistin, was eben immer auch verlangt, dass ich meine eigenen Standpunkte hinterfragte, sie ggf. ändere und auf andere zugehe. Nur leider ist der Relativismus insgesamt derzeit auf einem Tiefpunkt und ich mache mir damit nicht immer Freunde. Kann trotzdem nicht anders, als ständig im „Ja, aber“ zu denken.
Womit wir auch beim nächsten Punkt wären: Dass der Weg von „wonder“ zu „wander“, von Individualismus zu Community usw. ein Zeitgeist-Ding ist, da stimme ich dir zu – aber ich weiß nicht, was sich dadurch ändert? Aus dem relativistischen Standpunkt heraus kann ich mir jetzt sagen „ok, momentan ist das state of the art, auch wenn es vor zehn Jahren anders war und ich kann daraus keine universelle Wahrheit ableiten“, aber das hilft in der Praxis ja auch nicht weiter. Bei der Bewertung der Phänomene spielt auch die aktuelle Situation eine Rolle, aus der heraus sich Movements, Geschmäcker usw. entwickeln. Und wenn wir uns die Herausforderungen unserer Zeit anschauen, ist es nur logisch, dass wir vermehrt wieder in Community-Strukturen denken. Ein einsamer Held wird vermutlich keine Lösung für all unsere Probleme finden und wenn doch, ist es womöglich ein Egozentriker wie Elon Musk, der wenig Raum für optimistischen Hopepunk bietet.
Was die Begrifflichkeiten angeht: Mag sein, dass es einen erst mal schmunzeln lässt, wenn jemand vom „sense of wander“ spricht, aber solche Phrasen treffen einen Nerv und erreichen dadurch letztlich mehr als manche theoretische Umschreibung, die sich nicht mit Plattitüden aufhält. Und der Inhalt ist nicht unfreundlich.
In der Diskussion der Trennung von Werk und Künstler*in bin ich flexibel. Grundsätzlich interessieren mich die privaten Hintergründe von Personen, deren Werke ich konsumiere. Das hat mir schon oft neue Dimensionen eröffnet, z. B. bei Ang Lee. Ohne dieses Hintergrundwissen fühlen sich Werke für mich leerer an. Dennoch gibt es auch Filme, Bücher usw., die ich ohne dieses Hintergrundwissen konsumiere oder welche, die ich mag, obwohl ich mit der Person hinter ihr nicht übereinstimme. Ich sehe es auch nicht als Aufgabe der Kunst an, grundsätzlich so dargestellt sein zu müssen, dass sie ethisch einwandfrei ist; eher braucht es bei den Menschen die Medienkompetenz, Kunst und Realität zu trennen. Aber das nimmt den*die Künstler*in nicht aus der Verantwortung. Wie so oft … die Wahrheit ™ liegt irgendwo dazwischen oder in beidem.
Danke für deine Anregungen. Ich schätze, ich denke zu kapitalistisch, um beide Phänomene angemessen kritisch zu hinterfragen, auch wenn ich immer mal das Wesen und die Bewertung von „Hypes“ anspreche. Aber mal schauen, was die Zukunft bringt.
[…] diese Metapher wurde etwas ausufernder als geplant. Aber nun, was ich sagen will: Es gab oft Beef. Mal ging es um Karikaturen, mal um zweifelhafte Chefredakteure, außerdem wurden Organisationen wie das Tintenzirkel-Forum, verschiedene Awards oder zuletzt PAN […]