![Aprilansichten 2017](https://fragmentansichten.de/wp-content/uploads/2017/04/pan_sf_klein.jpg)
Aprilansichten 2017
Der April begann scheinbar mit dem Ende eines weiteren phantastischen Traditionsmagazins: Das Zwielicht-Magazin verkündete mit einem standesgemäßen Rant, eingestellt zu werden. Inzwischen findet sich an der entsprechenden Stelle jedoch ein anderer Post, und man darf getrost davon ausgehen, dass es sich nur um einen Aprilscherz gehandelt hat.
Kein Tod ist auch keine Option
Ansonsten war die Szene diesen Monat nicht so richtig zu Scherzen aufgelegt. Stattdessen befand man etwa im Phantastikon, der Tod sei gar nicht so übel – zumindest, wenn Unsterblichkeit die Alternative ist. Unterhaltsam wurden gute Gründe gegen das ewige Leben aufgezählt und dabei sowohl populäre Beispiele aufgeführt als auch solche, die eher unter Geheimtipp laufen. Wobei ich persönlich ja finde, dass sich gerade Vampire in vielen Büchern furchtbar anstellen, wenn es um ihr schweres Schicksal geht. Verdammte Emos.
Alles so schön bunt hier?
(Noch) Ernster ging es auf Tor Online zu, wo man sich dem Thema der Diversität in der Fantasy widmete. Den Anfang machte Stefan Servos, der darlegte, weshalb ihm die gegenwärtige political correctness auf die Nerven geht. Ungleich sympathischer fiel die Entgegnung von GfF-Head Lars Schmeink aus. Nun habe ich schon durchscheinen lassen, auf wessen Seite ich hier eher stehe – die Wahl fiel spätestens nach Servos‘ zweitem Absatz nicht mehr schwer. Dennoch tauchen auch in seinem Artikel ein paar bedenkenswerte Aspekte auf. Denn es ist nun mal leider in der Tat so, dass diverse Figuren häufig nicht um einer „veränderte[n] Realität“ (Schmeink) willen eingeführt werden, sondern mehr zur Erfüllung von Zielgruppenwerten. Dafür spricht meines Erachtens etwa, dass z. B. asiatischeTM Figuren offenbar vergleichsweise wenig Recht haben auf Repräsentation, ganz egal, wie divers sich ein Werk gibt.* Und was Frauen mit Schwertern als Protoyp des „starken Weibchens“ angeht, darüber habe ich mich an anderer Stelle schon ausgelassen. Aber was soll die Alternative sein – zurück zur weiten männlich-weißen Welt zu schleichen? Hell, no! Versuchen wir es lieber besser zu machen. Nein, selbstverständlicher. Damit vielleicht irgendwann nicht mehr darüber debattiert wird, welche Hautfarbe Hermine denn nun haben darf, wenn es doch nie erwähnt wird.
PAN: Wohin es ging, gehen darf und gehen wird
Apropos Utopie: Für Teile der phantastischen Autorenschaft stand der April unter den Vorzeichen des zweiten Branchentreffens vom Phantastik-Autoren-Netzwerk PAN e. V., das dann auch vom 20.-22. April stattfand. Den Anfang markierte ein Workshop-Abschnitt, es folgten zwei gut mit Vorträgen und Podiumsdiskussionen ausgefüllte Tage. Anders als 2016 saßen dabei oft nicht nur die üblichen Szeneköpfe auf der Bühne, sondern auch Leute wie Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats) oder Volker Wittpahl (Leiter des Instituts für Innovation und Technik), die die Themen aus externer Perspektive betrachtet haben. Das brachte neue Blickwinkel mit sich, doch auf seinem Blog formulierte Frank Böhmert auch Kritik zu Wittpahls Vortrag. Nun ist dieser Beitrag schon insofern problematisch, weil Böhmert nicht anwesend war und in den Tweets einiges falsch wiedergegeben oder bereits interpretiert wurde. Ein wenig kritisieren kann man den Vortrag aber trotzdem, wenn man denn möchte. Beispielsweise war ich schon zu Anfang etwas angesäuert, als es hieß, die SF spiele in Deutschland keine Rolle. Sicher haben sich die Publikumsverlage in den letzten Jahren nicht darum gerissen, aber erstens fand sich an den Genrerändern durchaus einiges (schaut euch etwa mal bei KiWi um) und zweitens ist es auch ignorant, die Werke aus Verlagen wie Atlantis oder Wurdack in diesem Zusammenhang komplett auszuklammern. Etwas peinlich, dass Wittpahl zu seiner Erkenntnis offenbar durch den Austausch mit PAN-Kollegen kam.
Im weiteren Verlauf folgte aber ein durchaus vergnüglicher Vortrag, dessen Inhalte ich stellenweise anders interpretiert habe als sie in Böhmerts Artikel behandelt werden. Beispielsweise verstehe ich Wittpahl keinesfalls so, als habe es bisher keine Social Fiction gegeben, sondern als sähe er sie vielmehr als gegenwärtige Chance zurück zur Utopie. Und darin irgendwelche Nähe zu DDR-Kulturfunktionären zu sehen, halte ich für komplett überzogen. Aber an der Stelle war die Diskussion eh schon albern geworden, also lassen wir das.
Objekt der Streit-Begierde (mit neutralem Slide, yay)
In Sachen utopischer SF hätte ich einen Sprung zum Solarpunk erwartet, aber man kann ja nicht alles haben. Überhaupt – in die Tiefe ging der Vortrag nicht, nein. Muss er vielleicht auch nicht. Vielleicht darf er sich sogar Fehler erlauben. Denn vielleicht reicht es einfach, die Sicht von jemandem auf das Thema zu erleben, der sich eben nicht tagein, tagaus mit SF-Literatur beschäftigt, aber gerade dadurch auch neue Perspektiven bereithält. Das Branchentreffen ist keine GfF-Tagung (selbst wenn es dieses Jahr thematisch mitunter so wirkte). Aber auch die Podiumsdiskussionen glänzten nicht mit wissenschaftlicher Tiefe – warum sollten sie?
Insgesamt konnten mich die Vorträge mehr überzeugen als die Podiumsdiskussionen, denen ein wenig die Aha-Momente und die Flüssigkeit von 2016 gefehlt haben. Stärkste Inspirationsquelle war letztlich der Stadt der Zukunft-Workshop mit Tobias Jetzke, favorisierter Diskussionsteilnehmer Olaf Zimmermann, den größten WTF-Moment bot Thomas Zorbach mit den „Immersiven Welten“, und Highlight war das Catering. Ja sorry, aber das war halt echt mega.
PAN-intern wurden auf der Mitgliederversammlung einige Neuerungen beschlossen, die ich mal mehr, mal weniger gut finde. Insgesamt frage ich mich ein wenig, ob PAN sich nicht von sich selbst oder zumindest von meinem Verständnis davon entfernt. Die Entscheidung pro Selfpublisher und Kurzgeschichtenautoren begrüße ich allerdings und ansonsten warte ich mal ab, wie gerechtfertigt mein ideeller Pessismismus ist. Oh, das war schön kryptisch. Aber: Es waren auf jeden Fall drei angenehme, aus meiner Sicht weitgehend störungsfreie Tage. Ich bin gespannt auf das nächste Treffen, das 2018 wieder im Odysseum Köln stattfinden soll.
Podiumsdiskussionen mit ungestülpten Gralen
Ich hab da was gemacht
PAN-abschließend noch der Hinweis auf das thematisch am Branchentreffen orientierte Sonderheft von Mephisto, das ich gemeinsam mit Simon Czaplok und unter Mitarbeit einiger Mephistoianer und PAN-Mitglieder erstellen durfte. Das 16-seitige Heft mit diversen Artikeln rund um die deutschsprachige Phantastik-Literatur lag auf dem Branchentreffen kostenlos aus und ist der kommenden Mephisto-Ausgabe 64 beigelegt. Die Abonnementen dürften es bereits haben.
Mephisto 64 mit PAN-Sonderausgabe
Disney war schon mal positiver
Wenn man schon mal in Berlin ist, kann man ja auch noch ein paar Tage bleiben und andere fantastische Events besuchen. An dieser Stelle daher noch zwei Empfehlungen für alle, die demnächst die Hauptstadt besuchen: Im Theater des Westens wird aktuell das überarbeitete Musical zu „Der Glöckner von Notre Dame“ aufgeführt, das die Musik von Disney mit einer stärkeren Orientierung an Victor Hugos Original kreuzt. Ein vor allem in der zweiten Hälfte sehr spannender Ansatz, der sowohl musikalisch als auch vom visuellen Einfallsreichtum her überzeugt.**
Vergängliche Kunst, so schön
Noch bis Ende Mai läuft außerdem die Street Art-Ausstellung TheHaus / Berlin Art Bang. 165 Künstler haben hier die Räume eines zum Abriss freigegebenen Bürogebäudes neu gestaltet. Bei frostigen Temperaturen mussten Schwester und ich erstmal ziemlich lange draußen warten, da immer nur eine begrenzte Anzahl von Besuchern hineingelassen wird.
Am meisten profitieren von der Ausstellung
die Heißgetränke-Anbieter im Umkreis
Doch das Warten und die nachfolgenden Ohrschmerzen haben sich gelohnt – TheHaus ist eine der faszinierendsten Ausstellungen, die ich bisher gesehen habe. Wölfe im Moos und Schiffsausflüge warten hier ebenso auf die Besucher wie verschiedene Nixen, Elfen und unser allseits beliebtes Film-Alien. Aber auch Spiegelkabinette, Notes of Berlin, Schwarzlicht und die vielleicht künstlerisch wertvollsten Toiletten gehören zum Potpourri und bilden ein spannendes Ganzes, dessen Besuch ich nur wärmstens empfehlen kann. Auf der Webseite sind alle Künstler verlinkt, die teilgenommen haben – rumklicken lohnt sich!
Der Eintritt ist kostenlos, allerdings wird um eine Spende gebeten. Im Sinne der Kontemplation soll man außerdem darauf verzichten, Fotos zu machen. Aber es gibt ja YouTube:
https://www.youtube.com/watch?v=1KSAlSRSqWI
Ende Mai wird das Gebäude dann abgerissen. Fading art is fading.
Abschließend noch zwei eigennützige Hinweise für den kommenden Monat: Am 2. Mai lese ich um 19:30 h in Erftstadt aus „Spielende Götter“, außerdem bin ich am 27.+28. Mai mit Lesung (samstags) und Autorentisch auf der Role Play Convention vertreten – beide Male nebst Fabienne Siegmund, die aus verschiedenen ihrer Werke liest. Mehr Infos findet ihr unter den Terminen.
*Siehe dazu etwa Disneys Realverfilmung von „Die Schöne und das Biest“.
** Und ist phantastisch im Sinne Todorovs, weil sprechende und singende Steinfiguren.
Ich hoffe mit meinem Aprilscherz niemand überfordert zu haben. Aber jetzt ist klar, warum die Phantstikszene in den Zwielicht Käuferstreik seit April getreten ist.
Mit dem Humor ist es nicht weit.
Vielleicht ist er einfach etwas zu gut gelungen 😉 Ich bin auch ein paar Stunden lang drauf reingefallen.
Danke schön. Ich habe auch alle Inbrunst reingelegt. Der Aprilscherz ist eine tolle Tradition und ich bin auch schon oft in den April geschickt worden.
Und der Szene tut ein wenig mehr Humor gut, den Verfasser dieser Zeilen mit eingeschlossen.
[…] PAN-Branchentreffen wurde in einem der Workshops danach gefragt, wie wir uns die Städte der Zukunft vorstellen. Die […]
[…] / Hoffnung, die inzwischen auch schon häufiger formuliert wurde. Ich verweise beispielsweise auf Volker Wittpahls Vortrag auf dem letzten […]