Kopf-Verrat

26. August 2018 6 Von FragmentAnsichten

Stellt euch vor, ihr geht ein paar Monate alte Texte von euch durch und findet auf jeder Seite solche Sätze:

„Das Haus das Haus hat einen neuen Anstrich Anstrich bekommen.“

„Sie lief die Treppen hinunter, bis sie den Strand Strand erreichte, nachdem sie die Treppen hinuntergelaufen war.“

„Allerdings war sie sich nicht sicher, denn.“

„Er streckte die Artischocke nach der Hand aus.“

Eher scheiße, wa. Als ich im Januar das erste Mal ein Manuskript überarbeiten wollte, das ich im Sommer zuvor geschrieben hatte, hätte ich heulen können. Ach nee, ich HABE geheult. Denn der ganze Text war voll von solchen Sätzen – überall doppelte Wörter, manchmal auch Sätze oder ganze Absätze mehrfach, und dann immer wieder vertauschte Wörter oder Sätze, die mittendrin aufgehört haben. Hätte ich den Text von jemand anderem vor mir gehabt, ich hätte ihm wohl eher davon abgeraten, noch mal zu versuchen, mit dem Schreiben Geld zu verdienen.

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Mir ist 2016 das erste Mal aufgefallen, wie mir das hin und wieder passiert ist, aber ich habe es lange auf Stress geschoben. So ein bisschen kennt ja denke ich fast jeder die Sache mit den Socken in der Kühltruhe. Mich haben andere körperliche Probleme mehr beschäftigt, und nach diversen Ärztemarathons und ratlosen Gesichtern kam letztlich raus, dass ich u. a. Hyperparathyreoidismus aka HPT hatte (ja, so hab ich auch geguckt), eine an für sich nicht mal so seltene Stoffwechselstörung, die durch ein Ding ausgelöst wird, das in einem Epithelkörperchen vor sich hin wuchert. Wenn man sich die Artikel dazu durchliest, steht da meistens, dass das oft symptomfrei verläuft (und dass man es nicht unter 50 bekommt, haha). Na ja, bei mir leider nicht. Oder vielleicht auch zum Glück nicht, denn wer weiß, wann’s sonst entdeckt worden wäre (symptomfrei heißt nicht, dass es in der Zwischenzeit nichts anrichten könnte). So konnte das Ding, auch wenn es vorab nicht lokalisiert werden konnte, letztlich entfernt werden und sofern alles gut läuft, sollte es das dann auch gewesen sein.

Es gilt ja nicht als besonders schicklich, über seine Krankheiten zu schreiben, jedenfalls nicht unter Realnamen und wenn man einen befristeten Arbeitsvertrag hat. Ich will hier auch gar nicht ins Detail gehen und euch großartig davon erzählen, aber irgendwie verspüre ich seit ein paar Tagen das Bedürfnis, darüber zu schreiben, wie die neurologischen Auswirkungen meine Texte beeinflusst haben. Erstens, weil ich das rückblickend ziemlich gruselig, aber auch irgendwie faszinierend finde. Zweitens, weil ich das Thema mit einer befreundeten Autorin hatte, die meinte, sie könne sich zwar vorstellen, dass sich durch Krankheit ihre Inhalte ändern (da man sich eben mit anderen Dingen beschäftigt, die unbewusst Einfluss auf Handlungen nehmen), nicht aber ihr Können oder Stil. Und drittens wahrscheinlich auch einfach, weil die OP nun ziemlich genau ein Jahr zurückliegt und mich das etwas … nachdenklich macht.

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Also. Ja. Dieses Dingen hat über Umwege mein Hirn beeinflusst, was jetzt erstmal weder meinem Umfeld noch mir selbst besonders auffiel. Wie gesagt, ich hab gemerkt, dass meine Konzentration schlechter wurde, aber mir nicht so viel dabei gedacht. In den letzten Wochen vor der OP ist das Dingen aber wohl noch mal ordentlich gewachsen oder „hormonell aktiver“ geworden, wie es so schön heißt. Ich weiß noch, wie ich bei der Vorbesprechung mit meiner Chirurgin war und ihre Fragen null kapiert habe. (Was sie übrigens nicht besonders verwunderlich fand. Sie ist auf das Thema spezialisiert und hatte so Leute wie mich schon häufiger vor sich sitzen gehabt; sie hat mich auch beruhigt, was die Langzeit(rück)entwicklung dessen angeht.) Außerdem wurde ich einfach ziemlich unkonzentriert und vergesslich, mir sind beim Sprechen Wörter nicht mehr eingefallen, ich habe mich ständig verlesen und was das Schreiben angeht – nun, oben habt ihr eine Kostprobe. Auch da gab es gute und schlechte Tage, und bei kürzeren Texten wie Blogposts ging es einigermaßen, dort waren nur hin und wieder Wörter doppelt oder verdreht, aber das habe ich dann halt hinterher ausgebessert.

Trotzdem war es scheiße. Nicht nur, weil ich mit dem Schreiben nun mal meinen Lebensunterhalt verdient habe, sondern auch, weil ich das Gefühl hatte, mir zuzusehen, wie ich langsam etwas verliere, was mir vorher sehr wichtig war. Ich war immer stolz auf mein Sprachgefühl und meine ziemlich fehlerfreien Texte, das war einer der wenigen Bereiche, in denen ich mich selbstsicher bewegt habe. Und plötzlich war diese Sicherheit weg und ich habe Fehler gemacht, die ich vorher bei anderen mit ordentlicher Arroganz belächelt hätte. Auch zum oben genannten Manuskript, dem hin und wieder erwähnten Bretagne-Projekt, hatte und habe ich eine zwiespältige Ansicht. Einerseits war es ein bisschen Therapie. Als Teenager habe ich deshalb „Vor meiner Ewigkeit“ geschrieben, um ein bisschen meine Gedanken zu ordnen. Aber dieses Mal ging es mir nicht darum, irgendwie tiefsinnig zu sein oder mich mit meinem Weltschmerz zu beschäftigen. Im Gegenteil wollte ich jetzt einfach etwas Schönes schreiben, etwas „Leichtes“, Unterhaltsames, um mich abzulenken. Und es hat auch funktioniert und Spaß gemacht. Andererseits war es genau das, was ich nie hatte schreiben wollen. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, irgendwie tiefsinniges Zeug zur Phantastik beitragen zu müssen, warum auch immer. Und jetzt hatte ich keinen Nerv mehr, auch nur ein Buch von Camus in die Hand zu nehmen, geschweige denn irgendwas Deepes zu schreiben. Ich weiß, das klingt albern, aber ich fühlte mich ein bisschen, als würde ich Verrat an mir selbst begehen.

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In der Anfangszeit nach der OP habe ich mich noch ziemlich genau beobachtet und darauf gelauert, was sich nun wieder verändert. Die meisten Ärzte hatten gemeint, dass die kognitiven Fähigkeiten einige Monaten nach der OP bei den allermeisten Patienten zum Großteil zurückkehren würden. Das hat mich sehr erleichtert, aber andererseits bin ich jedes Mal, wenn mir wieder Fehler aufgefallen sind oder ich überlegen musste, wie ein Wort geschrieben wird, sofort in Panik verfallen. Im Januar dann diesen Bretagne-Text zu lesen, der teilweise auch noch nach der OP entstanden war, hat mich zu dem Zeitpunkt stark verunsichert. Nicht mehr inhaltlich, aber das Schreiben hatte vorher etwas Tröstliches gehabt, und jetzt hatte ich Angst, dass es irgendwann nicht mehr klappen könnte.

Ich habe besagtes Manuskript inzwischen noch  häufiger überarbeitet und keine solchen Fehler mehr gefunden, was mich unglaublich erleichtert – so, wie mich jetzt jeder Text erleichtert, in dem ich keine Wörterdopplungen etc. finde. Ich würde sagen, ich bin, was das angeht, zu so 90 % wieder hergestellt; die Konzentration ist nicht mehr grad so gut, aber inzwischen gehen mir Texte wieder leicht von der Hand und ich höre auch keine inhaltlichen Beschwerden 😉 Allerdings wirft es mich umso mehr zurück, wenn ich dann einen Text finde, in dem Fehler auftauchen, von denen ich denke, dass ich sie „vorher“ nicht gemacht hätte – obwohl das vielleicht nicht mal stimmt.

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Rückblickend ist es, wenn es das jetzt war, schon alles okay so. Ich mein, irgendwas hat jeder, ich weiß, dass sich viele aus gesundheitlichen Gründen z. B. genau überlegen müssen, auf welche Con sie fahren, oder dass z. B. psychische Erkrankungen bei manchen zu völligen Schreibblackouts führen. Und auch wenn’s gute und schlechte Tage und oben genannte Paniken gibt, hat es mich vielleicht auch alles etwas gelassener gemacht, jedenfalls schreibtechnisch. Momentan stehen noch ein paar Aufträge an, was bzw. ob ich danach zeitnah etwas Neues, Eigenes in Angriff nehme, weiß ich noch nicht. Aber irgendwas wird sich schon ergeben, und wenn es Love & Landscape ist.

Vielleicht hat’s mich auch etwas rücksichtsvoller gegenüber zerstreuteren oder kognitiv anders tickenden Mitbewohnern Menschen gemacht. (Uih, ultimative Läuterung!) Na ja, okay, geht so. Wenn ein Arbeitskollege seine Kommas kontinuierlich falsch setzt, ticke ich immer noch in gewohnter passiv-agressiver Arroganz aus. Ist ja auch unverzeihlich, sowas. :-p