[Random 7] Unvollendete Manuskripte

[Random 7] Unvollendete Manuskripte

25. Juli 2019 3 Von FragmentAnsichten

Ein Autor, den ich zu Anfang meiner Schreibkarriere sehr geschätzt habe, sagte in einem Interview einmal, es sei unprofessionell, ein einmal begonnenes Manuskript abzubrechen. Ich weiß, ich sollte mir diesen Satz nicht zu Herzen nehmen – wahrscheinlich glaubt nicht mal der Autor selbst richtig daran. Aber wann immer ich heute an einem Manuskript sitze und am liebsten hinschmeißen würde, muss ich an diesen Satz denken. Das ist einerseits okay, denn sonst hätte ich beim einen oder anderen Projekt womöglich schon bei der ersten Hürde aufgegeben. Andererseits sollte man sich von solchen Weisheiten aber auch nicht lähmen oder verunsichern lassen; es hat keinen Zweck, an einem Manuskript festzhalten, wenn man merkt, dass es nicht funktioniert. Dann nimmt man sich lieber die besten Elemente und kreiert etwas Neues daraus!*

Als ich nun virtuell aufräumen und ein paar alte Textfragmente löschen wollte, sind mir viele meiner mehr oder weniger zu Grabe getragenen Manuskripte wieder in die Hände gefallen. Manche hatte ich vollkommen vergessen. Fast alle hingen irgendwie miteinander zusammen und viele waren Vorgänger von „Vor meiner Ewigkeit“, „Spielende Götter“ oder dem SF-Roman, der nächstes Jahr erscheinen soll. [Edit 2021: Das war ein Hint auf „Die Türme von Eden“.]

Als Einzelprojekte werde ich die meisten dieser Fragmente wohl nicht noch einmal in Angriff nehmen. Da es aber schade ist, sie nur auf der Festplatte vor sich herum chillen zu lassen, widme ich den vielversprechendsten von ihnen nun diesen Blogpost. Hier die Random und eigentlich auch Top 7 meiner unvollendeten Manuskripte:

1. „Nacht“ oder
Wie fast alles mit Elfen und Vampiren begann

Worum ging es? Als Teenager habe ich Jahre damit verbracht, an einem groß angelegten Epos zu feilen, das auf den schlichten Namen „Nacht“ hörte. Es war wie „Shannara“ mit Vampiren – irgendwann in sehr postpostpostapokalyptischer Zeit wird die Erde von Vampiren, Elfen, Engeln und Co. bewohnt und die bekämpfen sich halt.

Was war gut? Dass ich viel Spaß beim Schreiben hatte und den Grundstein für „Vor meiner Ewigkeit“ gelegt habe.

Warum habe ich aufgehört? Ich habe „Nacht“ nur für mich geschrieben – die Verlagsträume kamen erst später. Deshalb war es auch kein großes Ding, dass ich irgendwann in Teil 4 beschlossen habe, „erst mal“ ein paar Prequels und Side-Storys zu schreiben. Eines dieser Prequels war eine 80-seitige Novelle namens „Der ewige Schläfer“. Daraus entstand später wiederum ein Roman namens „Vor meiner Ewigkeit“.

2. „Amane“ oder Mensch, Eurydike!

Worum ging es? Als Kind gelangte Darius in die Anderwelt, als Erwachsener kifft er, was das Zeug hält. Doch als seine Schwester stirbt, rappelt er sich auf und reist in die Unterwelt, um das Schwesterchen zurückzuholen.

Was war gut? Ich hatte diese Kapitel wirklich komplett vergessen und dachte beim Wieder-Reinlesen erst mal nur so „Waaas ist hier los?“ Aber die Idee finde ich gar nicht übel.

Warum habe ich aufgehört? Weiß ich nicht mehr. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt hatte ich gerade „Vor meiner Ewigkeit“ abgeschlossen und habe einfach viel mit Sagenneuerzählungen herumexperimentiert.

3. „Der Sturm“ oder
Über Klassenfahrt-Frustrationen

Worum ging es? Um die Irrungen und Wirrungen einer Gruppe Teenager auf Klassenfahrt nach Verona. Tatsächlich kam das Projekt völlig ohne Phantastik aus und der Titel soll eher Assoziationen zu Ang Lee denn zu Shakespeare wecken.

Was war gut? Ich konnte mich stilistisch freier ausdrücken. Also … ihr wisst schon, Jugendsprache und so, oder was ich dafür halte. Es liest sich ein bisschen aggressiv.

Warum habe ich aufgehört? Bei realistischen Stoffen fehlt mir oft das Durchhaltevermögen. Aber so ganz lässt mich dieser hier nicht los. Meine Klassenfahrt-Traumata wollen wohl noch literarisch verarbeitet werden 😉

4. „Solange es schneit“ oder
Warum eigentlich nicht?

Worum ging es? „Vor meiner Ewigkeit“ hatte ein offenes Ende und mit Geistermädchen Amy eine Figur, um die sich viele Fragen rankten. Nachdem das Buch erschienen war und gut ankam, habe ich mich lange mit der Idee getragen, eine Fortsetzung oder einen Roman zu Amy zu schreiben. „Solange es schneit“ sollte beides vereinen.

Was war gut? Woah, fetter Nostalgieflash! Wisst ihr, auch wenn ich auf diese „Nacht“-Sache mit diesem typischen Jugendsünden-Blick schaue, ist es doch immer noch eine Welt, mit der ich verdammt viel Zeit verbracht habe. Sie bietet so viele Details und Ecken und Winkel, die in „Vor meiner Ewigkeit“ nicht mal annähernd Platz gefunden haben. „Solange es schneit“ hat den Weltenbau der „Nacht“-Sachen, aber zugleich die Atmosphäre von „Vor meiner Ewigkeit“. Ein wenig fühlte sich das erneute Lesen nach Heimkommen an, auch wenn mich diese Welt derzeit schreibtechnisch nicht mehr so reizt.

Warum habe ich aufgehört? Während ich an „Solange es schneit“ arbeitete, lief mir eine Ausschreibung von ohneohren über den Weg, „Liebe zwischen den Welten“. Mir kam eine Idee dazu, die aber ebenfalls daraus bestand, Amys Vorgeschichte zu erzählen. Tatsächlich wurde die Geschichte („Bevor wir loslassen“) dann auch in die Anthologie aufgenommen. Danach fehlte „Solange es schneit“ allerdings ein wenig die Basis und ich wollte dieselbe Geschichte nicht noch mal in XXL erzählen. Die bereits fertigen Kapitel bot ich aber eine Weile als Download auf meinem Blog an.

5. „Angela“ oder
It’s New Weird, isn’t it?

Worum ging’s? Oh, keine Ahnung. Bzw. doch, schon, denn ich habe ein sehr ausführliches Exposé zu „Angela“ geschrieben, und das Manuskript hatte immerhin schon fast 50.000 Wörter, als ich aufgegeben habe. Aber es ist ein bisschen ähm … komplex, nennen wir es so. Da ist eine Miriam (mit diesem Namen habe ich es, siehe „Alice 27“), die von einem Engel, der zweiten Inkarnation dieses Engels UND einem Gott besessen ist und verständlicherweise nicht mehr so recht weiß, wo ihr der Kopf steht. Außerdem ist da ein Nevo, der Romane über Miriam veröffentlicht und natürlich glaubt jeder, es sei reine Fantasy, aaaaber dann bricht die Apokalypse herein und plötzlich ist Nevo ein gefragter Prophet.

Was war gut? Ich habe „Angela“ im Studium verfasst – zu einem Zeitpunkt, als ich mich viel mit postmodernen Theorien beschäftigt habe. „Angela“ war eine belletristische Auseinandersetzung mit diesen und ich bin ein bisschen neidisch, was für eine abgespacte Phantasie ich damals hatte. Wäre das hier eine Top-Liste, müsste „Angela“ auch auf Platz 1 stehen, denn irgendwie mag ich den Text immer noch sehr, auch wenn ich nicht durchsteige.

Warum habe ich aufgehört? Ich habe mich mit Autorenkolleg*innen viel über „Angela“ ausgetauscht – zu viel, fürchte ich. Vor lauter Diskussionen habe ich das Interesse daran verloren, am Manuskript weiterzuschreiben. Ich spreche seither vom „Angela“-Fluch und vermeide es nun weitgehend, über Romane zu sprechen, solange das Manuskript nicht wenigstens in erster Fassung vorliegt (oder zur Resterampe gewandert ist). Außerdem habe ich mich wohl ein wenig verzettelt, obwohl ich der Handlung sogar noch einmal eine Chance gegeben und komplett von vorne angefangen hatte. Es half zwar nichts, aber tatsächlich sind viele Elemente aus „Angela“ in „Spielende Götter“ geflossen und weitere in einen Science-Fiction-Roman, der 2020 erscheinen soll [=“Die Türme von Eden“]. Insofern war die Arbeit keineswegs umsonst. Aber vielleicht war die Literaturwelt für „Angela“ selbst einfach noch nicht bereit.

6. „Nacht aus Sand und Blumen“ oder
Never trust a Villa bei Gewitta

Worum ging’s? Chris sucht in einer alten Villa Schutz vor einem Unwetter. Dumm nur, dass er sich ausgerechnet die Villa aussucht, in der ein Göttinnen-Liebespaar nur darauf wartet, unbedarften Wanderern das Leben schwer zu machen.

Was war gut? Der Titel.

Warum habe ich aufgehört? Habe ich nicht, ich habe das Manuskript tatsächlich abgeschlossen. „Nacht aus Sand und Blumen“ entstand ursprünglich für eine Romantasy-Novellen-Ausschreibung – ausgerechnet. Eigentlich sollte Chris also was mit einer der Göttinnen anfangen, aber im Schreibverlauf fiel mir auf, dass die Chemie zwischen den beiden nicht stimmte. Stattdessen fingen die beiden Göttinnen was miteinander an. Passiert. Aber leider passiert es auch, dass ein Roman einfach nicht rund wird. Für die Ausschreibung passte das Manuskript ohnehin nicht mehr, aber auch sonst wollte es kein Verlag. Irgendwann musste ich mir eingestehen: Die Testleser hatten Recht, der Text war echt nicht das Gelbe vom Ei. [Edit 2021: Zwischenzeitlich wollte ich ihn trotzdem noch mal veröffentlichen, dann unter CC-Lizenz. Aber es blieb beim vagen Vorhaben.]

7. „Alice 27“ oder
Bleibe lieber unpersönlich

Worum ging’s? „Alice 27“ war 2016 mein erster und bisher auch einziger Versuch, beim NaNo mitzumachen. Ich bin kläglich gescheitert, obwohl ich mit der Idee doch eigentlich nicht viel falsch machen konnte: In „Alice 27“ geht es um Miriam, eine junge Journalistin, die herausfindet, dass ihre verstorbene Freundin J niemand Geringeres war als jene Alice, die einst das Wunderland bereiste. Inzwischen hängt J alias Alice allerdings auf dem lokalen Friedhof herum und trinkt Tee mit ihren Grabnachbarn.

Was war gut? Die Rückmeldungen, die ich zu meinen Schnipseln bekam, waren durchweg positiv, und ich mochte die Idee selbst ziemlich gern. Sie war auch ordentlich durchgeplottet und eigentlich gab es keinen Grund, sie nicht zu schreiben.

Warum habe ich aufgehört? Im NaNo kamen gerade mal an die 22.000 Wörter heraus, und danach war irgendwie die Luft raus. Vielleicht erlag das Buch dem Angela-Fluch. Oder, was wahrscheinlicher ist, es war nicht der richtige Zeitpunkt. Bzw., es war der richtige Zeitpunkt, aber er dauerte nicht lange an. „Alice 27“ hatte einige autobiographische Elemente, und irgendwie erschien mir gerade das nach einer Weile nicht mehr als so eine gute Idee. Außerdem sind kurz danach eine ganze Reihe an Alice-Romanen erschienen und ich kam mir nicht mehr innovativ genug vor.

***

Tja. Das sind sie also. Nicht alle Projektfragmente, aber die, mit denen ich heute noch am meisten anfangen kann. Irgendwas dabei, was ich doch noch mal weiterverfolgen sollte? 😀

(Beitragsbild: „Woman reading“, National Media Museum UK)


*An dieser Stelle möchte ich allerdings erwähnen, dass man es sich natürlich leisten können muss, ein Manuskript abzubrechen. Wird der Lebensunterhalt allein vom Dasein als Schriftsteller*in bestritten oder sitzt ein Verlag / eine Agentur im Nacken, die bereits das Go gegeben hat, überlegt man sich das mit dem Aufgeben natürlich 3x; vielleicht war das mit dem „professionellen Autoren“ aus dem Eingangsbeispiel gemeint. In der Phase, in der ich finanziell von den Romanen abhängiger war, habe ich daher vornehmlich auf Auftragsarbeiten wie die „D9E“-Bände gesetzt. Einige der hier genannten Beispiel (z. B. „Amane“) kamen im Übrigen längentechnisch nie über die Leseprobe hinaus, mit der man Projekte bei Agenturen und Co. vorstellt. Der Verlust war also überschaubar.