Dezemberansichten 2016

31. Dezember 2016 1 Von FragmentAnsichten

Inzwischen hat fast jedes Fantasy-Volk seinen eigenen Roman bekommen, die Vampire kann niemand mehr richtig ernst nehmen, die Dystopie wurde von der Wirklichkeit eingeholt und Steampunk hat nicht so recht die Masse erreichen wollen – was gilt nun also als das nächste dicke Ding? Science Fiction, zumindest angeblich. Also, nicht nur die Es-ist-SF-aber-wir-nennen-es-Wissenschafts-/Cyberthriller-SF, sondern auch die andere, mit Raumschiffen, Cyborgs, Androiden und allem Pipapo.

Nennen wir es Science Fiction

Nicht, dass diese Science Fiction jemals „weg“ war, aber nicht einmal der Erfolg von Avatar und anderen SF-Blockbustern konnte dafür sorgen, dass die Genre-Regale in den Buchhändlern mehr als die Klassiker und ein paar Brocken US-amerikanischer Schriftsteller enthielten. Inzwischen tut sich da langsam was, nicht nur im anglo-amerikanischen Raum und auch abseits der nicht totzukriegenden Heftromane. Vielleicht hofft man in der Verlagswelt, ein bisschen von Star Wars zu profitieren, was auch erklären würde, weshalb der Zug eher Richtung Space Fantasy und soften Spielarten geht. Aber halt – laufte ich gerade Gefahr, einzelnen Spielarten der Science Fiction die Science Fiction abzusprechen?

spaceship

Genug Science für SF? (Quelle: Pixabay)

Damit stände ich jedenfalls in Gesellschaft der Traditionalisten unter den SF-Fans, die mit schöner Regelmäßigkeit darauf pochen, dass sich ohne ein paar Seiten Physik-Bullshit-Bingos mal gar nichts Science Fiction nennen darf. Einen vieldiskutierten Kommentar dazu hat Anfang des Monats Stefan Holzhauer auf Phantanews verfasst. Fast ein bisschen lustig, dass (zufälligerweise?) wenige Tage später auf den Phanwelten ein Beitrag erschienen ist, der die Gegenseite vertritt.

Ich geb ja zu, ich halte mich gerne mit den Genreschubladen auf, war ja auch immer mal wieder Thema hier. Aber wenn man sich damit auseinandersetzt, fällt einem unweigerlich auf, wie schwammig diese im Grunde sind, wie sehr sie sich überschneiden. Da nennt der eine ein Buch Social Fantasy, der nächste bezeichnet es als Cyberpunk und Recht haben irgendwie beide. Die Grenzen sind fließend, und wer will außerhalb von Marketingexperten entscheiden, wann etwas als Wissenschaftsthriller, wann als Science Fiction gilt? Davon abgesehen: Wenn wir anfangen, die Genrebezeichnungen wörtlich zu nehmen, landen wir wieder bei der Frage, ob Fantasy überhaupt Fantasy sein kann oder wo eigentlich der Punk im Dampf geblieben ist.

Bis(s) zur Titelübersetzung

Ähnlich leidenschaftlich wie die SF-Debatte wird oft auch die um Übersetzungen geführt. Da treibt es Fans schon mal auf die Barrikaden, wenn Andreas Brandhorst nicht mehr alle Pratchett-Romane übersetzt, Jon Snow zu John Schnee wird oder ein englischsprachiger Titel durch einen völlig anderen ersetzt wird. Dem Titel-Thema hat im Dezember die Literatouristin einen differenzierten Beitrag gewidmet, der ein wenig Licht ins Dunkel der Logik hinter manch einer Übersetzung bringt und einige Positiv- und Negativbeispiele aus dem Bereich der Phantastik nennt.

Beim Lesen des Beitrags musste ich gleich an einige Maggie Stiefvater-Titel denken, die auf Deutsch in der Tat viel schöner geraten sind und auch bei der Literatouristin genannt werden. An anderen scheiden sich die Geister: Die Bis(s)-Titel mögen nicht dazu beigetragen haben, die Bücher ernster zu nehmen, aber zumindest marketingtechnisch finde ich sie nicht schlecht. Und seien wir ehrlich – „Zwielicht“ ist schon ein ziemlich abgenutzter Begriff in der Phantastik, fast so sehr wie „Apokalypse“.

Apropos Apokalypse: Ich weiß nicht, warum die Rot & Ruin-Bände im Deutschen nicht bei diesen Namen belassen wurden. Vielleicht zu kompliziert, vielleicht zu teuer. Aber stattdessen die Bezeichnung Lost Land und nichtssagende Untertitel wie Der Aufbruch oder Die Finsternis zu wählen, finde ich ein bisschen schade. So ganz erschließt sich mir auch nicht, warum The Iron Druid Chronicles mit Die Chronik des Eisernen Druiden statt Die Chronik des Eisendruiden übersetzt wurde, was inhaltlich besser passen würde. Torture the Artist war auch aussagekräftiger als Vincent. Und was hat es eigentlich mit Die Stadt der Göttin auf sich? Das gibt inhaltlich mal gar keinen Sinn … Gelungen finde ich dagegen die Scheibenwelt-Titel, auch die neueren – was ja eine eher unpopuläre Meinung ist. Der Mond der Brennenden Bäume ist durchaus klangvoll und ein Titel zum Kaufen, wenn auch nicht ganz so metaphorisch stark wie The Grey Mane of Morning – vielleicht ganz gut so. Anyway. Eigentlich wollte ich mich gar nicht damit aufhalten, jetzt einen Haufen Titel aufzuzählen, aber das Buchregal hat mich so angeguckt und …

Comic Cons, Frankenstein und Railsea

Auch abseits solch beliebter Diskussionen blieb die Szene im Dezember recht umtriebig: Anfang Dezember fand die Dortmunder Variante der German Comic Con nach 2015 zum zweiten Mal statt. Letztes Jahr war die Begeisterung dank Organisationsproblemen und chronischer Überlastung eher verhalten. 2016 gab es wohl Verbesserungen, aber so richtig euphorisch liest sich auch der diesjährige Bericht der Teilzeithelden nicht. Man bekommt den Eindruck, als sei Mittelmäßigkeit die neue Messlatte der viel gehypten Comic Cons.

Das E-Mag Film und Buch widmete sich derweil in einer zweiten Sonderausgabe aus der Feder von Alexander Pechmann ganz Mary Shelleys Frankenstein, und eine bemerkenswerte Karte zu Miévilles Railsea lieferte der Blog Lake Hermanstadt.

Nachrufe

Auch der Dezember kommt leider nicht ohne solche Nachrichten aus: Am 24. Dezember verstarb Richard Adams, der mit Unten am Fluss (Watership Down) zahlreiche Leser gekonnt traumatisierte.*,**Am 27. Dezember schockte bekanntlich die Nachricht vom Tod Carrie Fishers die Medienwelt, ihre Mutter Debbie Reynolds starb einen Tag später.

Bereits am 12. Dezember verstarb Winfried Brandt, der vor allem in der Kölner Phantastik-Szene engagiert war und u. a. bei verschiedenen Fanzines mitwirkte. Einen Nachruf veröffentlichte der Verlag iFuB auf Facebook.

Damit verabschiedet sich der Blog bis zum nächsten Jahr. Allen Lesern vielen Dank, die in 2016 hier vorbeigeschaut haben – eine kleine Selbstbeweihräucherung folgt vielleicht noch 2017 😉 Bis dahin aber erst einmal einen guten Rutsch!


*Ich geb zu, bei mir war es nicht das Buch, sondern der Film. Auch wenn ich nach Bambi schon relativ abgehärtet war.
**In einem Nachruf berichtet Die Welt, der „Kleinstverleger“ Rex Collings habe anfangs nur 2500 Exemplare von Watership Down drucken können. Haha. Kleinstverleger. 2500.