Oh, diese Liminalität (Drama, Baby!)

10. Juni 2016 3 Von FragmentAnsichten

Eine der Konstanten meines Studiums bestand darin, dass mir von verschiedenen Seiten meine baldige Arbeitslosigkeit prophezeit wurde.*

4,5 Jahre lang hat mir das meistens nur in sehr langen Nächten Kopfzerbrechen bereitet. Aber dann begegnete mir jener verhängnisvolle Kommentar in einem Campus-Ratgeber (sinngemäß wiedergegeben): „Als Geisteswissenschaftler sollte man als Werkstudent in einem Unternehmen arbeiten, wenn man den Sprung in die Arbeitswelt schaffen will […] Spätestens ab dem dritten Bachelor-Semester sollte man wissen, welches berufliche Ziel man anstrebt.“

alessandra_ress_liminale_personaeScheiße, was? Ich befand mich zu diesem Zeitpunkt im vierten Semester – vom Master. Meine Tätigkeiten als Werkstudentin lagen bei Null, meine beruflichen Ziele bestanden aus „irgendwie Geld verdienen wäre mal ganz fancy“**. Ich wusste ziemlich gut, was ich nicht wollte, hatte aber keine Ahnung, was ich wollte.

In fünf Zukünften um die Woche

Kurzum: Neun Monate vor meinem anvisierten Studienende geriet ich dezent in Panik. In wildem Aktionismus erfand ich meine Zukunft jeden Tag neu. Montags beschloss ich, erst einmal ein Freiwilliges Ökologisches Jahr einzulegen, dienstags entschied ich mich für eine Ausbildung zur Mediengestalterin, im Mittwochs-Größenwahn bewarb ich mich als Lektorin, um donnerstags mein Leben als freiberufliche Werbetexterin und Autorin zu planen.*** Freitags stellte ich dann fest, dass ich doch Museumspädagogin werden wollte – dazu konnte ich immerhin ein paar Praktika vorweisen -, samstags verfiel ich in Resignation, sonntags versuchte ich mich in Systemkritik.

Wo sind die Plot-Bunnys, wenn man sie braucht?

In solchen Phasen, die gerade weit genug vom Rande des Nervenzusammenbruchs entfernt sind, um noch unter gewöhnlichem Stress zu laufen, kann ich prima schreiben.**** In einem ähnlichen Klima war auch „Vor meiner Ewigkeit“ entstanden („Scheiße, ich bin 17 und weiß nicht, was ich mal werden soll!“), während „Spielende Götter“ ein Produkt einer meiner sonnigsten Phasen ist.

Meiner Masterarbeit kam das zugute, allerdings war sie als kreatives Ventil dann doch eher ungeeignet. Bloß, sonst hatte ich gerade nichts zum Schreiben. Das Auftragsding „Melodie der Toten“ war frisch durchs erste Lektorat, „Spielende Götter“ wartete auf Begutachtungen durch Verlage. Leider hatte ich auch keine zwanzig Plot-Bunnys auf Halde. Ich habe viele Ideen, viele Themen und Fragmente. Aber meine Handlungen haben selten die Angewohnheit, hinter einem Busch hervorzuspringen, sich auf die Gleise zu setzen und darauf zu hoffen, dass der Straßenbahn-Fahrer sie bemerkt.

Träumte Victor Turner von Zombies?

Aber da waren ja noch die Resignation vom Samstag, die Systemkritik vom Sonntag und das postmoderne Sozioethnobla der ganzen Woche. Ich gab alles in einen Mixer und begann zu schreiben, wie man es nicht machen soll: Ohne eine Ahnung, wohin es gehen soll.

Zehn Seiten in einem literarischen Zugabteil voller Freaks später wusste ich, worüber ich schreiben wollte: Über meinen aktuellen Zustand. Also über Liminalität, irgendwie. Und über postmoderne Theorie. Oh, und über Zombies. Weil … na ja, Zombies halt.

dont know therefore zombies

Manchmal frage ich mich, ob ich zu viel Zeit auf 9GAG verbringe.

Kommen wir zur Werbung

Das Ergebnis dessen ist ein Kurzroman namens „Liminale Personae“. Eingängiger Titel, nicht wahr? Erschienen ist das Buch Ende Mai im Amrûn Verlag – was ich irgendwie sehr passend finde. Stilistisch würde ich es eher mit „Vor meiner Ewigkeit“ als mit „Spielende Götter“ in Verbindung bringen. Dürfte vor allem der Erzählweise zu verdanken sein, und vielleicht dem eben geschilderten Hintergrund. Whatever.

Konkreter gesprochen geht es jedenfalls um Folgendes (Klappentext):

„Wir wollen eure Freiheit nicht!“

Jahrzehnte nach einer verheerenden Zombie-Epidemie. Die Zivilisation, wie wir sie kannten, ist zerstört, die wenigen Überlebenden haben sich
in kleine Siedlungen zurückgezogen. Eine Gruppe junger Menschen stellt das vorherrschende Gesellschaftsmodell der „Stadt“ in Frage und wird
verbannt. Unter ihnen auch Nihile, die vor die Wahl gestellt wird, in welcher Umgebung sie leben möchte – Wildnis, eine scheinbare Demokratie
oder eine monarchistische Regierung?
Wie individuell kann man sein, wo wird der Individualismus zu Egoismus?
Und wie ideal darf man denken, wenn man überleben möchte?

Ein Coming of Age-Roman mit phantastischem Hintergrund.

Bisher ist das Buch nur über den Verlag zu bekommen, aber der Buchhandel und Amazon folgen zeitnah, ebenso das E-Book. Alle Rahmeninfos gibt es auf der obligatorischen Roman-Unterseite.

Never trust a Campus-Ratgeber

Wie stets danke ich für eure Aufmerksamkeit und freue mich, wenn das Buch Leser findet. Ich bin übrigens bisher weder Mediengestalterin, noch Lektorin oder Museumspädagogin geworden. Ein paar Monate später habe ich aber festgestellt, dass dieser Campus-Rat verunsichernder Bullshit war. Das mit dem Ziel klappt auch via Learning by Doing. Allerdings … ach, das ist ein anderes Thema.


* Selbst die Karrieren als Taxifahrerin und Call-Center-Mitarbeiterin fielen für mich offenbar raus.
** Ich dachte wahrscheinlich eher „… wäre ganz awesome“, aber „awesome“ ist sowas von out und klingt auch einfach nicht schön. Warum hab ich das dauernd gesagt? Werd ich mich das später auch mal bei „fancy“ fragen?
*** Nicht, dass ich genügend Auftraggeber dafür gehabt hätte.
**** Ist die Grenze überschritten, gilt das nicht mehr. Dieses Gequälter-Künstler-Ding funktioniert nicht mehr so gut, wenn’s pathologisch wird. Bei mir zumindest nicht. Also, wenn ihr mehr von mir lesen wollt, macht mich glücklich – kauft meine Bücher, lest sie, empfehlt sie weiter. Kapitalistische, kulturelle Ökonomie für Glück und Kunst!