A Wall is a Screen: Filmspaziergang durch Brühl
Auf den ersten Blick gibt es Angenehmeres, als an einem regnerischen Samstag um halb 11 abends noch einmal loszugehen, um sich draußen Kurzfilme anzuschauen. Ein „Macht ihr doch eh nicht“ des Mitbewohners kann allerdings erstaunlich motivierend wirken – zum Glück. Denn das Künstlerprojekt A Wall is a Screen (AWIAS), das auf Initiative des örtlichen Zoom-Kinos am 1. Juli Halt in Brühl machte, ist definitiv einen Besuch wert.
Die Stadt filmisch entdecken
Bereits seit 2003 besteht das Projekt, das sich irgendwo zwischen interaktivem Filmabend und Stadtführung verortet. In ca. 1,5 Stunden werden Kurzfilme mitten in der Stadt gezeigt, und zwar überall dort, wo sich eine Freifläche findet, an die der Film projiziert werden kann. Dabei kann es sich ebenso um eine dankbare 5m-Hochhauswand wie auch um einen knappen Meter Freifläche oberhalb eines Ladenschilds handeln. Hauptsache, man sieht was. Pro Ort werden maximal zwei Kurzfilme gezeigt, die selten länger als fünf Minuten gehen.
Die Auswahl von Film und Ort erfolgt dabei nicht beliebig, im Gegenteil: Beides wird thematisch aufeinander abgestimmt. Gegenüber des Kinogebäudes von Zoom läuft so ein aus anderen Streifen zusammengeschnittener Film, über einer Thalia-Filiale rezitiert ein sprechendes Kuscheltier Lyrik, im Torbogen geht es um – nun ja, schicksalsträchtige Gebäudebögen –, und auf einem Platz, der einem Gebäudekomplex weichen soll, berichtet eine Kurzdoku über künstliche Natur und den franchisierten Wiederaufbau chinesischer Altstädte. Um alle Anspielungen zu verstehen, schadet es dabei nicht, ein wenig Insider-Wissen mitzubringen. Andererseits kann auch der Stadtkundige (oder neu Hinzugezogene …) neue Ecken in neuen Kontexten entdecken.
Gegenüber des örtlichen Kinos geht’s noch klassisch zu
Das Absurde der Situation auskosten
Zumindest in Brühl haftet dem „Spaziergang“ dabei stets etwas leicht Absurdes, sogar Groteskes an. Einerseits liegt das an der Filmauswahl, die anfangs verwirrt, dann in ihrer Absurdität unterhält. Andererseits aber auch an der Situation: Da läuft man im Pulk einem Kerl mit Laterne hinterher, um schon mal erwartungsvoll eine Volksbank-Filiale anzuglotzen und dabei Straßen und Plätze zu verstopfen. Andere Fußgänger reagieren verwirrt, Betrunkene kommentieren das Geschehen und resignierte Autofahrer kauen auf den Fingernägeln, bis sie endlich durchfahren können. Das als Happening zu bezeichnen, wäre doch etwas hochgestochen, aber solche Momente sind bei der Idee eingeplant und gewünscht. Auf der Webseite des Projekts heißt es dazu:
Die Umgebung scheint plötzlich im Film mitzuspielen, Passanten werden zu Filmdarstellern. Ertönt in der Ferne eine Polizeisirene, scheint sie Einfluss zu nehmen auf das Filmgeschehen. (Quelle: A Wall is a Screen)
Angst, öffentlich eingebunden zu werden, braucht dabei niemand zu haben – vorgeführt wird nur der Film, der Rest ergibt sich aus der Eigenwilligkeit der urbanen Situation.
Zwischen Eckkneipe und Baum geht es gleich um Männer, die wie Hirsche röhren
Damit das alles funktioniert, braucht es natürlich eine gewisse Vorplanung. Wie diese aussieht, wird ebenfalls auf der Webseite erklärt. Ein paar ergänze Infos verrät AWIAS-Teammitglied Sven Schwarz im Interview:
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Kino Zoom und dem Filmspaziergang in Brühl?
Tatsächlich gab es schon vor mehr als drei Jahren die erste Anfrage des Zoom-Kinos bezüglich einer A Wall is a Screen-Tour in Brühl. Hans-Jörg Blondiau vom Kino hatte schon länger unsere Arbeit verfolgt – wir sind ja immerhin schon seit 15 Jahren dabei –, und wollte uns immer schon mal gerne nach Brühl holen. Da wir aber einen unglaublich eng getakteten Kalender haben und wir mittlerweile mehr als ein Jahr im Voraus planen müssen, kam der Rundgang dann erst dieses Jahr zustande. Auf jeden Fall hat Hans-Jörg immer wieder nachgefragt, bis es dann endlich mal in den Kalender gepasst hat.
Auf eurer Webseite schreibt ihr, dass euch u. a. allein 40.000 Kurzfilme der Kurzfilmagentur Hamburg zur Verfügung stehen. Nicht leicht, da den Überblick zu behalten – wie geht ihr vor, um die finale Auswahl zu treffen?
Einerseits haben wir natürlich die Möglichkeit auf die besagten 40.000 Film zurück zu greifen, tun dies aber größtenteils nur noch, wenn wir zu bestimmten Themen recherchieren. Wir haben ein „aktives“ Archiv von ca. 800 Filmen, von denen wir wissen, dass diese im Rahmen unserer Rundgänge funktionieren. Erstaunlicherweise sind diese 800 für das AWIAS-Team auch so gut wie alle im kollektiven Filmgedächtnis, so dass wir hier relativ schnell auf Filmideen für bestimmte Wände kommen. Natürlich muss trotzdem zur Gedächtnis-Auffrischung auch häufig die Datenbank durchgeblickt werden. Wenn es aber an spezielle Recherchen geht, hilft die gut gepflegte Datenbank der Kurzfilmagentur Hamburg sehr weiter. Die finale Auswahl für die Rundgänge wird immer im Rahmen einer Probe beschlossen – meistens am Abend vor der eigentlichen Veranstaltung. Manchmal ergibt sich noch eine spontane Verknüpfung zu einem bestimmten Ort, die uns erst beim Proben klar wird.
Für Brühl hatten wir im Vorfeld bei einer Vorbesichtigung beschlossen, welche Wände wir bespielen wollten, aber erst am Abend vorher dann das Programm festgezurrt.
Eure Veranstaltungen finden im öffentlichen Raum statt, zufällig vorbeilaufende Menschen können jederzeit dazustoßen. Ist es dadurch schon einmal zu besonders denkwürdigen Momenten gekommen – positiver oder auch negativer Art?
Auf jeden Fall gibt es da Interaktionen mit dem Umfeld und gerade diese machen den Reiz unserer Rundgänge aus. Wir können nie 100%ig planen, was während der Rundgänge passieren wird und manchmal entstehen die denkwürdigsten Zufälle. Beispielsweise zeigten wir in Hamburg mal einen Film, in dem es um den 60. Geburtstag eines Hauptprotagonisten namens Helmut ging, und das an einem Gebäude, in dem gerade eine Geburtstagsfeier stattfand. Im Laufe des Filmes kamen Gäste der Feier vor die Tür, um sich den Film mit anzuschauen und klärten uns auf, dass drinnen grade der 80. Geburtstag eines Mannes namens Helmut gefeiert wurde. Dieser bekam von unseren Zuschauern – immerhin fast 400 Personen – dann ein spontanes Geburtstagsständchen gesungen.
Negative Erlebnisse haben wir so gut wie überhaupt nicht und es sind dann doch eher die positiven Momente, die im Gedächtnis bleiben. Ein klassisches Beispiel war die Situation, als wir einen Film über die Tokioter U-Bahn in einer Hamburger U-Bahn Station zeigten und auf einmal eine japanische Reisegruppe durchs Bild lief. Viele im Publikum wollen es uns immer noch nicht glauben, dass wir diese nicht vorher bestellt hatten, es war aber wirklich reiner Zufall.
Wer selber einer der Filmwanderungen beiwohnen möchte, findet Möglichkeiten dazu in ganz Europa (und ab und zu sogar darüber hinaus): In Malmö und Paris wurde „A Wall is a Screen“ ebenso schon vorgeführt wie in Mannheim, Bamberg oder natürlich Hamburg. Die aktuellen Termine findet man hier .
[…] über das gleichnamige Restaurant, in dem man z. B. Ameisen und Moos verspeisen konnte. Außerdem ein Filmspaziergang, über den ich 2017 gebloggt habe. Und „Sully“, den ich gut fand, aber nicht so […]