Januaransichten 2017

31. Januar 2017 8 Von FragmentAnsichten

Sorry, Leute – dem Thema Faschismus entkommt ihr hier auch nicht mehr. Denn das Phantastik-Jahr begann mit Tolkiens 125. Geburtstag am 3. Januar. Wo Tolkien Thema ist, dürfen die mit ihm einhergehenden Debatten um Kolonialismus, Rassismus und Faschismus selten fehlen.

Eine Frage der Haarsymbolik

Diesem Themenkomplex widmet sich der Blog Lake Hermanstadt mit einer bemerkenswerten Herangehensweise: Über die Rezeption von Märchen und phantastischer Literatur während der Zeit des Naziregimes über das heutige Ansehen von „Der Herr der Ringe“ in rechten Kreisen gelangt er zur Frage, inwiefern Tolkien Rassismus und Co. vorgeworfen werden können. Um es kurz zu machen: Er hält weder von den Vorwürfen Tolkiens, noch von der Interpretation dessen bekanntesten Werks durch die rechte Szene viel.

Der will doch nur träumen

Während sich der Beitrag dabei aber vor allem auf das Thema Rassismus fokussiert, nimmt Peter Schmitt auf Skalpell und Katzenklaue in direkter Anlehnung eine andere Perspektive ein. Er sieht durchaus eine Verbindung zwischen Tolkien und einer kleinbürgerlichen Form des Faschismus, was er ebenfalls mit zahlreichen historischen Rückgriffen und Briefen Tolkiens untermauert.

Was Tolkien und Kolonialismus angeht, verweise ich immer noch gerne auf diesen Aufsatz von Alexander Thattamannil-Klug. Ich bin nun wahrlich kein Tolkien-Experte, finde Thattamannil-Klugs Ausführungen aber durchaus schlüssig und glaube, dass sie sich zum Teil selbst auf jüngere Fantasy-Werke anwenden lassen.

Aber mal ganz abgesehen davon, welche Haltung man nun zu Tolkien vertritt – die Betrachtung der Verbindung bzw. Nicht-Verbindung von rechter Szene (hauptsächlich repräsentiert durch Medapedia) und Fantasyliteratur auch über Tolkien hinaus ist faszinierend, ebenso wie Schmitts Blick auf die möglichen Hintergründe zur „Hobbit-Utopie“. Definitiv zwei der informativsten Blogbeiträge, die mir bisher so begegnet sind.

Eine Reise endet

Derweil ist mit einer Besprechung von „Das Licht hinter den Wolken“ und einem anschließenden Interview mit Oliver Plaschka bei den Kolumnisten Sören Heims „Fantastische Reise“ zu Ende gegangen. Mit ausführlichen Rezensionen widmete Heim sich in den letzten Monaten verschiedensten Fantasy-Autoren von Sapkowski bis Rochon, um Texte außerhalb der ausgetretenen Pfade des Genres zu entdecken. Ich habe den Eindruck, dass er dabei letzten Endes erfolgreich war.* Und dass er dem Genre weiter verbunden bleibt, hat er bereits mit einer Besprechung von Ishiguros „Der begraben Riese“ deutlich gemacht.**

Tja, ich hätte nicht gedacht, dass mal so etwas aus Heims ausschlaggebendem Artikel auf The European resultiern würde, den ich damals ja eher als einen der üblichen Nörgel-Artikel über das Genre empfand (sorry, Sören). Aber letztere sind ja eh out – stattdessen wird die Phantastik jetzt sogar schon auf Die Welt als Lösung aus dem literarischen Pseudo-Realismus gefeiert. So weit ist es schon gekommen!

Wollen wir auch nur träumen?

Aber Phantastik bietet dieser Tage ja ohnehin kaum mehr die Fluchtmöglichkeiten, die ihr vorgeworfen oder die wahlweise von ihr erwünscht werden.*** Der Zukunftsroman in all seinen düster Facetten scheint endgültig von der Realität eingeholt worden zu sein. Schon wird William Gibson zum (u. a.) tagespolitischen Interview gebeten und die Dystopien dienen weniger als Warnung denn als Sittengemälde; die Sehnsucht nach der erlösenden und ungleich schwerer zu imaginierenden Utopie kehrt zurück.

utopie

Ist das wirklich die richtige Richtung? (Quelle: Pixabay)

Bevor wir anfangen zu träumen, beschäftigen wir uns aber vielleicht besser einen Moment mit dem Hier und Jetzt, also auch mit George Orwells „1984“, das sich als Anleitung zum Trump-Verständnis neuer Beliebtheit erfreut. Und den Guardian gleich mal eine Liste von Dystopien hinterherschieben lässt, die sich angeblich noch besser auf die aktuelle Situation anwenden lassen. Die Weltpolitik hat die Literatur also eingeholt – umso wichiger wäre es, die gegenläufigen Merkmale anzuerkennen, die wir in unserer Gesellschaft  noch vorfinden, und sie zu schützen, anstatt sich ein im wahrsten Sinne des Wortes exklusive Alternativ-Pseutopia zu wünschen. Das schließt auch ein, nicht nur von besseren Welten zu träumen, sondern den Dystopien, ihren Warnungen und literarischen Prophezeiunge, weiter Gehör zu schenken. Eine Möglichkeit dafür bietet ein Call for Submissions des Boston Review, der sich explizit an eine internationale Autorenschaft richtet.

Chinesische speculative fiction, potenzielle Engelsbesitzer und eine Phönixaktion

Apropos: Wer sich gerne mit Phantastik außerhalb der westlichen Welt beschäftigt, dem sei dieses Interview mit Cixin Liu empfohlen. Der Mann kann sich seit kurzem ja auch dessen rühmen, von Obama himself gelobt worden zu sein.

Hierzulande hat mit dem SERAPH einer der wichtigsten deutschsprachigen Jurypreise für Phantastik seine Longlist veröffentlicht, auf der sich Namen wie Katharina Seck, Dirk van den Boom und die Vogts für das beste Buch sowie u. a. meine ohneohren-Verlagskolleginnen Karin Leroch und Claudia Mayer unter den Nominierten fürs beste Debüt finden. Die Shortlist folgt im März, auf der Leipziger Buchmesse wird der Preis in beiden Kategorien vergeben. Der „Indie-Preis“ für Selfpublisher entfällt dieses Jahr.

Abschließend noch einmal der Hinweis auf die beim Fried Phoenix gestartete Geek Quest, bei der sich Blogger und Inhaber eines Facebook– oder Twitter-Accounts diversen nerdy Aufgaben stellen können. Auf die Art sind bisher hochemotionale Briefe geschrieben und kulinarische Gehversuche gemacht worden.


* Auch wenn er meine Meinung nicht immer geteilt hat.
** Und jetzt sind also schon meine Chatgespräche zitierfähig. Was mich daran erinnert, dass ich eigentlich schon seit zwei (!) Jahren einen Beitrag zu Ishiguros Sitz zwischen zwei Szenestühlen schreiben möchte. Hm.  Nun ja. Gut Ding braucht Weile.
*** Der geneigte Leser dieses Blogs weiß natürlich, dass das im Grunde nie anders war.