Februaransichten 2021
Die Gewinner:innen von Auszeichnungen wurden bekanntgegeben, Drachenlanze wird wiederbelebt, Der Herr der Ringe unter neuen Perspektiven gelesen und geschaut, ein Fantasyforum muss sich Problematiken stellen und weiteres.
Auszeichnungsreigen
Pentagondodekaeder.
So heißt das Ding, das Thilo Corzilius am 15. Mai in Empfang nehmen darf. Denn er hat mit seinem Sword-&-Sorcery-Roman „Diebe der Nacht“ das Rennen um den Krefelder Preis für Fantastische Literatur gemacht und dafür gibt es nun 10.000 Euro und die Trophäe, die sich an einem ominösen Würfelding orientiert, das mal in der Nähe von Krefeld ausgebuddelt wurde. Herzlichen Glückwunsch, ich stoße drauf an.[1] Pandemiebedingt wird der Preis (voraussichtlich) erst im Mai verliehen.
Ebenfalls bekannt gegeben wurden die Gewinner:innen der Mythopoeic Awards, namentlich Theodora Goss mit „Snow White Learns Witchcraft“ (Kategorie „Adult Literature“), Yoon Ha Lee mit „Dragon Pearl“ (Children’s Literature) sowie Amy Amendt-Raduege und James Gifford in den beiden Kategorien der Scholarship Awards; die passenden Buchtitel sind mir zu lang, um sie abzuschreiben, aber ihr findet sie auf den Seiten der Mythopoeic Society.[2] Hab immer das Gefühl, wenn dein Titel nicht wenigstens über drei Zeilen geht, zählst du nix in der Wissenschaft …
Fantasy-Klassiker unter neuen Perspektiven
Ansonsten waren im Februar irgendwie überdurchschnittlich oft Klassiker im Gespräch. Beispielsweise machte die Meldung die Runde, dass nun doch noch eine weitere Drachenlanze-Trilogie aus der Feder der beiden Ur-SchöpferInnen Margaret Weis und Tracy Hickman erscheinen soll. Ich schätze, als ehemaliges Drachenlanze-Fangirl sollte mich diese Nachricht begeistern, aber ganz ehrlich – alles hat seine Zeit, und die von Drachenlanze ist vorbei. Die Bücher werden immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben (uh, Drama!) und ich plane eigentlich schon seit zwei Jahren einen Reread. Aber so viel Spaß ich auch seinerzeit vor allem mit den Geschichten rund um die Majere-Geschwister hatte, irgendwann hatte sich das immergleiche Schema rund um Weltenbedrohung und -rettung abgenutzt. Klar, am Ende hat Weis noch versucht, mit der Dark Disciple-Trilogie auf den Dark-Fantasy-Zug aufzuspringen, aber schon da hat sich gezeigt, dass sich nicht jedes Setting für jeden neuen Trend eignet. Zudem beinhalten die Romane viele aus heutiger Sicht problematische, da kolonialistisch gefärbte Elemente, etwa rund um die „Barbaren“ aus den Ebenen und die White-Saviour-Figur der Goldmond. Das dürfte auch mit in die (angebliche) Überlegung von Lizenzinhaber Wizards of the Coast hineingespielt haben, Drachenlanze zugunsten diverserer Fantasy nicht zu rebooten – was letztlich in einem Rechtsstreit zwischen WotC und Weis/Hickman geendet hat.[3] Dieser wurde nun aber beigelegt und die neue Trilogie soll noch 2021 bei Del Rey Books starten.
Auch Amazon betreibt Gravedigging und gab im Februar die geplante Serienverfilmung von Wolfgang Hohlbeins „Der Greif“ bekannt. Mit mehr Enthusiasmus wird aber die schon länger angekündigte Mittelerde-Serie erwartet, die vermutlich auch ein Grund ist, warum die Der Herr der Ringe-assoziierten Beiträge derzeit wieder aus dem Boden sprießen.[4] Bereits im Januar erschien etwa ein Beitrag von Yangyang Chen, der aber so gut ist, dass wir uns mal nicht mit zeitlicher Bürokratie aufhalten wollen: In einem langen, aber sehr lesenswerten Beitrag berichtet die Autorin – ausgehend von ihrem Silvester-Rewatch der Filmtrilogie – über ihre ersten Berührungen mit Tolkiens Werk während ihrer Kindheit in China, schlägt aber auch den Bogen zu Mao und der Kulturrevolution, zur Black-Lives-Matter-Bewegung, dem Sturm aufs Kapitol und ihren eigenen zwiespältigen Gefühlen gegenüber Der Herr der Ringe. Ich habe (rein sprachlich) nicht allen Details folgen können; trotzdem fand ich den Beitrag sowohl inhaltlich als auch in seinem nachdenklichen Stil sehr faszinierend. Unbedingte Leseempfehlung.[5]
Eine etwas ähnliche Thematik wählte auch Namina Forna, die für den Guardian einen Artikel verfasst hat, in dem sie ebenfalls über ihre Kindheit mit Der Herr der Ringe und spätere Fremdheitsgefühle schreibt, aber auch über die oft problemorientierte Darstellung Schwarzer Personen in westlichen Medien, sowie über afrikanische Mythologie und ihren Debütoman „Die Göttinnen von Otera“.
Und schließlich nahm sich noch Katharina V. Haderer des Themas Der Herr der Ringe an: Auf ihrem Blog schrieb sie – wiederum ausgehend von einem Rewatch der Peter-Jackson-Verfilmung – über die Verantwortung heutiger Künstler:innen, es in Sachen Repräsentation besser zu machen als die (Film-)Trilogie.
Ausgrenzung im wohligen Inselleben?
Haderers Beitrag erschien unter dem Eindruck eines Twitter-Threads und nachfolgenden Videos von Nora Bendzko, in dem sie anhand eines Forenthreads von 2014 internalisierten Rassismus in der Fantasy- und Buchszene darlegte. Der Thread ist inzwischen nicht mehr verfügbar, das betreffende Forum – der Tintenzirkel – hat eine Stellungnahme nebst Entschuldigung zum Thema veröffentlicht.[6] Einen längeren, sehr persönlichen Beitrag hat außerdem Forenadmin Maja Ilisch verbloggt.
In Majas Beitrag finde ich viele meiner eigenen Gefühle zu dem Thema wieder. Ich bin jetzt im Februar selbst seit genau neun Jahren Mitglied im Tintenzirkel, daher muss ich die Diskussion, den Thread und alles, was daran hängt, noch mal anders reflektieren, als wenn ich nur von außen darauf schauen würde. Ich habe das Gefühl, nie so tief in der Community drin gewesen zu sein wie manch andere langjährige Mitglieder; trotzdem habe ich diesem Forum viel zu verdanken. Gerade als Debütautorin waren die Tipps dort rund um Verträge und Verhandlungen Gold wert. 2017 hat mich der Austausch im Subforum der chronisch Kranken durch viele Nächte gerettet, und nicht zuletzt habe ich durch das Forum auch offline viele Freundschaften geschlossen. Das alles soll keine Entschuldigung sein, aber vielleicht ist es in solchen Umgebungen, in denen man sich selbst wohl fühlt, schwerer, gegen Probleme anzugehen, von denen man selbst nicht betroffen ist – selbst dann, wenn man glaubt, für sie sensibilisiert zu sein. An dem besagten Thread war ich meines Wissens nicht beteiligt, aber an themenähnlichen. Und obwohl 2014 sicher noch generell weniger Bewusstsein für einige Themen vorhanden war, erinnere ich mich doch, dass mich manchmal Aussagen irritiert haben und bei unserem Offline-Tintenzirkel-Stammtisch gab es auch die eine oder andere Diskussionen über inhaltlich fragwürdige Posts, insbesondere, nachdem einige Mitglieder das Forum aus Protest verlassen hatten. Aber letztlich waren das nur Momentaufnahmen und wir haben uns wohl zu sehr darauf verlassen, dass die Community sich irgendwie selbst regelt.[7] Die Erfahrung, dass eine Gemeinschaft, in der man sich wohl und angenommen fühlt, für andere ein Problem bis hin zur Diskriminierungserfahrung darstellen kann – und man in einer Form sogar selbst Teil dieses Problems ist –, ist gerade dann schwer zu akzeptieren, wenn diese Gemeinschaft einem selbst eine Insel ist. Vielleicht ist das sogar eine der aktuellen Grundbaustellen der Phantastikszene – viele Mitglieder hier bringen Ausgrenzungserfahrungen in irgendeiner Form mit, und da fällt es paradoxerweise schwer, anzuerkennen, wenn man wiederum selbst ausgrenzt. Ich könnte dazu noch ein paar Seiten weiterschreiben und diesen und jenen Topf dabei aufmachen, aber ich glaube, das wäre für den Moment nicht so zielführend. Generell weiß ich noch nicht so recht, wie ich das alles abschließend für mich kläre; fürs Erste hat mir die Diskussion einmal mehr deutlich gemacht, dass ich, nun ja, lernend bleibe.[8]
Sonstiges
Nun ist das schon wieder ein recht langer Beitrag geworden, daher weitere Hinweise in Kürze: Für DieZukunft.de hat Christian Endres ein knappes Interview mit Heike Holtsch, Jan Strümpel, Ulrich Blumenbach und Gisbert Haefs geführt, die gerade allesamt George Orwells Klassiker übersetzt haben – interessant ist das vor allem deshalb, weil die vier damit in einer langen Übersetzungstradition stehen. Und wann liest man schon mal ein Interview, in dem jeweils zwei Personen am gleichen Werk, aber für unterschiedliche Verlage arbeiten?!
Von Fischer TOR dagegen kam die Nachricht, dass das bislang vierköpfige Berliner Team verschlankt wird und die Organisation ganz bei Andy Hahnemann verbleibt. Was genau das für Verlag und TOR Online bedeutet – und für meine Reihen dort – weiß ich selbst noch nicht.
Positiver dagegen die Nachricht, dass Imaro-Schöpfer Charles Saunders, der nach seinem Tod im letzten Jahr zunächst anonym bestattet worden war, nun infolge einer Kickstarter-Kampagne einen Grabstein erhalten hat.
Und damit verabschiede ich mich erst einmal in den März. Auf dem Blog wird dieser vorwiegend Patricia A. McKillips Erdzauber-Trilogie gewidmet sein – nachdem Peter von Skalpell und Katzenklaue und ich uns im letzten Jahr beim Klassiker-Reread Joy Chants „Wenn Voiha erwacht“ vorgenommen hatten, ist nun Erdzauber an der Reihe (apropos Gravedigging …). Und weil es über drei Bände mehr zu berichten gibt als über einen, gibt es dieses Mal auch ganze sechs Beiträge dazu, die im Laufe des März abwechselnd auf unseren Blogs erscheinen werden. Stay tuned.
[1] Na ja, eigentlich habe ich das schon vor drei Wochen gemacht, als die Nachricht die Runde machte.
[2] Qualitätsjournalismus, I has it.
[3] Zwischenzeitlich hat Tracy Hickman auf Twitter auch für einigen Wirbel gesorgt, nachdem er ein Meme geteilt hatte, das wohl nostalgisch stimmen sollte, aber ziemlich diversitätsfeindlich rüberkam. Später hat er es gelöscht und durch eine versöhnlichere Variante ersetzt. Ich nehme ihm grundsätzlich ab, dass seine Intention harmloser war, als sie im ersten Moment rüberkam (fürchte, ich komme gerade nicht damit klar, noch mehr Jugendhelden zu verlieren – looking at you, Marilyn Manson), aber im Gesamtkontext macht mir das jetzt auch nicht unbedingt mehr Lust auf die neue Trilogie. Was mir irgendwie aber auch Leid tut, weil es ist doch Drachenlanze, aber ach … ach … seufz.
[4] Oder vielleicht hatten im neuerlichen Lockdown auch einfach nur viele Leute Zeit, noch mal die Filmtrilogie zu gucken …
[5] Und dazu am besten nach Gutdünken ein Glas Wein trinken. Just because.
[6] In der Stellungnahme heißt es noch, das Forum sei vorübergehend gesperrt. Inzwischen ist es aber wieder verfügbar.
[7] Mal ganz davon abgesehen, dass ich für mich auch nicht ausschließen kann, selbst in irgendeiner Form Rassismen produziert zu haben. Ich muss nur in alte Storys von mir reinschauen, um zu wissen, dass ich Repräsentation gerne mal mit Exotismus verwechselt habe.
[8] Übrigens nicht nur in Bezug auf die Phantastikszene. Denke in letzter Zeit recht viel über mein Kulturwissenschaftsstudium nach, nach dem ich mir eigentlich ziemlich woke vorkam, dessen ethnologische Inhalte aus heutiger Sicht aber auch nicht immer ganz unproblematisch behandelt wurden.
[…] [8] Ist das ein Zeichen des Älterwerdens …? Zu meiner Verteidigung, solche Beiträge sollten nicht ins Verklären abdriften, und idealerweise werden sie auch mit Kritik kombiniert – wie z. B. in den beiden „Der Herr der Ringe“-Artikeln aus den Februaransichten. […]
[…] Mal ging es um Karikaturen, mal um zweifelhafte Chefredakteure, außerdem wurden Organisationen wie das Tintenzirkel-Forum, verschiedene Awards oder zuletzt PAN und die MetropolCon für den Umgang mit einigen […]