Oktoberansichten 2020
Wir schauen auf vergangene Veranstaltungen zurück, kommen mehrmals auf Hope- und Solarpunk zu sprechen, verweisen auf Artikel zur chinesischen SF und überfliegen eine Liste.
Von DragonDays bis BuCon: Online-Conventions
Standardmäßig ist der Oktober für die Szene DER Messe- und Con-Monat. 2020 fielen das Kofferpacken und das durch Hallen Wandeln weitgehend aus, aber virtuell oder als Hybrid fanden die meisten Veranstaltungen dennoch statt. So etwa die Dragon Days, die u. a. vor Ort Comics und Bier vorstellten (…), im Rahmen einer Live-Projektion aus Stanislaw Lems „Sterntagebüchern“ vortragen ließen und einen Stream mit Tad Williams und Felix Mertikat organisierten.
Auch der BuCon fand statt und bot via Twitch und Discord allerlei Lesungen, Workshops und Diskussionsrunden. Zudem wurde hier der Publikumspreis für Eskapismus, Nerdkultur und Phantastik verliehen, auch bekannt als Goldener Stephan. Großer Gewinner war dabei der Selfpublishing-Autor Christian Pelz, der mit „Finn Feuerherz und der Fluch der 7 Königreiche“ sowohl die Kategorien „Beste*r Erstlingsautor*in“ als auch „Bestes Phantastikbuch für Kinder und Jugendliche“ für sich entscheiden konnte. Weiterhin ausgezeichnet wurden „Loki: Der Gott, der zur Erde fiel“ (Bester Comic / Graphic Novel) und „Düsteres London“ (Bestes Phantastik-Werk). Die ebenfalls verliehenen BuCon-Ehrenpreise gingen an Linda Hein für die Initiative Jugendliteratur in Dreieich sowie an Thomas Recktenwald, Vorsitzenden des SFCD, für sein Lebenswerk.
Das in diesem Jahr sehr breite digitale Angebot macht es außerdem möglich, auch internationale Streams wahrzunehmen. Noch auf meiner Watchlist steht beispielsweise die Paneldiskussion „Plural Worlds, Plural Futures“ über südasiatische speculative fiction im Rahmen des Tasveer South Asian Litfest. Weitere Möglichkeiten und Chancen, die ich mit den digitalen Cons verbinde, habe ich in einem vorangegangenen Blogpost zusammengefasst. Über das Thema diskutiert haben außerdem Sven Vössing, Liza Grimm, Tommy Krappweis und Isa Theobald via WildMics; auch das steht aber noch auf meiner Watchlist.*
Umdeutungen, Interviews und Diskussionen: phantastische FBM
Ebenfalls mit einem sehr breiten Digitalangebot vertreten war die Frankfurter Buchmesse. In Sachen Phantastik gab es beispielsweise ein von Donnie O’Sullivan moderiertes Podcast-Angebot mit James Sullivan und Judith Vogt, in dem die drei (nicht nur phantastische) Werke in Hopepunk umgedeutet haben. Bisher habe ich mir nur die Game of Thrones-Folge angehört, fand diese aber sehr unterhaltsam. Es geht auch gar nicht so sehr gezielt um Hopepunk-Theorien, sondern mehr um allgemeine Was-wäre-wenn-Überlegungen. Das soll keine Kritik sein, sondern heißen, dass ihr euch die Folge auch getrost anhören könnt, wenn euch das Buzzword verschrecken sollte.
Darüber hinaus hat der PAN e.V. einige Videobeiträge zum FBM-Angebot beigesteuert. Innerhalb eines Vortrags von Maike Braun zu Climate Fiction kam ich selbst mit einem kleinen Interview zu Solarpunk zum Zuge. Außerdem habe ich gemeinsam mit Isa Theobald, Dirk van den Boom und Thilo Corzilius an einer Diskussionsrunde zur Trennung von Werk und Künstler*in teilgenommen. Herausgekommen ist ein angenehmes Gespräch, in dem wir das Thema meinem rückblickenden Empfinden nach allerdings nur oberflächlich behandeln und gerade die problematischsten Facetten lediglich ankratzen konnten. Die Angebote sind noch temporär verfügbar.
Listengedanken
Soweit zu den Cons, aber was war sonst los? Zu den British Fantasy Awards ist die diesjährige Shortlist erschienen. Das Time Magazine wiederum hat seine Liste der „100 Best Fantasy Books of All Time“ veröffentlicht. Allzu viele der vertretenen Titel habe ich nicht gelesen (müssten um die 13 sein), aber ich freue mich darüber, z. B. Susan Coopers „Dark is rising“, Pratchetts „Kleine freie Männer“ und Cassandra Clares „City of Bones“ auf der Liste zu finden. In Coopers Falle, weil ich die „The Dark is Rising“-Reihe als Teenager verschlungen habe.** „Kleine freie Männer“, weil ich mich darin bestätigt sehe, dass die Tiffany-Romane zu Pratchetts besten Romanen zählen. Und Clare, weil ich es sehr schade finde, wie Jugendfantasy mit romantischem Einschlag bei solchen Listen oft unterschlagen wird.
Von chinesischer SF und (anderen) Fragen der Verantwortung
Einem schwierigen Thema hat sich Markus Mäurer umfassend und differenziert auf TOR Online gewidmet: Er schlägt den Bogen vom Umgang Chinas mit den Uiguren über die damit verbundene Kritik an Cixin Lius Haltung dazu bis hin zum generellen Verhältnis zwischen westlicher Popkultur(-Ökonomie) und chinesischer Wirtschaft bzw. Kultur. Sebastian Pirling hat das Thema auf Die Zukunft aufgegriffen und dazu genutzt, auf hierzulande noch weniger populäre, aber z. T. kritischere Stimmen der chinesischen SF zu verweisen.
Ein weiterer interessanter Artikel kam im Oktober von Cory Doctorow via Slate. Er hinterfragt kritisch, wie die SF-Literatur – inkl. seiner eigenen Romane – zu Haltungen und Erwartungen geführt haben, die gerade angesichte der Pandemie zu Problemen führen können. Vieles an seinen Überlegungen und Einschätzungen ist dabei aber keineswegs wieder in sich dystopisch, sondern atmet vielmehr den optimistischen Geist, der auch Hope- oder Solarpunk innewohnt:
The reality is ever so much messier, full of people trying to do the right thing—which still causes high-stakes, serious conflicts, but they’re conflicts of good faith and sincere disagreement.
aus „The Danger of Cynical Sci-Fi Disaster Stories„
Wer solche „Labels“ als reine Marketingbegriffe abtut, macht es sich insofern zu leicht. Es stimmt schon, sie sind keine Genres im engen literaturwissenschaftlichen Sinne.*** Aber Hopepunk, Solarpunk und auch Grimdark und Co. beschreiben soziale Haltungen bis hin zu Bewegungen; dafür Begriffe zu haben, ist für den Diskurs äußerst hilfreich. Und ich finde es faszinierend, wie sich die tendziell hopepunkige Haltung gerade in diesem Jahr entwickelt hat: Von der spielerischen Naivität des Jahresbeginns über das nachfolgende Pendeln zwischen Hoffnung, Wut und Resignation bis hin zum pragmatischen Ansatz, den ich nun in vielen Diskussionen zu sehen glaube.
Allerdings, um zu Doctorows Artikel zurückzukommen: Einerseits finde ich es wichtig, als Autor*in die eigenen Inhalte zu hinterfragen und sich die eigene Verantwortung bewusst zu machen. Andererseits ist es so langsam echt an der Zeit, Menschen zu einem eigenbewussten Umgang mit Medien zu bringen. Medien können nicht immer nur didaktisch und ethisch einwandfrei sein. Irgendwo muss man die Konsument*innen auch zu der Kompetenz bringen, eigenständig Medien beurteilen und von der Realität abgrenzen zu können.
Ok, aber Werhyänen!
Das wäre nun ein schöner Schlusssatz, aber ehe ich euch in den November entlasse, geht es noch kurz um fantastische Kreaturen: Auf TOR Online läuft ja die Reihe, in der ich mich verschiedenen Fantasywesen näher widme. Irgendwann demnächst müsste auch mein Beitrag zu Werwölfen erscheinen und wer schon mal ins Thema einsteigen will, kann sich den Artikel zu Werhyänen durchlesen, den Atlas Obscura in Zusammenarbeit mit dem Epic Magazine veröffentlicht hat.
So. Nun aber. Habt einen guten Tag und gönnt euch noch etwas Hoffnung, ehe das Pendel mit der US-Wahl womöglich wieder in andere Richtungen schlägt.
*Ein Nebeneffekt des digitalen Angebots: Man kommt schlicht nicht dazu, sich alles anzuschauen, was einen interessiert. Ich frag mich ja auch, wie meine Timeline es immer schafft, Serien zu gucken, sobald sie herauskommen und trotzdem noch zu arbeiten / Familien zu versorgen / ausgiebig an die Zimmerdecke zu starren etc. pp. Hut ab vor eurem Zeitmanagement!
**Da ich außer „Wintersonnenwende“ alle übrigen Bände ausgeliehen und nur einmal gelesen hatte, erinnere ich mich nur noch an … irgendwas mit Abenteuern, keltischer Mythologie und einer netten Clique. Wie „Fünf Freunde“, aber mit Fantasy.
***Ehrlich gesagt war ich auch überrascht, dass viele die TOR-Genre-Reihe in dieser Hinsicht so wörtlich genommen haben, aber das war vielleicht naiv.
Wenn ihr mögt, was ich schreibe, freue ich mich über etwas Unterstützung via Ko-Fi.
[…] 2021 fand der BuCon „nur“ digital statt, die FBM in abgespeckter Version. 2020 hatten beide ein digitales Alternativprogramm zu bieten, außerdem fand ich damals viel Lob für die generelle Anpassungsfähigkeit der Buch- und […]