Klassiker-Reread: Patricia A. McKillips „Erdzauber“ (4/6)
Teil 4: Mein Erstkontakt mit der Trilogie
Peter von Skalpell und Katzenklaue und ich haben die Erdzauber-Trilogie von Patricia A. McKillip einem Reread unterzogen und dazu eine kleine Themenreihe gestartet. Im ersten Teil hat Peter über den Entstehungshintergrund von Erdzauber berichtet, im zweiten ging es bei mir um Bezüge zur keltischen Mythologie. Im dritten bzw. vierten Teil wird es nostalgisch: Auf unseren Blogs erzählen sowohl Peter als auch ich heute von unseren ersten Ausflügen ins Reich des Erhabenen, die jeweils schon einige Zeit zurückliegen.
Im Jahr 2000, im Herbst kurz vor meinem 11. Geburtstag, war ich mit meiner Familie in einem Last-Minute-Urlaub auf – Vorsicht, Klischee! – Mallorca.[1] An zwei Sachen aus diesem Urlaub kann ich mich gut erinnern: Zum einen an unseren Autounfall bei einem Ausflug in die Berge.[2] Zum anderen daran, dass ich das erste Mal „Die Erbin von Wasser und Feuer“, Band 2 der Erdzauber-Trilogie, gelesen habe.
Eigentlich hatte sich meine ältere Schwester das Buch mitgenommen, aber mir ging wohl der eigene Lesestoff aus oder vielleicht wollte ich auch nur mal wieder meiner Schwester nacheifern. Am Ende der Urlaubswoche hatte ich das Buch jedenfalls inhaliert und ab da war ich der Fantasy verfallen.[3]
Ich habe mich hinterher oft gefragt, warum gerade Erdzauber diesen Impact hatte. Auch vorher habe ich gelegentlich in Genreliteratur hineingeschnuppert, etwa von Stephen King oder Dean R. Koontz. Trotzdem bin ich dadurch nicht zum Horror- oder Thrillerfan geworden. Eine Rolle spielt vermutlich die familiäre Prägung – wie schon erwähnt, habe ich meiner Schwester echt viel nachgemacht und wenn sie die Bücher von McKillip mochte, wollte ich sie auch mögen.[4] Außerdem standen die drei Bücher im Fantasy- und Science-Fiction-Regal meines Vaters und ich fand die Bücher darin, mit all den halbnackten Drachenladys und muskelbepackten Kerlen mit großen Wummern auf den Covern, immer halb irritierend, halb faszinierend.[5]
Aber auch die King- und Koontz-Romane stammten aus diesem Regal und das Lieblingsbuch meiner Schwester war damals „Langoliers“, was mich nie gecatcht hat. Also muss der Einfluss von Erdzauber noch andere Gründe gehabt haben.
Als ich die Bücher nun erneut gelesen habe, fiel mir auf, was der simple Hauptgrund sein dürfte: Die Bücher sind gut.
Ja ja, das sind andere Bücher auch. Selbst manche von Stephen King.[6] Aber die sind anders gut. McKillip ist es gelungen, eine Trilogie zu schreiben, in der die Lesenden völlig in der Handlung und der dargestellten Welt versinken können. Ich habe nie so ganz den Hype um Tolkien und Der Herr der Ringe verstehen können,[7] aber ich glaube, das, was anderen Leuten Tolkien gegeben hat, hat mir McKillip mit Erdzauber gegeben: Eine Fantasywelt, die so in sich stimmig ist und deren Eigentümlichkeiten so selbstverständlich daherkommen, dass ich als junge Leserin nie den Drang hatte, ihre Logik zu hinterfragen. Diese Welt ist so dicht, so voller Mythen und Rätsel, dass einem jede etwaig ausgemachte Lücke nur wie ein weiteres potenzielles Abenteuer vorkommt, nicht aber wie ein Makel.
Und dann sind da die Figuren und deren Freundschaftsbeziehungen zueinander. Überzeugend geschilderte Freundschaften sind bis heute für mich einer der Hauptindikatoren, ob ich ein Buch nachhaltig unterhaltsam finde. Aus diesem Grund ist „Die Leiche“ meine mit Abstand liebste Stephen-King-Geschichte,[8] aus diesem Grund lese ich nach wie vor gerne YA-Fantasy[9] und vermutlich ist das auch ein Grund dafür, weshalb ich „Der Sohn der Sidhe“, aber auch sonst objektiv betrachtet eher mittelmäßiger Fantasy wie Jenna Blacks Faeriewalker-Reihe oder Matthew Sturges‘ „Midwinter“ einiges an Zuneigung entgegenbringe. In Erdzauber gibt es zwar eine zentrale Liebesgeschichte, aber vor allem in den ersten beiden Bänden geben eher die Freundschaften der beiden Hauptfiguren Morgon und Rendel mit diversen Nebenfiguren den Ton an.
Einen besonderen Vorteil brachte es zudem wohl, dass ich mit Band 2, „Die Erbin von Wasser und Feuer“, eingestiegen bin. Da sich das Buch auf Rendel fokussiert, die im ersten Band noch nicht in Erscheinung getreten ist, kann man relativ problemlos mit ihm einsteigen. Außerdem ist es der abwechslungsreichste Band und er bietet drei weibliche Hauptfiguren – neben Rendel die Kriegerprinzessin Lyra und das Mädchen Tristan; die drei machen sich gemeinsam auf die Suche nach Tristans Bruder Morgon, der im ersten Band spurlos verschwunden ist und schließlich für tot erklärt wurde.
Tristan war damals in Mallorca meine Lieblingsfigur. Sie ist zu Beginn der Handlung 13 Jahre alt und wirkt einerseits nicht so ganz auf die Welt vorbereitet, wächst andererseits aber über sich hinaus, um an der Seite der beiden erfahreneren Prinzessinnen nach ihrem Bruder zu suchen. Zur Identifikation taugte das für mich mehr als all die irischen Sagenhelden aus „Der Sohn der Sidhe“, die ultrakompetenten Drachenlanze-Held*innen oder die seltsamen Typen, die sich Stephen King immer so ausdachte.[10]
In den letzten zwanzig Jahren habe ich immer mal wieder meine Lieblingsstellen aus Band 1 und 2 nachgelesen. Die komplette Trilogie habe ich mir aber erst jetzt wieder, für dieses Projekt mit Peter, vorgenommen. Ich hatte beim Lesen krasse Nostalgieflashs – auch, weil in den Büchern noch die alten Notizen meiner Schwester standen.[11] Und ich war positiv überrascht, weil ich nicht erwartet hatte, dass die Bücher noch so gut funktionieren würden.
Allerdings sind mir beim Reread nun auch ein paar kleinere Schwächen aufgefallen bzw. es fiel mir nun, mit dem ganzen angesammelten Fantasy-Hintergrundwissen, nicht mehr so leicht wie früher, völlig in der Romanwelt zu versinken. Aber ich will nicht dem Gespräch vorangreifen, das Peter und ich geführt haben und dessen ersten Teil wir am Freitag auf Peters Blog veröffentlichen werden …
[1] Ich wünsche wirklich, ich hätte hier ein bourgeoiseres Ziel nennen können, aber nun, wir waren wirklich auf Mallorca. Aber nur das eine Mal. Echt jetzt.
[2] Nur Blechschaden.
[3] Disclaimer: Wie schon häufiger erwähnt, bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob diese Rolle wirklich „Die Erbin von Wasser und Feuer“ zukam oder nicht doch „Der Sohn der Sidhe“. Beide habe ich im gleichen Herbst gelesen, und ich meine, „Der Sohn der Sidhe“ wäre eine Erdzauber-Folge gewesen, aber ganz sicher bin ich mir nicht mehr.
[4] Wobei ich außer Erdzauber keinen der anderen Romane von McKillip zu Ende bekommen habe. Nun, nachdem mir der Reread – Spoiler – so gut gefallen hat, möchte ich zumindest „Winterrose“ noch mal eine Chance geben, aber damals war der mir zu verkopft.
[5] Erdzauber und „Der Sohn der Sidhe“ gewannen covertechnisch definitiv Pluspunkte, während ich bei Terry Pratchetts „Rollende Steine“ oder allem von John Brunner eher abgeschreckt war. Lord Dunsanys „Die Königstochter aus Elfenland“ habe ich wegen des langweiligen Covers übergangen. Sorry.
[6] Wobei ich mich von dessen Frauenfiguren manchmal echt persönlich beleidigt fühle, was mir sonst in der Form nicht so oft passiert. Aber darum geht’s jetzt nicht, ich kann nur mal wieder nicht anders, als noch paar Sidequests zu eröffnen.
[7] Obwohl auch da meine Schwester dabei war. Aber sie hat mir so viel von den Büchern erzählt, dass ich es lange nicht für nötig befunden habe, sie selbst in die Hand zu nehmen.
[8] Und aus diesem Grund auch eine, bei ich ziemlich viel flennen kann.
[9] Die meiste YA-Fantasy kommt zwar auch nicht ohne Romanze aus, aber zumindest dürfen Freundschaften hier häufiger co-existieren.
[10] Trotzdem war „Der Sohn der Sidhe“ lange mein Lieblingsroman – das sei nur erwähnt, damit hier nicht ein Logikloch gegenüber vorangegangenen Beiträgen entsteht 😉 (Und warum geht es jetzt eigentlich dauernd um Stephen King …)
[11] Sie hat überall dort, wo ihr etwas nicht gepasst hat, Dialoge umgeschrieben oder gestrichen. Das Ende hat sie komplett umgeschrieben und ehrlich, ihr Ende ist stimmiger als das tatsächliche (das aber auch okay ist).
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