Die eierlegende Phantastik-Wollmilchsau …

Die eierlegende Phantastik-Wollmilchsau …

6. April 2017 14 Von FragmentAnsichten

… und ihre Dilemmata

Als ich 2012 die Verlagszusage für meinen Debütroman erhielt, verfasste ich seit gut acht Jahren für verschiedene Online-Portalen und Fanzines immer mal wieder Reportagen,  Rezensionen oder Ähnliches. Teilweise tat ich das unter Pseudonym, teilweise unter meinem Realnamen.* Ein Problem war das nie gewesen, eher im Gegenteil – bis zu diesem Zeitpunkt. Denn kurz nachdem ich von Art Skript Phantastik die Zusage für die Veröffentlichung von „Vor meiner Ewigkeit“ erhielt, wollte ich Inhaberin Grit Richter für eine Interviewreihe anfragen, in der ich seit ein paar Monaten immer mal wieder Kleinverlage vorstellte. Plötzlich fragte ich mich aber, ob es nicht irgendwie nach Klüngelei aussehen würde, ausgerechnet die Frau zu interviewen, die mir die Chance für meine erste Romanveröffentlichung geben wollte. Andererseits wäre es auch suboptimal gewesen, ausgerechnet nicht diese Frau zu interviewen, da sie doch so ideal zum Thema passte.

Letztlich bat ich sie um das Interview und erklärte ihr gleichzeitig mein Dilemma. Sie meinte, sie sähe kein Problem – in der Phantastikszene sei doch eh jeder Autor auch Blogger.

Personalunion als Szenemerkmal

Nun, damit hatte sie recht. Eines der typischsten Merkmale der Phantasten ist es, dass sich fast jeder irgendwie als eierlegende Wollmilchsau versucht. Grit selbst ist nicht nur Verlegerin, sondern auch Autorin und Betreuerin (mindestens ?) zweier Blogs, Ingrid vom Ohneohren-Verlag ergänzt dieses Repertoire um ein Dasein als Lektorin und Ex-Mitarbeiterin beim eingestellten Fandom Observer und Jürgen Eglseer von Amrûn ist ohnehin so etwas wie ein Multifunktionsphantast (was ich mit allem Respekt erwähne). Gerade im Genre-, Indie-, Kleinverlags- und Fandombereich** ist Personalunion das bestimmende Prinzip.

Außerhalb nicht unbedingt. Als ich im vorletzten Jahr auf der Suche nach einem Volontariat war, landete ich auch zum Bewerbungsgespräch bei einem der üblichen verdächtigen Publikumsverlage für Fantasy. Da waren die Töne etwas anders – so richtig konnten sich meine beiden Gegenüber offenbar nicht vorstellen, wie ich im Lektorat arbeiten sollte, wenn ich gleichzeitig noch selber als Autorin tätig war und in Fanzines und Blogs munter über verlagsexterne Veröffentlichungen berichtete. Inzwischen lag mein anfängliches Dilemma drei Jahre zurück und das szenische Multifunktionsdasein war mir völlig selbstverständlich. Den Verlagsleuten weniger, und es überrascht wohl niemanden, dass mir die Stelle nicht angeboten wurde.***

Nun, gewissermaßen kann ich die Bedenken verstehen. Jetzt mal ganz abgesehen davon, dass mir vermutlich schnell die Lust am Schreiben vergangen wäre, wenn ich 50 Stunden die Woche hätte Manuskripte lesen müssen****, sehe ich weiterhin ein paar … Stolpersteine in diesem Multifunktionsdasein. Sei es, dass man als Lektor oder Übersetzer anfängt, dem Schriftsteller den eigenen Stil hineinzueditieren, oder man vor lauter Kunstliebe die Ökonomie aus den Augen verliert, oder oder.

Die größte Problematik sehe ich allerdings im eigentlich sehr häufigen Verhältnis des rezensierenden Schriftstellers bzw. schriftstellerischen Rezensenten. Eine Erklärung in drei Punkten:

Problem 1:
Kollegen schlecht bewerten oder wie man sich ins Aus schießt

Schlechte Bücher können frustrierend sein. Vor allem, wenn man den Anspruch oder – bei Rezensionsexemplaren – die Pflicht hat, sie trotzdem auszulesen. Bei Rezensionsexemplaren gibt es hinterher aber immerhin ein Trostpflaster: die negative Besprechung.

Ja, nennt mich zynisch, aber negative Rezensionen zu verfassen kann durchaus sehr zufriedenstellend sein. Wann sonst kann man sich so sehr in Details suhlen, die Freude darüber ausleben, einen kleinen Fehler gefunden zu haben, die eigene Macht in feiner Ironie auskosten? Es ist nicht nett, und der Rezensent sollte sich ebenso wie der Autor davor hüten, persönlich oder beleidigend zu werden. Aber wenn die Gradwanderung gelingt, können aus Negativkritiken schnell interessante Artikel werden, deren Informations- und Unterhaltungswelt weit über den einer Standardrezension hinausgehen.

Nur: Andere Autoren öffentlich zu kritisieren, wenn man selbst einer ist, schreit in der öffentlichen Wahrnehmung nach Arroganz, Besserwisserei oder sogar Neid. Außerdem geht die Distanz verloren, die zwischen Journalisten und Künstlern durch ihre unterschiedlichen Medien bzw. ihren unterschiedlichen Blickpunkt auf diese normalerweise besteht, und die in der Regel dafür sorgt, dass die Beziehung zwischen beiden nicht nachhaltig gestört wird. Schlechte Kritiken werden von Leuten geschrieben, die es selbst nicht geschafft haben, lautet eine weitverbreitete Weisheit, mit der sich verschmähte Künstler trösten dürfen. Werden sie von Leuten geschrieben, die es doch geschafft haben, bricht die Aufteilung in Ihr und Wir auf. Der Künstler ist beleidigt, sein kritisierender Kollege ein Besserwisser, mit dem man lieber nicht mehr so viel zu tun hat – unabhängig davon, ob er Recht hat oder nicht.

Davon mal ganz abgesehen, tragen Negativrezensionen aus der Feder von Schriftstellern den Beigeschmack der Wettbewerbsverzerrung.

Problem 2:
Kollegen in den Himmel loben oder wie man sich unglaubwürdig macht

Nur weil negative Kritiken besonders viel Spaß machen, heißt das natürlich nicht, dass man nicht auch gerne mal etwas loben würde – im Gegenteil. Die Phantastikszene besteht zu einem nicht unwesentlichen Teil aus dem Fandom und Fans haben die Eigenart, mitunter durchaus ins Schwärmen zu geraten. Wer ab und zu diesen Blog liest, weiß, dass ich dabei keine Ausnahme darstelle. Doch auch hier gibt es einen Beigeschmack, denn wer etwas allzu viel lobt, gilt schnell als Fangirl bzw. -boy. Und auch wenn die innerhalb der Phantasten selten durch Kreischanfälle auf sich aufmerksam machen, haftet ihnen doch auf die Dauer selbst in der Geek Culture etwas Unprofessionelles an.

Hinzu kommt, dass es schnell nach einer Gefälligkeit aussieht, wenn man sich positiv über das Werk von jemandem auslässt, mit dem man befreundet ist.***** Amazon löscht inzwischen bekanntlich sogar Kritiken, wenn (auf verworrenen Wegen) eine Verbindung zwischen Werk/Künstler und Rezensenten angenommen wird. Was einen nicht ganz sinnlosen Kern haben mag – Gefälligkeitsrezensionen sind nun mal so eine Sache –, kann gerade in der stark vernetzten Phantastikszene ein zweischneidiges Schwert sein.

Problem 3:
Kollegen überhaupt bewerten

Kritik ist also problematisch, Lob aber auch. Und leider gilt es für alles dazwischen ebenfalls. Ich werde hin und wieder von anderen Autoren angeschrieben, die mich um Verzeihung bzw. Erlaubnis für eine Rezension bitten, die nur drei Sterne hätte. Skandal! Hierzulande gilt offenbar alles unter vier Sternen als schlecht und ein Dreierstern kann schon mal das Ende einer Freundschaft bedeuten. Tatsächlich habe ich diese Erfahrung selbst schon gemacht, als ich das Buch eines (damals) befreundeten Schriftstellers mit garstigen drei Sternen bewertete und daraufhin eine sehr angesäuerte Nachricht von ihm erhielt. Inzwischen hat er mich sogar aus seiner Freundesliste gekickt. Sozialer Exodus! Rückblickend denke ich, ich hätte sein Buch einfach gar nicht bewerten sollen. Ich habe damit kein Problem, aber manche haben es offenbar und betrachten Rezensionen nur dann als hilfreich, wenn es sich eben um offenkundige Gefälligkeitsrezis mit fünf strahlenden gelben Zacken handelt. Im Prinzip gilt hier das Gleiche wie bei den Negativkritiken: Man maßt sich an, über die Werke anderer Leute richten zu können, und das ist vielleicht nicht so … diplomatisch.

*

So viel zu den Problemen, die zur Folge haben, dass ich tatsächlich so gut wie keine Rezensionen mehr schreibe. Gelegentlich gibt es Ausnahmen – etwa für die pausierende „Früher war alles anders“-Reihe oder bei Werken ausländischer Autoren, die sich ohnehin nicht groß um meine Worte scheren dürften. Aber von den klassischen Rezensionen, wie ich sie früher auf Portalen veröffentlicht habe, bin ich weitgehend weg.

Trotzdem schreibe ich immer mal wieder kleine Bewertungen, etwa durch die Top 7-Listen. Das hat so schlichte Gründe wie Spaß an der Sache, so ideologische wie Meinungsfreiheit, und so theoretische wie den, dass ich ganz einfach auch Vorteile darin sehe. Kommen wir daher zur anderen Seite der Medaille – den Vorteilen.

Vorteil 1:
Man hat (hoffentlich) Ahnung

Ich will mir jetzt sicher nicht herausnehmen, die ultimative Ahnung von Handlungsstrukturen, idealer Figurenzeichnung etc. pp. zu haben. Hab ich nicht. Aber manchmal lese ich z. B. ein Buch und denke „lol, da hat sich wohl der Lektor beschwert“. Da sind dann Absätze, die stilistisch danach schreien, nicht „aus einem Guss“, sondern nachträglich eingefügt worden zu sein. Früher wäre mir sowas nie aufgefallen, heute springt es mich förmlich an. Dasselbe gilt für Genre-Tropes oder irgendwelche Phrasen. Ich schreibe ungern über Dinge, mit denen ich mich nicht auskenne – was auch der Grund ist, weshalb es hier auf dem Blog so selten um Musik oder Computerspiele geht. Aber umso lieber schreibe ich über etwas, von dem ich halbwegs Ahnung habe, und auch als Leser schätze ich es, wenn ein Verfasser weiß, wovon er schreibt. Sportler versuchen sich oft als Kommentatoren in ihrer eigenen Sportart – warum sollten Künstler, ob es nun um Schriftsteller, Musiker, Maler oder sonst jemanden geht, sich dann nicht auch über das auslassen, wovon sie (mehr oder weniger) Ahnung haben?

Vorteil 2:
Man schafft Verflechtungen und Vernetzungen

Herrje, wir leben im 21. Jahrhundert! Die Welten von Journalisten und Autoren sind ebenso wenig getrennt wie die von Musikern und Autoren. Und für Blogger, Rezensenten aller Art und Schriftsteller sollte das gleichermaßen oder vielleicht sogar noch mehr gelten, ebenso wie für Verleger und Übersetzer, Lektoren und Autoren. Wo Trennungen überwunden werden, können interessante Verflechtungen, neue Spielarten und Stilformen entstehen. Warum sich davon künstlich fernhalten?

Vorteil 3:
Man kennt mehrere Seiten

Als Schriftsteller ist es immer leicht, über den Verleger, den Blogger oder Agenten zu schimpfen. So, wie das eben ist, wenn man die andere Perspektive nicht kennt. Tritt man aber in verschiedenen Positionen auf, kennt man die spezifischen Problemchen mehrerer Seiten und kann sie in Einklang bringen. Beispielsweise kommen mir Verlage, die von Leuten geführt werden, die ebenfalls Erfahrung als Autor in anderen Verlagen haben, oft fairer vor, was die Vertragskonditionen angeht. Blogger oder Rezensenten, die als Schriftsteller arbeiten, haben ebenso wahrscheinlich mehr Verständnis beispielsweise für Autorenanfragen oder -absagen und anders herum. Auch entsteht so leichter ein Verhältnis auf Augenhöhe, das mir sonst doch gerade in der Autoren- Bloggerbeziehung****** manchmal fehlt.

*

Mein ultimatives Fazit lautet also: Dilemma ist da und bleibt bestehen. Wie er es für sich löst, muss jeder selbst entscheiden. Ich fahre mit meinem Rezensionen-Nein, Top-Listen-Ja derzeit ganz gut.

Wie sieht das bei euch aus? Seht ihr überhaupt Probleme bei dem Thema?


* Übrigens auf Anraten eines Dozenten, der meinte, ich solle meine Artikel als Arbeitsproben bei Bewerbungen nutzen. Durchaus kein doofer Tipp, und es wäre irgendwie unintelligent gewesen, die Proben unter Urheberschaft eines Namens wie Smeralda Serafin einzusenden (nein, diesen Nick habe ich nie benutzt).
** Leute, es ist schwierig, alle Begriffe aufzuzählen, mit denen sich möglichst niemand mehr als den Schlips getreten fühlen kann.
*** Es kann unmöglich einen anderen Grund geben.
**** Ehrlich, ich beneide Lektoren nicht besonders.
***** Ganz abgesehen davon, dass es dem Gelobten manchmal auch unangenehm ist.
****** Ich rede in diesem Fall bewusst von (rezensierenden) Bloggern statt von Rezensenten. Portal-Rezensenten /-Mitarbeiter genießen in meiner Wahrnehmung mehr Ansehen als der Ein-Mann/Frau-Blogger – egal, ob es sich dabei um einen Rezensions-, Szene- oder Buchblog handelt.