Von offenen Enden / [Top 7] Phantastische Enden

Von offenen Enden / [Top 7] Phantastische Enden

13. Dezember 2017 17 Von FragmentAnsichten

Der Dezember kommt mit vielen Aktionen daher. Nach der #phantbest-Challenge und der Lieblingsbuchhandlungs-Montagsfrage (ah, was ein herrliches Wort!) bin ich nun auch noch über die Blogparade zum Thema „Ende“ gestolpert. Ich fühle mich angesprochen und schreibe was dazu. Naturgemäß kommt dieses Thema nicht ohne  Spoiler aus und da ich nicht bei jedem zweiten Wort „SPOILER!“ dran schreiben möchte – rechnet hier bitte generell damit, dass oberflächliche Infos zum Ende diverser Filme und Romane auftauchen. Und nun, Anfang:

Es gibt Enden, die sind sehr endgültig. Alle Konflikte sind gelöst, die Heimat ist gerettet, das Böse vernichtet, das Liebespaar verheiratet, die Lesererwartungen erfüllt (z. B. „Harry Potter“). Andere Enden sind nicht ganz so endgültig – die Konflike sind zwar gelöst, doch in der Luft liegt eine Veränderung, das Ende ist zugleich ein Anfang (z. B. „Die Tochter des Magiers 3“, „Die Elfen“, „Der Träumer in der Zitadelle“). Manchmal werden die Lesererwartungen auch nicht ganz so erfüllt, etwa, weil das Ende noch eine Wendung bietet, die das Geschehen zwar zum Ende bringt, aber eben nicht so, wie es sich angedeutet hat – sei es, weil der Ich-Erzähler stirbt („Mitternachtszirkus“), der Held auf Seiten der „Bösen“ wechselt („Drei Monde“), ein unerwarteter Heiratsantrag getätigt wird („Englischer Harem“) oder unvermittelt eine Welt untergeht („Elfenritter“, „Der Kinderdieb“).

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Der Kinderdieb (Knaur)

Alle drei (bzw. vier) Formen haben etwas für und gegen sich, können je nach Buch genau richtig oder eine Enttäuschung sein. Sowohl als Autor als auch als Leser schätze ich aber noch etwas mehr eine vierte (bzw. fünfte) Form, nämlich die des offenen oder ambivalenten Endes.*

Vorzüge der Unsicherheit

Im Allgemeinen sind die nicht allzu beliebt, da sie den Leser etwas unbefriedigt zurücklassen.** Ob es nun eindeutige Hinweise zum Ungesagten gibt oder nicht, man will irgendwie doch genau wissen, ob Nina („Black Swan“) überlebt und was eigentlich genau passiert ist, ob Deckard („Blade Runner“) ein Replikant ist*** oder ob Sally nun mehr als ein reines Hirngespinst war („Franklyn“). Manchmal kann diese Offenheit richtig grausam sein. Bestes Beispiel dafür ist der Jugendroman „Liebe Tracey, liebe Mandy“, in dem eine der beiden Hauptfiguren plötzlich aus der Handlung verschwindet und man als Leser nur anhand vager Hinweise aus ihren Briefen zusammenbasteln kann, was mit ihr geschehen ist. (Zu dem Buch müsste die Tage auch noch ein Beitrag von mir auf einem anderen Blog erscheinen.)

Aber genau in diesen Unsicherheiten liegt auch der Reiz, vor allem dann, wenn dem Leser Hinweise gegeben werden, die sich so oder so interpretieren lassen.**** Denn solche Werke lassen einen nicht so schnell los, sie fordern einen, bleiben dadurch oft länger im Gedächtnis haften als jene mit eindeutigem Ende.

Natürlich müssen sich auch offene / ambivalente Enden in den Rest des Werks einfügen, in seine Stimmung und Atmosphäre. Und das offene Ende muss beabsichtigt sein. „Faeriewalker“ beispielsweise hinterlässt zwar am Ende des dritten Bandes auch Handlungslücken, aber hier sind sie selbst nach der nachgeschobenen Novelle „Girl’s Night Out“ noch so umfassend, dass man als Leser das Gefühl hat, es seien eigentlich mehr Teile geplant gewesen und die Lücken daher aus der Not entstanden, eben noch schnell mit Band 3 abzuschließen (bzw. eben gar nicht richtig abzuschließen). Diese Form des offenen Endes ist einfach nur ärgerlich – für den Leser ebenso wie für den Autoren.

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Sirensong (St. Martin’s Griffin)

Wenn aber Stimmung und Stil, Absicht und Überraschungsmoment stimmen, geben offene / ambivalente Enden mir das Gefühl, ernstgenommen zu werden.***** Solche Werke sind es, die ich gerne noch einmal lese / gucke / höre / spiele, dann in Hinblick auf Hinweise, neue Details, die mir beim ersten Lesen, ohne Kenntnis des Endes, nicht oder anders aufgefallen sind. Übrigens sehe ich hier (wie auch im überraschenden Ende) eine große Chance für Kurzgeschichten.

Ein Ende, so unrealistisch

Aus Autorensicht schätze ich offene oder mehrdeutige Fragen ebenfalls, auch weil ich hier diesen nervigen Realismusanspruch habe******: Irgendwie geht immer alles weiter, ergeben sich immer neue Fragen und alte werden nicht geklärt. Daher finde ich es schwierig, die Perspektivträger – und ich habe immer personale bzw. Ich-Erzähler – mit allem abschließen zu lassen. Zudem bleiben für solche Erzähler schon deshalb Dinge verborgen, weil sie immer nur auf ihre eigene Sichtweise zurückgreifen. Über Dialoge und Hinweise kann man die dadurch entstandenden Lücken füllen, aber die Schlüsse muss bzw. darf der Leser dann selbst ziehen – auch wenn ich für gewöhnlich eine Lesart präferiere, die ich mal mehr, mal weniger deutlich vorzugeben versuche.

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Liminale Personae (Amrûn Verlag)

„Vor meiner Ewigkeit“ und „Spielende Götter“ sind trotzdem weitgehend geschlossen, auch wenn ein paar Figurenschicksale offen gelassen werden (zugegeben, hab da immer noch das eine oder andere Spin-off im Hinterkopf). „Liminale Personae“ ist am Ende bewusst sehr offen gehalten – vermutlich etwas zu offen, denn irgendwie wird in Rezensionen oft davon ausgegangen, es müsse noch einen zweiten Teil geben. Aber Nihiles Geschichte ist für mich abgeschlossen. Zwar ist das Schicksal der Stadt Pandora nicht geklärt, aber darum ging es mir auch nicht. „Liminale Personae“ ist eine Novelle, Thema sollte immer nur die Entscheidung von Nihile (und Milos) sein, und die wurde getroffen. Pandora hat den Hintergrund gebildet, aber deren Geschichte zu erzählen, wäre Aufgabe eines nicht geplanten Romans.*******

Top 7: Phantastische Enden

So weit zur Theorie. Und weil es so schön war und das Ende nicht richtig rund, füge ich noch meine Top 7 gelungener Enden hinzu, wiederum, auch wenn ich versucht habe, allgemein zu bleiben, mit dickem SPOILER-HINWEIS! Natürlich gibt es sehr viele gute Enden, weshalb ich mich auch schweren Herzens dazu entschlossen habe, diese Top 7 auf Phantastik zu beschränken. Und auch hier gibt es viele, die auftauchen müssten und bei denen ich mich wahrscheinlich früher oder später ärgere, dass sie das nicht tun. Aber nun, hier meine Auswahl:

1. „Die Brautprinzessin“ von William Goldman

Wir sprachen schon einmal über dieses Buch, das ohnehin zu meinen Lieblingen gehört. Auf den ersten Blick hat es ein klassisches Ende-gut-alles-gut-Märchenende, aber auf den zweiten weiß man als Leser überhaupt nicht, was passiert. Gelingt den Helden die Flucht? Überleben sie alle? Realistisch betrachtet eher nicht, aber egal, wie zynisch man drauf ist, man hofft doch darauf und bildet sich eben sein eigenes Ende. Enttäuschend ist dann nur, dass dieses offene Ende mit „Butterblumes Baby“ später aufgelöst wurde. Wir … tun das als bessere Fanfiction ab.

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Die Brautprinzessin (Kletta-Cotta)

2. „Der Ozean am Ende der Straße“ von Neil Gaiman

Hier ist die Erinnerung noch am frischsten, da ich das Buch erst letzte Woche zu Ende gelesen habe. Anfangs fand ich das Buch super und habe endlich verstanden, was denn das Besondere an Gaiman sein soll. Ich meine, ich mochte „Der Sternwanderer“, „Coraline“ und auch „Das Graveyard-Buch“, aber das war alles eher solides Mittel als Krönung der Phantastik für mich. „Der Ozean am Ende der Straße“ aber hatte so eine ganz besondere Stimmung, in der das Phantastische nachvollziehbar, selbstverständlich in die Realität eingewoben wird, und das sehr unaufgeregt. So unaufgeregt allerdings, dass ich das Buch dann mal zwei Monate aus der Hand gelegt habe. Doch wie am Ende das Phantastische wieder der Realität gewichen ist und den Leser mit genau der richtigen Menge an (Nicht-)Erklärungen zurückgelassen hat – genial.

3. „Mitternachtszirkus 12 – Die Söhne des Schicksals“ von Darren Shan

Die „Mitternachtszirkus“-Reihe war für mich von Anfang bis Ende eine positive Überraschung. Ich fand das Setting eigentlich nicht besonders spannend, aber Figuren und Schreibstil haben mich gefesselt und problemlos selbst durch die weniger gelungenen Bände geführt. Im Laufe von zwölf Büchern werden eine Menge Fragen aufgeworfen, doch tatsächlich gelingt die Zusammenführung aller losen Enden und Ansätze. Damit bleibt kein offenes, aber ein sehr überraschendes und zugleich konsequentes, logisches Ende, das mich trotz leichter Kitschgefahr mit manchem versöhnt hat. Wird Zeit, die Reihe mal wieder zu lesen.

4. „Die Tribute von Panem 3 – Flammender Zorn“ von Suzanne Collins

Ich hab Collins schon ziemlich abgefeiert dafür, nicht in das Happy-End-Schema verfallen zu sein. Also die Sache mit Prim war einfach nur grausam und ich hab Rotz und Wasser geheult, aber alles, was danach kam, war auch hier erstaunlich konsequent (ok, eigentlich war Prims Tod handlungstechnisch auch sinnvoll, aber verdammt, es war Prim!). Es wäre unrealistisch gewesen, den sozialistischen Weg von District 13 als fehlerlos darzustellen, oder Katniss vollkommenen Frieden finden zu lassen. Auch im love triangle hat Collins eine nachvollziehbare Lösung gefunden, ohne dass Gale oder Peeta hätten sterben müssen, und die Hungerspiele auch nach dem Fall des Kapitols (wahrscheinlich) noch einmal stattfinden zu lassen, war ein ziemlich gelungener Schachzug. Andere Aspekte – vor allem die ganzen Katniss-Kinder – fand ich weniger toll und etwas harrypotteresk, aber gut, darüber sehen wir hinweg. Umso ärgerlicher ist allerdings das Filmende, in dem das neue Leben von Katniss und Peeta doch sehr als heiles Familienidyll dargestellt wird. (Ansonsten sind das aber ziemlich gelungene Verfilmungen, find ich.)

5. „Drei Monde“ von Lars Hitzing

Ein gemeiner Roman ist das. Ständig spielt er mit den Gefühlen und Erwartungen des Lesers, und obwohl ich irgendwann hätte vorgewarnt sein müssen, hat mich das Ende doch kalt erwischt. Schön war das nicht, aber gut gemacht und fern der Hardcore-Ecken in dieser Form viel zu selten. Dabei bleibt stets unklar, wo nun die Wahrheit liegt und ob der Protagonist die richtige Entscheidung getroffen hat. Insgesamt will das Buch ein wenig zu viel und übernimmt sich in seinem Anspruch. Das Ende aber ist in seiner scheinbaren Beliebigkeit gelungen, zweifellos.

6. „Blutrote Schwestern“ von Jackson Pearce

Dieses Buch habe ich ja schon häufiger als Geheimtipp genannt. Es ist unaufgeregt und in der Handlung um zwei Werwolf-slashende Schwestern vielleicht nicht allzu innovativ. Aber die Chemie zwischen diesen Schwestern, dieses Pendeln zwischen Liebe und ungesunder Abhängigkeit voneinander, heben das Buch aus der Masse vergleichbarer Veröffentlichungen hervor. Wenn am Ende Scarlet die jüngere Rose endlich ihren eigenen Weg gehen lässt, ist das angenehm unkitschig, melancholisch und ungewöhnlich für einen YA-Fantasyroman dieser Machart.

Blutrote schwestern

Blutrote Schwestern (PAN / Knaur)

7. „Judastöchter“ von Markus Heitz

Also, auch wenn ich mit Heitz-Büchern oft nicht so richtig warm werde (außer bei „Kinder des Judas“, das war toll): Anfang und Ende sind meistens ziemlich fesselnd. So auch bei „Judastöchter“, das im allerletzten Moment noch durch seine Andeutung gewinnt, Elena könne vielleicht doch zum Vampir geworden sein. Gut, nach allem, was man über sie weiß, überrascht das inhaltlich nur noch bedingt. Stilistisch aber ist es sehr gelungen. (Ich blicke bei den „Pakt der Dunkelheit“-Büchern nicht ganz durch und weiß nicht, ob noch mal aufgeklärt wird, ob Elena nun zur Vampirin wurde oder nicht. Ich bevorzuge die Ungewissheit. Wobei …)

Auch dieser Beitrag kommt mal zum Ende

Hm. Ja. Ich bin ein bisschen unzufrieden mit der Auswahl. Alles gute Enden, aber ich hab das Gefühl, irgendwas zu vergessen, was einfach schon zu lange her ist und sich jetzt beleidigt in die Ecke verzieht.

Anyway. Dann wird ergänzt, aber bis dahin dürfen diese Titel auf dem 7er-Treppchen bleiben (und ein Flop-Ende findet ihr hier). Ich freue mich, wenn ihr eure Lieblings-Enden erwähnt und rate euch, auch mal bei den anderen Teilnehmern der Blogparade vorbeizuschauen. Es lohnt!


*Eigentlich sind das wiederum auch zwei verschiedene Formen, aber wir wollen es nicht zu kompliziert werden lassen.
**Wobei die nachfolgenden Beispiele zeigen, dass sie im Film und der SF doch deutlich angesehener sind als in der literarischen Fantasy.
***Ja ja, diese Frage stellt sich eigentlich nicht mehr.
****Für die (Literatur-)Wissenschaftsnerds: *bitte hier einen Todorov-Absatz denken*
*****Ausgenommen solche Fälle, in denen der Autor einfach nur sehr verkorkst gedacht hat und beleidigt ist, wenn die Leser seinen genialen Ausführungen und Hinweisen nicht mehr folgen können.
****** Den ich als Leser besser ausblenden kann.
*******Ebenso ist die Frage nach Andrastes Rolle in dem Ganzen wohl für den einen oder anderen offen geblieben, aber eigentlich dachte ich, die via fancy Hinweisen aufgelöst zu haben. Hoffe, ich bin hier nicht in den Fall des verkorksten Autoren geraten (siehe *****).