Maiansichten 2020

Maiansichten 2020

31. Mai 2020 1 Von FragmentAnsichten

Wir diskutierten über das Für und Wider von „Twilight“, lauschten Video- und Podcastgesprächen über Anthologien und Veröffentlichungsvarianten, dachten über Mutter-/Tochter-Beziehungen in der Fantasy nach und erfreuten uns u. a. an neuen Zines.

Viele von uns sitzen nach wie vor daheim, was der Diskussionsanzahl offenbar zugute kommt. Die meisten Gespräche starten inzwischen direkt aus Instagram oder Twitter heraus und finden dort innerhalb eingeschränkter Bubbles statt, wodurch ich immer häufiger nur die Spitze oder „Nachbesprechungen“ mitbekomme. Beispielsweise als es um die Coverdiskussion ging oder um die Frage, ob sich Rezensierende von Verlagen kaufen lassen.* Auch viele Aktionen haben sich gen Social Media verschoben, beispielsweise die über Instagram stattfindenden Autorensonntage oder Schöpferspiele.

Podcasts und wilde Mikros

Wenn etwas auf dem (mehr oder weniger) Social-Media-externen Digitalmarkt einen Boom erlebt, sind es aber die Video-Diskussionsrunden und Podcasts. Auch für den deutschsprachigen Phantastikbereich ist hier im letzten Monat wieder eine bunte Mischung erschienen, u. a. seitens des Phantastik-Brunches, seitens des PhanLiTa oder über Tommy Krappweis‘ Twitch-Kanal Wild Mics bzw. die dortige Reihe Zeitverschreib.

Auch wenn ich alle drei Formate sehr unterhaltsam finde, komme ich nicht dazu, allen Folgen zu lauschen.** Im Mai habe ich mir aber die Zeitverschreib-Diskussion zu verschiedenen Verlagsformen und die Brunch-Folge zu den Anthologien angehört. Beide finde ich gelungen, zumal sie aus meiner Sicht sowohl für Neulinge als auch für Fortgeschrittene interessante Inhalte bieten. Bei der Anthologiefolge fand ich zudem schön, dass auch ein bisschen darauf eingegangen wurde, welche Inhalte sich besser oder schlechter für Kurzgeschichten eignen und dass die US-Szene mit den Dozois-Anthologien angerissen wurde.

Twilights Zwielicht

Aber noch mal zurück zu den Social-Media-Diskussionen. Einer der großen Aufreger bestand darin, dass mit „Midnight Sun“ nun doch noch das Buch erscheinen soll, das die Geschichte von „Twilight“ aus Sicht des männlichen Love Interests erzählt.*** Nun ist „Twilight“ in der Szene bekanntlich nicht besonders beliebt und entsprechend flammten die alten Diskussionen rund um die ungesunde Beziehung zwischen Edward und Bella wieder auf. Auch diverse Blogposts und Artikel haben sich dem Thema gewidmet, u. a. von Susanne Pavlovic auf TOR Online. Was man da liest, ist scho krass.

Obwohl ich die Probleme sehe und die Kritik grundsätzlich teile, sehe ich zugleich aber auch eine andere Seite: „Twilight“ hat der Phantastik einen unglaublichen Boom beschert, sie endgültig mainstreamfähig gemacht. Ja, „Harry Potter“ und die „Der Herr der Ringe“-Verfilmung haben das auch, aber anders. „Twilight“ hat insbesondere die Fantasy für Leute attraktiv gemacht, die mit dem Genre sonst überhaupt nichts anfangen konnten, und eine Form der YA-Romantasy etabliert, die bis heute zahlreiche Leser:innen begeistert.

Man könnte sagen, dass genau diese YA-Romantasy Teil des Problems ist, und dem gebe ich auch recht. Für viele ist Romantasy als Genre inzwischen verbrannt, allzu oft wird sie (zu Unrecht!) auf kitschige Teenager-Triangles reduziert. Aber andererseits profitiert davon der Phantastikmarkt insgesamt. Ganz ehrlich, ich habe meine Zweifel, ob ich je „Vor meiner Ewigkeit“ hätte veröffentlichen können, wenn das Buch nicht noch ein Stück auf dem Vampirhype mitgeschwommen wäre, den „Twilight“ ausgelöst hatte. Und während z. B. von den Völkerfantasy-Romanen erst einmal nur deutschsprachige Autoren profitiert haben, konnten mit der Romantasy auch viele Autorinnen Fuß auf dem Markt fassen. Dass auch das Schattenseiten mit sich gebracht hat (Stichwort Erwartungshaltung), darauf gehe ich z. B. in diesem TOR-Genreartikel und in diesem Blogpost zu Romanzen ein. Es bleibt wichtig und richtig, dass wir über all diese Schattenseiten diskutieren. Aber ganz ehrlich, unter … wirtschaftlichen und fanökonomischen Aspekten bin ich „Twilight“ irgendwo dankbar.

Dieses Für und Wider, das mit „Twilight“ einhergeht, hat auch Francis Behrend ausführlich auf ihrem Blog erörtert.

„Edward x Bella: Goodbye …?“ by Rinian via DeviantArt unter CC BY NC-ND 3.0

Eine Frage der Mütter

Wir kehren zurück auf TOR Online: Hier widmete sich Lena Richter den selten geschilderten Beziehungen von Müttern und Töchtern in der Fantasy. Mein erster Gedanke war bei der Überschrift: „Ach komm, so selten sind die nun auch nicht.“ Aber die meisten Beispiele, die mir dann in den Sinn kamen, fielen prompt in die aufgezählten Klischees, beispielsweise die auch im Artikel genannten „Chroniken der Unterwelt“ oder die „Faeriewalker“-Reihe. Wobei ich die dort geschilderte Beziehung zwischen Dana und ihrer alkoholkranken Mutter dennoch sehr interessant fand, aber das nur am Rande.**** Ausgewogenere Beispiele fallen mir eher aus Klassikern wie Patricia A. McKillips „Erdzauber“ oder Joy Chants „Wenn Voiha erwacht“ ein.

Blog- und Zineroll

Was war sonst los? Peter Schmitt veröffentlichte auf Skalpell und Katzenklaue einen Beitrag zur Sword and Sorcery und deren Trennungsprozess gegenüber der High Fantasy, Jay Gabler widmete sich auf Lithub Isaac Asimovs problematischem Verhalten Frauen gegenüber, Sören Heim warf einen kritisch-philosophischen Blick auf die Kindliche Kaiserin und vom Phantast erschien eine sehr lesenswerte Ausgabe über deutschsprachige Phantastik.

Apropos Zines! Erfreulicherweise haben zwei neue Kurzgeschichten-Zines das Licht der phantastischen Welt erblickt: Zum einen Totenschein, ein Projekt von Tanja Karmann und Carsten Schmitt, zum anderen die Queer*Welten, die von Judith Vogt und Lena Richter im Verlag Ach je herausgegeben werden.

Darüber hinaus hat sich die Maiausgabe des Buchreport der Phantastik gleich mehrfach gewidmet, wobei es einmal um die Lesendennähe ging, einmal um Climate Fiction. Zu letzterem Beitrag habe ich gemeinsam mit Ralf von SF-Lit auch einen kurzen Überblick beigesteuert, wobei die Zusammenarbeit mit dem Buchreport über PAN zustandekam. Der Beitrag lässt sich auch online lesen, ist allerdings hinter einer Paywall versteckt.

So viel zum Mai, dem ich mich jetzt noch in der Sonne widmen werde. Im Juni findet die Buchmesse Saar virtuell statt, aber ich habe leider noch keine Informationen dazu, ob (und wenn ja, wie) das auch meine für dort geplante Lesung miteinschließt. Wenn ich was weiß, teile ich es mit.

P. S.: Eine Sache noch; da sich derzeit bei mir ein ziemlicher Arbeitsberg angestaut hat, versuche ich den erst mal abzubauen und pausiere mit der Interviewreihe.


*Auf eine Art finde ich es irgendwie beruhigend, wie diese Diskussionen alle paar Jahre neu auftauchen und wieder von vorne aufgerollt werden. Gleichzeitig fühle ich mich alt und weise, wenn ich mit meiner imaginären Pfeife auf der leider ebenso imaginären Veranda sitze und den jungen Leuten lausche, wenn sie diskutieren.
**Irgendwie fehlt mir die Muse, mich gezielt hinzusetzen und mir einen Podcast o. Ä. anzuhören. Ich höre sie mir nur beim Aufräumen, Putzen usw. an, aber da stehen sie in harter Konkurrenz zu Hörbüchern und mancher Sitcom, die ebenfalls meine Putzunterhaltung sind. Ernst gemeinte Frage, wann hört ihr Podcasts? Setzt ihr euch gezielt hin und lauscht? Oder hört ihr sie beim Pendeln, …?
***Was ist im Moment eigentlich los? Erst die „Merle„-, dann die „Panem“-Fortsetzung, jetzt das … demnächst machen wir uns wieder alle MySpace-Profile.
****Dafür fällt die Reihe aber leider voll ins „Twilight“-Klischee ungesunder Beziehungen. Ich hab eine absolute Schwäche für „Faeriewalker“, aber die Beziehung zwischen Dana und Ethan ist einfach eine Katatrophe. (Er verzaubert sie, damit sie mit ihm schläft, sie ist bissl sauer, aber nachdem er eine persönliche Tragödie erfährt, ist alles vergeben und vergessen. Hmm, ja, mir ist meine Zuneigung zur Reihe ja auch peinlich und ich würde sie heute auch niemandem mehr direkt empfehlen. Aber liebe einfach Setting und Schreibstil! Ok, irgendwie empfehle ich sie jetzt ja doch …)