[Random 7] (Fantasy-) Neuinterpretationen

[Random 7] (Fantasy-) Neuinterpretationen

25. August 2019 5 Von FragmentAnsichten

Vor wenigen Tagen ist in der Hobbit-Presse Oliver Plaschkas „Der Wächter der Winde“ erschienen, eine phantastische Neuinterpretation von Shakespeares „Der Sturm“. Auch wenn ich zu Letzterem aus Gründen der ausgiebigen Schullektüre ein etwas ambivalentes Verhältnis habe und die allgemeine Caliban-Begeisterung nur bedingt nachvollziehen kann, bin ich gespannt auf Olivers Buch und habe es mir zum Anlass genommen, mein Buchregal nach weiteren sieben Neuinterpretationen klassischer Stoffe abzusuchen.

Zu Sagen und Märchen gibt es dort natürlich eine Menge, zumal ich als Teenager vor allem auf Fantasy mit Bezug zu keltischen Mythen stand. Aber auch zu klassischen Romanen findet sich das eine oder andere. So etwas kaufe ich selten gezielt, finde es aber grundsätzlich sympathisch. Oft fällt mir trotzdem überhaupt erst auf den zweiten Blick auf, wenn es sich um Neuinterpretationen handelt. Selbst bei „König der Löwen“ sind mir die Parallelen zu „Hamlet“ erst zwanzig Jahre später aufgefallen, als ich mit der Nase drauf gestoßen wurde. Aber gut, als ich mit vier Jahren im Kino war, hatte ich eventuell andere Prioritäten …

Bei den nachfolgenden sieben Titeln sind mir die Paralellen jedenfalls früher oder später aufgefallen:

1.“Der Kinderdieb“ von Brom

Ich mochte Broms Fantasy-Illustrationen eine Zeitlang sehr gerne und war gehypt, als er mit „Der Kinderdieb“ seinen ersten Roman herausbrachte. Eigentlich lag das vorrangig wiederum an den Illustrationen darin, aber auch wie er auf bittersüße Art Elemente aus „Peter Pan“ und der keltischen Sagenwelt mischte, gefiel mir schnell. Im Verlaufe der Handlung mehrten sich allerdings die in meinen Augen unnötig brutalen Sequenzen, und das Ende haben sie mir komplett verdorben. Trotzdem gibt es ein paar Stellen im Roman, die ich einfach, sorry für die Dramatik, zum Heulen schön finde.

2. „Das Graveyard-Buch“ von Neil Gaiman

Bod, der Protagonist dieses Buchs, ist der Mogli der Friedhöfe: Statt von Dschungeltieren wird er von Geistern und Vampiren großgezogen. Was sich gar nicht so skurril liest, wie es klingt. Eigentlich ist „Das Graveyard-Buch“ relativ klassische YA-Fantasy, was natürlich nicht schlecht sein muss. Aber es war mein erster Gaiman und ich hatte seinerzeit mehr burtonesken Humor erwartet, wohl weil mir Neil Gaiman bis dahin vorrangig als Co-Autor von Terry Pratchett ein Begriff war.* Nachdem ich mich darauf eingelassen hatte, mochte ich das Buch aber gerne und es wird unbedingt Zeit für einen Reread …**

3. „Shloko Holmser und Der unsichtbare Armschütze“ von Bernd Perplies

Bernd Perplies hat es irgendwie mit Sherlock Holmes. Mit Christian Humberg veröffentlicht er seit 2016 die Reihe „Die unheimlichen Fälle des Lucius Adler“, der Beschreibung nach eine Kreuzung aus „Sherlock Holmes“ und „Fünf Freunde“. Aber bereits vier Jahre zuvor erschien in der Anthologie „Große Geschichten vom kleinen Volk“ (Hrsg. Ruggero Leo, Bastei Lübbe) Perplies‘ äußerst vergnügliche Novelle „Shloko Holmser und Der unsichtbare Armschütze“. Hier ist es ein Halbling, der in seiner beschaulichen Heimat in einem Kriminalfall ermittelt.

4. „Ash“ von Malinda Lo

Diese Aschenputtel-Variante um ein Mädchen, das die Wahl hat, mit der Jägerin Kaisa oder dem Feenreiter Sidhean dem Joch ihrer Stiefmutter zu entfliehen, ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Oft wird der queere Aspekt der Handlung hervorgehoben, da Kaisa und Ash keine rein freundschaftliche Beziehung zueinander pflegen. Die Konstellation weckt Assoziationen zu Robin McKinleys „Das blaue Schwert“ und lässt „Ash“ zweifellos hervorstechen unter der Masse an Märchen-Romantasy-Neuinterpretationen. Noch bemerkenswerter finde ich aber, wie melancholisch immer wieder das Thema der Freiheit angesprochen wird; auch das alles andere als üblich für das Genre.

5. „Dunkle Halunken“ von Terry Pratchett

Als „Dunkle Halunken“ 2014 den Deutschen Phantastik Preis erhielt, habe ich mich noch darüber echauffiert, denn auch wenn Terry Pratchett meist Fantasy schreibt – „Dunkle Halunken“ fällt nur mit sehr viel Fantasie (lol) in dieses Genre. Na gut, man könnte es vielleicht noch als Alternate History bezeichnen … Aber lassen wir solche Spitzfindigkeiten mal beiseite und nehmen wir diese Neuinterpretation von „Oliver Twist“ so oder so in diese List auf, denn ich mag sie wirklich gerne. Ich meine, wirklich gerne. Den Scheibenwelt-Romanen fehlt es oft ein wenig an Handlungsstruktur. „Dunkle Halunken“ bietet eine eben solche und überrascht dazu mit viel Nachdenklichkeit, ohne dass deshalb Pratchetts satirische Seite völlig vernachlässigt würde. Zugleich bietet das Buch eine spannende Kriminalgeschichte vor dem Hintergrund des Viktorianischen Zeitalters. Unbedingte Leseempfehlung!

6. „Die Schöne und das Biest“ von Maxe L’Hermenier, Dem und Looky

Ich finde es ja irgendwie unterhaltsam, wie in französischen Comics aus jedem Stoff eine beinharte Fantasy und/oder Steampunk-Geschichte gezimmert wird. So auch in dieser sehr freien Märcheninterpretation, die Elemente aus „Die Schöne und das Biest“ und „Der fliegende Holländer“ kombiniert. Die herzensgute Bella dient hier als Geisel, mit der das „Biest“ versucht, seine Geliebte aus den Fängen des Magiers zu befreien, der es einst zu einem Leben als dämonischen Luftpiraten verflucht hat. Alles bisschen weird, inklusive Dornenbusch als Antagonisten, aber sehr hübsch anzuschauen. Eine ausführliche Rezension habe ich vor vier Jahren hier veröffentlicht.

7. „Das Lied des Achill“ von Madeline Miller

Wie eingangs erwähnt: An Märchen- und Sagenneuinterpretationen mangelt es nicht und ich hätte locker eine eigene Random 7 nur dazu machen können. Zur keltischen Fantasy habe ich schon einige entsprechende Bücher hier vorgestellt, und sie daher in der vorliegenden Liste ausgeklammert. Außerdem ist sie ja durch „Ash“ und „Der Kinderdieb“ mit repräsentiert. Repräsentativ für weitere Sagennacherzählungen sei hier noch Madeline Millers „Das Lied des Achill“ erwähnt, das derzeit dank des Nachfolgers „Circe“ eine kleine Renaissance erfährt. Das freut mich, denn auch wenn „Das Lied des Achill“ einige Längen hatte, mag ich doch die Art, wie sich Miller der antiken Sagen annimmt.*** Und überhaupt finde ich es gut, dass Patrokles mal nicht nur als übermütiger Jungspund portraitiert wird. Die Geschichte um Achilles und ihn war immer eine meiner antiken Lieblingssagen.

So viel zu meinen Vorstellungen bzw. Empfehlungen. Welche Neuinterpretationen mochtet ihr oder welche stehen noch auf der Read-List?


*Nicht, dass Terry Pratchett viel mit Tim Burton gemein hätte, aber ihr wisst schon.
**Manchmal habe ich ohnehin das Gefühl, diese Reihe vorrangig zu schreiben, um mich daran zu erinnern, was ich alles mal wieder lesen sollte.
***Und überhaupt freut es mich sehr für Madeline, dass sie für „Circe“ nun so viel Zuspruch bekommt. Ich hatte sie 2012 mal für das damalige Magira-Jahrbuch interviewt. Sie war damals sehr zuvorkommend und man hat ihr angemerkt, wie sie für antike Sagen und besonders die Beziehung zwischen Achill und Patrokles brannte. Fand ich sehr sympathisch.